Samstag, 31. März 1917 – Nächtlicher Heimweg in lyrischer Stimmung

Aus dem Tagebuch von Ernst Kind, Zürcher Kantonsschüler mit St.Galler Wurzeln:

Ich glaube, heute kann ich nicht so schreiben, wie es mir zumute ist. Und doch kann ich an ein Erlebnis denken, das mir unerwartet kam und eine tiefinnere Freude gebracht hat: Ich bin einen ganzen Abend neben Margrit Peter gesessen und habe mit ihr reden können! Und zum Schluss konnte ich sie noch heimbegleiten, einen langen Weg und in erhobenster Stimmung. (Übrigens muss ich jetzt über meinen Patrouillengang vom 24. März lachen; ich bin mit meiner Sehnsucht an den falschen Ort gekommen. Dort in der Nähe wohnt wohl ihre Freundin, die ich übrigens vorgestern gerade auch heimspedieren musste, aber sie wohnt noch weiter draussen in der Blümlisalpstrasse. (Die Nummer habe ich nicht nachgesehen, das Haus weiss ich aber.)

Dieser glückliche Tag war vorgestern, Donnerstag, am ersten Ferientag. Am Morgen hatten die Examen aufgehört und am Abend war das Konzert des Schülerorchesters. Ich hatte sowieso im Sinn gehabt, mit Doris [Schwester von Kind] hinzugehen. Als ich erfuhr, dass die Klasse 2 b, das bedeutet mir vor allem Margrit Peter, zu diesem Konzert eingeladen worden sei, war das ein Anziehungspunkt, der noch stärker als die Musik war, obschon ich noch nicht wusste, dass nach dem Konzert noch eine Zusammenkunft im «Zimmerleuten» vorausgesehen war. Doris und ich gingen mit Herrn Federer ins Konzert. (Ich will bei Gelegenheit einmal über diese Freundschaft mit Heinrich Federer [der Dichter!] schreiben, die ich seit letztem Herbst habe; jetzt ist mir für den Augenblick sogar Federer im Hintergrund!) Die erste Freude erlebte ich, als ich bemerkte, dass Margrit P. wirklich auch da war, und ich habe während des ganzen Konzertleins (das übrigens sehr hübsch war), immer abwechselnd auf das Orchester und dann flüchtig zu ihr hinüberschauen müssen. Das konnte ich umso leichter, als ich wegen der vielen Leute an der Wand stand. Vielleicht habe ich meinen Platz diesmal nicht nur aus Höflichkeit aufgegeben! Ich konnte an der Wand beim Stehen weiter sehen. Zum zweitenmal freute ich mich, als zwischen zwei Nummern meine Augen unversehens zu Margrit P. hinsahen, als sie zu unserer Wand herüberschaute. Sie erkannte mich und grüsste schnell herüber. In der Pause sah ich sie wieder.

Aber für die «Zimmerleuten» hatte ich keine Einladung, also keine Gelegenheit, mitzukommen. Nach dem Konzert erfuhr ich aber, dass man keine besondere Einladung geschickt habe und konnte also ohne Aufdringlichkeit mit Doris hingehen, nachdem ich von einem der Mitmachenden wiederholt aufgefordert worden war. – Wie es zugegangen ist, dass ich neben Margrit Peter zu sitzen kam, weiss ich kaum mehr recht. Ich weiss nur noch, dass wir während des ganzen Abends zusammen blieben und uns mancherlei erzählten. Wievielmal ich mit ihr getanzt habe, weiss ich nicht; aber es war beinahe jeder dritte Tanz. Während unserer Unterhaltung ist auch das Thema vom Katerbummelgespräch, der Egoismus, wieder aufgetaucht und hat den Erfolg gehabt, dass wir uns darin einigten, es sei doch nicht alles an unserem Tun bloss durch den Egoismus bedingt. Ich glaube das auch, seit ich in ihre ruhigfreundlichen Augen sah, deren Ausdruck nicht der eines Menschen ist, welcher nur an sich denkt. –

Als wir um 4 Uhr aufbrachen, hatte ich mich anerboten, sie heim zu begleiten. Weil aber Doris mit einem Husten zu tun hat, musste zuerst sie heimbefördert werden. So zogen wir also zu vieren nach unserer Wohnung, Margrit P. mit ihrer Freundin, Doris und ich. Nachdem dort Doris versorgt war, ging die Reise weiter bis ins Rigiviertel, und ich fühlte mich in geradezu lyrischer Stimmung! Sie erzählte viel von ihrem Sommeraufenthalt in Sertig [bei Davos], wo einige Mädchen ein Häuslein gemietet hatten und natürlich gefährliche Abenteuer zu bestehen hatten. (Das sind ja eigentlich Sachen, die kaum wert sind, aufgeschrieben zu werden; aber ich habe mich eben recht gefreut, und schreibe überhaupt, was mir in den Sinn kommt. Wie es mir zumute war, das kann ich ja doch nicht schreiben.) Als wir endlich miteinander zu ihrem Haus kamen, fing es schon an, hell zu werden; (es war etwa 5 ¼ Uhr.) Mein Heimweg war natürlich ziemlich trübselig. Erstens war ich wieder allein, dann brach jetzt die Müdigkeit durch, und der entstehende Katzenjammer ist immer stimmungslos. – Ich will mich jetzt über jenen Abend freuen, nachdem der gestrige Kater mehr oder weniger weg ist, dass ich wieder Gelegenheit gefunden habe, mit einem lieben Menschen zusammen zu sein. Dass das nicht jeden Tag möglich ist, soll mir kein Grund sein, um in Erwartung zu vergehen; es würde auch seinen Reiz verlieren, wenn es sich so oft wiederholen würde. Aber ich freue mich doch jetzt schon wieder auf die Maifahrt, die von unserer Tanzgesellschaft in Aussicht genommen ist.

Jetzt möchte ich gern hie und da an der Blümlisalpstrasse vorbeireiten, wobei ich dann sehr auf guten Zufall rechnen würde.

Ich hoffe, dass dieser Ferienanfang nicht der einzige Glanzpunkt dieser Ferien sein wird; aber es wird schwer halten, ohne sie nochmals so vergnügt und zufrieden sein zu können.

 

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Quelle: Staatsarchiv St.Gallen, W 073/2.1 (Tagebuch von Ernst Kind, Jg. 1897)

Freitag, 30. März 1917 – Familienfreuden

Arbeitersekretär Josef Scherrer hat gute Nachrichten aus seiner Familie (vgl. Beitrag vom 27. März):

Ich bin heute wieder nach Wittenbach ans Krankenlager meiner Mutter gegangen. Der Krankenstand hat sich etwas gebessert, doch ist meine liebe Mutter stark geschwächt. Möge Gott ihr die Gesundheit bald wieder geben.

Zu Hause in meiner Familie ist Gott sei Dank alles gesund. Die lieben Kinderlein entwickeln sich ordentlich und erfreuen sich guter geistiger und körperlicher Gesundheit. Es ist ein herrliches gutes Geschenk, so gesunde Kinder zu haben. Mögen sie alle zu tüchtigen Menschen heranwachsen.

Mein liebes Frauchen ist in Erwartung des vierten Kindes. Kindersegen ist Gottes Segen. Möge sich das in meiner Familie erwahrheiten [bewahrheiten?].

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Quelle: Staatsarchiv St.Gallen, W 108/1 (Tagebuch Scherrer)

Geometrie

Dienstag, 27. März 1917 – Familiensolidarität

Josef Scherrer-Brisig (1891-1965), Arbeitersekretär und Politiker, beschreibt in seinem Tagebucheintrag, wie er für seine Familienmitglieder sorgte und insbesondere seinem jüngeren Bruder eine bessere Ausbildung ermöglichte:

Ich werde heute unerwartet von meinem Vater telefonisch an das Krankenbett meiner guten und lieben Mutter gerufen. Ich gehe am Mittag nach Wittenbach, um ans Krankenbett meiner herzensguten Mutter zu eilen. Eine hartnäckige Influenza & Lungenentzündung hat sie ins Bett geworfen. Der Arzt Dr. Trollich hält den Stand für etwas kritisch. Möge der liebe Gott meine liebe Mutter am Leben erhalten. Möchte doch ihr noch ein schönerer und besserer Lebensabend beschieden sein. Ich will helfen, so viel ich kann und in meinen Kräften liegt.

Mein Bruder Emil kommt nun aus der 6. Klasse. Man konnte ihn mit Rücksicht auf die gegenwärtigen Kriegsverhältnisse entgegen seinen Wünschen nicht in die Realschule anmelden. Ich halte nun aber dafür, dass er unbedingt in die Realschule gehen soll und ich erkläre mich bereit, ihm das Bahngeld zu vergüten. Wenn mein Bruder nicht eine tüchtige Schulung hat, so wird aus ihm nichts Rechtes werden. Die Verantwortung dafür kann und will ich nicht tragen, umso weniger, als Emil selbst den heissen Wunsch geltend macht[,] in die Realschule zu gehen. Ich will ihm dazu verhelfen.

Zur Geschichte der Realschulen in der Schweiz vgl. den Eintrag im Historischen Lexikon: http://www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D10426.php

Die Figur im Beitragsbild – Lernstoff im Fach Geometrie an Sekundar- und Realschulen – sollte folgende Eigenschaften eines pyhtagoräischen Dreiecks veranschaulichen: Das Hypotenusenquadrat [sic] ist gleich der Summe der Kathetenquadrate. […] umgekehrt [ist] […] ein Kathetenquadrat […] gleich dem Hypothenusenquadrat weniger das andere Kathetenquadrat. Im hinteren Teil des Schulbüchleins finden sich auch einige nützliche Übersichten über Masse und Gewichte wie die folgende Tabelle. Wer rechnete wohl mit Myriametern?

Masse

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Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, W 108/1 (Tagebuch Scherrer) und ZNA 02/0079 (Ebneter, K.: Geometrie an Sekundar- und Realschulen, St.Gallen 1916, 2. Heft, S. 115, Beitragsbild und Kommentar)

Montag, 26. März 1917 – Kriegsgefangenenpost

Auch 1917 erhielt Joseph Fischer Post von kriegsgefangenen Kollegen (?) aus England (vgl. die Beiträge vom 7. Januar, 26. August und 24. Oktober 1916). Willy Güllberg, interniert in Lofthouse Park, hatte ihm am 26. März 1917 folgendes nach St.Gallen geschrieben:

Lofthouse Park, Wakefield, York. Engl. 26/III. i7. Dear Fisher, I hope your first letter was not the last one from you. Else needn’t write such big letters as she ist not yet in good health. You can save her the trouble by simply mentioning her little affaires in your own letters and by telling me how many Frs are left with Mr. Birkenmeyer and with the Bankverein for me and her; and what she had paid off for me; that’s all, anything else hardly interes to me [sic], as I am studying rather much. It seems that old Probst has paid Else what he owed me but [«I» gestrichen] she didn’t tell me how many Francs she got from him! She ought to write you twice a week (a simple postcard, it is nonsense writing me on the stationery of Papa’s firm. pure [sic] waste nowadays. Enclosed letters are not desirable, send them separately. Wi [?] 2490 Willy Gullberg [sic].

Auf der anderen Seite der Postkarte ist als Absender angegeben: Willy Güllberg 2490 Lofthouse Park Wakefield. York Eng. 

Quelle: Staatsarchiv St.Gallen, W 207, Album „Aus den Kriegszeiten“ (Brief eines Kriegsgefangenen aus England an Joseph Otto Ferdinand Fischer (1892-1967) in St.Gallen)

Samstag, 24. März 1917 – Kontaktaufnahme ohne Smartphone

1917 mussten die Jugendlichen noch ohne Smartphone und Social Media wie Facebook oder WhatsApp auskommen. Um sich dem Objekt des Begehrens – einer jungen Dame oder einem jungen Herrn – möglichst diskret zu nähern, war also romantische Kreativität gefragt. Daran fehlte es auch dem mütterlicherseits aus St.Gallen stammenden Ernst Kind, welcher in Zürich die Kantonsschule besuchte, ganz und gar nicht:

Im Telephonbuch spürte ich heraus, dass Margrit Peter wahrscheinlich an der Vogelsangstrasse (No 54) wohnt. Dorthin machte ich heute einen Patrouillengang. Tante Emmy war vormittags von St.Gallen angekommen und ich musste am Nachmittag ihr Köfferchen am Bahnhof holen. Weil es noch nicht vorhanden war, hatte ich gerade Gelegenheit zu meinem Spaziergang. Ich fand das Haus; aber meine geheime Hoffnung, sie bei dieser Gelegenheit zu entdecken, ging nicht in Erfüllung. Ich bin deshalb ein wenig deprimiert weggegangen. (Ich weiss ja zwar gar nicht, ob ich die rechte Adresse gefunden habe; aber es ist ziemlich wahrscheinlich.) Leider hören jetzt die Begegnungen an der Rämistrasse auf, da die Töchterschule schon heute Ferien hat, und während der Ferien ist wahrscheinlich gar keine Möglichkeit eines Antreffens da. Ich wollte, es käme bald wieder zu einer Tanzzusammenkunft, wie man ja ausgemacht hat. Dann würde ich wenigstens wieder mit ihr sprechen können. Das blosse Grüssen auf der Strasse ist doch nicht genug, wenn es mich auch jedesmal freut. – Wie ich schon einmal gemerkt habe: normal ist diese Freude nicht. Wann habe ich je eine solche Freude gehabt, wenn ich einen Menschen grüssen durfte? Aber nicht nur das. Ich träume auf offener Strasse und den ganzen Tag von ihr, und ich male mir auf die farbigste Weise Situationen aus, bei denen sie zeigen könnte, ob ihr auch an mir etwas liegt. Obschon ich es lächerlich finde, freue ich mich an solchen Gedanken und will 2 meiner Hirngespinste festhalten:

Ich komme vom Zeltweg her beim Pfauen ums Eck. Sie kommt die Rämistrasse herunter und ist von mir nur noch einige Schritte entfernt. In diesem Moment fällt ein Schuss. (Irgend ein Wahnsinniger kann geschossen haben.) Der Schuss trifft mich auf die Brust und ich stürze hintenüber. Da springt sie herzu und stützt meinen Kopf in ihrer Hand, bis ich aus meiner Ohnmacht erwache. (Der Schuss kann ja abgeprallt sein.) Ich bin selig und danke ihr. Aber weil ich so schwach bin, führt sie mich nachhause, und dabei kann ich ihr unterwegs erzählen und mit ihr sprechen, worüber ich will, vielleicht gerade über den Egoismus, nachdem sie gerade vorhin meine bittere Ansicht davon durch ihre Tat besiegt hat.

Eigentlich braucht da gar kein Schuss mitzuspielen. Ich brauche ja nur mit dem Velo zu stürzen oder vielleicht, indem ich ein paar durchgebrannte Pferde aufhalte und mich ihnen in die Zügel werfe.

Solche kindische Gedanken können mich wirklich freuen; das ist ganz ungewöhnlich, und ich würde mich überhaupt über die ganze Geschichte schämen und meine Gedanken einfach abschütteln, wenn nicht immer eine so tiefe und süsse Freude daraus entstrahlte, die mich wach hält und meinem Leben ein wenig Sinn gibt, während ich vorher lange keinen dahinter habe finden können.

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Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, W 073/2.1 (Tagebuch von Ernst Kind, Jg. 1897), P 770 («Offizielles Adressbuch von Gross-St.Gallen 1917». Das Adressbuch umfasste auch die Gemeinden Straubenzell und Tablat, welche bereits vor ihrer Verschmelzung mit der Stadt St.Gallen faktisch mit dieser zusammengewachsen waren; die meisten Haushalte besassen noch keinen Telefonanschluss.)

Metallarbeiter Rorschach

Mittwoch, 21. März 1917 – Streik in Rorschach beigelegt

Die sozialdemokratische Volksstimme hatte schon zwei Tage vorher in einem eher dürren Communiqué berichtet:

Rorschach. Der Konflikt in der Maschinenfabrik Amstutz, Levin & Cie. konnte am Samstag beigelegt werden, indem eine Einigung zustande gekommen ist. Die Arbeit ist heute Montag wieder aufgenommen worden.

An vielen Orten in der Schweiz fanden in diesen Wochen Streiks in der Maschinenindustrie statt, so z.B. auch in Oerlikon. Die Lage war angespannt. Welche Hintergründe der Streik in Rorschach hatte, lässt sich im zusammenfassende Bericht des Tagblatts vom 21. März 1917 nachverfolgen:

Ein beigelegter Streik in Rorschach.

(Korr.) in der Maschinenfabrik Amstutz, Levin & Cie. wurde, wegen regelrecht erfolgter Kündigung eines Arbeiters, von etwa 500 Mann die Arbeit niedergelegt. Beide Parteien riefen am Montag den Regierungsrat um Vermittlung an. Unter Leitung von Herrn Landammann Riegg fanden letzten Mittwoch im Rathaus Rorschach Verhandlungen statt, aber ohne Erfolg, weil die Arbeiter in zwei nachherigen Versammlungen einstimmig beschlossen, an der Forderung auf Wiedereinstellung festzuhalten. Die Gemeindebehörde nahm am Donnerstag die Verhandlungen wieder auf. Auf einen Artikel in der «Volksstimme» war die Firma am Freitag zu einer Richtigstellung in den Rorschacher Blättern genötigt, was die Aussicht auf gütliche Einigung nicht verbesserte. Von Bern erschien am Samstag der Adjunkt  des Metallarbeitersekretariates, während die Gemeindebehörde sich alle Mühe gab, um die Schliessung der übrigen Teile des Geschäftes und einen allgemeinen Streik zu verhindern. Als dann am Samstag mittag rote Plakate zu einer Volksversammlung auf Sonntag mittag einluden, stand die Entscheidung auf des Messers Schneide. Da die einsichtigen Arbeiterführer von Anfang an gegen den STreik waren, haben sie auch diesen Aufruf missbilligt und sich alle Mühe gegeben, den von der Kündigung betroffenen Arbeiter zu einem Vergleich zu bewegen. Die Verhandlungen vom Samstagnachmittag führten zum Ziel; die Arbeiterversammlung genehmigte fast einstimmig das Entgegenkommen der Firma bei Aufrechterhaltung der Kündigung, und beschloss, am Montag die Arbeit wieder aufzunehmen. Da die Metallarbeiter ausserordentlich guten Verdienst haben, hätte man es in der Bevölkerung nicht begriffen, wenn wegen einer solchen «Machtfrage» ein Streik mit seinen bösen Folgen ausgebrochen wäre. 

Landammann Riegg, der erste Vermittler in dieser Angelegenheit sah zu dieser Zeit ungefähr so aus, wie auf dem Bild links.

Leider sind im Archiv der Sektion Rorschach der Metallarbeitergewerkschaft die Protokolle der Jahre 1906 bis 1929 nicht erhalten geblieben. So lässt sich nicht nachvollziehen, wie die betroffenen Arbeiter selbst die Situation erlebten. Im Beitragsbild sieht man die Aufschrift im Innendeckel des ersten Protokollbandes dieser Sektion, das sich im Archiv der Unia im Staatsarchiv St.Gallen befindet.

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Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, P 907 (Volksstimme, 19.03.1917) und P 909 (St.Galler Tagblatt, 21.03.1917, Morgenblatt); BMA 398 (Porträt Landammann Alfred Riegg-Saxer, zwischen 1910 und 1920) und W 240/2.1-2.01 (Protokollbuch der Sektion Rorschach des Schweizerischen Metallarbeitergewerkschaft, Einbandseite)

Anzeige für Brautleute

Montag, 19. März 1917 – Einschränkungen in der Lebenshaltung

Auf der Frontseite des Morgenblattes titelte das St.Galler Tagblatt in dicken Lettern zwei Zeilen mit den neusten Kriegsnachrichten:

Abdankungs-Manifest des Zaren. Proklamation des Grossfürsten Michael.

Demission des Kabinetts Briand. Rückzug der Deutschen im Westen.

Die sozialdemokratische Volksstimme unter der Redaktion von Valentin Keel (1874-1945), später Regierungsrat des Kantons St.Gallen, hatte die Abdankung des Zaren bereits zwei Tage vorher, am Samstag, den 17. März, gemeldet. Der Haupttitel lautete dort: Revolution in Russland.

Auf der zweiten Seite der Montagsausgabe des Tagblattes findet sich unter Lokales folgender Bericht, der Auswirkungen des Kriegsgeschehens auf das Leben in der Schweiz aufzeigte. So gab es u.a. ein Verbot, an Dienstagen und Freitagen Fleisch zu essen:

Einschränkung in der Lebenshaltung.

Auf die den verschiedenen Seiten gestellte Anfrage, ob nicht nächsten Dienstag[,] den 20. März, also am Wiedereinrückungstage der 6. Division, in den Wirtschaften die Abgabe von Würsten an Soldaten ausnahmsweise gestattet werden könnte, ist mitzuteilen, dass solche Ausnahme-Bewilligungen der Konsequenzen wegen nicht erteilt werden können.

Bei dieser Gelegenheit wird auch darauf aufmerksam gemacht, dass Ausnahmen vom Fleischverbot an Dienstagen und Freitagen an Hochzeiten und anderen derartigen Feierlichkeiten nur dann bewilligt werden können, wenn der Nachweis geleistet wird, dass eine Verschiebung der Feier auf einen andern Tag nicht möglich ist.

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Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, P 909 (St.Galler Tagblatt, 19.03.1917, Morgenblatt: Text; 24.02.1917, Morgenblatt: Anzeige für Brautleute)

Sonntag, 18. März 1917 – Ein junger Gentleman verguckt sich

Bereits im Frühjahr 1914 hatte der damals siebzehnjährige Kantonsschüler Ernst Kind begonnen, ein Tagebuch zu führen. Der Jugendliche lebte nach Kinder- und Jugendjahren in Chur nun mit seinen Eltern und einer Schwester in Zürich. Sein Vater, ein Berufsoffizier, hatte 1894 die elf Jahre jüngere Ida Aldinger geheiratet, die Tochter eines in St.Gallen ansäs­sigen süddeutschen Kaufmanns. Ernst Kind weilte deshalb – gerade auch in Ferienzeiten – oft in St.Gallen bei seiner von ihm verehrten Grossmutter.

Nach einem Geschichtsstudium unterrichtete Kind ab 1925 als Geschichtslehrer an der Kantonsschule St.Gallen, welcher er von 1932-1963 auch als Rektor vorstand. 1932 heiratete Kind die elf Jahre jüngere Arzttochter Wanda Bolter.

Die erste Jugendliebe von Kind entspann sich freilich nicht in St.Gallen, sondern im Spätwinter 1917:

Heute vor 2 Wochen war der Tanzstundenball, auf dem ich mich zum Teil gefreut und zum Teil gelangweilt habe. (Diese Privattanzstunde im Saal zu «Zimmerleuten» ging von Doris› Parallelklasse an der Töchterschule aus, und Doris [die 1899 geborene Schwester von Ernst Kind] und ich waren dabei auch aufgefordert worden.) Diese Tanzstunden fanden ihren Abschluss am Donnerstag (8. März) und auf einem Katerbummel ins Nidelbad am 11. März am Sonntag Nachmittag. Ich hatte dabei ein starkes Erlebnis, das ich mir nicht recht deuten kann, das aber so sehr jetzt in mir nachwirkt, dass ich es beinahe keinen Augenblick aus meinen Gedanken bringe. Wieso kam ich dazu, mich mit einem bestimmten Mädchen lieber zu unterhalten als mit den anderen? Ich spürte das erst am Donnerstag in der letzten Tanzstunde, das [sic] es etwas anderes war, mit ihr zu reden als mit andern. (mit Margrit Peter; was soll ich den Namen nicht hinschreiben, mein Tagebuch soll jedes Geheimnis wissen, und was brauche ich mich zu schämen – meiner ersten Liebe! Ich glaube, das ist es, Liebe.

Wie anders habe ich mir diese vorgestellt. Liebe ist etwas rein geistiges, eine magnetische Wirkung der Seele, von Seele zu Seele, aber eben nicht von jeder Seele zu jeder. Wenn ich jetzt immer an dieses Mädchen denke, so ist es eigentlich nur die Sehnsucht, mit ihr zu sprechen, und zwar über das Ernsteste, Tiefste, was mich bewegt. Daher kommt es auch, dass ich gerade mit diesem Mädchen darüber sprechen will, dass ich schon einen Anfang gemacht habe. Letzten Sonntag im Nidelbad kam ich während eines Tanzes darauf, einen meiner traurigsten Gedanken auszusprechen, nämlich den Glauben an den Egoismus, der uns Menschen alle erfüllt. Ich glaube, ich sagte, alle Menschen handelten nur aus Egoismus und könnten sich nicht höher hinaufringen. Es wurde mir von ihr widersprochen und ich gab dann zu, dass nicht alles rein aus Selbstsucht getan werde. – Aber es ist ja eigentlich einerlei, was ich damals gesagt habe; Hauptsache ist, dass ich etwas sprach, was mich nicht nur äusserlich berührte. Ich spreche sonst zu keinem Menschen etwas von tiefern Fragen und wie ich dazu stehe. Ich wage das nicht; (sogar meinen Eltern gegenüber schweige ich über alles und trage deshalb an allem unendlich schwerer, und komme vielleicht deshalb zu keiner Klärung.) Deshalb liegt es also ganz am Charakter dieses Mädchens, dass ich mich entschliessen konnte, solches zu sprechen.

Sie hat sich auch früher in der Tanzstunde oft nachher erkundigt nach Dingen, von denen ich ein anderes Mal geredet hatte. (Oft z. B. von Musik) daraus bekam ich das Gefühl, sie kümmere sich doch auch ein wenig um das, was ich redete; einfach gesagt, was ich zu ihr bekam und jetzt zu ihr habe, ist viel Vertrauen. Wenn ich jetzt eine so starke Sehnsucht nach ihr habe, so kommt das, weil ich mit aller Kraft einen Menschen suchte, mit dem ich es wagte, zu sprechen. Nun habe ich den Vertrauten in einem mir bisher ganz unbekannten Mädchen gefunden, und die Freude darüber heisse ich Liebe. Jetzt sind die Tanzstunden vorbei, also auch die Möglichkeit weiterer Unterhaltung mit diesem Mädchen. Deshalb ist meine Liebe zur Sehnsucht geworden. Ich bin in einem anormalen Zustand. Instinktiv und beobachtend (schärfer, als ich es sonst kann) treffe ich es immer so, dass ich am Morgen oder am Mittag zur gleichen Zeit auf dem Schulweg bin wie sie. Dann begegne ich sie [sic] in der Rämistrasse, wenn sie von oben herunter kommt und zum Schulhaus an der Hohen Promenade hinaufgeht. Ich gehe links der Strasse (vom Pfauen her)[,] sie kommt mit einer anderen Freundin (die auch an der Tanzstunde war) rechts herunter. Ich entdecke sie schon ganz von weitem und schaue nicht weiter hin, bis ich sie grüsse und für eine halbe Sekunde ansehe. Ich grüsse sie höflich und ruhig; ich verändere mein Gesicht ganz gewiss um keine Spur. Auch sie nickt höflich und freundlich herüber. Ich spüre es aber, wenn ich sie [sic] einmal nicht begegne; es tut mir ganz leis weh; aber wenn ich sie sehe, freue ich mich sehr. Ich kann mir das nicht erklären, denn das hat offenbar nichts mit dem ersehnten ernsten Gespräch zu tun.

Es ist eigentlich eine Art Romantik, finde ich. Ich will aber dafür sorgen, dass das nicht aufhört; denn es ist merkwürdig, wie ich seit diesem ganzen Erlebnis wacher bin als vorher. Der Halbschlaf, in dem mein Geist immer war und den meine Anstrengungen nicht durchbrachen, ist nicht mehr so stark; ich werde etwas frischer. Das ist eine ganz gewaltige Erlösung für mich; denn es hat schon oft nicht viel gefehlt, dass ich beinahe an mir verzweifelt bin. Alles, was ich lerne, bleibt unproduktiv. Ich nehme auf und spüre nichts davon. Es ist, wie wenn sich alles im Hirn verhärten und absterben wollte. Ich kann mein Wissen nicht anwenden, ich kann es nicht wiedergeben. Oft habe ich das Gefühl, selbst etwas schaffen zu können, aber es bleibt in Gedanken verworren und kommt zu keinem Ausdruck. Ich wünschte mir deshalb schon lange eine starke Seelenerregung, weil ich hoffte, damit geistig zu erwachen. Diese Seelenbewegung hat jetzt stattgefunden. Jetzt muss ich nur hoffen, dass sie nicht einschläft oder im anderen Fall nicht noch stärkere Depression schafft.

Wenn ich Margrit Peter sehe, empfinde ich eine tiefinnere Freude und daneben eine Sehnsucht, die mich gleicherweise schmerzt und mir wohl tut. Meine Gefühle den andern gegenüber zu verbergen, ist mir nicht schwer. Ich habe das eigentlich von jeher getan, seit ich überhaupt gelernt habe, über ernsthafte Dinge, die nicht erklärt sind, nachzudenken.

 

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Quelle: Staatsarchiv St.Gallen, W 073/2.1 (Tagebuch von Ernst Kind, Jg. 1897), die Fotografie stammt wie das Tagebuch aus dem Nachlass von Ernst Kind.

Milch

Samstag, 17. März 1917 – Milch-versorgung in der Schweiz (Teil 1)

Im Publikationsorgan der St.Galler Bauern erschien der erste Teil eines Artikels zur Milchversorgung:

Der gegenwärtige Stand der Milchversorgung in der Schweiz.

Die Versorgung der Bevölkerung mit Konsummilch verursacht fortgesetzt grosse Schwierigkeiten. Jedermann weiss, dass die Milchproduzentenverbände gegenüber dem schweizerischen Volkswirtschaftsdepartement die Verpflichtung übernommen haben, ihre Gebiete nach Möglichkeit mit Konsummilch zu versorgen.

In massgebenden Kreisen hat man in Rücksicht auf die geringe Heuqualität und die ungenügende Kraftfuttermittelzufuhr (besonders Oelkuchen) einen grossen Ausfall in der Milchproduktion des laufenden Winters vorausgesehen, aber die Minderproduktion ist viel empfindlicher geworden, als selbst Pessimisten geahnt haben. Anderseits lässt sich auf verschiedenen Konsumplätzen eine namhafte Steigerung des Milchverbrauches konstatieren. Sozusagen in allen Kreisen unserer Bevölkerung ist die Erkenntnis durchgedrungen, dass die Milch in der Gegenwart weitaus das billigste Nahrungsmittel ist. Gemäss einer letzthin durch das schweizerische Bauernsekretariat in Brugg erfolgten Publikation sind die Detailmilchpreise gegenwärtig ungefähr auf der gleichen Höhe, wie im Jahre 1912.

Es ist richtig, dass die Preise unmittelbar vor dem Kriege infolge einer schweren Krisis auf dem Milchmarkte vorübergehend tiefer stunden. Gewiss ist die Steigerung des Konsums an frischer Milch an und für sich betrachtet eine Erscheinung, die die Landwirtschaft in einem Lande, das wie die Schweiz in hervorragender Weise zur Milchproduktion prädestiniert ist, begrüssen wird. Zurzeit sind aber die Ansprüche der städtischen Konsumenten so gross geworden, dass die Milchproduzentenverbände ihre eingegangenen Verpflichtungen trotz der hohen Bundesbeiträge als schwere Last empfinden.

Trotz der zahlreichen, gegen die Milchproduzentenorganisationen erhobenen Anschuldigungen muss ihre Arbeit von sämtlichen massgebenden Kreisen anerkannt werden. Es hat sich in diesen Zeiten gezeigt, dass die Allgemeinheit an den bestehenden Organisationen in weitgehendem Masse interessiert ist. Hätten die Milchproduzentenverbände bei Kriegsausbruch noch nicht bestanden, so müsste man sie gründen. Wenn es den Bundesbehörden gelungen ist, die Versorgung mit Milch und Milchprodukten so zu regeln, dass ich die verschiedenen Milchverwertungsarten annähernd gleichmässig lohnen, so muss hervorgehoben werden, dass die Milchproduzentenverbände in dieser Beziehung eine äusserst wertvolle Mitarbeit geleistet haben.

Trotz der einschneidenden Massnahmen, die getroffen wurden, erachtet man in vielen Städten und industriellen Ortschaften die Milchzufuhr als ungenügend. Bei der eingetretenen Preissteigerung für Fleisch, Brot, Reis, Zucker usw. ist es naheliegend, dass der Konsument in vermehrtem Masse Milch trinkt, wodurch die ohnehin grosse Nachfrage nach diesem Produkt verschärft wird. Man erinnert in solchen Fällen die Milchproduzentenverbände an ihre Verpflichtungen oder beschwert sich durch eine Eingabe direkt beim schweizerischen Volkswirtschaftsdepartement, von dem in allen möglichen und unmöglichen Fällen sofortige Abhilfe erwartet wird.

Wer in der Lage ist, die Frage objektiv zu prüfen, wird finden, dass die Verbände durch die Ueberführung zahlreicher Käsereimilchen in den Konsum grosse Arbeit leisten mussten. Heute geben sozusagen alle Käsereien, deren Verkehrslage den Abtransport erlaubt, ihre Milch an den Konsum ab.

Es existieren in unserem Lande zirka 1600 Talkäsereien. Von denselben können während dieses Winters nur noch zirka 300 Milch auf Käse verarbeiten, wobei nicht zu vergessen ist, dass auch sie 40-50 Prozent der Milcheinlieferung an den Konsum abgeben. Ausserdem sind von den 300 Käsereibetrieben eine grosse Zahl zur Magerkäsefabrikation übergegangen. Es ist allgemein bekannt, das die Käsereien ihre Betriebe nur sehr ungern einstellen, um die Milch nach irgend einem Konsumplatz zu senden.

Die Wegnahme von Käsereimilch hat übrigens auch ein[e] äusserst nachteilige Seite, denn gerade in der Ostschweiz besitzen die Käser grosse Schweinebestände, die infolge des anhaltenden Futtermittelmangels auf die Abfälle der Milchverwertung angewiesen sind. Gerne würden viele Schweinehalter die hohen Preise für Futtermittel anlegen, wenn letztere nur erhältlich wären. Häufig wird in der Landwirtschaft empfohlen, die Schweinehaltung im Interesse der Inlandversorgung auszudehnen. Wird den Käsereien die Milch vollständig entzogen, so muss ein Teil der Schweinebestände vorzeitig an die Schlachtbank geführt werden. Dieses Moment dürfte auch von den städtischen Verwaltungen, die so häufig die Intervention der Behörden für eine grössere Milchzufuhr nachsuchen, mehr wie bisher gewürdigt werden.

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Quelle: Staatsarchiv St.Gallen (St.Galler Bauer, 17.03.1917, Text; 31.03.1917, Anzeige)

Walhalla St.Gallen

Donnerstag, 15. März 1917 – Notstandsfonds der Stickerei-industrie

Josef Scherrer beschrieb in seinem stenografierten Tagebuch eine Sitzung der Verwaltungskommission des Notstandsfonds der Stickereiindustrie:

Präsident Steiger-Züst eröffnet die Sitzung.

1193 Firmen sind bis jetzt eruiert, bis jetzt sind Fr. 400,000 angemeldet. Der Präsident befürchtet, dass nicht Fr. 700,000.- zusammenkommen und bedauert, dass man nicht früher gesorgt habe. Jetzt kommt die Not.

Es rächt sich nun heute, dass man 1911/12 den Leuten der Schifflistickerei 1 Maschine zuschmiss und sie nun 1913, 14/15 nichts verdienen konnte.

Wir können also nicht von allen Arbeitgebern Unterstützung erhalten. Die Handstickerei hat bis heute nicht reklamiert. Es ist die Rettung der Handstickerei, dass sie sich anderweitig noch retten kann, indem sie mit der Landwirtschaft verbunden ist.

Wenn eine Not eintritt, so brauchen wir 3,3 Millionen im Monat, im Jahre 40 Millionen. Präsident Steiger-Züst möchte ein Werk von dauerndem Bestande und appelliert in diesem Sinne an die Versammlung. Die Bundesratsbeschlüsse werden zum Teil die Sanierung in der Stickerei-Industrie mitbewirken. Wir müssen eine Gesundung haben in den Löhnen, in den Abzügen, in der Kriegsversicherung.

Otto Alder. Wir wollten zuerst auf Grundlage der bestehenden Kassen und der Gemeindekassen vorgehen. Was dann erst nachher die Kriegsversicherung und was wir nur ungern mit Rücksicht auf die eingetretene ungünstige Lage uns zur eigentlichen Notstands [sic]

Mächler Dr. Regierungs-Rat. Nochmals eine letzte Frist bis 1. Mai eröffnen, damit die Leute der Kasse beitreten können.

Anträge. Das vorliegende Reglement soll nur ein Notreglement sein, das nur im äussersten Notfall Anwendung finden soll. Mit dem 1. Mai falle die ganze Geschichte dahin.

Eugster-Züst hat Bedenken gehabt gegen die Eingreifung in die bösartige Unterstützung und die Ausschaltung der freien Kassen. Eugster will unter der Voraussetzung, dass das nur ein Notreglement sei, darauf eintreten. Man sollte Fr. 200,000.- im äussersten Falle höchstens brauchen.

Dr. Zangger erwähnt, dass der Gedankengang Mächlers richtig sei. Aber er zweifelt, dass die Sache jetzt vorführbar sei.

Senn unter Vorbehalten einverstanden, wünscht eine Publikation.

Marti dito.

Weibel will auch für das Notreglement.

Eugster-Züst stellt den Antrag, das Büro sei zu beauftragen, mit dem Bundesrat in Verbindung zu treten bezüglich der Subventionierung der Kassen durch den Bund.

Dr. Fässler will das Notreglement nicht ausarbeiten und alles auf die Arbeitslosenversicherung einstellen.

Dr. Kaufmann war erstaunt über das Reglement des Ausschusses. Er würde es aber ausserordentlich bedauern, wenn in der zu haltenden Zwischenzeit der Fonds aufgebraucht würde. Wenn man auf den Entwurf eintreten will, so soll eine Begünstigung für die bereits versicherten Arbeiter geschaffen werden.

Der Antrag Eugster-Züst wird angenommen.

  1. Beratung des vorliegenden Notreglements.
  2. Wahl des Unterstützungsausschusses.

Das Bureau wird ex Offizio in den Ausschuss gewählt.

Als Arbeitnehmer werden gewählt Scherrer Josef, Vogel & Senn.

Als Arbeitgeber: Wetter, Huber, Köchlin, Rohner.

  1. Otto Alder teilt mit, dass Aussicht bestehe, dass England gewisse Erleichterungen für die Schweiz zulassen werde.

Anschliessend: Bankett im Hotel Walhalla.

Quelle: Staatsarchiv St.Gallen, W 108/1 (Tagebuch Scherrer, 15.03.1917) und ZMH 64/124a (Auszug aus Briefkopf: Hotel Walhalla-Terminus, St.Gallen, 1917)