Aus dem Tourenbuch der Jugendsektion des Touristenvereins Naturfreunde St.Gallen (TNV):
Sonntag, den 23. Juli 1916 wurden nach grösster Mühe endlich 10 Mitglieder zusammengebracht. Sammlung war auf ½ 8 Uhr morgens angelegt. Nach langem Zaudern, wer wohl das Kochgeschirr zuerst tragen müsse, gelang man endlich zum Abmarsch. Auf dem Bahnhof angelangt, wurde man von den Arbonern begrüsst, welche soeben vom Zuge kamen. Jeder kaufte sich noch etwas „Krämeligs“. Dann ging’s an’s Einsteigen. Im Bahnwagen ging es verflixt gemütlich zu. Die Handorgel, Dryangel und Trommeln wurden sofort in Funktion gesetzt und bald hatte man auch schon Maulaffen feil. Es war ein Glück, dass der Zug bald aus der Halle dampfte. Abwechselnd wurde gesungen. Ein kleines Geräusch wurde im Wagen verführt, das ziemlich an Grampol grenzte und doch war es halt durchaus kreuzfidel. Nur zu geschwind schrie der Zugführer: „Gossau“. Auf der Strasse wurde sofort aufgestellt[,] und in strengster Ordnung ging es durch Gossau und auf der Niederwielerstrasse [sic] weiter. Voran schritten die Tambouren, dann das Banner der Sekt. Arbon. Wichtig stolzierte dann die Sektion St.Gallen daher, dann reihten sich die Arboner, welche 29 an der Zahl beisammen hatten. Es dauerte nun nicht lange fort, als der Eine oder andere einen grässlichen Hunger oder Durst oder beides zusammen verspürte. Man sah es daher für genötigt[,] einen Halt zu machen. Nachdem der grösste Kohldampf gestillt und auch eine derbe Zahl Nussgipfel verschlungen waren, zog man weiter, bei Niederwil vorbei, bis zum nächsten Wegweiser, dort wollte der Eine nach links der Andere nach rechts und der Letzte gar nicht mehr weiter. Nach langen Unterredungen gelang man doch zum Entschluss, nach links zu gehen. Der Uzwilerfritze hingegen brummte immer noch etwas zu hinterst, von „einer simpeleinfältigen Abkürzung, Pappenheimer etc. etc.[“] Er trug nämlich einen Wäschekorb am Stock, worauf gemalt war: „Sozialisten auf der Reise“. Er sah überhaupt aus, wie ein richtiger Kunde [Landstreicher]. In der rechten Rocktasche schimmerte noch etwas von einer Bierflasche „Pardon“ Syroupflasche [Sirupflasche] hervor, was seinem Ae[u]ssern einen richtigen Aufputz gab. Bereits hatten wir die Kollone [sic] wieder in Reih und Glied eingestellt, als man plötzlich eine Ration rote Zipfelmützen am Strassenhorizonte auftauchen sah. Es waren einige Uzwilergenossen, die uns entgegeneilten. Im Nu waren sie bei uns und nach kurzem Händeschütteln und Servusrufen ging es weiter, bei Oberbüren vorbei nach Niederuzwil. Die Sonne schien schon lange ganz tüchtig heiss und hie und da meinte einer „Viel Afrika“. Endlich gelangten wir auf den Rastplatz. Sofort wurde eine kräftige Suppe gebraut[,] die schon um ½ 1 Uhr schnabuliert werden konnte. Es schmeckte herrlich. Auch Gen. Knecht, der mit dem Zug gekommen war, erwischte noch einen Löffel voll. Nachdem ein Kessel Tee auf’s Feuer gesetzt wurde, ging’s an’s Gesichter verewigen. Nachher wurde zum Umzug aufgestellt. Der Umzug dauerte über eine Stunde. Daran beteiligten sich die Sekt. Arbon, Uzwil, St.Gallen, Frauenfeld, Wil, Rapperswil & Winterthur. Nachher referierte Gen. Mimicola [?] im „Schweizerhof“ über Militarismus. Um 5 Uhr war das Referat beendigt und der Tee mundete jetzt auch ganz vortrefflich. Doch bald wurde zur Heimkehr gemahnt. Die Arboner kehrten per Bahn heimwärts. Einige Uzwiler begleiteten uns noch ein Stück Weges. Beim Botsberg gab es einen Ansturm auf einen prächtigen Rosenstock. Ein Radfahrer, der sich ungemein hervor tun wollte, verlor dabei einen Sack Stachelbeeren und fuhr wie ein rasender [sic] davon, als man ihm nach rief. Das war für ein Festessen, die Beeren wurden sofort verteilt. Unser Fritze war wieder das gemütlichste Huhn, er kaufte für uns ein mächtiges Zapfenbrot und verteilte es dann am Bahnhof redlich unter uns. Wie gafften nicht die Neugierigen, wie wir das trockene Brot vertillgten [sic]. Der Zug[,] in den wir in Gossau hätten einsteigen sollen, sauste jetzt an uns vorüber. Das war das Zeichen zum Weitermarsch. Unter fortwährendem Gesange ging es bei Oberglatt vorbei nach Gossau, wo wir dann noch einen kurzen Galopp machen mussten, denn eben fuhr der Zug im Bahnhof ein. Noch rechtzeitig erhaschten wir den Zug, was für uns ein grosses Glück war. Im Bahnwagen ging’s noch recht gemütlich zu und her, bis wir in St.Gallen einfuhren. Sofortige Verabschiedung. Ankunft auf dem Bahnhof St.Gallen ½ 10 Uhr.
Willi Hofer
Die Naturfreunde gehörten der Abstinenzbewegung an, sie tranken keinen Alkohol, deshalb der Hinweis auf die Sirupflasche.
Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, W 285/2.11.1-1 (Tourenbuch) und W 285/2.11.1-1-2.39 (Naturfreunde verschiedener Sektionen mit einem Banner «Nieder mit dem Militarismus» am Umzug in Niederuzwil)