Mittwoch, 13. Dezember 1916 – Heu- und Strohmangel fördert Profiteure zutage

Kreisschreiben des Volkswirtschaftsdepartementes des Kts. St.Gallen an sämtliche Bezirksämter, Gemeindebehörden und Polizeiorgane desselben betreffend den Handel mit Heu und Stroh.

Vom 13. Dezember 1916.

Es wird häufig darüber geklagt, dass Personen Heu und Emd kaufen, ohne dass sie diese Ware zum Selbstverbrauch bedürfen und ohne dass sie eine Ausweiskarte besitzen, die sie zum Heuhandel berechtigt. Es soll auch vorkommen, dass Produzenten beim Verkauf ihrer disponiblen Vorräte an Selbstverbraucher die für die Händler vorgesehenen Zuschläge erheben, was durchaus unstatthaft ist. Derartigen Praktiken muss ohne Verzug mit aller Gründlichkeit entgegengetreten werden, ansonst durch sie in Bälde auch den reellen Händlern der Handel unter Einhaltung der Höchstpreise verunmöglicht wird.

Sie werden daher angewiesen, den Heuhandel streng zu überwachen und jede Übertretung unnachsichtlich zu ahnden.

Die konzessionierten Händler und ihre Vertreter besitzen Ausweiskarten und sind gehalten, sich in ihrem Geschäftsgebahren nach [den von] dem Oberkriegskommissariat unterm 13. Oktober aufgestellten und den konzessionierten Händlern zugestellten Vorschriften zu richten. Die Ausweiskarten haben vorläufig Gültigkeit bis 31. Dezember 1916. Bewilligungen zum Strohhandel wurden zufolge der Strohrequisition bis jetzt nicht erteilt.

Wollen Sie Ihre Aufmerksamkeit speziell auch auf die gerichtlichen und freiwilligen Steigerungen lenken, wo Heu und Stroh bisweilen über den festgesetzten Höchstpreisen zugeschlagen werden soll. Die Höchstpreise dürfen auch bei Steigerungen nicht überschritten werden, ansonst jedermann seine Vorräte versteigern lassen könnte, um die Höchstpreise zu umgehen.

St.Gallen, den 13. Dezember 1916.

Für das Volkswirtschaftsdepartement

des Kantons St.Gallen,

Der Regierungsrat:

Dr. G. Baumgartner

Nachtrag und Einleitung zum morgigen Beitrag vom 14. Dezember: Josef Scherrer, Arbeitersekretär der Christlich-Sozialen, weilte in Solothurn. In seinem Tagebuch hielt er über die dortigen Wetterverhältnisse fest: Heute schneit es fort, zwar nass und unlustig. Auf den Strassen ist Pflotsch.

Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, KA R.102-1a-4 sowie W 108/1 (Kreisschreiben des Volkswirtschaftsdepartementes des Kantons St.Gallen) und ZOF 003/1.12 (Landmaschinen der Strafkolonie Montlingen, ca. 1918-1921)

Dienstag, 12. Dezember 1916 – Deutschland möchte Friedensverhandlungen

Tagebucheintrag von Josef Scherrer-Brisig (1891-1965), Sekretär des Schweizerischen Christlichen Textilarbeiterverbands (1910-1916), später Kantonsrat und Nationalrat sowie Mitbegründer der Christlichsozialen Bewegung.

Während der Versammlung der konservativen Grossratsfraktion von Solothurn, zu der Josef Scherrer eingeladen worden war, ging folgende Nachricht ein:

[…]

Berlin, 12. Dezember. (Wolff) Der Reichskanzler teilte heute im Reichstag mit, die Regierungen der Zentralmächte haben heute an die diplomatischen Vertreter der mit dem Schutze ihrer Staatsangehörigen betrauten Staaten eine identische Note gerichtet, die den feindlichen Mächten mitgeteilt werden soll. Die Nota enthält den Vorschlag, von heute an in Friedensunterhandlungen einzutreten. In dieser Nota heisst es unter anderem, die Vorschläge, welche die Verbündeten zur Verhandlung stellen, sind nach ihrer Überzeugung geeignet, als Grundlage für die Wiederherstellung eines dauernden Friedens zu dienen. Wenn trotz dieses Angebotes der Kampf fortdauern sollte, sind die vier verbündeten Mächte entschlossen, ihn bis zu einem siegreichen Ende zu führen, wobei sie jede Verantwortlichkeit ablehnen.“

Es wird eine hochbedeutsame Stunde weltgeschichtlichen Geschehens angebrochen und man zittert, ist es vielleicht möglich, dass doch Frieden werden könnte. Oh wie würde der Druck, der seit zwei und einem halben Jahre auf uns lastet, von uns und von Millionen hinweggenommen. Deutschland macht ein Friedensangebot! Ob es ohne F ü h l u n g geschehen ist in den kriegführenden oder einzelnen gegnerischen Staaten? Man muss es leider fast annehmen. Deutschland kann nachher die schwere Verantwortung für den Krieg ablehnen. Es erhält ein moralisches Übergewicht, das dem Volke für die Weiterführung des Kampfes neuen Elan gibt. Möchte doch endlich das Ringen aufhören, oh wie würde die ganze Welt aufatmen, wenn wirklich auf Weihnachten ein Waffenstillstand eintreten würde. Man kann es noch nicht glauben, man wagt es noch nicht zu hoffen. Möge das Christkind, der grösste Friedensfürst doch bald den Frieden geben.

[…]

Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, W 108/1 (Tagebuch) und W 238/03.06-10 (Ausschnitt aus einer Glückwunschkarte zum Jahreswechsel, gezeichnet von Adolf Sprenger, Dessinateur)