Milch

Samstag, 17. März 1917 – Milch-versorgung in der Schweiz (Teil 1)

Im Publikationsorgan der St.Galler Bauern erschien der erste Teil eines Artikels zur Milchversorgung:

Der gegenwärtige Stand der Milchversorgung in der Schweiz.

Die Versorgung der Bevölkerung mit Konsummilch verursacht fortgesetzt grosse Schwierigkeiten. Jedermann weiss, dass die Milchproduzentenverbände gegenüber dem schweizerischen Volkswirtschaftsdepartement die Verpflichtung übernommen haben, ihre Gebiete nach Möglichkeit mit Konsummilch zu versorgen.

In massgebenden Kreisen hat man in Rücksicht auf die geringe Heuqualität und die ungenügende Kraftfuttermittelzufuhr (besonders Oelkuchen) einen grossen Ausfall in der Milchproduktion des laufenden Winters vorausgesehen, aber die Minderproduktion ist viel empfindlicher geworden, als selbst Pessimisten geahnt haben. Anderseits lässt sich auf verschiedenen Konsumplätzen eine namhafte Steigerung des Milchverbrauches konstatieren. Sozusagen in allen Kreisen unserer Bevölkerung ist die Erkenntnis durchgedrungen, dass die Milch in der Gegenwart weitaus das billigste Nahrungsmittel ist. Gemäss einer letzthin durch das schweizerische Bauernsekretariat in Brugg erfolgten Publikation sind die Detailmilchpreise gegenwärtig ungefähr auf der gleichen Höhe, wie im Jahre 1912.

Es ist richtig, dass die Preise unmittelbar vor dem Kriege infolge einer schweren Krisis auf dem Milchmarkte vorübergehend tiefer stunden. Gewiss ist die Steigerung des Konsums an frischer Milch an und für sich betrachtet eine Erscheinung, die die Landwirtschaft in einem Lande, das wie die Schweiz in hervorragender Weise zur Milchproduktion prädestiniert ist, begrüssen wird. Zurzeit sind aber die Ansprüche der städtischen Konsumenten so gross geworden, dass die Milchproduzentenverbände ihre eingegangenen Verpflichtungen trotz der hohen Bundesbeiträge als schwere Last empfinden.

Trotz der zahlreichen, gegen die Milchproduzentenorganisationen erhobenen Anschuldigungen muss ihre Arbeit von sämtlichen massgebenden Kreisen anerkannt werden. Es hat sich in diesen Zeiten gezeigt, dass die Allgemeinheit an den bestehenden Organisationen in weitgehendem Masse interessiert ist. Hätten die Milchproduzentenverbände bei Kriegsausbruch noch nicht bestanden, so müsste man sie gründen. Wenn es den Bundesbehörden gelungen ist, die Versorgung mit Milch und Milchprodukten so zu regeln, dass ich die verschiedenen Milchverwertungsarten annähernd gleichmässig lohnen, so muss hervorgehoben werden, dass die Milchproduzentenverbände in dieser Beziehung eine äusserst wertvolle Mitarbeit geleistet haben.

Trotz der einschneidenden Massnahmen, die getroffen wurden, erachtet man in vielen Städten und industriellen Ortschaften die Milchzufuhr als ungenügend. Bei der eingetretenen Preissteigerung für Fleisch, Brot, Reis, Zucker usw. ist es naheliegend, dass der Konsument in vermehrtem Masse Milch trinkt, wodurch die ohnehin grosse Nachfrage nach diesem Produkt verschärft wird. Man erinnert in solchen Fällen die Milchproduzentenverbände an ihre Verpflichtungen oder beschwert sich durch eine Eingabe direkt beim schweizerischen Volkswirtschaftsdepartement, von dem in allen möglichen und unmöglichen Fällen sofortige Abhilfe erwartet wird.

Wer in der Lage ist, die Frage objektiv zu prüfen, wird finden, dass die Verbände durch die Ueberführung zahlreicher Käsereimilchen in den Konsum grosse Arbeit leisten mussten. Heute geben sozusagen alle Käsereien, deren Verkehrslage den Abtransport erlaubt, ihre Milch an den Konsum ab.

Es existieren in unserem Lande zirka 1600 Talkäsereien. Von denselben können während dieses Winters nur noch zirka 300 Milch auf Käse verarbeiten, wobei nicht zu vergessen ist, dass auch sie 40-50 Prozent der Milcheinlieferung an den Konsum abgeben. Ausserdem sind von den 300 Käsereibetrieben eine grosse Zahl zur Magerkäsefabrikation übergegangen. Es ist allgemein bekannt, das die Käsereien ihre Betriebe nur sehr ungern einstellen, um die Milch nach irgend einem Konsumplatz zu senden.

Die Wegnahme von Käsereimilch hat übrigens auch ein[e] äusserst nachteilige Seite, denn gerade in der Ostschweiz besitzen die Käser grosse Schweinebestände, die infolge des anhaltenden Futtermittelmangels auf die Abfälle der Milchverwertung angewiesen sind. Gerne würden viele Schweinehalter die hohen Preise für Futtermittel anlegen, wenn letztere nur erhältlich wären. Häufig wird in der Landwirtschaft empfohlen, die Schweinehaltung im Interesse der Inlandversorgung auszudehnen. Wird den Käsereien die Milch vollständig entzogen, so muss ein Teil der Schweinebestände vorzeitig an die Schlachtbank geführt werden. Dieses Moment dürfte auch von den städtischen Verwaltungen, die so häufig die Intervention der Behörden für eine grössere Milchzufuhr nachsuchen, mehr wie bisher gewürdigt werden.

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Quelle: Staatsarchiv St.Gallen (St.Galler Bauer, 17.03.1917, Text; 31.03.1917, Anzeige)

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