Mittwoch, 15. November 1916 – Offene Worte der Gewerkschaft: Neue Arbeitsverträge und mehr Lohn oder Streik

Jakob Jäger wurde am 25.01.1874 in Stein am Rhein (SH) geboren. Er machte eine Lehre als Zimmermann und zog 1900 nach St.Gallen, wo er gewerkschaftlich aktiv wurde. Von 1903 bis 1910 war er Präsident des Zentralverbandes der Zimmerleute der Schweiz. Sein Nachlass kam als Teil des Unia-Gewerkschaftsarchivs ins Staatsarchiv St.Gallen.

Sämtliche Anstrengungen zur Mitgliederwerbung und Mobilisierung der Arbeiterschaft hatten offenbar nicht gefruchtet. Im folgenden Schreiben des Verbandes der Zimmerleute der Schweiz versucht der Vorstand, den Sektionen eine neue Taktik aufzuzeigen:

Zentralverband der Zimmerleute der Schweiz.

An die Mitglieder und Sektionsvorstände.

Werte Kameraden! In den letzten Vorstandssitzungen haben wir uns eingehend mit der Lage unserer Mitglieder beschäftigt und sind dahin einig geworden, dass es auf diesem Wege nicht mehr vorwärts gehen kann, sondern dass mehr seitens unseres Verbandes getan werden muss[,] um gegen die Verschlechterung der Lebenshaltung Front zu machen. Die Lohnerhöhungen unserer Kameraden bleiben in Wirklichkeit noch weit mehr als es den Anschein hat, hinter der Verteuerung der Lebenshaltung zurück. Die Arbeitgeber verbreiten systematisch falsche Nachrichten über die Lohnerhöhungen, um ihre Arbeiterfreundlichkeit zu zeigen und wir unterstützen sie indireckt [sic] dabei, indem auch wir unsere Errungenschaften im besten Lichte zeigen, um so die Unoragnisierten [sic] besser mit vorwärts zu bringen. In Wirklichkeit bleiben die Erfolge oft weit hinter den Angaben zurück. Die von den Arbeitgebern zugebilligten Lohnerhöhungen und Teuerungszulagen werden oft garnicht [sic] bezahlt oder durch den steten Wechsel der Arbeitskräfte illusorisch gemacht. Könnten wir eine umfassende und genaue Statistik beschaffen über die Löhne, wie sie jetzt bezahlt werden und wie sie unmittelbar vor dem Kriege bezahlt worden sind, die Zugeständnisse der Arbeitgeber würden in einem ganz anderen Lichte erscheinen.

Schuld an diesen traurigen Zuständen sind nicht allein die wirtschaftlichen Verhältnisse sondern auch unsere Kameraden, die zu wenig Energie auf die Verbesserung ihrer Lage verwenden. Wir haben uns deshalb auch eingehend mit den Fragen befasst[,] wie wir diesem Energiemangel abhelfen, wie wir unseren Bewegungen mehr Schwung geben und wie wir sie auch erfolgreicher machen können. Und da sind wir zu der Ansicht gekommen, dass es an der Zeit ist, unseren Lohnbewegungen mehr Einheitlichkeit zu geben, wie es schon an der letzten Delegiertenversammlung so dringend verlangt worden ist.

Dies könnte erreicht werden, wenn wir im nächsten Frühling etwa in folgender Weise vorgehen würden:

Wo die Kameraden einigermassen Aussicht auf Beschäftigung für den nächsten Frühling haben, sollte die Sektion eine Lohnbewegung organisieren, und dies so rechtzeitig, dass die Forderungen den Arbeitgebern spätestenst [sic] Anfang März zugestellt werden können. Das Ziel der Bewegung sollte die Schaffung eines Arbeitsvertrages sein, der eine geregelte Arbeitszeit bringt und wenigstenst [sic] als Nettoergebnis einen blanken Zehner [= 10 Rp.] als Erhöhung des Stundenlohnes. Die Forderungen, über die sich noch näher zu verständigen wäre, müssten möglichst einheitlich auf der ganzen Linie sein, zum wenigsten aber so gehalten sein, dass die Sektionen sich nicht gegenseitig damit schaden. Das Einbringen und Verhandeln über die Forderungen wäre, wie bisher, Sache der Sektionen selb[s]t, ebenso der endgültige Entscheid über das Abkommen mit den Unternehmern. Aber jede Sektion müsste sich zur dringendsten Pflicht machen, auch keinen Vergleich abzuschliessen, der die anderen schädigen könnte. Wo die Kraft der Organisation nicht ausreicht, nennenswerte Zugeständnisse zu erreichen, sollte mit dem Abschluss der Bewegung gewartet werden, bis die stärkeren Sektionen ihre Sache geregelt haben.

In dieser Weise würden unsere Bewegungen im ganzen mehr Bedeutung erhalten und die kleinen Sektionen würden auch besser mit fortgerissen werden. Wenn wir dann überall den kommenden Winter zur energischen Rüstung benutzen, die Unorganisierten in den Verband bringen, gutes statistisches Material über die Löhne beschaffen und uns einrichten, dass wir auch den Streik als Pressionsmittel mit in Erwägung ziehen können, so werden unsere Bemühungen sicher erfolgreicher werden, als bisher.

Wir ersuchen nun die Sektionen, die Angelegenheit in den nächsten Versammlungen zu behandeln. Der beiliegende Fragebogen kann wegleitend für die Diskussion sein. Nach gründlicher Klarstellung der Meinungen der Mitglieder sollten die Fragen gemäs[s] der Mehrheit beantwortet und der Bogen uns bis zum 18. Dezember wieder zugeschickt werden.

Von den Antworten der Sektionen wird es abhängig sein, in wieweit der Zentralvorstand in die Bewegungen eingreifen kann. Falls die Sektionen es wünschen, sind wir gerne bereit, an einer Versammlung teilzunehmen und weitere Auskunft zu geben.

In der Hoffnung, alle Sektionen werden uns ihre Antworten zu dem erwähnten Termine zukommen lassen, grüsst kameradschaftlich

Der Zentralvorstand.

Basel, den 15. Nov. 1916.

Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, W 240/1.3-10 (Korrespondenz im Nachlass von Jakob Jäger (1874-1959)) und ZMA 18/06.00-04 (Streik der Rickentunnel-Arbeiter, Auszug aus einer Ansichtskarte von 1904)

Mittwoch, 15. November 1916 – Die Zeitung wird nicht ausgeliefert, aber man macht Parteipropaganda

[…]

6. Zur Verlesung kommt eine Klageschrift von Herrn Lichtensteiger in Bütschwil an die Redaktion der Ostschweiz betreffend mangelhafte Spedition des Blattes an seine Adresse. Aus den Motivierungen der Klage muss unwillkürlich geschlossen werden, dass es mit der Blattspedition mitunter bedenklich happert [sic] und nicht die gute Ordnung herrscht, welche absolut bestehen soll. Die Richtigkeit der Aussagen von Herrn Lichtensteiger wird vom Geschöftsführer [sic] zugegeben und von letzterem ferner erklärt, dass der fehlbare Angestellte entlassen worden sei und die seitherige Speditionsweise wieder den geregelten Verlauf finde.

[…]

8. An der gemeinsamen Sitzung der konservativen & christl.sozial. Parteikommissionen der drei Gemeinden St.Gallen, Tablat & Straubenzell ist als Propagandamittel für die bevorstehenden Verfassungsratswahlen zur Schaffung einer Gemeindeordnung für die neue Gemeinde St.Gallen der Verteilung der Broschüre: „Die konservative Volkspartei von Gross St.Gallen, was sie ist und was sie will“ den Vorzug gegenüber der vermehrten Ostschweiz-Ausgaben gegeben worden. Es wurde die Gratisabgabe von 1000 Exemplaren durch die Buchdruckerei Ostschweiz gewünscht, wogegen weitere 1500 Stück zum preise [sic] von fr. 50.- das Tausend bestellt würden. Die Erstellungskosten kommen für die ersten Tausend auf fr. 73.70 und jedes folgende Tausend auf fr, 59.50 ct. [sic] Das Präsidium hat im Namen der Betriebskommission die Gratisabgabe von 1000 Exemplaren und die Lieferung von weitern 1500 Exemplaren der Broschüre nach obiger Preisofferte bewilligt. Für die Druckerei kommt dieses Entgegenkommen einer Beitragsleistung von ca. fr. 90.- an die Agitationskosten gleich. Herr Präsident Dr. Keel hat auf speziellen Wunsch der Parteien hin des weitern auch die Gratisabgabe der Ostschweiz in beschränkter Zahl von höchstens 200 Exemplaren während den letzten 2 Tagen vor der Abstimmung an bestimmte Personen zugesichert, bei denen die Aussicht auf Gewinnung als Abonnenten verbunden werden kann.

[…]

Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, Wy 088 (Auszug aus dem Protokoll der Betriebskommission der Buchdruckerei „Ostschweiz AG St.Gallen“) und W 238/08.08-02 (Ansichtskarte von Bütschwil um 1900, Verlag Max Roon, Zürich)