In der Ostschweiz waren ab den 1870er Jahren diverse Bergbahnstrecken gebaut worden, so u.a. die Rorschach-Heiden-Bergbahn (in Betrieb ab 1875), die Rheineck-Walzenhausen-Bergbahn (ab 1896), die Strecken St.Gallen-Trogen (ab 1903) und Altstätten-Gais (ab 1911). Schreiben des Präsidenten der Sektion St.Gallen des Schweizerischen Ingenieur- und Architektenvereins an Ingenieur G. Bener:
20. April 16
Herrn Ober-Ingenieur G[ustav]. Bener [1873-1946] Chur
Sehr geehrter Herr!
Ich erlaube mir hiermit mit einem Anliegen an Sie zu gelangen. Im Namen unseres Verein’s möchte ich Sie anfragen, ob Sie die Freundlichkeit hätten[,] im Kreise der st.gallischen Ingenieure & Architekten in nächster Zeit eine Schilderung über den Bau & Betrieb der Chur-Arosa-Bahn zu geben.
Allen Teilnehmern der damaligen Besichtigung der Bahn-Bauten ist diese Excursion in bester Erinnerung & würden wir mit grossem Interresse [sic] gern noch Einiges über das Werden dieser neuen Bahn vernehmen.
Es würde uns freuen, wenn Sie im Falle wären[,] unserm Ansuchen entsprechen zu können.
Mit colleg. Begrüssung i.N. [im Namen] des [SIA St.Gallen]
Ihr CKirchhofer Ingr.
Der Vortrag kam zustande und wurde im Protokoll der Sektion St.Gallen des Ingenieur- und Architektenvereins vom 7. November referiert:
[…] Die meterspurige Adhäsionsbahn steigt von Chur S.B.B. 588 m.ü.M. mit max. 600/00 und einem Maximalradius von 60 m, auf die Höhe von 1742 m.ü.M. (Bahnhof Arosa)[.] Bis km 14 (Pagig St.Peter) durchfährt die Bahn ein reines Bündnerschiefergebirge, dessen Schichten sehr verworfen sind, in ihren normalen Strecken aber ein Fallen von etwa 30° östlich zeigen. Der oft in geringer Mächtigkeit aufgelagerte Bergschutt und der mürbe, von tiefen Lehmeinlagerungen durchsetzte Schiefer verursachte vielfache [unlesbar] und ausserordentliche Bauschwierigkeiten. Von km 11 bis Langwies mussten mächtige Moränen angeschnitten und teilweise durchstochen werden. Von Langwies bis Arosa wechseln Kalk, kristal[l]in[es] Gestein, Serpentin, flyschartige Schiefer und Moränen. Mit Kurven u. Kunstbauten ist die Bahn überreich gesegnet. Die Lichtweite der 41 Brücken zwischen den Widerlagern gemessen beträgt 1776 m oder 7% der ganzen Bahnlänge. 19 Tunnels und Gallerien messen 2460 oder 9.6% der Bahnlänge. Wohl das interessanteste Bauwerk der ganzen Strecke ist das Langwieser Viadukt von 287 m Totallänge und einem Mittelbogen von 100 m Stützweite, das von der Firma Züblin in Zürich, in Mustergültiger [sic] Weise und in kürzester Zeit erstellt wurde. (siehe Detail darüber in der Bauzeitung)
Die anmutigen Hochbauten sprechen für das Können der Architekten.
Als Charakteristikum der Ch. A. [Chur-Arosa-Bahn] ist das bestmöglichst ausgeglichene Gefälle der Bahn, die vielen und abwechslungsreichen Brückenbauten, die erstmalige Verwendung von Eisenbeton für schweiz. Eisenbahnbrücken grösserer Spannweiten und der verhältnismässig geringe Aufwand von Zeit und Geld für die ganze Bahnbaute zu nennen.
Die Ch. A. [Chur-Arosa-Bahn] ist die erste Schweizer Bahn[,] welche mit hochgespanntem Gleichstrom von 20000 Volt betrieben wird.
Die Stromversorgung erfolgt von der neu erstellten Kraftzentrale der Stadt Chur aus. Da die neue Zentrale sich nicht weit von der Mitte der 26 km langen Bahnlinie befindet, konnte bei einer Fahrdrahtspannung von 20000 Volt von der Einschaltung von Unterstationen abgesehen werden. Währenddem von Sassal nach Arosa die Anlage für eine einfache Fahrdrahtaufhängung gebaut wurde, kam durch die Strassen der Stadt Chur mit Ausnahme des Bahnhofes bis nach Sassal aus Sicherheitsgründen Vielfachaufhängung zur Verwendung. Der Fahrdraht wird durch einfache Ausleger auf Holzmasten getragen.
2 Reservedampflokomotiven erhöhen die Betriebssicherheit der Bahn und werden auch für Spezialdienste und Schneepflugfahrten verwendet.
Die Personenwagen sind mit zweiachsigen Drehgestellen ausgerüstet, deren Radstand sehr klein gewählt wurde, um das Durchfahren der vielen und kleinen Kurven anstandslos und ohne Zwängen zu ermöglichen. Die Axen [Achsen] besitzen Kugellager, welche den Reibungswiderstand auf ein Minimum heruntersetzen, was besonders für den Rangierdienst einen grossen Vorteil bedeutet.
Die Motorwagen besitzen ferner 4 verschiedene von einander [sic] unabhängige Bremsen, eine durchgehende, auch auf die Anhängewagen wirkende Vakuumbremse, Type Rhätisch-Bahn, eine elektrische Kurzschlussbremse, eine magnetische Schienenbremse und eine Handspindelbremse.
Die gesamte elektr. Ausrüstung der Bahnanlage wurde von der Firma Brown, Boveri u. Cie, in Baden geliefert.
Der äusserst lehrreiche, mit tadellosen Lichtbildern begleitete Vortrag erntete reichen Beifall und wurde durch den Präsidenten verdankt.
Um unter den einzelnen Mitgliedern der Sektion St.Gallen vermehrten Kontakt herzustellen, wurde beschlossen[,] jeweils am Anfang des Monats im Merkatorium einen Abendschoppen abzuhalten.
Schluss ca 11 Uhr Der Aktuar: L.A.
Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, Wy 024 (Copie de lettres und Protokollbuch) und W 238/03.08-50 (Bildausschnitt aus einer Ansichtskarte von 1913; Verlag: Gebrüder Metz, Basel).