Amtsblatt

Freitag, 5. Januar 1917 – Sogar das Salz wird teurer

So lautete der Titel des Absatzes, in dem im Amtsblatt aus den Regierungsratsverhandlungen vom 5. Januar 1917 zitiert wurde:

Laut Bericht des Finanzdepartementes hat sich der Verwaltungsrat der Schweizerischen Rheinsalinen infolge der seit Ausbruch des Krieges durch die ausserordentliche Steigerung der Kohlenpreise, die Preissteigerung aller Produkte und die Ausrichtung von Gehaltsaufbesserungen und Teuerungszulagen an die Arbeiter hervorgerufenen namhaften [sic] Erhöhung der Produktionskosten des Salzes veranlasst gesehen, mit Schlussnahme vom 2. Dezember abhin die provisorische Einführung eines Kohlenzuschlages von Fr. 1.- per Meterzentner Salz zu dem bisherigen Salzpreis zu dem bisherigen Salzpreis von Fr. 3.40 zu beschliessen. Bei Entscheidugn der Frage, ob dieser Kohlenzuschlag einfach auf die Staatskasse zu nehmen oder den Salzbezügern für Koch-, Gewerbe- und Düngsalz zu überbinden sei, gelangt der Regierungsrat aus folgenden rechtlichen, fiskalischen und sozialen Erwägungen zu letzterem Standpunkt:

a) Durch Gesetz vom 12. August 1869 (Gesetzessammlung Band I, N.F., Nr. 12) wurde der Salzpreis für Kochsalz auf 12 Rappen per Kilogramm festgesetzt. Die staatliche Festsetzung des Salzpreises beruht auf dem Salzregal des Staates; es ist ein staatliches Hoheitsrecht und bezweckt in erster Linie, den Verkauf des Salzes als eines unentbehrlichen Lebensmittels dem Privathandel und der Privatspekulation zu entziehen und der Bevölkerung durch Vereinheitlichung des Preises und Lieferung einer guten Qualität Salz bis in die entlegensten Gegenden des Kantons möglichst entgegenzukommen. Dabei soll aber auch dem Staate für Einräumung dieser Vorteile und die Verwaltung des Salzregals eine angemessene Entschädigung zukommen.

Der Regierungsrat begründete die Erhöhung des Salzpreises in seinen Erwägungen u.a. mit seinen ihm vom Parlament verliehenen Vollmachten und der Tatsache, dass die Erhöhung des Salzpreises infolge der Kriegsumstände ja nur vorübergehend sei. Im Protokoll heisst es weiter:

b) Auch vom fiskalischen Standpunkte aus ist die Uebernahme des Kohlenzuschlages durch den Staat nicht tunlich; in einem Zeitpunkte, wo die Finanzquellen des Staates infolge Rückganges des Vermögens- und Einkommenskapitals und Abnahme der indirekten Einnahmen einerseits und Vermehrung der Ansprüche an den Staat namentlich auf volkswirtschaftlichem und sozialem Gebiete anderseits eine erhebliche Störung erleiden, in einem Zeitpunkte, wo das Staatsbudget mit einem Passivsaldo von nicht weniger als Fr. 1,923,700.- abschliesst, kann dieser Ausfall dem Staate nicht auch noch zugemutet werden. […]

Im Vergleiche zu dem Salzpreise der meisten anderen Kantone ist derjenige im Kanton St.Gallen zudem ein mässiger und der bescheidene Kohlenzuschlag von 1 Rappen per Kilo durch den Konsumenten wohl zu tragen. Der Salzpreis ist zur Zeit in den 15 Kantonen: Bern, Uri, Schwyz, Obwalden, Nidwalden, Glarus, Freiburg, Basel-Stadt, Basel-Land, Graubünden, Tessin, Waadt, Wallis, Neuenburg und Genf höher als im Kanton St.Gallen. […]

Es ist zu bedauern, dass dieser Zuschlag gerade in eine Zeit fallen muss, in der die wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse zum Teil gedrückte sind; es ist aber anderseits festzustellen, dass er die gesamte Bevölkerung trifft, auch die Industrien, Gewerbe und die Landwirtschaft, deren wirtschaftliche Lage durch den Krieg zum Teil nicht bloss verschlechtert, sondern sogar teilweise erheblich  verbessert wurde.

Der Regierungsrat beschliesst daher:

1. Auf den Salzpreisen für Koch-, Industrie- und Düngsalze sei ein Kohlenzuschlag von 1 Rappen per Kilo zu erheben.

2. Dem Grossen Rate sei von dieser Schlussnahme in nächster Maisession Kenntnis zu geben.

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Quelle: Staatsarchiv St.Gallen, ZA 001 (Amtsblatt für den Kanton St.Gallen, 19.01.1917, S. 100ff.)

August Andreae-Korff

Dienstag, 2. Januar 1917 – «die Schlechtigkeit der Welt»

August Andreae-Korff (1880-1943) war Textilingenieur und Farmer in Lakemont, Georgia, USA. 1906 hatte er sich mit Minna Korff (1878-?) verheiratet. Am 2. Januar schrieb er an seinen Vater, Alexander Andreae-Stumpf (1846-1926). Als Absendeadresse ist angegeben: 144 South Boulevard, Atlanta, G.a. [Georgia] U.S.A. Der schreibmaschinengeschriebene, orthografisch und interpunktionsmässig fehlerhafte Brief gelangte anschliessend in den Besitz seiner Schwester Maria Wenner-Andreae (1889-1969) in Fratte di Salerno bei Neapel. Bei der im Brief erwähnten «Pima» handelt es sich um Pauline Maria Andreae-Andreae (1873-1953), bei «Rita» um Rita Momm-Andreae (1879-1924), beides Schwestern von August Andreae.

Die weitverzweigte Familie Andreae hat ihren Bürgerort in St.Gallen.

Lieber Papa

Deinen lieben Brief[,] den Du nach Lakemont schick[t]est[,] habe ich ein[i]ge Tage vor Weihnachten erhalten. Es thut [sic] mir sehr leid[,] dass ihr Lieben Euch noch Sorgen um uns machtet. Ihr habt ja der Sorgen so wie so [sic] schon genug, und wenn wir für Missgeschick selbst daran Schuld sind, sollen wir selbst dafür büssen.

Wie ich Euch schrieb bin ich jetzt in Atlanta und habe Anstellung in einer grossen Baumwoll Firma gefunden, deren Angehörige auch in Cannstadt und Ludwigs-Haven, Baumwollspinnereien und Webereien haben. Die Firma hier hat fünf Fabriken in America. Ich bin in der Engineur [sic] und Einkaufsabteilung untergebracht, habe sehr viel zu rechnen und hauptsächlich darauf [zu] sehen[,] dass die Rechnungen, Discontoes [sic] und Quantitäten stimmen. Meine techni[s]che Bildung findet leider noch nicht viel Verwendung und als Anfänger ist mein Gehalt noch bescheiden.

Leider habe ich Minna noch nicht bewegen können[,] ihre Anstellung bei der gleichen Fabrik aufzugeben, d[e]ren Arbeit dort mir übelgenommen wird. Es wird von mir auch verlangt, dass ich mit der Schreibma[s]chine schreibe. Da Deren [sic] Schreibma[s]chinen ein ganz andere Tastenbuchstabierungen als meine hat[,] macht mir die fortwährende Verwechselung viel Schwierigkeiten. Auch muss ich mit Rechenma[s]chinen arbeiten und die Ausgabe der Fabrik und Office Formulare und sonstigen Notwendigkeiten kontrollieren. Siewie [sic] mithelfen am Ausbezahlen und die Angestellten für ihre Ankäufe in der Fabrik zu belasten.

Das Ganze erfordert besonders für einen Neuling sehr viel Aufmerksamkeit und Kopfanstrengung, doch sehe ich[,] dass ich mich ganz gut einarbeiten kann. Dass die armen Kinderchen ganz allein zu Hause gelassen werden, macht mir ziemlich Sorge, zumahl [sic] da sie nachdem sie auf der Farm alle Freiheit genossen haben, ebenso hier auf der Strasse sich einbilden, die gleiche Freiheit aneignen zu dürfen. Auch bieten Ihnen die Schleckereien der Stadt manche Versuchungen und erheilten [sic] sie sich die Süssigkeiten[,] indem sie die Äpfel[,] die ich ihnen von der Farm aus geschickt habe für diese umtauschten. Martha konnte noch nicht in die Schule aufgenommen werden[,] weil sie noch zu jung war, doch kann sie im Februar in die Schule eintreten. Während Ritchen [sic] in die Schule ging[,] musste der armer Wurm ganz allein zu Hause bleiben. Gedeihen tun die Kinder nicht[,] wie auf der Farm.

Wir leben in einer zweizimmerigen Behausung im Arbeiterviertel. Die Arbeiter hier sind alle von einer tiefen Bildungsstufe.

Vor dem Haus ist eine viel mit Outomobil [sic] befahrene Strasse und dahinter ein grosser Friedhof, so dass wir die Grabsteine leicht sehen können. Der Weichkohlenverbrauch hier in der Fabrik und den Häusern lässt einem meisten[s] dreckig aussehen und ist die Luft selten [… unlesbar]. Alles lässt einen den Unterschied mit dem Landleben deutlich fühlen.

An Weihnachten brachte ich die Familie in die Deu[t]sch Lutherische Kirche, woh [sic] am Abend nette Feierlichkeiten aufgeführt wurden, was die Kinder  recht interessierte.

August Andreae-Korff mit Familie in AtlantaAugust und Minna Andreae-Korff mit ihren Töchtern Hertha (geb. 1910) und Rita (geb. 1908) in Atlanta, USA, ca. 1913. Das Beitragsbild ist ein Ausschnitt aus dieser Familienfoto.  Fortsetzung des Briefs an seine Eltern:

Hier ist alles auch recht teuer. Doch glücklicherweise für uns, nicht so teuer wie im bedauerungswerten Europa und besonders in Italien.

Wann wird endlich der Friede kommen[?] Die Schlechtigkeit der Welt lässt sich nicht verleugnen, und anstatt dass die Welt besser geworden ist, ist sie nur brutahler [sic] geworden, roher, blutdürstiger und gehässiger. Zu bedauern sind die Menschen, die in einer solchen Welt geboren werden.

Über den freundlichen Vorschlag von Maria für Minna zu Sorgen [sic] danke ich sehr als wie für Euer liebes Angebot und der der guten Pima. Besser wäre es, wenn die Kinder und Minna überhaupt aus Europa bleiben würden, solange das Elend noch dort anherrscht.

Die Schulen hier sind ganz gut und Ritchen macht schon gut Fortschritte im Englischen. Eine Unterbrechung in ihren Studien wäre auch recht nachteiligh [sic]. In der Fabrik hier arbeiten mehrere[,] die von deutscher Abstammung sind.

Hoffentlich erhalten wir bald gute Nachrichten von Euch. Von Rita hörte ich schon lange nichts mehr und von Pima auch nur durch Euch[.]

Mit dem besten Wunsch[,] dass Neunahr Euch wieder guten Grund zum Frohsein giebt [sic], verbleibe ich [handschriftlich:] mit herzlichen Grüssen

Euer Euch liebender Sohn [handschriftlich] August

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Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, W 054/128.1 (Text) und W 054/130.13.62 (August Andreae-Korff und Familie in Atlanta, ca. 1913)

 

 

1917

Montag, 1. Januar 1917 – Wir machen weiter!

Die vielen positiven Reaktionen auf unser Projekt «Zeitfenster 1916» bewegen uns, den History Blog für 1917 weiterzuführen: Knapp 90’000 Klicks auf die Webseite bis Ende Jahr und 290 Follower auf Twitter sind eine respektable Bilanz für ein Unterfangen, das – zugespitzt formuliert – nur trockene Amtsblattnachrichten, Protokollauszüge, Tagebucheinträge und Kreisschreiben publiziert.

Wie im gestrigen Beitrag geschrieben, werden wir 2017 nicht mehr jeden Tag eine Quelle publizieren und den Quellenbestand reduzieren. Inhaltlich bleibt die Ausrichtung ähnlich wie für das Jahr 1916: Es wird geliebt und gestorben, gestritten und versöhnt, geputzt und verschmutzt, erfunden und verbunden. Man begegnet der Bevölkerung und ihren Behörden im teilweise kriegsgeprägten Alltag – 1917 wurde in der Schweiz die Lebensmittelrationierung eingeführt, und ganz allgemein zeigt sich eine gewisse Kriegsmüdigkeit.

Auch 1917 wurden Patente veröffentlicht, landwirtschaftliche Produkte hergestellt und vertrieben. Alte Bekannte wie das Ehepaar Wenner-Andreae (vgl. die Beiträge vom 12. und 24. Januar 1916), der Gymnasiast Ernst Kind und der Arbeitersekretär Josef Scherrer werden wieder schreiben.  Zudem sind neue Bekanntschaften zu machen, so mit Architekt Johann Baptist Thürlemann von Oberbüren und seiner Haushälterin, Caroline Wick.

Nicht zuletzt führen wir den History Blog  weiter, weil er weiterhin als «Entstaubungsmaschine» gegen das Klischee wirken soll, dem Archive immer noch unterworfen sind:

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Quelle: Staatsarchiv St.Gallen, P 770.1917 (Offizielles Adressbuch von Gross-St.Gallen 1917, erschienen bei Otto Lütolf, Druck und Verlag, St.Gallen; Abbildungen vom Bucheinband)