Quittierkarte eines Bijouteriegeschäfts in Altstätten, 1911

Donnerstag, 21. September 1916 – Was Fieberthermometer mit Kriegsführung zu tun haben

Elektronische Fiebermessgeräte mit Digitalanzeige sind eine Erfindung neueren Datums. Zuvor wurden u.a. mit Quecksilber gefüllte, zerbrechliche Glasthermometer benutzt:

Der Medizinalthermometer, ein Kriegsinstrument.

Es ist bekannt, dass vor Ausbruch des Weltkrieges die Medizinalthermometer fast ausschliesslich in Deutschland hergestellt wurden. Die deutsche Industrie hatte gewissermassen das Monopol auf die Erzeugung solcher wichtiger Instrumente[,] und es zeigte sich daher bald nach Kriegsausbruch in den Ententeländern ein sehr bedeutender Mangel an solchen Medizinalthermometern. Auch die Schweiz bekam das zu spüren, indem wenigstens im ersten Kriegsjahre auf alle nur denkbare Weise versucht wurde, Thermometer aus Deutschland nach andern Ländern zu schmuggeln.

Nun auf einmal hört man, dass in Frankreich auf Weisung der Regierung versucht wird, Medizinalthermometer durch deutsche Kriegsgefangene herstellen zu lassen. Der französische Unterstaatssekretär für das Sanitätswesen, den der Krieg geschaffen hat, hatte die Idee, die nötige Hilfe bei Kriegsgefangenen zu suchen. Richtig fand man einige 50 Glasbläser, dann wurde in Gefangenenlagern nach Arbeitern gesucht, die Thermometer herstellen konnten und man fand deren sieben. Sie wurden in eine Werkstätte gebracht und arbeiteten dort unter sehr strenger Aufsicht. Jeder hat seine eigene Methode und so, heisst es triumphierend in den französischen Blättern, haben sie uns sieben Arten gelehrt, Thermometerröhren herzustellen. Jede Handbewegung von ihnen wird sorgsam überwacht und verglichen, um für die Franzosen, die in kurzer Frist ihre Plätze einnehmen werden, den besten Handgriff ausfindig zu machen. Auf diese Weise hat Frankreich so billig wie es nur irgend anging, mit lumpigen zehntausend Franken den Grundstock für eine neue Industrie gelegt. In kurzer Zeit wird die neue Werkstatt sämtliche Spitäler mit dem notwendigen, leider bisher nur von Deutschen geschaffenen Material versorgen können. Der Unterstaatssekretär denkt auch schon an den Krieg nach dem Kriege, den Wirtschaftskrieg; die Herstellung von solchen Thermometern soll nachher auf genossenschaftlicher Grundlage im Grossen betrieben werden.

In Deutschland ist man über das französische Vorgehen natürlich im höchsten Masse aufgebracht und erbost. Vor dem Kriege war die deutsche Lieferung von Medizinalthermometern an Frankreich ein recht einträgliches Geschäft. Es wurden jährlich bis zu einer halben Million Medizinalthermometer in Frankreich eingeführt. Das würde nun natürlich mit einem Schlage anders werden. In Deutschland wird daher vor allem die Frage aufgeworfen, ob die deutschen Gefangenen freiwillig dem Feinde die Arbeit leisten oder ob man sie dazu gezwungen habe. Man zweifelt in Deutschland sehr stark daran, dass die betreffenden Arbeiter wirklich wissen, dass sie durch ihre Arbeit dem Feinde ihres Vaterlandes einen so gewaltigen Dienst leisten sollen, nicht bloss für Kriegsdauer, sondern noch darüber hinaus.

Für weitere Kreise ist es interessant zu sehen, wie selbst die friedlichen Medizinalthermometer zu einem Instrument des wirtschaftlichen Krieges werden konnten. Die Herstellung solcher Thermometer ist nun aber schliesslich doch ein Friedenswerk, sodass vielleicht auch einmal kleinere neutrale Staaten daran denken könnten, sich in dieser Industrie ebenfalls zu betätigen.

Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, P 907 (Die Ostschweiz, Nr. 220, 21.09.1916, Abendblatt) und ZMH 02/055 (Quittierkarte, 1911)

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