Tagebucheintrag von Josef Scherrer-Brisig (1891-1965), Sekretär des Schweizerischen Christlichen Textilarbeiterverbands (1910-1916), später Kantonsrat und Nationalrat sowie Mitbegründer der Christlichsozialen Bewegung:
Es neigt ein Jahr dem Schlusse zu. Ein Jahr von Blut und Eisen. Ach Gott, welches Unglück hat 1916 der Welt wieder gebracht. Ich habe zwar Anlass nur zum Danken gegenüber Gott, dem allmächtigen Vater. Meine Familie blieb von grösseren Unbilden glücklicherweise verschont. Das Jahr 1916 hat den Tod des Kollegen Lander gebracht. Da vorläufig kein Ersatz bestimmt wurde, hat meine Arbeit gewaltig zugenommen. Um einen besseren Verdienst zu haben, sah ich mich veranlasst, die Amtsvormundschaft in der Gemeinde Tablat zu übernehmen. Ich kann so wieder ein Gebiet studieren und wieder ein Stück Leben kennenlernen.
Heute bekomme ich von Trogen unerwartet Bericht, dass mein Bruder Franz dort schwer krank darniederliegt. Auf telefonisches Befragen erklärt man mir, dass mein Bruder Franz sehr ernst erkrankt ist und Todesgefahr besteht. Ich veranlasse mit Charge-Express den hochwürdigen Herrn Pfarrer Eberle in Speicher meinen Bruder sobald als möglich zu besuchen, um ihm doch den letzten Trost rechtzeitig spenden zu können. Hoffentlich kann mein Bruder mit gutem Verstand die heiligen Sakramente empfangen. Möge Gott ihn am Leben erhalten.
Im nachfolgenden Tagebucheintrag vom 31. Dezember 1915 heisst es, der Vater habe den Bruder besucht. Es gehe dem jungen Mann noch nicht gut, aber es scheine nicht allzu gefährlich zu sein.
Quelle: Staatsarchiv St.Gallen, W 108/1