Maturaklasse Margaritha Gagg

Sonntag, 29. Juli 1917 – Angst vor den Frauen

Die Wochenendbeilage zur Rorschacher Zeitung vom 28. Juli 1917 enthielt zwei Beiträge über das Universitätsstudium in Deutschland:

Frauenstudium. In einer Studie in den «Historisch-politischen Blättern für das kath. Deutschland» über die Studentin stossen wir auf folgenden Satz: «Merkwürdig! Während draussen auf den unermesslichen Schlachtfeldern die Studenten seit drei Jahren Blut und Leben opfern, damit ihre Kommilitoninnen ungestört ihren Studien nachgehen können, organisieren diese den Kampf gegen das männliche Geschlecht und tragen damit einen tiefen Zwiespalt in unsere Hochschulen hinein». «Es spielt dabei wohl auch die Furcht mit, es könnte nach dem Krieg eine starke Reaktion gegen das Frauenstudium einsetzen.»

Diese Worte, wie die gesamte Studie beweisen, dass gegenwärtig in Deutschland und vermutlich auch in andern kriegführenden Staaten das Problem der Frauenarbeit und das Problem der gelehrten Frauenarbeit immer akuter wird. Nicht nur die industrielle Arbeit, sondern auch das Studium steht in der Kriegszeit unter immer stärker werdendem Einfluss der Frau. Wenn wieder normale Zustände zurückkehren, dann wird sich zweifellos eine Auseinandersetzung abspielen, die zu den merkwürdigsten und vielleicht auch traurigsten Blättern der Sozial- und Gesellschaftsgeschichte gehören. Und sicher wird ein starker Schlagschatten dieses Zwiespaltes auch auf die neutralen Länder übergreifen und wäre es auch nur in der Weise, dass die schweizerischen Universitäten von Studentinnen überflutet werden, die in ihrem eigenen Lande nicht mehr so leicht zukommen. – Der Weltkrieg schafft Probleme, von denen man im August 1914 noch nicht geträumt hätte.

Dreiteilung des akademischen Studienjahres. Eine Anzahl von Professoren der Universität  und der Technischen Hochschule in München haben an den Reichstag die Eingabe gemacht, womit sie für die Dreiteilung – Trimestrierung – des akademischen Studienjahres während der ersten beiden Friedensjahre eintreten. Sie erstreben daher, dass für diese Zeit in den gesetzlichen Bestimmungen über die staatlichen Prüfungen ein Trimester sinngemäss einem Semester gleichgestellt werde, um so den Kriegsteilnehmern den Zeitverlust, den sie im Dienst des Vaterlandes erlitten haben, durch Herabsetzung der Studienzeit auszugleichen. 

Die Schweiz gehörte zu den Vorreiterinnen des Frauenstudiums. Ab 1864 konnten an der Universität Zürich Frauen regulär studieren, erste Gasthörerinnen waren bereits seit den 1840er Jahren zugelassen. Es folgten die Universitäten Bern, Lausanne und Genf, später auch Basel. Die Furcht, es könnten nach Beendigung des Ersten Weltkriegs viele Studentinnen aus dem Ausland in der Schweiz ihre Ausbildung machen wollen, gründete in Erfahrungen, die man mit den frühen Studentinnen gemacht hatte. In den 1870er Jahren waren vor allem aus dem damaligen Russland viele, oft revolutionär eingestellte Frauen zum Studium in die Schweiz gekommen und hatten das «Image» der studierenden Frau nachhaltig geprägt.

Margaritha Gagg im Seitenprofil

Eine, die zwar erst 1918 Matura machte und 1923 ihren Doktortitel für eine Dissertation über Arbeiterinnenschutz erhielt, war Margaritha (Schwarz-)Gagg (1899-1989). Ihr Nachlass und das zugehörige Familienarchiv, aus dem auch die Bilder zu diesem Beitrag stammen, befinden sich im Staatsarchiv St.Gallen. Margaritha Gagg studierte an den Universitäten Bern, Genf und Freiburg im Breisgau Staatswissenschaften. Die spätere dreifache Mutter engagierte sich in der Sozialpolitik und setzte sich ab den 1930er Jahren für die Einführung einer Mutterschaftsversicherung ein.

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Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, P 913A (Text: Rorschacher Blätter zur Unterhaltung und Belehrung, Gratisbeilage zur Rorschacher Zeitung, Nr. 7, 1917, 28.07.1917) und W 291/17-11.07 und W 291/17-11.14 (Bilder: Gymnasialklasse Margaritha Gagg 1918, Foto: Max Hubacher; Margaritha Gagg im Seitenprofil, 21.10.1918)

Ansichtskarte von Waldkirch mit stehender Helvetia

Samstag, 28. Juli 1917 – Dreck im Bundeshaus

Die Wochenendbeilage zur Rorschacher Zeitung vom 28. Juli 1917 publizierte ein Gedicht, in dem sich der Verfasser (die Verfasserin?) negativ über die Verhältnisse im Bundeshaus ausliess:

s’best Fraueli.

’s best Fraueli uf de ganze Welt / Ist glich mi Muetter selig gsi; / Und ’s schönste Hüsli, das es git, / Mis Vaterhus am blaue Rhi. / Jo säb isch es!

Mi Muetter het no Schwiele gha / A ehrne arbeitsfrohe Händ, / Drum het au ’s Hüsli suber glänzt / I alle Winkle, alle Wänd; / Jo säb het’s!

Grad drum ist ’s best Fraueli / Mi liebi Muetter gsi; / Jetz putzid d’Wiber nur sich selbst / Und ’s Hus ist denn e Dreckeri; / Ja säb isch es!

Au ’s Müetterli Helvetia / Förbt numme [nicht mehr] all Tag d› Stube us, / und doch hett’s z› Bern im Stübli drin / Au Staub und Dreck – es ist e Grus! – Jo säb isch es!

M. von Schacheck.

In derselben Ausgabe publizierte man in der Rubrik «Lustige Ecke» auch folgenden Witz:

Gespräch im Bundeshaus. A.: Was tut nur Bundesrat Ador den ganzen Tag? B.: Er studiert die deutsche Literatur … A.: Nicht möglich! Was interessiert ihn denn daran? B.: Grimms Märchen und Hoffmanns Erzählungen.

Der Witz war eine Anspielung auf den Rücktritt des St.Galler Bundesrates Arthur Hoffmann (1857-1927), der über die sog. Grimm-Hoffmann-Affäre «gestolpert» war: vgl. dazu den Blog-Beitrag zum 19. Juni 1917.

Gustave Ador (1845-1928) war Hoffmanns Nachfolger als Aussenminister. Zu seiner Biographie vgl. den Eintrag im eHLS:  http://www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D3848.php

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Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, P 913A (Text: Rorschacher Blätter zur Unterhaltung und Belehrung, Gratisbeilage zur Rorschacher Zeitung, Nr. 7, 1917, 28.07.1917) und W 238/09.14-08 (Beitragsbild: Ansichtskarte aus dem Verlag von Josef Schönenberger, Wil, 1912)

Molitor

Montag, 23. Juli 1917 – Soldatenpaket nach Deutschland gewünscht

Joseph Fischer erhielt nicht nur von seinen Kollegen in England Karten, sondern auch von solchen in Deutschland (vgl. die Beiträge vom 7. Januar, 26. August und 24. Oktober 1916 und vom 26. März 1917). Richard Molitor, Telegrafist in der deutschen Armee, schrieb an seinen Freund, Joseph Fischer in der Schweiz:

Abs. Telegr. R. Molitor, Nachrichten-Ersatz-Abst. 11, Etel-Ers.-Zug, Ohrdruf (Thüringen), 23. Juli 1917.

M. l. [Mein lieber] Josef!

Die Karte aus m. Urlaub wirst Du erhalten haben. Einige Tage vor der Rückfahrt traf noch Morath [?] ein, so dass ich wenigstens noch zum Schlusse mit einem alten Kameraden zusammen war. M. erhielt übrigens kürzlich das Eiserne Kreuz I. Kl. Von Frau Fischer (Adlerstr) konnte ich leider über Dich nichts erfahren, hoffe aber doch, dass es Dir stets recht gut geht. Nun habe ich wieder eine grosse Bitte! Könntest Du versuchen, da ich jetzt Soldat bin, ein Paket mit Chokol. [Schokolade] an mich zu senden? (Einschreiben.) Den Betrag würde ich entweder an Deine Haushälterin in Neustadt oder Dir selbst schicken. Ich bezweifle zwar, ob überhaupt die Ausfuhr nicht ganz gesperrt ist, kann es aber von hier aus nicht beurteilen. Im Voraus für Deine Bemühungen vielen Dank. Wahrscheinlich bleibe ich wohl einige Zeit hier. Empfange herzliche Grüsse von Deinem Freunde Richard.

Im Album «Aus den Kriegszeiten», das Joseph Fischer zusammengestellt hatte, findet sich ein vorgedruckter Brief des Schweizerischen Volkswirtschaftsdepartements vom 29. Oktober 1917. Darin steht: Im Besitze Ihrer Zuschrift vom 25. dies erwidern wir Ihnen, dass Ihrem Wunsche zu unserm Bedauern nicht entsprochen werden kann. Jede Ausfuhr von Lebensmitteln, Seife etc. (auch als Umzugsgut) ist verboten. Es ist möglich, dass Fischer versuchte, verschiedenen Personen im Ausland Pakete zu schicken.

Brief Eidgenoessisches Departement

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Quelle: Staatsarchiv St.Gallen, W 207, Album „Aus den Kriegszeiten“ (Karte an Joseph Otto Ferdinand Fischer (1892-1967) in St.Gallen)

Torffabrik Oberriet

Samstag, 21. Juli 1917 – Vorschrif-ten für den Abbau von Torf

Ausbeutung von Torflagern und Handel mit Torf.

(Beschluss des Regierungsrates des Kantons St.Gallen.)

1. Für die Ausbeutung von Torflagern und den Handel mit Torf sind die Vorschriften des Bundesratsbeschlusses vom 24. Mai 1917 und die Verfügungen des Schweizerischen Departementes des Innern vom 25. Juni 1917 massgebend.

Soweit diese Erlasse auf kantonale Vorschriften abstellen, gelten folgende Bestimmungen:

2. Als kantonale Zentralstelle für die Torfvermittlung wird das Volkswirtschaftsdepartement bezeichnet und dieses zugleich ermächtigt, im Einvernehmen mit dem Schweizerischen Departement des Innern, bezw. der Schweizerischen Torfgenossenschaft, die weiteren zweckdienlichen Anordnungen zu treffen.

3. Für Torf werden folgende Höchstpreise festgesetzt, die durch die Produzenten oder Händler vom Verbraucher gefordert werden dürfen:

a) Handstichtorf:

leichte Ware Fr. 10.- per Ster
mittlere Ware « 12.- »       «
schwere Ware « 14.- »       «

b) Maschinentorf

ohne Zusatzmaterialien Fr. 50.- per Tonne
mit Zusatzmaterialien « 55.- »           «

Diese Preise verstehen sich für Torf ins Haus des Verbrauches geliefert, bes. direkter Zufuhr und bei andren Transporten für verladene Lieferung ab der nächstgelegenen Bahn- oder Schiffstation des Produzenten, bezw. des Versenders, und zwar für Ware, die nicht mehr als 35 Prozent Asche- und Wassergehalt hat.

Für geringere Ware und für spezielle Torfprodukte werden die Preise durch das Volkswirtschaftsdepartement von Fall zu Fall bestimmt.

4. Zuwiderhandlungen gegen die vorstehenden Vorschriften, die Ausführungsvorschriften oder Einzelverfügungen des Schweizerischen Departementes des Innern und des kantonalen Volkswirtschaftsdepartementes werden mit Busse bis zu 20,000 Franken oder mit Gefängnis bis auf drei Monate bestraft. Die beiden Strafen können verbunden werden. In besonderen Fällen kann ausserdem die Konfiskation der Waren verfügt werden.

Der erste Abschnitt des Bundesgesetzes vom 4. Juli1853 über das Bundesstrafrecht der schweizerischen Eidgenossenschaft findet Anwendung. Inbezug auf die Verfolgung und die Beurteilung der Uebertretungen findet – soweit nicht das eidgenössische, sondern das kantonale Verfahren eingeleitet wird – bis auf weiteres das Kreisschreiben des Regierungsrates betreffend Uebertragung von Kompetenzen der Militärgerichte an die bürgerlichen Gerichte vom 21. März 1916 sachgemässe Anwendung.

5. Dieser Beschluss tritt sofort in Kraft.

Im Kanton St.Gallen wurde vor allem im Rheintal und im Linthgebiet, aber auch in Teilen des Toggenburgs Torf abgebaut. Das Material diente zum Düngen, zum Isolieren, aber vor allem auch als Brennholzersatz zum Heizen. Hier ein Ausschnitt aus dem Riet bei Altstätten von ca. 1935 mit  Torfhochlagern (in den Hütten) und Niederlagern ohne Witterungsschutz:

Zur Geschichte des Torfabbaus in der Schweiz vgl. den Artikel im e-HLS: http://www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D7852.php

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Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, W 248/82 (St.Galler Bauer, 4. Jahrgang, Heft 29, 21.07.1917, S. 498f. (Text) sowie ZMH 53/011b (Beitragsbild: Briefkopf von 1917) und W 217/08-02.03 (Foto: Karl Moser, Altstätten, ca. 1935)

Silvia Wenner

Mittwoch, 18. Juli 1917 – Innen-dekorationsfragen

Der folgende Brief von Adele Berner-Wenner an ihre Schwester Silvia Wenner ist ungenau datiert. Er wurde an einem Mittwoch im Juli 1917 verfasst:

[Randnotiz:] Erhalten i[n] Fratte

[Notiz:] Juli 1917

Mittwoch.

Meine liebe Silvia,

Heute morgen habe ich mit dem Tappezierer [sic] wegen Deinem Stoff gesprochen. Er meint[,] Du müsstest am Fenster an den Seiten hinunter 1 ½ mal die Breite nehmen, denn weil das Fenster 2mt. breit, & der Stoff nur 1 Mt. breit sei, so müsse man doch mindestens 1 ½ Mt. auf jeder Seite haben, weil es sonst mager aussehe. Nachdem er auch für die volants berechnet hat, so müsstest Du 36 Mt. für beide Fenster nehmen. Er findet den Stoff nicht sehr solid, & meint die Battiste mit pois wäre stärker. Letzteres wird wo[h]l richtig sein, aber ich habe dieses Müsterchen in’s Wasser gelegt & gesehen[,] dass es sich nicht schlecht wascht [sic], und es ist eben doch hübscher als Battiste. Nur wird es auf jeden Fall ziemlich eingehen, & würde ich Dir raten auf die 36 M. doch 1-2 M. zu berechnen wenn Du es vorhr netzen willst. Dann müsstest Du mir noch sagen[,] wieviel Du drüber ein haben willst, & ich will es Dir gern einkaufen. –

Was ich heute für einen Tag erlebe, das spottet jeder Beschreibung, & wenn ich nicht den 2ten Tag Sache hätte & die Tappezierer [sic], & so viel zu tun, dass jeden Abend wieder ungemacht auf den nächsten Tag geschoben wird[,] was alles nicht gemacht werden konnte, so wäre es zum lachen; so aber ist es bedrückend & lähmend. So landen nun Fritz [Wenner, Bruder von Adele und Silvia], Henry Fabio & ich heute abend zum Essen weisst Du wo? – auf der Rio’alta! – Morgen mittag sollte ich mit Frau Corradini Mutter in S. Giovanni essen (wenn ich nicht gehe, so muss ich zum dritten mal [sic] abschlagen) dann in’s Lido, nachher in die Eröffnung der Casa estiva von Miss G[?], & zum Abendessen zu O. Robert’s & am Vormittag absolut in die Casa Materna.

– Ich bin froh für Dich[,] dass Du in Fratte ein wenig ausschnaufen kannst, zwar sind die ersten Tage auch nicht rosig, aber hoffentlich musst Du nicht gerade auf den Sonntag Deine S… haben! –

– Ich schliesse schleunigst, & dieses mal muss ich wirklich lachen, den soeben telephoniert Herr Santi[,] er komme sofort nur mit mir zu sprechen wegen einem Haus. Es ist ½ 6 Uhr, & ich muss mich schnell ankleiden, damit ich dann nachher mit Fritz weg kann. –

Viele Grüsse an alle, & Dir einen innigen Kuss von Deiner Dich herzlich liebenden

Adèle.

Silvia Wenner (1886-1968) war die jüngste Tochter von Friedrich und Emma Wenner-Freitag. Sie verheiratete sich 1925 mit Hermann Ochsenbein, der ab 1916 als technischer Spinnereidirektor in den Wenner-Fabriken wirkte.

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 Quellen: W 054/127.4.2 (Briefe an Silvia Wenner) und W 054/127.9.3 (Beitragsbild: Silvia Wenner, ca. 1910-1920)

Auszug Protokollbuch

Montag, 16. Juli 1917 – Frauen im Verein und im Protokoll

Wann genau der Aktuar des Kantonalen Lehrervereins sein Sitzungsprotokoll vom Samstag, dem 14. Juli 1917 verfasste, lässt sich nicht mehr nachvollziehen. Sehr konzentriert konnte er – sicher ein Lehrer – beim Verfassen aber nicht gewesen sein, da er notierte: Sitzung der Kommission [Vorstand], Samstag[,] den 14[.] Juli nachmittags 3 Uhr nachmittags 3 Uhr im Restaurant «Vitta» in Rorschach (sic, vgl. Beitragsbild). Ob ihn das unter Nummer 14 notierte Geschäft: Wahl einer Lehrerin in die Kommission KLV Gesuch d. Lehrerinnen St.Gallen beschäftigte?

14 Die Sektion St.Gallen des schweizerischen Lehrerinnenvereins wünscht, dass in die zukünftige Kommission des KLV eine Lehrerin aufgenommen werde. Sie begründet das in einem längeren Schreiben u schlägt zugleich hiefür Fräulein Hedwig Scherrer an der [Schule] Blumenau vor. Ob eine Vertretung der Lehrerinnen in der Kommission KLV gerade eine Notwendigkeit u. brennend ist, ist eine Frage, die wir offen lassen. Die Wahl der Kommission KLV ist alleinige Sache des Lehrertages. Mögen die Gesuchstellerinnen dort ihre Anträge stellen. In diesem Sinne hält die Kommission KLV die Sache für erledigt. 

Übrigens: Die Kantonalsektion St.Gallen des Schweizerischen Lehrerinnenvereins widmete sich in diesem Sommer einer ganz praktischen Aufgabe. Im ersten Heft des 22. Jahrgangs der Schweizerischen Lehrerinnen-Zeitung berichtete sie über die Ferienversorgung bedürftiger Schulkinder: 73 Kinder durften sich drei oder vier Ferienwochen lang auf blumenreichen Wiesen, unter obstbehangenen Bäumen, in tannenduftenden Wäldern und schwarzbehangenen Brombeerstauden erholen. Die Ferieneltern bemühten sich um die Kinder, und da und dort wurde sogar mit Ovomaltine nachgeholfen. Die Schweizerische Lehrerinnen-Zeitung – eines der frühesten feministischen Publikationsorgane der Schweiz –  ist wie viele andere Zeitungen und Zeitschriften in den letzten Jahren digitalisiert worden und online bei den sogenannten e-Periodica zugänglich (http://www.e-periodica.ch). Der vollständige Bericht über die Ferienversorgung findet sich unter: http://www.e-periodica.ch/cntmng?pid=sle-001:1917-1918:22::14

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Quelle: Staatsarchiv St.Gallen, Wy 018 (Vorstandsprotokoll des Kantonalen Lehrervereins, 14.07.1917)

Stallerberg

Samstag, 14. Juli 1917 – Sommer-(Fuss)reisen der Schüler von Hof Oberkirch (Teil 3)

Hier noch der Bericht der dritten Klasse des Landerziehungsheims Hof Oberkirch (vgl. Beiträge vom 12. und 13. Juli), die auf Sommerreise gehen durfte:

Die Siebner!

von Kurt Schürmann

Heute war endlich nach langem Regen der 1ste schöne Tag. Wir traten unsere langersehnte Sommerreise an. Wir fuhren nach Chuhr [sic] mit den Sechsern, wo die beiden Klassen sich trennten. Wir gingen von da nach Churwalden, oberhalb des Churortes [Kurortes] Passug[g] vorbei und kochten in einem Forste ab. Wir gingen nun über die Lenzerheide an den kleinen Lenzerheidsee. Dort badeten wir. Dann ginge[n wir] durch das Tal der Albula nach Tiefencastel[.] Hier verlor der Detectiv [sic] seine Feldflasche. In Tiefencastel suchten wir ein Heulager. Dann gab es ein Café complet. Alles war fröhlich, nur der Detectiv konnte [sich] nicht über den Verlust seiner Feldflasche trösten[.]

Um 6 Uhr standen wir wieder auf. Dann assen wir im Hôtel Julia. Alsdann gingen wir die Julierstrasse hinauf und durch das Tal der Julia. Hinter dem Dorfchen [sic] Mühlen kochten wir ab. In Bivio übernachteten wir in Betten. Wir gingen am andern Morgen über den Pass des Stallerberges. Nun ging es schleunigst in das Avers hinunter. Dort kochten wir ab und gingen nach Andeer. Da hier alle Gasthöfe mit Militär überladen waren, gingen wir bis nach Zillis und übernachteten. hier.

Die Oberkirchler waren auf der 1895 erbauten sogenannten Alten Averser Strasse unterwegs, die auch heute wieder «bewandert» werden kann (vgl. www.aast.ch).

Die heutige befahrbare Strasse von Juf nach Andeer ist mehr als 27 km lang, der Höhenunterschied allein auf dieser Strecke beträgt mehr als 1000 m. Von Andeer nach Zillis sind es weitere 4 km, d.h. nach dem Gewaltsmarsch vorher von Bivio her waren die Knaben bestimmt noch eine weitere Stunde unterwegs.

Insgesamt hatten die Fünfzehnjährigen und ihr Lehrer auf der Tour von Bivio nach Zillis nicht nur eine bemerkenswerte Anzahl Kilometer, sondern auch etliche Höhenmeter zurückgelegt: Bivio liegt auf 1768 m ü.M., der Stallerberg auf 2581 m ü.M., Juf zuhinterst im Avers auf 2126 m ü.M., Andeer auf 982 m ü.M. und schliesslich Zillis auf 945 m ü.M. Das bedeutet (ohne allfällige Gegensteigungen) 812 m aufwärts und 1636 m abwärts, insgesamt 2448 m Höhendifferenz.

Am andern Tag war das Wetter schlechter. Ein Teil von uns besah mit Herrn Mäder die Kirche von Zillis, die viele Altertümer enthält. Gegen ½ 9 Uhr brachen wir nach einem “zünftigen Café complet” auf, und gingen durch die romantische Via mala[.]

Als wir in T[h]usis ankamen, regnete es stark. Wir fuhren, ohne das Städtchen angesehen zu haben fort nach Chur und von hier auf den Hof.

Carl Mäder war Lehrer für Deutsch, Geschichte und Gesang in Hof Oberkirch.

Paul Schetty

Der Chronist, Paul Schetty, schloss seine Berichte über die Sommerreisen mit folgenden Worten:

Nun ist also schon wieder ein Trimester vorbei. Auch gehen einige liebe Kameraden von uns weg. Es sind Hans Hinnen [?] Alfons Haase und Annaud [?] de Frey.

Ich wünsche ihnen eim Nahmen [sic] aller recht viel Freude und Erfolge im weitern Leben.

Paul Schetty.

Weder unterwegs noch auf dem Stallerberg konnte man sich 1917 an den heute geläufigen Wanderwegweisern orientieren. Die Schweizer Arbeitsgemeinschaft für Wanderwege SAW entstand erst 1934, legte aber bereits damals die einheitliche Signalisation mit den gelben Tafeln und der schwarzen Schrift fest, vgl. www.wandern.ch

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Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, W 127 (Hofchronik 1915-1921, Text; Foto von Paul Schetty aus dem Album «Schüler und Lehrer»); Foto des Wegweisers auf dem Stallerberg: Regula Zürcher, Juli 2016

Oberkirch Sechser 1917

Freitag, 13. Juli 1917 – Sommer-(Fuss)reisen der Schüler von Hof Oberkirch (Teil 2)

Nachdem im gestrigen Beitrag die Jüngsten, die auf Reise gehen durften, berichtet hatten, folgt heute die Erzählung der Ältesten. Sirup und Alpenklübler gehörten offenbar zu den Höhepunkten für die etwa sechzehnjährigen Schüler aus der zweitobersten Klasse der Schule (vgl. Beitragsbild):

Die Sechser.

Ihr kennt sicher alle die unruhige Erwartung am Abend vor jedem Ereignis das kommen soll. Ja, so war es auch am Abend vor der diesjährigen Sommerreise. Fast konnte an nicht einschlafen. Am Morgen standen wir frühe auf, den[n] schon um 7 Uhr ging der Zug von Benken ab. Dort stiegen auch die Siebner ein. Beide Klassen fuhren bis nach Chur. Dort trennten wir uns, und wir fuhren mit dem “kleinen Bähnchen” [Rhätische Bahn] nach Disentis. Schon in Chur bekamen wir einen Syrup [sic] und Käse. Man hörte Stimmen, Herr Tobler habe heute einen “ganz Gueten”. In Diesentis [sic] gingen wir auf der Pass[s]trasse nach St.Maria. Es war eine 5stündige Tour. Manchen schien der Luckmanier [sic] länger als sie gedacht hatten. Hier blieben wir nun 3 Nächte. Hat einer von Euch schon in St[.]Maria gelebt für einige Zeit? Nein, das ist eine sehr lustige Pinte, dieses Hospitz. Wir bekamen “Kaffee complet”. Einfach prima! Nur ein wenig spät kam er. Doch auf die letzten Tage haben wir auch diesem Graubündner Übelstand abgeholfen. Wir bestellten unser Essen regelmässig 1 bis 1 ½ Stunden zu früh, und dann kam es etwa zur rechten Zeit. Fluchte man, so sagten die romanischen Leute: “In eine Augenblick.” Immer mit dem gleichen Gesicht schauten sie uns an, ob wir lachten oder fluchten.

Ja, also wir schliefen hier in der ersten Nacht. Wir hatten ein gutes Heulager. Am 2ten Tag gingen wir auf den Scopie [Scopi]. Eine schöne Aussicht erfreute Alle [sic]. Es war 5 Stunden hinauf, die ersten waren in einer Stunde schon wieder unten.

Dann lies[s]en wir noch ein wenig das Kalb los. Zum Essen gab es Spag[h]etti mit – – Gaiskäs! Ihr hättet den Kuenzli sehen sollen, wie er “gefuschtet” hat, als er bemerkte, das[s] e skein Kuhkäse war. Natürlich wurde seine neuste Schwäche sofort gepackt und auf der ganzen Reise ausgenützt.

Nachher gabs [sic] es einen Syrup. Ja, es musste doch wa[h]r sein, das[s] Herr Tobler einen “guten” auf der Reise hatte.

Am 3ten Tag gingen wir an den Ritomsee. Das Wetter war schon nicht mehr ganz bock, aber richtig verregnet wurden wir nicht. Diese Tour füllte den ganzen Tag aus. Zum Abendessen gab es Schaffleisch. Dann verzogen wir uns aufs Heu. Am nächsten Tag war das Wetter ganz bedenklich. Eigentlich wollten wir über den Rondadurapass, aber so mussten wir wieder die Lukmanierstrasse hinunter und wurden traurig verschifft [verregnet.]

In einem ganz kleinen dunkeln und stinkigen Kuhstall mussten wir unterstehen. Dann aber besserte sich der Himmel, und die Sonne kam wieder hervor. Wir gingen nun nach Sedrun und Tschamut. Hier shliefen wir in Betten. Wir hatten es redlich verdient, denn den ganzen Tag waren wir auf den Beinen gewesen.

Das kleine Alphotel war sehr nett eingerichtet. – Hier gab es ein Essen. Omelette und Kartoffeln. Die Leute konnten nicht genug herbeischaffen. Es wurde kiloweise alles verschlungen. Nach dem Essen ging der Kuenzli sofort ins Bett, weil er ganz sicher sein wollte, ja nicht mehr hinausgetrieben zu werden. Dies rief bei allen eine grosse Erheiterung hervor. Nun mussten wir uns auch in’s Fremdenbuch schreiben. Neger schrieb sogar unter Stand hinein “stud. Neger”! und Hurmes [?] auch dorthin “Gewe [? “GW” für Grössenwahn?] im Hage”.

Dann krochen wir in die Kisten. Um 6 Uhr morgens ging es schon wieder hinaus. Auf den Oberalp marschierten wir. Von da aus nach Andermatt. Nun gings die wunderbare Schöllenenschlucht hinab. Einfach grossartig und erhebend. In Göschenen nahmen wir am Bahnhof zu Mittag. Herr Zahn begrüsste uns dann noch. 1257 gings mit dem Gotthardzug nach Flüelen. Die Kehrtunnels bei Wassen machten allen viel Spass. In Flüelen angekommen, bestiegen wir das Schiff und fuhren aufs Rütli; an dieser heiligen Städte [sic] nahmen wir ein[en] Syrup und einen Alpenklübler. Dies war kolossal einfach und hatte eine kollossale [sic] Wirkung. Sehr fröhlich gestimmt, fuhren wir wieder nach Flüelen, und von da asu über Art-Goldau [Arth-Goldau] auf den Hof. Müde und frisch landeten wir und schliefen die Strapazen der Reise aus.

In St.Maria machten wir noch die Bekanntschaft mit Herr[n] Pfarrer Bolt, dem Verfasser der Bücher: Sviz[z]ero, Peterli am Lift und Allzeit bereit. Ein feiner Mensch!

Gemeint ist der in Lichtensteig SG geborene Theologe und Schriftsteller Niklaus Bolt (1864-1947). Die genannten Werke waren über Jahrzehnte beliebte, mehrfach neu aufgelegte und übersetzte Jugendbücher. Der Svizzero erreichte ähnlich hohe Verkaufszahlen wie Johanna Spyris Heidi. (Informationen aus den Artikeln zu Niklaus Bolt im e-HLS und in wikipedia, beide konsultiert am 24.02.2017)

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Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, W 127 (Hofchronik 1915-1921 und Foto «Die VI-er 1917»)

Linolschnitt Oberkirch

Donnerstag, 12. Juli 1917 – Sommer-(Fuss)reisen der Schüler von Hof Oberkirch (Teil 1)

Die Pädagogen des Landerziehungsheims Hof Oberkirch bei Kaltbrunn waren geprägt von der Wandervogelbewegung. Sie ermöglichten auch ihren Schülern entsprechende Erfahrungen, von denen in der Schulchronik berichtet wird. 1917, mitten im Krieg, durften drei Klassen auf Tour gehen. Hier der Bericht der Jüngsten von ihnen:

12.7.17.

Die Ferienreisen.

Nun hatten uns die Eltern doch erlaubt, eine Sommerreise zu Machen. Am 7ten Juli zogen wir fort. Da ich die Reise der Siebner und 8ter nicht mitgemacht habe, lasse ich ihre Residenten sprechen.

Röbeli Straub gab das Amt zu erzählen dem Aktuar Hasenfratz. Der berichtet folgendes:

Am Morgen des 12ten Juli fuhren wir fort am See entlang nach Pfäffikon. Von dort aus marschierten wir auf den Etzel, wo wir auf einer Wiese Brot bekamen. Wir gingen von da aus nach Einsiedeln. Besondere[s] Interesse erregte die Kirche. Vor diesem Flecken essen wir kalt zu Mittag. Dann gingen wir durch das Alptal bis zum Fusse des Mieten [sic, gemeint ist der Mythen]. Wir kochten ab und assen zu nacht. Nach[h]er ging’s noch bis zu der Sennhütte zwischen den Mieten; hier suchten wir unser enges Strohlager auf.

Schon um halb 4 Uhr standen wir auf, und bestiegen den Mieten; in halber Höhe sahen wir den Sonnenaufgang. Oben sahen wir sehr weit herum und einer Photographierte [sic]. Nach einer Stunde stiegen wir wieder hinunter, packten und tranken kuhwarme Milch. Nun machten wir die Tour über den Sattel nach Schwyz. Dort rasteten wir und besahen Rathaus und das [Bundesbrief-]Archiv. Alsbald gingen wir gegen die Station Sattel am Übergang zum Agerisee [Ägerisee], und von da nach Morgarten. Hier fassten wir unser Nachtessen, und verzogen uns nach[h]er ins Heu. Am andern Morgen fuhren wir mit dem Dampfschiffchen nach Aegeri, wo wir gegen Zug in die Höllengrotte [Höllgrotte bei Baar ZG] marschierten. Wir wurden von 2 Wächtern in den Höllen herumgeführt und schauten die herrlichen Tropfsteingebilde an. Wir assen an der Lorze zu Mittag und dann waren wir rasch in Zug. Hier badeten wir, dann fuhren wir auf den Hof zurück.

Für die 8ter

Aktuar Hasenfratz.

Verfolgt man die Route auf einer Karte, so kann man nachvollziehen, dass die gut vierzehnjährigen Knaben in den drei Tagen fast 70 km zu Fuss marschiert waren. Die einzelnen, beschriebenen Streckenabschnitte sind zu Fuss in jeweils zwei bis drei Stunden zurückzulegen.

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Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, W 127 (Hofchronik 1915-1921 und Hof-Zeitung 1914/15, Linolschnitt von Oskar Türler)

kompagnie Soldaten

Dienstag, 10. Juli 1917 – Neuschnee im Engadin

Das Geb.Sch.Bat. 8 (Gebirgsschützen-Bataillon 8) leistete vom 27. Mai bis zum 26. August 1917 Aktivdienst im Engadin. Stationiert war die Truppe in St.Moritz, Pontresina, Ponte, Schuls und auf dem Umbrail.

Am 10. Juli 1917 unternahm die 4. Kompagnie einen Gebirgsmarsch im frischverschneiten Grenzgebiet gegen Italien. Die Tour führte (den Abbildungen im Erinnerungsalbum gemäss) von La Punt durch das Val Chamuera und die zugehörige Fuorcla Chamuera ins Val da Fain auf die Alp Stretta, von dort an die Landesgrenze auf Fuorcla La Stretta, dann zurück ins Val da Fain und auf den Berninapass (oder umgekehrt).

Val ChamueraOriginallegende: Val Chamuera, 10.7.17.

Fuorcla StrettaOriginallegende: Marsch über Fuorcla Stretta 10. Juli 1917

Val da FainOriginallegende: Val del Fain gegen das Livignotal 10.7.17

Val da Fain Bernina

Originallegende: Val del Fain gegen die Bernina 10.7.17.

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Quelle: Staatsarchiv St.Gallen, W 132/2, Seiten 107, 111 (Beitragsbild, Kompagnie auf Passhöhe Casana, 2692 m) und 112