Sonntag, 2. Januar 1916 – «Wild West» in der Tonhalle, Kanonen-donner aus dem Elsass und starke Niederschläge. St.Gallen erlebt den Jahresanfang

Neujahrstag und Berchtelistag

nahmen in unserer Stadt [St.Gallen] einen ruhigen Verlauf. In der Silvesternacht herrschte in der Stadt reges Leben. Während oben in den Familienstuben dem scheidenden Jahre der Abschiedstrunk und dem neuen Jahre das volle Glas gebracht wurden, bewegte sich auf den Gassen und Plätzen die Menge jener, die bei den Klängen der Musiken und im Lichte der bengalischen Flamme die Mitternacht erwarteten. Die grossen Cafés und die Unterhaltungslokale waren vor und um Mitternacht sehr stark besucht.

Die Stadtmusik konzertierte nach alter Sitte bei der Löwenburg und spielte ein flott zusammengestelltes Programm unter Herrn Dir. Haubalds Leitung. Die Stadtmusik „Konkordia“ spielte in der Felsenstrasse und zeigte sich in guter Zusammensetzung.

Man hätte auch heuer gerne auf das Schiessen und Geknall verzichtet. Wenn über unserer Stadt hin fortwährend der Donner der Geschütze aus dem Elsass rollt, dürfte man auf Freudenböllern, Klepfraketen, Frösche und Schwärmer verzichten. Denn just in der Silvesternacht und noch heftiger am Neujahrstage drang die schwere Stimme des Weltkrieges wiederum bis in unsere Häuser.

An beiden Festtagen war der Besuch des Stadttheaters ein sehr guter; der schöne Film „Cabria“ lockte zahlreiche Besucher in den „Schützengarten“, und das brillante Programm „Wild West“ in der Tonhalle fand ungeteilten Beifall. In Uhlers Konzerthalle wurde „Gemma von Arth“ recht gut gespielt.

Das Wetter war besonders am Sonntag [2. Januar] schlecht; heftiger Westwind brachte starke Niederschläge; Sitter, Urnäsch, Steinach und Goldach gingen am Abend hoch.

Der Verkehr auf den Bahnen bewegte sich in gewöhnlichen [sic] Rahmen. Die Züge waren hauptsächlich am Silvester- und am Sonntagabend stark besetzt.

Aus ist es mit den Festtagen. Am Dreikönigsfeste werden nochmals die Christbäume brennen; hernach wird’s wieder ruhig im Lande; hoffnungsvoll gehen wir Lichtmess entgegen.

Anzeige in der Rorschacher Zeitung vom 31.12.1915
Anzeige in der Rorschacher Zeitung vom 31.12.1915

Der im Text erwähnte Film „Cabiria“ wurde nicht nur im Schützengartensaal in St.Gallen gezeigt, sondern z.B. auch in Rorschach.

Eine Anzeige im St.Galler Tagblatt gab Auskunft über den Inhalt (StASG, P 909, 03.01.1916, Morgenblatt, S. 4) und pries den Film als: Histor. Roman aus dem III. Jahrhundert v. Christus von Gabriele d’Annunzio. [… ] Ueber 3000 Darsteller! Mehrere Millionen an Herstellungskosten! Uebertrifft das berühmte Quo vadis. Das überwältigendste Filmkunstwerk, das je gesehen wurde und noch je zustande gebracht werden wird. Alle Besucher sind von diesem Filmwunder begeistert. Mässige Preise! Textbücher à 20 Cts. unerlässlich.

Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, P 909 (Text, 03.01.1916, Abendblatt, S. 3) sowie P 913 (Anzeige, 31.12.1915) und ZMA 18/01.10-34 (Bild)