Soldaten und Alkohol

Freitag, 2. März 1917 – Soldatensprache: Genussmittel

Rasch lebte sich der Tee ein; dass er “Abstinenten-Gülle”, “Temperänzler-Wasser” heisst, hat mich nie aufgeregt; wohl aber weiss ich, dass auch der hinterste Soldat schon seine Zunge ellenlang nach einem Schluck “Magengift” gestreckt hat. Auf Vorposten und strengen Märschen verlangt heute der Soldat Tee. Die einstigen Schnapsereien und zeitweiligen Saufereien, Sie gestatten, dass ich die Dinge bei ihren wahren Namen nenne, sind glücklicherweise in den Aktivdiensten, soweit ich beobachten konnte, stark zurückgetreten. Es sind aber immer wieder Augenblicke und Zustände, wo der einzelne sich der einstigen Wiederholungskurs-Ereignisse erinnert und wieder in die alten Laster zurückfällt. Es war schon in jenen Zeiten verpönt, die Dinge bei ihren Namen zu nennen: Schnapsgeruch! Wie da die Worteerfindung blüht. Ich hege starke Zweifel, ob die Erfinder seinerzeit in der Schule so schlagfertig gewesen sind: Milch, Augentrost, Borax, Thurwi, Toggenburger, Gix sind harmlose Synonyme dafür; der Aktivdienst und die schärfere Kontrolle durch die Soldaten selbst, ich möchte dies bemerkt haben, waren Grund zu einigen drolligen, neuen Bemerkungen: Sirup steht zwar in geringem Ansehen, da er aber in der Feldflasche mitgetragen werden durfte, so war er doch gut genug, dass er seinen guten Namen dem bösen Schnaps lehnen musste; ebenso ging’s dem schwarzen Kaffee, dem Tee; dem Schnäpsler bedeutet das eben Schnaps. Heidelbeeri-Wasser, Helvetia-Träne, Wichwasser, geweihtes Wasser, Lieblieb, Plauderi-Wasser, Schrägmarsch, Arrestanten-Balsam, Vipere-Wasser, Vipere-Kognak, Ehre-Wi. Heilsarmee-Tränen gebärden sich so harmlos, dass es auch dem schärfsten Alkoholgegner kaum auffällt, was damit eigentlich gemeint ist. Der neben der Kolonne daherschreitende Offizier wird schwerlich verstehen, was die Soldaten verhandeln, und das ist oft ein Hauptzweck auf der Suche nach blumenreichen Ausdrücken mit möglichst harmlosem Gepräge. Die Schnapsflasche heisst: Wäntele [Wanzen], Wehrmannskalender; ein findiger Kerl, der nicht davon lassen konnte, hat sich einen Wehrmannskalender so zurecht geschnitten, dass er den “Fesselballon” regelrecht umhüllte, und da der Wehrmannskalender dienstlich empfohlen wird, so ist ja die Geschichte insoweit auch in der Ordnung. Weniger appetitlich sind dann das Brunzgütterli [kleine Flasche zum Wasserlassen] oder Schmierölkäntli.

Heimlich trinken heisst: Eins drücken, Gamelledeckel schwengge, weil dies oft der Grund ist, sich zu drücken; de Kiesel wäsche, schmore, jodle, bätte.

Wein und Bier haben viel weniger Bezeichnungen, da sie nach 5 Uhr abends zu den allgemein genossenen Getränken gehören und daher ein aussergewöhnlicher Genuss weniger scharfe Ahndung erfährt, wenn das Mass nicht gar zu voll ist. Forellewi, Krinauer, Laufenburger sind Nachbildungen, die ja im gewöhnlichen Sprachgebrauch häufig vorkommen.

Most

Reichlicher finden wir besondere Ausdrücke beim Rauchen: Es gibt verschwindend wenige Soldaten, die nicht zum Rauchen ihre Zuflucht nehmen, sei es auch nur, um die quälende Langeweile damit zu vertreiben oder um einen Aerger zu verbrennen. Für Tabak wird einmal kurzweg “Back” gesagt; daneben aber hörte ich die Ausdrücke: Chrut, Nussbaumblätter, Buchelaub, Knaster; die Pfeife ist ein Lüller, Heizofen, Sudtopf, Güllefass, Nasenwärmer, Hirnitröchner [Gehirntrockner]; Schmorhafen und Sudtopf waren bei uns die üblichen Benennungen. Die häufig gerauchten Stümpen, natürlich stets von bester Beschaffenheit, nannten die Räuchler: Sprenzel, Italiener-Havanna, Nasenwärmer, Glimmstengel; Sargnägel für Brissago gebrauchen wir ja auch ausserdienstlich. Die sehr stark gebrauchten Zigaretten scheinen wenig Angriffspunkte zu Andersbenennungen zu bieten. Es ist mir kein Name besonders aufgefallen. Näble, stinke, Flüge vertribe [Flinegen vertreibe], lülle, peste, dämpfe lauten die verschiedenen Zeitwörter [Verben], wofür wir einfach “rauchen” sagen.

Bevor ich übergehe zum Dienstbetriebe, möchte ich noch einige bunte Namen für die Körperteile nennen. Verstandeschaste, Kürbse, Räbe, Käppihogge heisst der Kopf; Frässlade, Brotklappe, Suppeloch, Brottrülli, Vaterunserloch, Schnorre, was sonst Mund genannt wird. Wer seine Zähne in der Militär-Zahnklinik machen liess, hat eine “Bundesschnorre”.

Für Nase vernahm ich folgende Namen: Chlobe, Gasmesser, Schmeckschitt, Bögehöhli [Popelhöhle], Zinge, Rüebli [Karotte]. Taschentuch heisst dann: Bögecharte [Popelkarte], Bögealbum [Popelalbum]; es dient zur Reinigung und zum Abputzen des Suppen- oder Fidelirechens, des Bögegstells, der Bürschte. Beim Bartchratzer wird dann aber doch der “Schnauz” in Ordnung gebracht.

Drollige Benennungen bekommt der immer aufnahmebereite Soldatenbauch: Ranze, Fressack, Heutrog, Verdauigschratte, Kotlettfriedhof.

Die Beine werden zu Stelzen, Haxen, Spazierhölzern, Telephonstangen, Rheumatismusstengeln; nach strengem Marsche “fallen” sie einem fast ab. Tatzen sind sonst Füsse. Wenn einer eine Menge Blattern sich angelaufen hat, wird er spottweise gefragt: Hescht e Bloteremuseum gründet? Hescht Eier under de Füss? Wer vor lauter Blattern von einem Fuss auf den andern hüpft und möglichst schonend nachtippelt, vernimmt den Zuruf: Warum tanzischt so ume? Was häsch Gfreuts? Die Antwort ist meist – sehr deutlich.

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Quelle: Staatsarchiv St.Gallen, P 945 (St.Galler-Blätter für Unterhaltung und Belehrung aus Kunst, Wissenschaft und Leben, Illustrierte Sonntagsbeilage zum St.Galler Tagblatt, N. 9, 1917) und W 132/2 (Bilder: Geb Sch Bat 8 (Gebirgs Schützen Bataillon 8) im Aktivdienst 1914-1918)