Tourenbericht 5./6. August 1916. Wildhauser Schafberg.
Teilnehmer: Tourenchef Herr O. Schweizer, Herren Mantel, Haab, Felber, Velly[,] Siebert.
Heute ist Wandertag, // Heut sind wir frei. // Wir hab’n uns sechs Tag geplagt // Nun ist’s vorbei. // Drum woll’n wir wandern heut // Über Tal und Höhn // Dass sich das Herz erfreut // An den Bergeshöhn!
Durch die abendliche Dämmerung führte uns der Zug Haag-Gams zu. Wir sind glücklich wie die Kinder, gilt es doch dem Wildhauser Schafberg aufs Haupt zu steigen und dazu das schöne Wetter. Nach einer Rast[,] wo wir uns stärkten, gings unter Stern’übersätem Himmel nach Wildhaus. Ach wie tat uns diese abendliche Kühle so wohl! Bevor wir die staubige Landstrasse verliessen[,] machten wir einen kurzen Halt. Dann gings durch ein stockfinsteres Tobel, über Stock und Stein, wo es manche unfreiwillige Niederlassung gab.
Wer liegt dort an dem Boden, so lang wie er gebor’n. // Ich glaub es ist Freund Max’l den haben wir verlor’n. // Die Beine nach dem Himmel streckt er voll Seelenruh‘ // Und einige kräftige Flüche, die singt er sich dazu. // Ich bin doch nicht besoffen, will auch kein Flieger sein, // Dass ich mit solcher Grazie flieg in dies Loch hinein. // Doch halt, ich will nicht schimpfen und will zufrieden sein, // Denn jetzt fällt mir gerade ein schönes Sprichwort ein: // „Wenn Herz und Aug‘ sich laben, // Muss der Hintere auch was haben.“
Auch unsere Kollegin hat sich wollen das Laufen versüssen, // Und fing an aus Versehen den Boden zu küssen. // Sie glaubte wohl einen Jüngling in den Armen zu haben, // Doch ach, die Knie[,] die mussten die Sühne tragen. // Verschiedene Stückchen Haut sind dabei ab Handen gekommen, // Doch hat’s ihr den Humor deshalb noch nicht genommen.
Von der Teselalp ging es auf gut angelegtem Weg nach dem Schafboden, wo wir den Tag abwarteten. Trotz der frühen Morgenstunde wurden wir vom Senn freundlich aufgenommen und zum Bleiben aufgefordert, was wir gerne annahmen, denn zum draussen sitzen war es empfindlich kühl. Nun gings ans Kochen.
Da gabs verschiedenes[:] Suppe und Thee [sic], // Milch auch und Cacao wie im Wiener-Cafe // Der Senn unterm Dach da ob’n schaut voll Sehnsucht herab // Was doch so ein Stadtmagen nicht alles verdauen mag. // Er raucht sich ne Pfeife an und denkt sich dann still // Hier Magen hast auch was, was ein Stadtmagen nicht will.
Noch ehe das Morgenessen recht vertilgt, welchem wir tüchtig zusprachen, fing es an zu dämmern und wir rüsteten uns zum Aufbruch, was freilich etwas mühsam ging, denn der Schlaf zeigte sich, doch der verflog bald wieder. War das ein Erstehe [sic]; um uns tiefe Stille nur hie und da unterbrochen von dem friedlichen Geläute der Herdenglocken und über uns diesen wolkenlos blauen Himmel. Wir sind noch keine Stunde gestiegen als die Sonne die weissen Häupter der Bergriesen rosa färbte; wir konnten uns kaum trennen von diesen [sic] Bilde. Zuerst gings über Matten, die mit Felsbordchen [-bördchen] abwechselten, bis wir zu Schnee kamen. Jetzt heisst’s aufpassen, denn er ist hart gefroren. Anfangs gings ganz gut, bis wir zum obersten grossen Schneefeld kamen.
Hier glitschte nun Freund Felber mit einem Fusse aus, // Und rutschte immer weiter, ich glaub, er rutscht nach Haus. // Und unten angekommen oh Graus, oh welcher Schreck, // Es riss ihm aus Versehen, den Hosenboden weg. // Als er sich dann betastet die Hose zwanzigmal // Sagt er dann ganz bedächtig „es ischt bim eid“ [Es ist beim Eid] fatal // So komm jetzt Freu[n]der’l wir haben keine Zeit // Wenn dich auch die Sonne heut von der andern Seit‘ bescheint. // Er denkt sich dann im Stillen als er so vorwärts geht // S’ist hässlich eingerichtet, dass bei den Rosen gleich die Dorne steht.
Da die Schneeverhältnisse ungünstig waren, konnten wir den Weg durchs Kamin nicht benützen, dafür aber gings in schöner Kletterei auf den Gipfel wo wir um ½8 heur [sic] landeten. War das eine Pracht, der ganze Alpstein lag vor uns, doch wir wandten uns schnell den überzuckerten Bergriesen zu. Von den Österreichischen bis weit in die Berneralpen lag jeder Gipfel in solcher Klarheit vor uns wie man sie selten zu sehen bekommt.
O Höhenluft O Gipfelzauber wie seid ihr eng vereint. // Wenn Euch in früher Morgenstund die Sonnen‘ so schön bescheint // Dann jauchzt das Herz voll selger Wonne // Erwärmet von der Morgensonne!
Dort hinauf ins Reich der 4 Tausender ist unser sehnsüchtiges Verlangen. Wir konnten uns kaum trennen von diesem Bilde. Doch der Magen ruft, und will auch zu seinem Rechte kommen.
Wurst, Käse, Butterbrot und Musik dazu // Eine Cigarette noch und dann ein bis[s]chen Ruh! // So Freund Felber nun heran, Ruft unser kleines Bäschen. // Jetzt fangen wir zu flicken an // An deinen Sonntagshöschen! // Bedächtig legt er sich dann hin, wie wenn er sich genierte // Mit Schere, Nadel und mit Zwirn // Üsers Bäsli operierte.
Dritte von rechts ist vermutlich Nelly Siebert, das „Bäschen“ oder „Bäsli“ im Bericht, welches dem Kameraden die Hose flickte und möglicherweise die Illustrationen (s. unten und im Titel) im Tourenbuch zeichnete. Dass sie für die Wandertouren praktische Hosen trug, war zur damaligen Zeit sehr aussergewöhnlich. Wenn sich Frauen überhaupt auf solche Unternehmungen einliessen, trugen sie in aller Regel Röcke. (Foto: O. Schweizer)
Lieber Felber nimm dich in acht, // Sonst deine Haut mit der Nadel Bekanntschaft macht. // Mit weiss und schwarzem Faden ist nun die Hose geflickt // Mit einem schweren Seufzer er sich bedächtig bückt. // Jetz[t] kann ich wieder klettern in aller Seelenruh, // In meinen Sonntagshosen ist das Loch jetzt wieder zu.
Nuns gabs noch eine photographische Aufnahme von unserm Freunde Schweizer. Das waren schöne schnellzerfliessende Stunden, die Gipfelrast auf dem Schafberg, so allein, wo es auf dem Säntis und Altmann von Menschen wimmelte wie auf einem Ameisenhaufen. Nur zu schnell mahnte unser Führer zum Aufbruch, wollten wir doch noch nach der Krajalp um nach Edelweiss zu sehen es fiel zwar etwas mager aus, doch es bleibt immer ein Andenken an die unvergessliche Tour. Nach dem die Blumen verpackt gings im Schnellschritt nach der Teselalp wo wir zu Mittag assen.
Im Essen ist Freund Mantel, // der beste Hochtourist, // Auf seiner Mittagstafel, man stehts [sic] was Feines isst. // Braten, Nudeln, Suppe, alles gibt es da, // Zuletzt noch kalte Erdbeer’n, der hat Geschmack, ja, ja. // Au üsers Bäsli hät säb g’merkt, si macht si i sini Nöchi // „I bi bim Klettere din Gschpane gsi, Drum will en au bim Esse si.“
Vor lauter Essen ist Freund Mantel ich glaub im Hirn defekt // Weil er in seiner Aufregung, die Uhr in Brunnen steckt. // Da gabs ein Schimpfen und ein Schelten, obwohl er selber schuld // Die Uhr ihm jetzt die Sonne trocknet, sie zeigt ihm seine Huld.
Nach 1½ stündiger Rast gings den gleichen Weg zurück nach Wildhaus und Haag-Gams.
Dass Haab ganz gerne Tango tanzt, das habe ich gewusst // Dass er es auch auf Eiern kann, das war mir unbewusst. // Er tänzelte die Landstrass‘ hin, als wie ein zahmer Hahn, // Doch ach, auch unser Felber fing, gar bald zu tanzen an. // Auch Mantel hat an einem Bein, ‘ne Blase ziemlich gross, // Doch s’Eiertanzen hat bim aid [beim Eid] er doch no lang nit los!
Karl Mantel Nelly Siebert.
Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, W 285/2.06.1-1 (Touristenverein Naturfreunde St.Gallen (TNV), Sektion St.Gallen, Tourenbericht) und W 285/2.06.1-2 (Gruppenbild)