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31. Mai 1917 – Die „Sehnsucht nach dem baldigen Weltfrieden“

Zur Lage.

F.K. Hegte man bei Jahresbeginn noch Hoffnung auf die Möglichkeit der Anbahnung eines Friedensschlusses, so waltet heute eher das Gefühl vor, es könnte uns noch ein vierter Kriegswinter beschieden sein.

Seit Kriegsbeginn erzeugt der gewalttätige Druck des einen Gegners entsprechenden Gegendruck beim andern, wodurch die neutralen Völker immer stärker in Mitleidenschaft gezogen worden sind. Der verschärfte deutsche Unterseebootkrieg, der dadurch veranlasste Eintritt der Vereinigten Staaten in den Krieg auf Seite der Entente und die russische Revolution, sind die folgenschwersten Ereignisse dieser ersten Jahreshälfte.

Lebensmittelnot, Mangel an Rohmaterialien, ungenügende Kohlenzufuhr, Teuerung, mehr und mehr bedrückende Ausfuhrverbote, Transportschwierigkeiten, Verunmöglichung des Absatzes der industriellen Produkte kennzeichnen unsere heutige Lage. So frägt man sich, wie bei der zunehmenden wirtschaftlichen Einengung das noch werden soll?

Man hat seitens der kriegführenden Mächte des öftern Worte der Anerkennung und des Lobes gefunden für die korrekte neutrale Haltung der Schweiz und ihre oft bewiesene Liebestätigkeit für die Opfer des Weltkrieges. Auch die überwiegende Einigkeit und das Zusammenarbeiten unseres Volkes torzt verschiedener Wesensart der Landesteile sind als Vorbild für eine künftige Annäherung der verschiedenen Staaten Europas auf demokratischer Grundlage angeführt worden. Man ist noch weiter gegangen: unter Hinweis auf Arnold von Winkelried, der bei Sempach für die Freiheit der Schweiz ein[e] Gasse gemacht habe, hat man sich ausländischerseits auch ausgedrückt, wes werde unserm Land infolge seiner bisherigen philantropischen [sic] Wirksamkeit die Mission vorbehalten sein, in diesem völkermordenden Krieg dem Frieden eine Gasse zu machen.

Die Ereignisse der letzten Wochen haben leider manches an diesen Annahmen und guten Voraussetzungen erschüttert. Es hat sich gezeigt, dass Bemühungen um die Anbahnung eines Weltfriedens auch in einer Sackgasse enden könnten und ein Teil unserer Tagespresse, in schellfertigem Urteil, weiss nichts besseres [sic] zu tun, als ganze Volksteile aufzuhetzen und durch übertriebene Alarmberichte unser Ansehen in den Nachbarstaaten zu schädigen. Gegen solche Vorkommnisse sollte man bessere Vorbeugungs- und Abwehrmittel zur Hand haben. Wie kann man sonst verhüten, dass die gleichartige Stufe der ausländischen Alarmpresse die übertriebenen Anschuldigen als bestehende Tatsachen ihren Lesern vorsetzt und dazu schürt, dass die uns bedrückenden wirtschaftlichen Massnahmen immer noch enger gezogen werden[.] In erster Linie bekommen unsere Handels- und Industriekreise, dann der Gewerbestand die Folgen dieses, die Interessen unseres Landes schädigenden Gebaren zu spüren.

Mehr als je ist es nötig, unserseits durch Einheitlichkeit und Geschlossenheit der Reihen diesem Druck von aussen entgegenzuwirken. Der obersten Landesbehörde, die bis anhin in umsichtiger Weise ihr bestes im Interesse des Landes getan hat, darf man fernerhin volles Vertrauen entgegenbringen. Das politische Departement ist ja in guten Händen und die nunmehrige Angliederung der Handelsabteilung an das Volkswirtschaftsdepartement dürfte der Wichtigkeit der Sache eher noch förderlich sein.

Wollte man anschliessend die Lage der verschiedenen Zweige unsere einheimischen Textilindustrie unter den jetzigen Verhältnissen einer eingehenden Betrachtung unterziehen, so könnte man mit der Aufzählung aller der entgegenstehenden Schwierigkeiten ganze Spalten füllen, das Gute wäre dagegen mit wenigen Sätzen abgetan. Darum wenden wir uns zum Schluss lieber einer andern, doch erfreulicheren Seite unseres sonst gedrückten Daseins zu, den wunderbaren Offenbarungen der Natur, die uns seit Beginn des Monats Mai, nach dem langen harten Winter geradezu überschüttet mit der Fülle ihre schöpferischen Gestaltungskraft, die sich in der Fruchtbarkeit und Schönheit der Kulturen zeigt. Es ist, als ob Lehrmeisterin Natur uns absichtlich den harten, langen Winter als das Sinnbild des vernichtenden Krieges und im Gegensatz dazu die schöpferischen Jahreszeiten als Symbol der Segnungen des Friedens vor Augen führen wollte. Wenn die gewalttätigen Machthaber der Menschheit ihre Eingebungen nur etwas mehr aus dieser Schule schöpfen wollten!

Die Sehnsucht nach einem baldigen Weltfrieden ist allgemein, und dieser wird wie eine Erlösung wirken. Sollte aber nicht bald eine Einlenkung in den starren Prinzipien, Anschauungen und Zielen der sich bekämpfenden Gegner zum Durchbruch kommen, so steht uns noch der allerhärteste Kriegswinter bevor.

Die Initialen F. K. am Anfang des Artikels stehen vermutlich für Fritz Kaeser, Metropol, Zürich. Er war Chefredaktor und als solcher in Personalunion zuständig für redaktionelle Beiträge, Inserate und Expedition der Zeitschrift Mitteilungen über Textilindustrie.

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Quelle: Staatsarchiv St.Gallen, Wy 124 (Mitteilungen über Textil-Industrie, 24. Jg., Nr. 11/12, Juni 1917; Text und Beitragsbild)

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