Tagebucheintrag von Emma Graf, Schülerin der Taubstummenanstalt St.Gallen (heutige Sprachheilschule St.Gallen), geboren 1900:
Am Montag war ein Herr von der Basler Volksversicherung da. Josephina Braun musste ein Schriftstück unterzeichnen. Die Mutter hat alle ihre Kinder versichert. Sie muss [für] jedes Kind jede Woche 50 Rp. Prämie in die Versicherung einbezahlen. Nach 15 Jahren bekommt jedes Kind 400 Franken. Wenn ein Kind vorher stirbt, bekommt die Mutter das Geld. Wenn die Mutter schon gestorben [ist], bekommen es die Erben.
Josephina Braun bekam am Dienstag eine Karte vom Expressgutbüreau, ein Korb sei für sie angekommen. Ein Knabe hat ihn abgeholt. Ich dachte, es sei ein leerer Waschkorb zum Einpacken von ihren Effekten. Heute über 8 Tage dampfen wir mit Sack u. Pack ab. Herr Bühr sagte zu Seppli, sie habe einen Korb bekommen. Diesen Ausdruck braucht man auch bildlich. Er sagte uns verschiedene Beispiele. Wenn man etwas anbiete u. man werde abgewiesen, so sage man, man habe einen Korb bekommen. Bei der Konfirmation schenkte Herr Bühr unseren Angehörigen den Wein ein. Elsis Schwester Anni wollte keinen Wein haben. Sie hat Herr[n] Bühr einen Korb gegeben.
Jetzt sind wir nicht mehr zu fünft in der Oberklasse, sondern zu siebent. Kurz vor unserem Austritt sind 2 neue Schüler noch eingetreten, ein gelbes Männchen u. ein gelbes Weibchen. Sie erzählen eifrig, was sie erlebt haben. Sie schnabulieren fleissig, was Rösli ihnen vorgesetzt hat. Es sind 2 Kanarienvögel. Sie sind kreuzfidel.
Diese Woche hat es ziemlich stark geschneit. Der Schnee rutschte auf dem Dach nach vorn. In der Nacht gefror er zu Eis. Am Morgen schien die Sonne einwenig. Die Schneemasse löste sich u. stürzte herab. Sie zertrümmerte eine Gartenbank. Wir können Gott danken, dass keine Person da unten stand. Sie wäre unfehlbar tot gewesen.
Frau Bühr kaufte für Seppli einen Hut. Herr Bühr sagte, wir sollen keinen grossen Wert auf das Äussere legen. Wir wollen aber auch nicht vernachlässigt aussehen.
Emma Graf schreibt nicht, womit die Kanarienvögel gefüttert wurden. Möglich wäre, dass man das Futter bei Emil Hausknecht besorgte.
Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, W 206 (Tagebuch) und ZMH 64/400 (Briefkopf)