Am 15. Mai 1916 waren der Oberen Waid bei St.Gallen Internierte eingetroffen. Für diese Männer suchte man nun Beschäftigungsmöglichkeiten.
St.Gallen, den 11. November 1916.
An das Baudepartement des Kantons St.Gallen, St.Gallen.
Ihrer Einladung vom 10. dies. Folge leistend, berichten wir Ihnen über die Möglichkeit der Beschaffung von Arbeitsgelegenheiten für Internierte folgendermassen:
Mit Bericht vom 4. Oktober haben wir Ihnen bereits einige Bauarbeiten genannt, die eventuell für die Beschäftigung von Arbeitslosen im Winter 1916/17 in Frage kommen könnten. Da bei der Arbeitslosenbeschäftigung im Allgemeinen mit für Bauarbeiten ungelernten Arbeitern zu rechnen ist, die auszurichtenden Löhne aber die Existenzsicherung ermöglichen sollen, so kommen die von Arbeitslosen ausgeführten Arbeiten fast durchwegs teurer zu stehen, als dies mit Facharbeitern bei höhern Löhnen der Fall ist. Die Leistungen von Arbeitslosen können für den Arbeitgeber nur dann in ein richtiges Verhältnis mit den Ausgaben gebracht werden, wenn die Mehrkosten gegenüber der Ausührung durch Facharbeiter von anderer Seite (zu Lasten eines Arbeitslosen-Unterstützungskontos) an den Auftraggeber rückentschädigt werden. Bei einer Anzahl der Ihnen mit Bericht vom 4. Oktober genannten Arbeitsgelegenheiten müsste, um die Wirtschaftlichkeit der Arbeitsleistungen zu wahren, mit einer in diesem Sinne stattfindenden Rückentschädigung gerechnet werden können. Nach unserer Ansicht würde dies speziell zutreffen für die Arbeiten kleinern Umfangs, die Strassenkorrektionen, Trottoirbauten und die Entwässerungen an Staatsstrassen.
Anders ist die Sachlage bei der Heranziehung von Arbeitern aus den Interniertenkreisen. Ohne Zweifel befinden sich darunter viele sehr tüchtige Leute, die schon von Haus aus mit Arbeiten auf dem Felde vertraut sind und auch durch den Krieg die nötige Abhärtung mehr als genug erfahren haben. Wir glauben daher, dass mit der Beschäftigung von Internierten bei der Ausführung von Bauarbeiten mindestens gleich gute oder bessere Resultate erzielt werden könnten, als mit der Beschäftigung von Arbeitslosen aus unseren Industrien.
Da für die Beschäftigung von Internierten nur Arbeitsstellen in Frage kommen können, die in erreichbarer Nähe der ihnen zugewiesenen Wohnstätten liegen, so denken wir in erster Linie an die Staatsstrasse St.Gallen[-]Rorschach in der Nähe der Kuranstalt Waid, ferner an Gossau und Umgebung, das vom Interniertenort Waldstatt mit Morgen- und Abendzügen der Appenzellerbahn gut erreichbar ist. Soviel uns bekannt ist, sind Internierte von Waldstatt auch bei den Arbeiten der Gossauer Dorfbach-Regulierung beschäftigt.
Die Auswahl der Arbeiten, für welche in erster Linie Internierte verwendet werden könnten, dürfte sich jedenfalls nach speziellen Gesichtspunkten richten müssen. Wir selbst sind der Auffassung, dass nur solche Arbeiten hiefür in Frage kommen, welche einerseits nach den bestehenden Lohnverhältnissen kaum Aussicht auf baldige Verwirklichung haben könnten, deren Durchführung aber anderseits sehr wünschbar wäre.
Als solche Arbeiten bezeichnen wir speziell die Korrektion der Staatsstrasse beim alten Niveauübergang der Sulgenerlinie in Gossau und die Tieferlegung der Staatsstrasse beim Hirschberg, östlich von Gossau. Für erstere besteht ein Bauprojekt, für letztere erst ein Vorprojekt. Wir denken, dass diese Arbeiten zeitlich nach einander [sic] aufgeführt werden müssten, um die gleichen Arbeiter längere Zeit beschäftigen zu können. Die Voranschläge beziffern sich auf rund Frs. 50‘000.00, ohne die Bodenerwerbungskosten. Von dieser Summe schätzen wir die Arbeitslöhne allein, und zwar nur für die Erd- und Chaussierungsarbeiten, auf Frs: [sic] 10‘000.00 bis 12‘000.00 ein, was einer Arbeitsleistung von zirka 2000 oder 20×100 Arbeitstagen entspricht. Es könnten also 20 Arbeiter 100 Tage lang Beschäftigung finden. Die Kosten der Interniertenverwendung würden bei Frs: 1.50 Taglohn Frs: 3‘000 betragen, womit sich eine Ersparnis von Frs: 7000.00 bis 9‘000.00 ergeben würde.
Die Arbeiten für Trottoirbauten sind mehr Spezialarbeiten, die grössere Kenntnis und Sorgfalt in der Ausführung verlangen. Erst wenn die Leistungsfähigkeit der Arbeiter bekannt wäre, könnte die Frage der Verwendung von Internierten für diese Arbeiten näher geprüft werden. Wir nehmen daher vorderhand davon Umgang, auch diese Arbeiten miteinzubeziehen.
Die von uns für die Arbeitslosenbeschäftigung vorgeschlagenen Sickerungsarbeiten [sic] an der Rorschacherstrasse sind abschnittsweise zur Zeit in Ausführung begriffen. Der grössere Teil soll jedoch erst nächstens in Angriff genommen werden. Darin sind die zu Frs: 10‘000.00 veranschlagten Arbeiten, die wir in unserem Bericht vom 4. Oktober 1916 aufführten, noch nicht inbegriffen. Die Arbeitslöhne partizipieren in diesen Summen etwa zu ¼ bis 1/3, für alles zusammen mit zirka Frs: 4‘000.00 oder zirka 650 gleich 10×65 Arbeitstagen. Ausser diesen Arbeiten sind auf der Rorschacherstrasse kleinere Verbesserungen der Nivellette, der Fahrbahn (stellenweise Legung eines Steinbetts) dringend durchzuführen, welche mindestens 500 Arbeitstage beanspruchen dürften. Auch könnten die Erdarbeiten für die Trottoirerstellung längs der neuen katholischen Kirche im Neudorf in die Reihe dieser Arbeiten einbezogen werden. Da von unserer Seite einen [sic] Bauaufseher zu stellen wäre, so sollte mit einer Arbeiterschaft von mindestens 15-20 Mann gerechnet werdern, um ihn angemessen beschäftigen zu können. Die Dauer dieser Beschäftigung könnte also für 15-20 Mann zirka 2 Monate betragen.
Bezüglich der Arbeiten an der Rorschacherstrasse speziell fügen wir zum Schlusse die Bemerkung bei, dass sich seit einiger Zeit schon mehrere hiesige Unternehmer dafür interessierten und von dieser Seite oft Anfragen an uns gerichtet werden, ob die fraglichen Arbeiten nicht bald zur Vergebung gelangen würden.
Hochachtungsvoll
Der Adjunkt des Kantonsingenieurs:
Vogt Ing. [Unterschrift]
1 Beilage retour.
Dem Brief liegt ein Schreiben der Zentralkommission für Beschäftigung der Internierten in Bern, datiert auf den 23. November 1916, an den Vorsteher des Baudepartements bei. Die Kommission unterstützt die Einschätzung des Kantonsingenieurbüros:
[…]
Die Arbeiten in der Nähe von Oberwaid und in Gossau würden wohl am ersten in Frage kommen, dagegen würde es kaum möglich sein[,] die nötige Zahl von Steinarbeitern für den Diepoldsauer Rheindurchstich zu finden, auch wenn die Frage nach Unterkunft und Verpflegung keine Schwierigkeiten machte.
Wir werden nun versuchen, Ihnen eine möglichst gute Arbeitergruppe von 20-40 Mann zusammen zu stellen, die dann für die erwähnten Arbeiten in Frage käme. Inzwischen könnten Sie vielleicht den nötigen Kredit einholen. Für die Qualität der Arbeiter können wir natürlich keine Sicherheit leisten, aber der ihnen auszuzahlende Lohn von ca. Frs. 1,50 für den Tag ist ja nicht so hoch, dass man allzu hohe Ansprüche stellen darf. Was die Disziplin anbelangt, so würde durch die Kommandierung von Unteroffizieren dafür gesorgt, dass Schwierigkeiten nicht entstehen können.
[…]
Laut handschriftlichem Kommentar von Regierungsrat Rüegg, dem Vorsteher des Baudepartements, vom 24. November 1916 wurde das Projekt schliesslich doch nicht umgesetzt, weil zu den vorgesehenen Löhnen keine Internierten erhältlich seien.
Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, KA R.62-1d (Beschäftigung von Arbeitslosen und Internierten mit Bauarbeiten) und A 481/02.02-49 (Kiesgewinnung mittels Greifbagger für den Diepoldsauer Durchstich. Die Arbeiten wurden 1923 abgeschlossen; Foto zwischen 1910 und 1914, Fotograf unbekannt)