Fischernetze am Bodensee, um 1916

Dienstag, 6. Juni 1916 – Grenzverletzung: Deutscher Offizier tarnt sich mit gelbem Regenmantel

Auf dem Beitragsbild sind am Bodenseeufer bei Goldach aufgehängte Fischernetze zu sehen. Das Bild datiert um 1915.

Das Morgenblatt der Zeitung «Die Ostschweiz» publizierte am 6. Juni 1916 folgende Meldung:

Eine Völkerrechtsverletzung auf dem Bodensee.

Aus Arbon kommt die Kunde von einer krassen Rechtsverletzung durch Organe der deutschen Behörden auf Schweizergebiet. Der Vorfall trug sich folgendermassen zu: Der 38jährige Fischer Walz in Arbon, der nach zehn Monaten deutschen Kriegsdienstes in den Vogesen von Langenargen aus per Boot in die Schweiz desertiert war und hier bereits längere Zeit wieder seinem Berufe oblag, wurde am Freitag vormittag [sic] während dem Fischen aus seinem Boot von einem deutschen Offizier verhaftet. Wie Augenzeugen erzählen, war Walz mit seinem Knecht etwa zwanzig Minuten vom Schweizerufer entfernt damit beschäftigt, die Netze einzuziehen, als sich ihnen ein in keiner Weise als deutsches Kontrollboot gekennzeichnetes Motorschiff näherte, in dem sich ein Berufsfischer aus Langenargen und ein mit einem hochgeschlossenen gelben Regenmantel und blauer Fischermütze verkleideter Offizier befanden.

Der deutsche Fischer, der Walz kannte, erbot sich, bei der Arbeit behilflich zu sein, was jener dankend ablehnte. Daraufhin hielt der Deutsche das Boot von Walz fest, und auf die Drohung seines Knechtes, wenn er nicht loslasse, schlage er mit dem Ruder zu, setzten die beiden Insassen des deutschen Bootes die Revolver auf Walz und seinen Knecht an und verhafteten den erstgenannten, der sich ohne Widerstand ergab. Diese «eigentümliche» Art der Verhaftung wird hier lebhaft diskutiert und das Schicksal des sonst beliebten Mannes bedauert. Walz ist verheiratet und hat drei Kinder. Allem Anschein nach handelt es sich hier um eine Denunziation.

Das Schiffchen, in dem sich Walz aufhielt, befand sich offenbar noch auf Schweizergebiet. Ein deutscher Offizier hat also auf Schweizergebiet eine Handlung vorgenommen, welche eine Verletzung der schweizerischen Souveränitätsrechte und des Völkerrechtes darstellt.

Auch das Tagblatt berichtete über den Vorfall. Hier hiess es insbesondere: Im übrigen wird es sich auch bei diesem Zwischenfall wieder als Nachteil erweisen, dass die Frage der Hoheitsrechte auf dem Bodensee nicht abgeklärt ist. Es ist nicht das erste Mal, dass seit dem Ausbruch des Krieges die unsicheren internationalen Rechtsverhältnisse auf dem Bodensee zu Anständen geführt haben. So haben sich anfangs die militärisch bemannten deutsch-österreichischen Kontrollboote starke Uebergriffe erlaubt, die dann auf die Reklamation der Schweiz hin aufgehört haben. Wenigstens hat man seit längerer Zeit nichts mehr von solchen Uebergriffen gehört. Bei dem Vorfall von Arbon steht ausser Zweifel, dass ein deutscher Uebergriff vorliegt, sofern die Verhaftung des Walz wirklich auf der schweizerischen Seehälfte stattgefunden hat. Der Bodensee gilt wohl als gemeinsames Gut, als Kondominium der Uferstaaten, soweit die Ausübung der Fischerei in Betracht kommt; die polizeilichen Funktionen aber haben sich an die staatlichen Hoheitsgrenzen zu halten. Deutschland hat die Geteiltheit des Sees auch in militärischer Beziehung anerkannt, denn die Zeppeline betrachten bei ihren Versuchsfahrten den Bodensee nicht als internationales Gewässer, sondern halten sich streng an die deutsche Seehälfte. Die Schweiz muss verlangen, dass auch die deutsche Polizei sich abgewöhne, den Bodensee als internationales Gewässer zu betrachten.

Die Rechtsverhältnisse für den Bodensee sind bis heute nicht geregelt, vgl. z.B. http://www.igkb.org/der-bodensee/rechtsverhaeltnisse-am-bodensee/.

Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, P 907 (Die Ostschweiz, Nr. 131, 06.06.1916, Morgenblatt) und P 909 (Tagblatt, Nr. 131, 06.06.1916, Morgenblatt) sowie W 238/02.05-22 (Bild, Bodenseeufer bei Goldach, ca. 1915)