Lumiere Glasplatten

Freitag, 31. August 1917 – Architekt Thürlemann entwickelt Fotos

Tagebucheintrag von Architekt Johann Baptist Thürlemann (1852-1939), Oberbüren:

Freitag den 31. August 1917

trüber, bedeckter & kühler Herbstmorgen. Zeitweilig Regen. – Tagsüber meist wolkig & windig. Frischer Westwind. Hie & da ein Sonnenblick. Nachmittag meist düster & zuweilen etwas regnerisch. Sehr kühl. Abend eine Zeit lang sonnig; hernach stark bewölkt & dunkel. Nacht theils mondhell, theils bewölkt und regnerisch.

Vormittags bereinigte ich mein Tagebuch & besorgte Büreauarbeiten. Von 1 bis 4 Uhr nachmittags war ich mit Tonen & Fixieren der 6, gestern hergestellten Photographien beschäftigt. (1- ¾ 3h Tonen & Fixieren, ¾ 3 h bis 4 ¼ Uhr Wässern der Copien am Küchenbrunnen. – Die 4 Bilder 13 x 18 waren sehr befriedigend.

Abends stellte ich frischen Kleister her & zog die obigen 4 Bilder auf Carton auf.

Von 7 bis ½ 8 h abends besuchte mich mein Bruder Ludwig, wobei ich ihm ein Exemplar von obigen Bildern zum Geschenke machte. Er hatte grosse Freude daran & war voll Lobes über die gelungene vergrösserte Copie von Grossvaters Bildnis. –

Später las ich die Zeitungen und begab mich um ¾ 10 Uhr zur Ruhe.

Thürlemann verwendete Glasplatten der Firma A. Lumière & Ses Fils, Paris in drei Negativgrössen. In seinem Nachlass findet sich auch die im Beitragsbild zu sehende, nicht angebrochene Schachtel unbelichteter Negativplatten – sie sind über 100 Jahre alt. Die belichteten Negative bewahrte er in diesen Originalschachteln auf und schrieb auf die Deckel in seiner kleinen Schrift Sujets und Aufnahmedatum auf.

Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, Wy 035b (Familie Thürlemann zum Hirschen, Tagebücher von Architekt Johann Baptist Thürlemann, 1852-1939 und Negativschachtel)

Donnerstag, 30. August 1917 – Caroline streitet

Tagebucheintrag von Architekt Johann Baptist Thürlemann (1852-1939), Oberbüren:

Donnerstag den 30. August 1917 –

trüber, kühler & regnerischer Morgen. – Herbstlich kühl. – Frischer Westwind. Bis Mitte Vormittag regnerisch, hernach allmälig aufheiternd; zuweilen ein Sonnenblick. Tagsüber meist wolkig & windig; doch im Ganzen hell & sonnig; Abend düster & bewölkt. Nacht vorherrschend mondhell. Gegen Morgen bedeckt & kalt.

Vormittags bereinigte ich mein Tagebuch & besorgte verschiedene Arbeiten.

Von ½ 9 h bis 9 h hatten Caroline, meine Haushälterin, und Wittwe [sic] Josepha ScheiwillerDudli (in der obern Wohnung) einen äusserst heftigen & widerlichen Streit wegen des Putzens im Hause, wobei es von [sic] gegenseitigen Beschuldigungen und Injurien hagelte. Mir war der Auftritt – an dem ich mich nicht betheiligte – äusserst unangenehm & peinlich. – Caroline war nachher sehr aufgeregt & zornig.

Auf Mittag hatten wir Ludwig zum Essen eingeladen, wozu Caroline vormittags die nöthigen [sic] Vorbereitungen traf. –

Von ½ 12 Uhr bis gegen ½ 2 h nachmittags war mein Bruder Ludwig bei uns.

Das Mittagessen bestand aus: Zwiebelsuppe; Schüblingen mit neuen, vortrefflichen Kartoffeln (Magnum bonum) in kleinen Schnitten an Mehlbrühe; eingemachten Birnen & als Getränk Most. Das Essen war sehr gut & Ludwig rühmte es sehr. –

Mittags 1 Uhr brachte mir mein Neffe Franz Most (16 Liter) & nachmittags brachte er mir einen Korb der prächtigsten Kochäpfel («Augstenäpfel»). –

Von 2 bis 3 Uhr nachmittags stellte ich 6 Copien vom Bilde meines Grossvaters her. 4 Abzüge 13 x 18 cm & 2 Abzüge 9 x 14 cm. Sie befriedigte mich nicht. –

Von 4 Uhr bis ¾ 5 Uhr nachmittags hatten wir den Kaminfeger Jacob Kutter von Brübach. Er war von seinem Sohne, der Lehrling ist, begleitet. –

Die Arbeit kostete: 80 rp.

Abends von ½ 5 h bis 6 Uhr fand beim «Hirschen» Pferdeeinschatzung statt.

Caroline putzte & scheuerte den ganzen Abend.

Ich bereitete abends aus Quarz kleine Stücke, behufs jeweiliger Auffüllung der photograph. Flüssigkeiten (: Entwickler) in den versch. Flaschen.

Um 9 Uhr setzte ich noch 2 phot. Platten (Lumière: 13 x 18 cm) in eine Kassette. –

Nachdem ich die Zeitungen gelesen, begab ich mich bald nach ½ 10 Uhr zu Bette.

Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, Wy 035b (Familie Thürlemann zum Hirschen, Tagebücher von Architekt Johann Baptist Thürlemann, 1852-1939)

Morgenturnen in der Kuranstalt Sennrueti

Sonntag, 26. August 1917 – Vollständig nackt

Der Architekt Johann Baptist Thürlemann ging im Sommer öfters in der Thur baden. Die Badeplätze waren (ohne spezielle Signalisierung) streng nach Geschlechtern getrennt.

In seinem Tagebuch notierte Thürlemann jeden einzelnen dieser Badeausflüge, den ersten unternahm er am Dienstag, 19. Juni 1917. Auch am schwül-gewitterhaften Sonntagnachmittag des 26. August hatte er vor, sich an und in der Thur abzukühlen. Aber die Freude wurde dem strengen Katholiken gründlich vergällt:

Von 110 Uhr nachmittags bis 320 Uhr war ich an der Thur, um zu baden. An der Stelle, wo ich gewöhnlich bade[,] war ein junger Mann, vollständig nackt auf dem Uferkies ausgestreckt, um vermutlich ein «Sonnenbad» zu nehmen. Sein Körper war ganz braun, jedoch gut genährt & kräftig. – Ich wollte den Burschen nicht stören & zog Thurabwärts bis nach der Niederbürer Grenze, wo ich mit Mühe & Durchwaten eines Wasserstranges zu einer Badestelle gelangte. – Die Thur war gross, trübe & grüngelb von Farbe & das Wasser kalt. Ich badete ca. 1/4 Stunde & fühlte mich unbehaglich. Ich kehrte miss[ge]stimmt & unbefriedigt nach Hause zurück.

Mit dem jungen «Nacktbader» war die Lebensreformbewegung auch nach Oberbüren gekommen. Thürlemann war offenbar über diese Bestrebungen informiert, was aber nicht hiess, dass er sie billigte. Das Beitragsbild zeigt Frauen in der Kuranstalt Sennrüti bei Degersheim, die jeweils am Morgen im «Damenluftbad», zwar nicht nackt, aber für die Zeit des Ersten Weltkriegs doch sehr freizügig, Turnübungen im Sinn dieser Reformbewegung verrichteten.

Das war für eine Weile das letzte Mal gewesen, dass Thürlemann gebadet hatte. Erst am Mittwoch, 5. September notierte er wieder in sein Tagebuch:

Von 2 Uhr nachmittags bis 3/4 4 h war ich an der Thur & badete dort zum 16ten Male. Ich fand die Thur immer noch gross & das Wasser trübe & kalt. Ich badete von 1/2 3 – 3 Uhr & watete hinüber, an’s Billwiler Ufer. Hernach kehrte ich Thur-aufwärts über Steinufer & Wuhre zur «Dole» [von Thürlemann für den Gemüseanbau gepachteter Pflanzplatz], dann zum «Reckholder» & «Bild» nach Hause zurück.

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Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, Wy 035a (Tagebuch Thürlemann) und ZMA 18/09.05-21(Kurhaus Sennrüti, Damenluftbad, zwischen 1910 und 1920)

 

Abloesung

Samstag, 25. August 1917 – Entlassung aus dem Aktivdienst

Zug Störi als Of.Wache Dreisprachenspitze abgelöst Aug. 1917 Neuschnee

Das Geb.Sch.Bat. 8 (Gebirgsschützen-Bataillon 8) leistete vom 27. Mai bis zum 26. August 1917 Aktivdienst im Engadin. Stationiert war die Truppe in St.Moritz, Pontresina, Ponte, Schuls und im August schliesslich auf dem Umbrail. Die Truppe wurde am Sonntag, 26. August entlassen, d.h. die im Beitragsbild angesprochene Ablösung ist möglicherweise am Tag zuvor erfolgt.

Das Bild befindet sich auf einer Seite im Erinnerungsalbum der Truppe, auf der noch weitere Bilder von diesen Augusttagen im Umbrailgebiet zu sehen sind:

Lago di Rims

Originallegende: Patr. [Patrouille] am Lago di Rims 2392 m Mt Praveder Aug. 1917

Kommandohaus PapiermuehleOriginallegende: Kdo Haus «Papiermühle» rechts Piz Umbrail Aug. 1917 [Papiermühle möglicherweise, weil hier Rapporte u.ä. geschrieben wurden]

Offiziere am Umbrail

Originallegende: Oblt. Meyer u. Hptm. Cavelti am Piz Umbrail

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Quelle: Staatsarchiv St.Gallen, W 132/2, Seite 113

Sonntag, 23. August 1917 – Endlich ein Wiedersehen mit Margrit P.!

Aus dem Tagebuch von Ernst Kind, Zürcher Kantonsschüler mit St.Galler Wurzeln:

Etwa 8 Wochen habe ich Margrit P. nicht mehr gesehen. Ich empfand das oft sehr stark während der Ferien, wenn das auch nicht so stark zum Bewusstsein drang wie in den Frühlingsferien in St.Gallen, wo es mir schon weh tat, aus Zürich wegzugehen und so die Entfernung zwischen ihr und mir noch zu vergrössern. Sind meine Empfindungen für sie unterdessen schwächer geworden? Ich bin sicher, dass das nicht wahr ist. Sie sind gemässigter; ich stehe aber nicht über ihnen und will es auch nicht in dieser Beziehung. Es ist meine erste Hoffnung, bald wieder eine Gelegenheit zu haben, um einige Worte zu ihr zu sprechen und von ihr zu hören. Ich weiss sicher, dass in diesen Ferien kein Tag verging, ohne dass ich, wenigstens für Augenblicke, an sie dachte; oft aber hing ich diesen Gedanken stundenlang nach. Ganz von selbst habe ich mir angewöhnt, bei allem, was ich tue, mir ihre Gegenwart vorzustellen; ich meine bei allem, was ich tue, nehme ich an, sie sehe es. Mein Tun hat viel Gewinn davon, wenn sich das Zusammennehmen auch oft auf Äusserlichkeiten beschränkt.

Seit letzten Montag (20. Aug.) hat die Schule wieder angefangen, und ich habe [sic] Margrit P. wieder begegnet, nach 8 Wochen zum erstenmal. (Sie hatte schon vor den Ferien einige Wochen ausgesetzt und war jedenfalls irgendwohin zur Erholung gegangen. Ich hatte sie ungefähr Ende Juni zum letztenmal gesehen.) Aber unser Gruss war nicht anders als sonst. Es ist eben immer ein Gruss wie zwischen zwei Leuten, die einander zwar durch eine Gelegenheit kennen gelernt haben, aber sich weiter nichts zu bedeuten haben. Was aber sie wenigstens für mich bedeutet, kann ich nur spüren, nicht sagen. Ihr Anblick ist für mich, wie eine notwendige Nahrung für den Körper ist; ohne sie vergeht er. Könnte ich doch noch einmal vor der Prüfung (Maturität) eine Gelegenheit finden zu einer ganz kleinen Unterhaltung mit ihr.

(Zufällig in einem Verzeichnis der hiesigen Offiziere blätternd, sah ich, dass ihr Vater Ingenieur und Genie-Oberst ist.)

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Quelle: Staatsarchiv St.Gallen, W 073/2.1 (Tagebuch von Ernst Kind, Jg. 1897)

Alex Berner

Mittwoch, 22. August 1917 – Schweizerluft

Die verwitwete Adele Berner-Wenner war von Süditalien nach Zürich umgezogen, wo sie bei Verwandten Unterschlupf gefunden hatte. Sie schrieb ihrer Schwester:

[Randnotiz:] Erhalten i[n] Fratte

Zürich, Engl. Viertelstr. 52.

22. Aug. 1917.

Meine liebe Silvia,

Ich hoffe, dass Euch meine verschiedenen Karten richtig zugekommen sind, & danke Dir noch sehr herzlich für Deinen lb. Brief, den ich vor der Abreise noch bekam. – Ich habe die Zeit in Fratte sehr, sehr genossen & fand es herrlich wieder einmal länger da zu sein; die Schwierigkeiten im Haushalt tun mir nur leid[,] weil sie Euch so viel Mühe machen, & hauptsächlich weil sie Mama aufregen, aber sonst berühren sie mich nur ganz vorübergehend, & ich kann das übrige dabei immer gleichwo[hl geniessen.] – Die letzten Tage in meinem Hause waren dann furchtbar ermüdend & anstrengend bei der argen Hitze, & ich war wirklcih ziemlich kaput [sic]; in der Nacht konnte ich nur nch ganz wenig schlafen, teil wegen der Hitze & teils wegen allem was immer im Kopf herum ging. So fand ich den ersten Teil der Reise ganz ausruhend. Alex war aber die ganze Zeit über sehr ordentlich & anständig & half dem portier [sic] sogar meinen grossen Koffer hinunter tragen, weil niemand anders da war. – Bei Emil Berners war es sehr nett, Anna war zwar zu Bett, weil sie rheum. Schmerzen gehabt hatte, aber sie empfing uns sehr nett in ihrem Zimmer. Dann hatten wir einen guten Thee, & nachher liess uns Emil in einer schönen Remise-Vectaria [?] eine prachtvolle Fahrt machen. Schon 1 ½ St. vor Abfahrt des Zuges waren wir an der Bahn & bis wir unsern Proviant gekauft hatten konnte man einsteigen & wir hatten sehr gute Plätze in der I Classe über die Nacht. Alex war hoch erfreut. Am nächsten Tag ging alles nach Wunsch, zwar war ich höchst erstaunt, dass wir durchfahren sollten, aber mit etwas Eile ging alles ganz gut & wir waren gegen Mitternacht hier. Von 4 Uhr an aber mehr wie 7 Stdn. über den Gotthard zu brauchen ist ein wenig eine Geduldsprobe, & wir waren recht müde. Mama Berner hat es aber gut ertragen & sie sieht sehr gut aus. –

Es scheint mir nicht[,] dass ich wenige mehr als seine Woche von Euch fort bin, sondern schon eine lange Zeit. Hoffentlich geht es Euch allen gut & nimmt Gränni [Granny? Grossmutter] wieder ein wenig zu. Es war prachtvolles Wetter über den Gotthard, & die Luft so herrlich, ich musste besonders an Mama denken. Am Sonntag nachm. war es hier schwül, & am Abend kame in starkes & langes Gewitter. Onkel Victor war am Morgen hier bei den Cousinen, & am Montag nahm. kamen T. Marie & Mignon zum Thee. Sie sind diesen Sommer nicht fort gewesen. –

Man spricht ernstlich davon[,] dass die Schulkinder diesen Herbst entweder gar keine Ferien, oder nur einige Tage haben sollen, & dafür vom 13[.] Dec. bis Ende Januar die Schulen geschlossen bleiben sollen wegen dem grossen Mangel an Heizmaterial. Da müsste ich sehen wie sich das für Alex einrichten liesse, den das wären ja mehr wie 6 Wochen. – Gestern gegen Abend haben wir die Bicyclette ausgewählt, es war ein grosser Moment, & heute nach der Schule kam Alex sie abholen & machte dann seine erste Fahrt hier herauf um sie vorzuführen. Sie ist wirklich sehr schön. Natürlich mussten noch alle möglichen Bedingungen daran geknüpft werden; er darf am Morgen nicht damit in die Schule fahren, aber er hat sich arein gefunden. Bei Heftis ist man im allgemeinen mit Alex zufrieden, aber von verschiedener Seite höre ich dass er im Winter alles sehr waghhalsig betrieben habe, & so könnte ich ihn wo[h]l nicht wieder für längere Zeit allein in die Berge schicken, er ist dort zu sehr sich selbst überlassen. In den nächsten Wochen wird sich das alles noch zeigen, vor der gegebenen Zeit lässt sich nichts entscheiden. –

Ich habe hier noch nicht angefangen zu hetzen, & hoffe dass ich es dieses Jahr überhaupt vermeiden kann, wenn ich jeden Tag etwas absolviere. Aber weisst Du[,] aus den Stunden für Buchführung wird wieder nichts, den Tante F. Bärlocher ist nicht mehr in Zürich, & da müsste man schon gleich einen Kurs nehmen, & die dauern eben länger als ich Zeit habe. Ich werde suchen mir so viel wie möglich von den Cousinen practisch [sic] zeigen zu lassen. Es ist mir dies eine kl. Enttäuschung, denn ich wollte recht energisch dahinter.

Ihr werdet unterdessen auch die Todesanzeige von Herrn Jules Sulzberger bekommen haben; es ist ein Glück[,] dass er sterben konnte. –

Vielleicht morgen wollen wir Gretchen in Küsnacht besuchen, den sie geht bald nach Genf zurück. Wusstest Du dass Eboie [?] einige Jahre älter war als Harold? Die Cousinen sagen dass er eine solche Liebe & Achtung für Rosie hatte, dass sich dieselbe auf alle erstrecke, die den Familiennamen seiner Frau haben. Das freut einem [sic] doch. –

Das Wohnzimmer von den Cousinen ist sehr nett geworden & sie haben grosse Freude daran. Es ist wieder so nett & gemütlich bei ihnen, & es riecht so gut nach “Schweiz” in der Luft; es ist heute ein prächtiger Tag, & die Cousinen sind schon von 7-9 Uhr geritten. Es tut mir ganz leid, dass gerade ich diejenige bin, die hieher kommen musste, & würde mich freuen wenn ich & ihr oder Mama an meine Stelle tun könnte, obschon ich es selbst auch wirklich geniesse. –

Hoffentlich habt Ihr noch schöne Meerbäder. Hat wo[h]l Maria auch damit anfangen können? – Ich kann Dir nicht sagen wie dankbar ich war[,] dass meine ersten Ruhetage vorbei waren, wie ich nach Hause kam, & diesmal hat es sich wirklich herrlich getroffen. Es scheint mir[,] es wäre sonst einfach nicht gegangen. –

Und nun noch viele herzliche Grüsse von allen hier, an die Eltern & Dich & Euch alle, & besonders von mir. Dich liebes Kleinod [unlesbar] umarmt von Herzen, Deine Dich innig liebende

Adèle Berner.

Adele Berner logierte bei der Familie von Victor Wenner-Keibl (1857-1929), dem Stadtingenieur von Zürich. Unterlagen zu dieser Familie finden sich im Staatsarchiv St.Gallen unter: W 054/121

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 Quellen: W 054/127.4.2 (Briefe an Silvia Wenner) und W 054/125.11.2 (Beitragsbild: Alex Berner, 1916 und 1917)

Gruss von Papa

Montag, 20. August 1917 – Vater und Tochter: «1000 herzl Grüsse Papa»

Agnes (Ebneter-)Müller (1887-1973), Tochter des Staatsschreibers Othmar Müller (1859-1923), fasste in mehreren handschriftlichen, mit Fotos und Zeichnungen illustrierten Bänden ihre  eigene und die Familiengeschichte zusammen. Sehr häufig ist darin von ihrem Vater die Rede. Die beiden hatten offenbar ein inniges Verhältnis. Hier sind sie auf einer Foto von 1921 zusammen zu sehen. Anlass war ein Besuch von Agnes Müller bei ihrem Vater, der in Heiden Ferien machte:

Vater und Tochter 1921

In diesem Beitrag berichtete die 20-Jährige (vgl. Beitrag vom 18. August), wie sie von zu Hause fortging, um in Bern eine Bürostelle anzutreten:

Montag, 19. Aug, Meine Reise nach Bern (Bundeshaus) [Die Datierung ist falsch, entweder war es Sonntag, der 19. August oder Montag, der 20. August 1917]

Papa kam mit an die Bahn; mir war sehr weh ums Herz. Papa hatte so etwas Einfaches, ganz Klares in seinem Abschiednehmen, er gab nicht viel Ermahnungen, höchstens sagte er «ja für dich habe ich keine Angst, du wirst das schon recht machen». Sein grosses Zutrauen + sein überzeugter Glaube an mich + mein Wirken war mir das grösste + wertvollste Abschiedsgeschenk. – Wie ich in den Zug einstieg + der sich langsam in Bewegung setzte[,] sah ich nur immer ihn an – dann sah ich auch (bewusst zum erstenmal [sic])[,] dass seine Augen voll Tränen waren.

Vom 19. Aug. 17 bis 12. Dez. 18 war ich in Bern. An Papa hab ich dann oft telephoniert vom Büro aus, gewöhnl. an einem Samstag. Er war immer gleich in Stimmung. Nie war er ungehalten über mein Stören, und jedesmal am Schlusse gab er mir noch die Mahnung «gib der au jo recht Sorg!»

Briefe hat Papa nicht viel geschrieben, dafür Kartengrüsse. Wenn er einen Ausflug machte, dann schickte er mir auch jedesmal eine Karte. In den Briefen hatte er einen etwas veralteten, umständlichen Styl [sic], lange Sätze + etwas formell; aber immer herzlich + voll Güte. Bei jedem Brief hab ich denn auch eins oder auch ein paar Sätzli gefunden, aus denen seine Liebe bes. warm hervorgeleuchtet hat. –

Dann sandte er mir immer von Zeit zu Zeit St.Galler-Zeitungen als Drucksache + da stand in jeder Zeitung zwischen den Zeilen oder am Rand «herzl. Gruss Papa» oder «Gib dir Sorge» oder «wie geht’s dir» – «Schönen Sonntag» -[«]inniger Gruss Dein Papa». –

Im Mai 1918 hat man in St.Gallen Papas 30jähriges Jubiläum gefeiert; viele Gratulationen & manch Zeitungsbericht[,] alles Ehrungen, die Papa in seinem Innersten doch begrieflich so sehr freuten. –

Im Juli 1918 ging Papa nach Passugg in den Kronenhof, weil der Arzt Zuckerbefund konstatierte & er dort eine Kur durch Baden & Trinken verordnete.

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Quelle: Staatsarchiv St.Gallen, W 287/09.1.6 (Text, Foto und Beitragsbild: im Buch eingeklebter Zeitschriftenausschnitt mit dem Vermerk «1000 herzl Grüsse Papa«)

Panorama von St.Gallen

Samstag, 18. August 1917 – Wie man volljährig wird: Geburtstag einer 20-Jährigen

Im Erinnerungsbuch von Agnes (Ebneter-)Müller (1887-1973), der Tochter von Staatsschreiber Othmar Müller steht zum Tag, an dem sie volljährig wurde:

Am 18. Aug. 17 (Samstag) war ich 20. Ich sehe + höre noch, wie mir Papa Glück wünschte: er hält meine Hand in seiner rechten + die linke hält er drüber: «i wünsch der, dass d’all so brav + so gsund + so e gueti bliebscht, + dass du de Mama + üs allewil Freud machest + dass es der allewil guet gäng!» – Von Papa & Mama bekam ich die goldene Armbanduhr. Nachmittags durfte ich mit ihnen zu den Bergen. Bis Nest [Ortsbezeichnung in St.Gallen] mit dem Tram, dann durch den Wald hinauf – über die Jägerei (Fröhlichsegg rechts liegen lassen) & dann zum Säntisbänkli gekommen; wunderbarer Ausblick – etwas für Papa! Wir sassen dann auch lange dort & Papa meinte, wie schön doch der Alpstein aufgebaut sei; die verschiedenen Alpenkesten [?] (3) vom Kamor – Kasten immer höher bis zum Säntis. Ganz klarer, sonnenvoller Tag. – Über Teufen sind wir dann heimgelaufen.

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Quelle: Staatsarchiv St.Gallen, W 287/09.1.6 (Text) und ZMA 18/01.01-30 (Ausschnitt aus Ansichtskarte, im Vordergrund die Stadt St.Gallen, im Hintergrund der Alpstein)

Riklin Bild, Skizze

Freitag, 17. August 1917 – Schweizer Ärztemission für England geplant

Der Psychiater Franz Beda Riklin sollte im Rahmen einer Schweizer Ärztedelegation in England Gefangenenlager besuchen. Im Brief an seine Frau ist beschrieben, wie sich die Pläne für die Organisation dieser Mission konkretisierten:

Küsnacht/Zch, den 17. Aug. 1917.

Liebster Schatz!

Vielen Dank für Deinen lieben Brief. De La Harpe [Armeearzt, mit dem Riklin während seiner Zeit in Château d’Oex zu tun gehabt hatte] hat mir mitgeteilt, dass es sicher noch wenigstens drei Wochen gehe. Ich reise wahrscheinlich mit Genfer Collegen, u. zwar solchen, die schon einmal drüben waren. Man geht so vor, halb alte u. halb neue, weil es so besser gehe wegen der conservativen Engländer.

Der Elektriker war da, hat Herd u. Heizkörper gebracht. Monti[e]rt wird erst in etwa 8 Tagen. Ich habe ihm alles erklärt. Es wird noch ein Draht von unten gezogen.

Gestern war ich bei Maria Moltzer zum Nachtessen u. habe nun extra mir die Bilder einmal angesehen. Man könnte vieles davon schon deutsch sagen!

Sonst nichts Besonderes, als dass ich auf einmal, am letzten Tage, nochmals in die Hodlerausstellung ging; aber es war eine grässliche Populace [sic, Publikum] da u. ich ging bald wieder; ein Einbruch der Masse (nicht des Volkes) auch Frau Sigg war da! Sie ist eine entsetzliche Figur wie immer; ich habe sie am Seil heruntergelassen, aber sie ist eigentlich von einem Hochmut der Dummheit beseelt. «Hodler müsste jedenfalls als Lehrer auch fein sein.»

Das Bild rückt; hier der Stand der Fläche; darf ichs [sic] noch fertig machen? Etwa zwei Tage. [vgl. Beitragsbild, im Original ca. 2,5 mm x 2,5 mm gross, vgl. auch die Abbildung im Beitrag vom 14. August]

Ich lasse die lieben Kinder recht herzlich grüssen, besonders auch Franzli. Wir haben also schon noch Zeit, uns etwas zu sehen.

Hier gibt›  [sic] viel Früchte zum Einmachen u. Bohnen zu trocknen: Pfirsiche, Pflaumen, Birnen, Mirabellen; die Zwetschgen fangen auch an.

Ich weiss jetzt mit äusserster Wahrscheinlichkeit, wer der Pfirsichdieb u. ebenso bestimmt der Küngeldieb [Kaninchendieb] war. Natürlich habe ichs [sic] von Kaul: Nämlich der Taglöhner des Gärtners. Er ist ein rückfälliger Dieb, u. ist auch Metzger! Den Kindern lieber nicht sagen. Dem Polizisten werde ich jedenfalls meine Mutmassung mitteilen.

Adieu für heute, u. auf baldiges Wiedersehen. Ich muss weitermalen.

Allerherzlichste Grüsse u. Küsse. Gruss an Tante Ida.

Dein treuer

Franz.

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Quelle: Staatsarchiv St.Gallen, W 106 (Korrespondenz Franz Beda Riklin an seine Ehefrau)

Riklin-Bild, Skizze

Dienstag, 14. August 1917 – Der Psychiater pflückt Obst, dörrt Bohnen und kocht Konfitüre

Der Psychiater Franz Beda Riklin, aus dessen Ehekorrespondenz 2017 schon etliche Beispiele publiziert wurden (vgl. Beiträge ab dem 11. April) weilte nach langer Militärdienstzeit wieder zu Hause in Küsnacht. Er ordnete sein Berufs- und Privatleben und nahm wieder Patientinnen und Patienten auf. Seine Familie war im Toggenburg in den Ferien. An sie schrieb er:

Küsnacht, den 14. August 1917.

Liebste Frau!

Es war mir am Sonntag komisch zu Mute, ganz allein hier zu sein. Jetzt bin ich schon etwas eingewöhnt und benütze die Zeit[,] um viel Arbeit zu erledigen: Viel liegende Correspondenz u kleine u. grössere Angelegenheiten, Geldgeschichten u.s.f., um reinen Tisch zu bekommen. Eigentlich ists [sic] angenehm, wieder gründlich aufzuräumen. Uniform ist bestellt. Baumann Morgen do. Rähmchen für kl. Bildchen Looser. Visitkarten. Lang hat 100 frs. bezahlt. Wasserzins erledigt. 20 gr. Rexeinmachgläser bestellt. Torfgeschichte morgen persönlich. Carl [vermutlich Carl Gustav Jung] wegen Frl. Walch [ev. Patientin?] geschrieben. Fortwährend Obstpflücken: Pfirsiche, Pflaumen, Zwetschgen, Marillen [Aprikosen], Aepfel. Es reift alles heran. Bohnen werden gedörrt und Holundergelée ist fertig, die erste Rata.

Lang [ev. Josef Bernhard Lang, Dr. med., Psychoanalytiker, geb. 1881] hat mir auch einen netten Brief geschrieben. Er möchte Freundschaft und ich habe ihm per Du geantwortet. Er hat mir die «Nachtwachen des Bonaventura» geschenkt; es ist romantisch – interessant, ähnlich E. Th. Hoffmann, u. ist aus der Romantikzeit.

Es kommen etwas Patienten: Looser, Frau Fridori (will sich während der übrigen Ferien die Annehmlichkeit leisten. Sie verliert das eigentlich Schöpferische im Kunstgewerbe noch, wenn sie nicht zu mir kommt.[)]

Sonst sehe ich niemand. Ich brauche auch die Zeit nötig, samt den Abenden.

Das Bild geht mehr zusammen u. wird dadurch weich u. schön. [vgl. Skizze im Beitragsbild, das Original im Brief misst rund 20 mm x 25 mm]

Es ist nur soviel weiss, als ich hier schwarz bezeichnet habe, eher weniger; noch 3 leere Flecken.

Man meint, in diesen Tagen sollte es fertig sein; aber wir wollen noch etwas zugeben, auch wegen des Auges. Übermorgen ist 1 Monat seit Beginn. 

Das Modejournal u. weitere Zeitungen kommen mit gleicher Post.

Vom Armeearzt noch nichts Neues. Dafür habe ich wegen Paul einen energischen Militärbrief schreiben müssen, weil noch keine Antwort auf das Zeugnis da ist u. er nächsten Montag einrücken sollte u. den Dienst verweigert. Ich habe vom Divisionsarzt Antwort bis Ende Woche gewünscht; sonst gelange ich telegraphisch nach Bern.

Wenn immer möglich komme ich über Sonntag, od. sonst für einen Restteil der nächsten Woche.

Philosophisches will ich nichts schreiben. Lang musste sich von mir trennen wegen noch starker Bindung, u. weil er das individuelle Schaffen auf seinem wirklichen Wege finden muss u. nicht in Anlehnung an mich den gleichen Gott verehren, sondern ihn erschaffen. Ich konstati[e]re x) [Einschub am Rand: x) aus 1. Brief u. Material] mit Belustigung, dass wahrscheinlich Maria Moltzer die Kunst doch noch nicht ganz als endgültig annehmen kann. Das zeigt mir, dass ich auf dem wirklich selbständigen Wege des Schaffens bin.

Auf d. Postcheckkonto sind noch 577 frs. greifbar. Morgen verteile ich.

Was machen wohl meine lieben Kinder, u. mein ältester Sohn? Ich muss sie wirklich wieder einmal sehen. Dies Jahr lebe ich bereits 14 Wochen ohne sie.

Wie hast Du es droben wohl angetroffen und was leben all die kleinen Leute? Sag[‹,] wenn Ihr Obst braucht. Es gibt jetzt fortwährend.

Looser muss ich auch in den Beschwerden seiner Dissertation helfen.

Eigentlich möchte ich am liebsten weitermalen u. bedaure in einer Beziehung den kommenden Unterbruch. Es melden sich allerlei Probleme, nicht bestimmte Bilder, sondern mehr über Bildgestaltung; aber noch nichts Fertiges. Ich habe ein Gefühl von fester drin sein [sic] u. fester Hineinkommens, wenn ich auf die frühern zurückblicke.

Ich möchte Dich gerne noch etwas haben, bevor ich fortgehe; es war schön[,] die letzten Wochen; überanstrenge Dich ja nicht u. pflege Dich wirklich; das andere ist teils unsichere Hatz, u. Du musst Dir sehr Sorge tragen. hoffentlich hast Du eine angenehme Zeit oben.

Gestern wollte scheints [sic] eine Dame zu Dir, weigerte Clara [Hausangestellte] die Namensangabe, da Sie [sic] Dich brauche. Das klingt fast nach Frau Rudolf am Telephon, oder?

Viele herzliche Grüsse u. Küsse an Dich u. die gesamten Kinderlein von Deinem treuen

Franz.

Hinweis: Franz Beda Riklin war später im Jahr (September und Oktober) als Mitglied der Commission militaire médicale Suisse in England und besuchte Kriegsgefangenenlager.

Nächster Beitrag: 17. August 1917 (erscheint am 17. August 2017)

Quelle: Staatsarchiv St.Gallen, W 106 (Korrespondenz Franz Beda Riklin an seine Ehefrau)