Titelblatt eines Jugendbuchs

Montag, 11. September 1916 – Kriegstreiberische Jugend-literatur

Kriegsbücher für die Jugend.

Die kantonale Jugendschriftenkommission erachtet es als ihre Pflicht, Behörden und Eltern einmal ernsthaft auf die überreiche Kriegsliteratur der Gegenwart für die Jugend aufmerksam zu machen. Wir erblicken in Stimmung und Ausdrucksweise vieler Kriegsbücher eine unheilvolle Gefahr für Denken und Handeln der Jugend aller Völker, und im speziellen beschleicht uns bange Sorge um die Zukunft unseres Vaterlandes. Man sollte meinen, Elend und Jammer des Tages wären für das heutige Geschlecht Lehre und Warnung genug, die eigenen Kinder, die Generation von morgen, vor gleicher Verirrung, vor gleichem Schicksal zu behüten. Doch nein! Sie muss hineingezogen werden in die Wirrnis der Zeit, sie muss erfüllt werden vom unseligen Glauben, dass Kampf und Krieg eine frohe Lust sei, sie muss, durchtränkt und gesättigt, aufwachsen im verblendeten Völkerhass, der heute Millionen von Menschen zerfetzt und zerfleischt. Aus solchem Erdreich soll dann die Hoffnung ergrünen auf einen reinen, dauernden Frieden, auf gemeinsame, edle Kulturarbeit aller Völker! Wir werden unsere Anklage mit einigen Ausweisen zu belegen haben.

Eine erste, ernsthafte Gefahr besteht darin, dass viele, selbst anerkannt berufene Jugendschriftsteller ihre jungen Buchhelden in massloser Weise mit dem Glorienschein des Ruhmes umspinnen[.] In ununterbrochener Kette und meist in den letzten verzweifelten Augenblicken werden von diesen Uebermenschen alle erdenklichen Heldentaten vollbracht. Bald ist’s einer allein, bald sind’s zwei Brüder oder zwei Freunde, die im Westen und Osten und im Kaukasus, beinahe im automatischen Wechsel eine Ueberzahl von Bravourstücken auf sich vereinigen, welche entweder glatt erfunden oder dann vereinzelt von Dutzenden verschiedener Kämpfer zu ganz verschiedenen Zeiten ausgeführt worden sind. Solche Schreibweise, allen historischen und literarischen Wertes bar, muss zu bedenklicher Kriegsschwärmerei, zu verderblicher Verblendung führen.

Zu verurteilen ist ferner, dass manche Schriftsteller mit wahrer Wohllust die entsetzlichsten Greueltaten vor dem Auge des jugendlichen Lesers entrollen und wahrhaft bestialische Gesinnung einzelner Kämpfer zum Ausdruck bringen.

Es ist gewiss wohl verständlich, dass deutsche Kraft und deutsches Nationalbewusstsein in diesem furchtbaren Völkerringen aufs höchste entflammt sind und dass patriotischer Kampfeszorn heute Ausdrücke gebraucht, deren Folgen für morgen er nicht achtet. Aber es ist nicht der ehrliche Soldatenzorn allein, der solches Unheil stiftet; es ist viel, viel mehr die skrupellose Profitgier einzelner Grossofirmen [sic], die, dem ehrenhaften Buchhandel zum Trotz, alte Schundware in kriegerischem Aufputz in Millionen von Exemplaren und die heute auf Sensation noch stärker erpichte Jugend wirft. Gegen dieses unglaubliche Gebaren richtet sich zurzeit in Deutschland selbst der energische Kampf zahlreicher Jugendfreunde, vor allem der deutschen Prüfungsausschüsse für Jugendliteratur, und bereits haben mehrere Generalkommandos Auslage und Verkauf solcher Hefte und Bücher bei strengster Strafe verboten. Wir Schweizer haben wahrlich alle Ursache, ihr Beispiel nachzuahmen und der Gefahr insbesondere auch durch vermehrte unentgeltliche Abgabe sorgfältig ausgewählter Jugendbücher zu wehren.

Behörden und Väter, gebet acht und haltet Wacht.

Forrer [Albert Forrer, Lehrer in St.Gallen]

Die kantonale Jugendschriftenkommission konnte 1916 auf zehn Jahre Tätigkeit zurückblicken. Im Protokoll vom vom 5. Juni 1916 zog sie positive Bilanz: Es ist zwar in keiner Statistik festgelegt: Aber wir dürfen ohne Überhebung sagen: Mit der Verbreitung guter, gesunder Jugendlektüre haben wir manche freundliche Stunde & manches gutes Samenkörnchen in Kinderherz & Familienkreis getragen. Dieser Gedanke bringt reichen Lohn.

In der gleichen Sitzung beriet die Kommission eine ganze Reihe von Werken, die durch die Mitglieder rezensiert worden waren. Darunter war auch das Werk, dessen Titelblatt als Beitragsbild zu diesem Blogeintrag verwendet wurde:

[Otto] Promber: Im Kampf ums Vaterland 1915.

Abgelehnt. Man habe genug der Kriegsliteratur.

Im nachfolgenden Protokoll zur Kommissionssitzung vom 1. März 1917 heisst es über den eingangs zitierten Zeitungsartikel von Albert Forrer: Müller verdankt die Bemühungen des Präsidenten und weist darauf hin, dass der in verschiedenen Tagesblättern erschienene Artikel Forrers über die Gefahren der herrschenden Kriegsliteratur sehr guten Eindruck gemacht habe; er sei auch in einer katholischen Lehrerzeitschrift zum Abdruck gelangt.

Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, P 907 (Die Ostschweiz, Nr. 205, 11.09.1916, Morgenblatt), KA R.130 B 38 (Protokoll kantonale Jugendschriftenkommission) und Mag I 258 (Beitragsbild, Otto Promber: Im Kampf ums Vaterland. Einzelbilder interessanter Erlebnisse sowie Schilderungen hervorragender Taten aus den Kämpfen der deutschen u. österreichisch-ungarischen Armee im Weltkriege 1915, Stuttgart 1916

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