Mittwoch, 28. Juni 1916 – 10% mehr Lohn für Glasergehilfen

Jakob Jäger wurde am 25.01.1874 in Stein am Rhein (SH) geboren. Er machte eine Lehre als Zimmermann und zog 1900 nach St.Gallen, wo er gewerkschaftlich aktiv wurde. Von 1903 bis 1910 war er Präsident des Zentralverbandes der Zimmerleute der Schweiz. Sein Nachlass kam als Teil des Unia-Gewerkschaftsarchivs ins Staatsarchiv St.Gallen. Mit folgendem Schreiben verlangten die Glasergehilfen in St.Gallen von ihren Arbeitgebern eine Teuerungszulage von 10% und begründeten diese:

St.Gallen, den 28. Juni 1916.

Mit dieser Eingabe gestatten wir uns, an Sie das Ansuchen zu stellen, Sie möchten den Arbeitern eine Teuerungszulage von zehn Prozent zu dem bisherigen Lohn gewähren.

Zur Begründung brauchen wir nur auf die durch den Weltkrieg so enorm verteuerte Lebenshaltung hinzuweisen, auf die ganz bedeutende Steigerung der Preise der Lebensmittel und der Gebrauchsgegenstände. Man hat ausgerechnet, dass der Familienunterhalt sich um 30 bis 50 Prozent kostspieliger gestaltet hat. Und immer noch ist kein Ende abzusehen. Wie soll der Arbeiter sich in dieser Zeit ehrlich und recht durchschlagen? Wie soll er für sich und seine Familie die notwendigen Lebensmittel beschaffen, dass alle Familienmitglieder genügende Nahrung erhalten und keines infolge Unterernährung an der Gesundheit Schaden leidet? Der Arbeiter hat über nichts anderes zu verfügen als über seine Arbeitskraft und den für dieselbe bezahlten Lohn, aus dem er alles und jedes bestreiten muss, mag es noch so viel kosten.

Weil das bei der jetzigen Teuerung und Lohnzahlung absolut unmöglich ist, bleibt auch den Glasergehilfen nichts anderes übrig, als sich an die Arbeitgeber zu wenden mit dem Gesuche, in Würdigung der besonders für die Arbeiterschaft so schwierigen Zeitverhältnisse die Zulage von 10 Prozent zu gewähren. Wir geben gerne zu, dass auch der Gewerbestand unter all den schlimmen Kriegsfolgen leidet, aber die Situation ist für ihn doch bedeutend besser, es stehen ihm noch andere Wege, andere Möglichkeiten offen, so die Preiserhöhung für Produkte, welche in den meisten Berufsbranchen erfolgt ist, in welchen den Arbeitern Teuerungszulagen gewährt wurden.

Wir geben uns der Erwartung hin, Sie werden unser Gesuch einer wohlwollenden Prüfung unterziehen und ihm entsprechen. Allgemein wird ja die Berechtigung der Begehren um Lohnzulagen anerkannt. Eine ganze Reihe von Geschäften hat solche gewährt, auch Regierung und Stadtrat prüfen eine solche Zulage an die untern Angestellten und die Arbeiter. Da werden gewiss auch Sie nicht zurückstehen und dem durch die Not der Zeit diktierten Gesuche um Lohnerhöhung entsprechen. Die Arbeiter werden Ihr Entgegenkommen anerkennend würdigen und auch fernerhin die Geschäftsinteressen nach bester Möglichkeit wahrnehmen.

Mit aller Hochachtung!

[Stempel:] Holzarbeiter-Gewerkschaft St.Gallen

Wie ein Brief vom 1. August 1916 im gleichen Dossier belegt, waren die Arbeiter mit ihrem Begehren teilweise erfolgreich. Sie hatten sich bei den organisierten Schreinermeistern eine Teuerungszulage von zwei bis fünf Rappen pro Stunde erkämpft.

Quelle: Staatsarchiv St.Gallen, W 240/1.3-10 (Korrespondenz im Nachlass von Jakob Jäger)