Beitragsbild: Inspektion von St.Galler Truppen im Beisein von Generalstabschef Oberstkorpskommandant Theophil Sprecher von Bernegg, zwischen 1914 und 1917
Auszug aus einem Vortrag von Heinrich Zogg, gehalten in der Gesellschaft für deutsche Sprache, St.Gallen. Nach einer Einleitung geht es in diesem ersten Artikel vor allem um die Ausrüstung eines Soldaten:
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Wer über Soldatensprache schreibt, muss beim Leser zu voraus um Entschuldigung und Nachsicht bitten, denn fein-anständig sind viele der Ausdrücke gerade nicht, scheint doch mit dem Anziehen der Uniform auch ein neuer, viel schwererer Sprachgeist mitangezogen zu werden. Wir dürfen nicht vergessen, dass das Kriegshandwerk kaum jemals veredelnd auf Wort und Satz eingewirkt hat, wohl aber eine arge Verrohung des Ausdrucks förderte. Der Soldat verlangt nicht nur für seinen Magen kräftige Kost; mit dem Dienstantritt muss auch alles andere sich an die neuen Verhältnisse anpassen, also auch die Sprache. Es ist im Dienste nicht gestattet, immer so zu reden, wie man denkt; ist aber der “Kropf” zu voll, dann hören wir eben die für den Fernstehenden so eigenartig klingenden Ausdrücke und Wendungen, die oft blitzartig auftauchen, Beifall finden oder auch ebenso rasch wieder verschwinden. Häufig sind sie nur einer kleinen Gruppe bekannt, schon im Zug und in der Kompagnie bürgern sie sich schwerer ein; je eigenartiger, bodenständiger, unverfälschter sie klingen, je witziger und treffender sie sind, um so eher bleiben sie erhalten.
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Der Soldat hat “Gondeli”, “Dampfschiffer”, “Ledischiff”, “Finken” an den Füssen; Bundesfinken, auch wohl Bundesschlitten, Weidlig oder Pontons heissen die unbezahlten, vom Bunde gelieferten Schuhe.
Die Uniform trägt die verschiedensten Namen; s’Häsli, Gwändli, Kluft, ‘s blau (grau) Tuch-Kostüm; gegen das Dienstende hin “Saufetze”.
Die Hose scheint dem Witze wenig Anhaltspunkte zu geben; ich hörte nur den Ausdruck “Gasfänger”. Zahlreicher bedacht wird aber der Waffenrock: Chute, Frack, Tschöpli, Zwangsjacke, Gstältli, Bundesjacke. Die 1914 verwendete Ueberbluse, die heute Futterdienste versieht, war als “Schnuderlumpe”, Chutte, Kuchischoss [Küchenschürze], Staublumpen, Vächschicklergwändli, Ströflingshemp, Kundittörtschope [Konditorjoppe] stets ein Opfer des Soldatenspottes. Recht verschieden und teils sehr treffend benennt der Soldat das Käppi: Kriegshut, Kriegszylinder, Schlachtehut, -zylinder, Kriegshube [Kriegshaube], Helm, Fürwehrhut [Feuerwehrhut], Sturmhube, Hunghafe [Honighafen], Nagelchischtli, Verdrusschaschte, Verschlussgöfferli [Verschlussköfferlein]; “Goggs” sagt schon der “Lehrbueb”, der Rekrut. “Glühofe” [Glühofen], “schwere Chaib“, “heisse Chog” hört man nach der fünften Marschstunde oder am Montagmorgen, wo mit schlecht verhaltener Schadenfreude der Kamerad den “Oelhafen” lüftet und nachschaut, ob der Boden noch nicht “angebrannt” sei. Böse Zungen wollen bemerkt haben, dass am Montag “Käppi abnehmen gestattet”, am häufigsten befohlen werde!
Der Leibgurt heisst natürlich Ceinture, Ceinturon, unter uns aber sprechen wir von: Hungerrieme, Schwimmgurt, Magebremse, Henkerrieme; “Hungerbarameter istelle” bedeutet, “den Riemen enger ziehen”. Völkerkundliche Kenntnisse verrät der Mann, wenn er von einem “Hottentottengurt” spricht
Ueberreichlich mit Namen bedacht wird der Tornister, und je nach Lage und Zeit sind sie verschieden. Während der Auslegeordnung sind: Köfferli, Bundesdrückli, Husiererchaschte [Hausiererkasten], Oergeli, Chuchikästli (in Moantlinger [Montlinger] Dialekt), Möbelwage, Vergissmeinnicht, d’Frau, d’Schwiegermuetter gebräuchlich. Verdrusschchaschte, Horöldrugge [Haarölkiste], Affechaschte, Pomadechischte, Komode, Räff, Schwitzchaschte beweisen schon den ersten Grad der “Verwendung”: leichter Marsch und “anzüglich” werden auf den Schultern. Dann werden die Namen mit jedem Stundenhalt zärtlicher und deutlicher: So Chaibli, do lischt, so du Anhänglige, leg di, und dann wird er mit Schwung unter die Gewehrpyramiden befördert: Dä huera Sack, dä choge Püntel, dä verdammt Ranze, du schwäre Siech sind zwar gar urchige Ausdrücke, aber man sagt ja erst nach der siebten Marschstunde so, und dann hört der Soldat bekanntlich nur noch gut, wenn “Stundenhalt” oder “Wasserlassen” befohlen wird. “Soldatetod” sagten wir in der Schlussstunde oder wenn der “Essigfuhrme” das Bataillon führte. Ich wollte an diesem Beispiel zeigen, wie anpassungsfähig die Soldatensprache ist.
Habersack, Verdrusspüntel (weil er oft nicht mehr enthält), Magetröster sind Benennungen des Brotsackes. Er leidet an “chronischer Auszehrung”, ist schwindsüchtig und von “ewiger Mägeri” befallen, und dann scheint es noch eine besondere Freude zu sein, “nach dem Befinden” des Kranken zu fragen, bei jedem Halt wird er zudem gründlich untersucht.
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Vgl. auch: https://idiotikon.ch/wortgeschichten1/267-erster-weltkrieg
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Quelle: Staatsarchiv St.Gallen, P 945 (St.Galler-Blätter für Unterhaltung und Belehrung aus Kunst, Wissenschaft und Leben, Illustrierte Sonntagsbeilage zum St.Galler Tagblatt, N. 6, 1917) und ZOA 001/8.064 (Beitragsbild, Legende s. oben)