Caroline

Mittwoch, 31. Oktober 1917 – Der Hausfrieden kehrt wieder ein

Johann Baptist Thürlemann schrieb am Mittwoch, 31. Oktober 1917 in sein Tagebuch:

Von 8 Uhr morgens bis ½ 1 Uhr hatten wir im Hause grosse Unruhe, da die seit 1. September 1916 bei uns in Miethe wohnende Wittwe Josepha ScheiwillerDudli & ihre Tochter Lydia auszogen, um bei Wagner Friedr. Lengg im Unterdorf Wohnung zu nehmen.

Die Söhne August & Emil Scheiwiller & ihr Knecht Frauenknecht halfen beim Aufladen & Wegführen des Hausrathes, der in 2 Fuhren an seinen neuen Bestimmungsort gebracht wurde. Den ganzen Nachmittag und Abend putzten und scheuerten Marie Gehrig (Frau Frefel) von Niederbüren und Lydia Scheiwiller die verlassene Wohnung.

Abends 6 Uhr kam Wittwe Scheiwiller zu uns[,] um sich zu verabschieden; sie hatte dabei noch einen kleinen Strauss mit meiner Haushälterin Caroline Wick bezügl. des im Juli d. Js. wegen des Putzens veranlassten Streites. – Ich mahnte zur Beilegung der Feindseligkeiten & zum Frieden.

Damit wurden schon länger schwelende Unstimmigkeiten in Thürlemanns Haus beigelegt (vgl. Beitrag vom 30. August 2017).

Ob Thürlemanns Ermahnungen an die beiden Frauen fruchtete, schrieb er nicht. Die Episode hatte jedenfalls noch zwei kleine Nachspiele. Der Architekt notierte am Freitag, 2. November 1917:

Von ½ 11 Uhr bis ½ 12 Uhr vormittags erschien Lydia Scheiwiller in unserem Hause, um in der von ihnen verlassenen Wohnung die Fenster zu putzen. Sie verabschiedete [sic] sich hernach bei uns und übergab die Schlüssel. – Die Zimmer & namentlich die Küche, sind sehr flüchtig & oberflächlich gereinigt, ebenso die Fenster.

Scheuermaedel

Damit war die Putzerei aber noch nicht beendet. Im Tagebucheintrag vom Freitag, 9. November 1917 heisst es weiter:

Caroline war den ganzen Tag mit Putzen & Fegen des ganzen Treppenhauses beschäftigt; es war aber auch nöthig, da die Familie Scheiwiller das Haus in wirklich ordnungswidrigen [sic] Zustande verlassen hatte.

Der Eintrag belegt eine Konstante bürgerlicher Haushaltführung: Üblicherweise wurde am Freitag geputzt – was die junge Frau Scheiwiller auch getan hatte.

Warum aber hatte Caroline nicht ebenfalls schon eine Woche vorher dieses Treppenhaus geputzt, gleich nach dem Auszug der Mieterinnen? Die Einträge im Tagebuch belegen, dass Caroline Wick und Johann Baptist Thürlemann es mit den Feiertagen genau nahmen. Freitag, der 2. November, war das Fest AllerSeelen, wie Thürlemann es nannte. An diesen Tagen ging man zur Kirche, kochte und ass und machte ansonsten höchstens Besuche oder vielleicht Botengänge. Gearbeitet wurde nicht.

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Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, Wy 035a (Tagebuch Thürlemann) und P 909 (St.Galler Tagblatt, 03.03.1917, Morgenblatt, Anzeige für Teigseifen)

Walter Grossmann

Montag, 29. Oktober 1917 – Bericht aus Ungarn

Walter Grossmann war vor dem Krieg im Landerziehungsheim Hof Oberkirch, einer reformpädagogisch geführten Schule, Schüler gewesen (vgl. auch den Beitrag zum 1. März 1916).

29.X.1917.

Aus der Karte vom A.-H.-Tag sehe ich, dass sie mich noch nicht vergessen haben; ich danke dafür allen, die dort waren und mich kannten und kann sie gleichzeitig versichern, dass, wenn ich auch nie geschrieben, so doch oft an die schöne Zeit im Hof gedacht habe. Von meinem Freunde Max hörte ich ab und zu, doch im letzten Jahr sehr selten, vielleicht ist auch die Zensur und die mangelhafte Postverbindung Schuld daran.

Von mir kann ich nicht viel erzählen; ich bin seit 1½ Jahren ununterbrochen im Felde, nachdem ich 1 Jahr lang in Budapest bei einer reitenden Art.-Division Dienst geleistet hatte. Damit wäre im Grossen und Ganzen alles gesagt; da kann sich jeder dazu das Seinige denken. Die Details sind dann manche schön, lustig und interessant, viele auch das Gegenteil. Aber das ist brieflich schwer wiederzugeben.

Das wäre mein äusseres Leben. Wie ich sonst geworden bin? Nun, ich glaube, ich bin ziemlich der Alte, der ich war, etwas weniger naiv, etwas leichtsinniger und ein ganz klein wenig älter. Ein unschuldiger Engel war ich ja nie. Manches vom Geiste des Hofes, das ich in mir aufgenommen habe, begleitet mich, wenn ich auch in Vielem nicht das geworden bin, was der Hof im Allgemeinen von uns wollte. Ich muss mich, wenn ich aus der ganzen Chose heil herauskomme, wieder in die Schulbank setzen und regelrecht die ganze landwirtschaftliche Hochschule absolvieren.

Wie siehts denn jetzt auf dem Hofe aus? Der liebe, alte Hof, ich habe ihn, meine kleine Bude oben im Himmel, alles, alles in guter Erinnerung. Sowie ich mal in die Schweiz kann, werde ich ihn unbedingt besuchen. Und dann will ich wieder ein paar Tage Höfler sein, vergessen all das Viele, das in den letzten Jahren mit mir und um mich geschah.

Allen Höflern, auch den Mädels, wenn welche sind, allen Lehrern, Allen meinen besten Gruss. Walter Grossmann, öster.-ung. Leutnant.

Der Krieg beschäftigte die Schüler im Hof Oberkirch. Erich Tobler stellte sich 1915 einen «Sturmangriff» folgendermassen vor:

Sturmangriff

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Quelle: Staatsarchiv St.Gallen, W 127 (Hof-Zeitung, herausgegeben im Land-Erziehungsheim Hof Oberkirch unter der Leitung von Anton Blöchlinger, Nr. 12, April 1918; Beitragsbild: Foto von Max Grossmann aus dem Album «Schüler und Lehrer» im gleichen Bestand; das Bild «Sturmangriff» findet sich in: Hof-Zeitung, Nr. 5, Weihnachten 1915)

Samstag, 27. Oktober 1917 – Studentenleben: Türkische Wasserpfeifen, Latein und Griechisch

Walter Muschg-Zollikofer (1898-1965), später Professor für deutsche Sprache und Literatur an der Universität Basel, schrieb an seinen Schulkollegen Ernst Kind. Kind weilte in der Rekrutenschule, Muschg studierte an der Universität Zürich:

Zollikon, 27.X.17.

Mein Lieber!

Gerne will ich Dir in Beantwortung deines bestens verdankten Briefes einiges von meiner neuen, mehr oder weniger segensreichen Zeit schreiben. Und da ich aus Erfahrung weiss, dass für Soldaten, und speziell für Rekruten immer eine angenehme Abwechslung bedeutet, so habe ich, wie Du siehst, grosses Format gewählt und will sehen, ob ich die vier Folioseiten voll bringe.

Ich habe nach dem gegenwärtigen Stande meines Stundenplans 21 Stunden. Vielleicht ist das etwas viel im ersten Semester, aber einerseits sind dabei verschiedene, die nur als Luxusartikel betrachtet werden können, andrerseits aber ist ein solcher Betrieb «dort oben», dass es einem gar nicht wohl ist, wenn man zu Hause sitzt – besonders, wenn man nichts tut! Dass man daneben mit Vergnügen in allen Fakultäten gratis herum-«schindet», wirst Du auch bald konstatieren; immerhin: Mathematik habe ich bis jetzt in jedem ihrer vielerlei Gewändlein mit Verachtung gestraft.

Zunächst der Angelpunkt dieser wirren [?] Bewegung: Herr [Professor Albert] Bachmann [1863-1934]. Dass da mit blossem Riechen nichts zu machen ist, habe ich allerdings sofort gemerkt und mich sogar gezwungen gesehen, den ersten Band der dreibändigen «deutschen Grammatik» von Wilmans (12 Fr.- pfui Teufel) käuflich an mich zu bringen – hättest Du mir das je zugetraut? Aber es heisst eben: Vogel friss oder stirb – entweder mit Kopfsprung hinein oder dann lieber gar nichts! Immerhin: So schauderhaft, wie uns Spatz das Zeug ausgemalt hat, ists [sic] entschieden nicht und der Grund ist gegeben in meiner ersten diesbezüglichen Grunderkenntnis: Wir Literaten haben vor allen andern, auch den ältesten Semestern, einen ganz unabschätzbaren Vorsprung voraus mit unserem Latein und Griechisch. Die können fast alle gar nichts!

Bis jetzt habe ich für ca. 60 Franken Bücher gekauft: Direkt notwendige und indirekt notwendige.

Sodann [Professor] Adolf Frey [1855-1920]: Der Herr ist etwas senil, hat eine starke Dosis des bekannten Philologen-Grössenwahns und bildet sich überdies viel auf seine Dichterglorie ein. Aber es fällt ja immer etwas ab; wenn einer einmal etwa 10 Stunden auf Jean Paul herumreitet, kommt jeder bis zu einem gewissen Grad zu einem Urteil, wenn er auch nur ein Minimum des betreffenden Autoren gelesen hat. Da man zudem weitaus am meisten in den Seminarien lernt, beteilige ich mich in zweien, natürlich als stiller Teilhaber (höchstens Diskussion!) Frey behandelt das Goethe-Buch von Gundolf und Ermatinger den Grünen Heinrich (beide Fassungen), wobei sicher in beiden Fällen eine sehr respektable Stoffkenntnis resultiert.

Was übrigens die persönliche Vorstellerei betrifft, so war ich lange im Ungewissen; vorgestern aber hat mir Markus sehr geraten, das nicht zu tun, man mache sich nur lächerlich (In Deinem Fall wars [sic] natürlich etwas anderes!). Übrigens kann man ja beim Testieren noch einige Worte fallen lassen.

[Professor Emil] Ermatinger [1873-1953] sucht hauptsächlich durch äussere Erscheinung, unerträgliches Gesten- und Mi[e]nenspiel und sehr affektierte Aussprache Eindruck zu machen – aber eben, es ist für uns doch neu (nämlich der Stoff, nicht das andere!). In seinem «Deutschen Naturalismus» liest er gegenwärtig dessen Vorläufer: Ebner-Eschenbach, Wildenbruch und Konsorten.

Weiterhin gehe ich zu Eugen Müllers Schwiegervater, dem Landesmuseumsdirektor Jehrman [?], der «Höfisches Leben im Mittelalter» bringt und Projektionen versprochen hat. Zuerst aber will ich diese sehen, denn für das was er bis jetzt «bot», reuen mich entschieden 2 mal 6 Franken! Fast am meisten Freude, weil greifbaren Nutzen bringend, macht mir Donatis italienischer – kreuzfideler! – Anfängerkurs; sehr schön ist auch Zemp mit seinem zweistündigen Lichtbildervortrag über die Niederländer. Einen ebensolchen liest er über den italienischen Barock, den ich aber leider nicht besuchen kann.

Ad. Frey liest neben seinem vierstündigen Kolleg über die Romantiker unter anderm noch eines über «Aufgaben der Lit.-Geschichte»; wo es hinaus will, weiss ich noch nicht rechz. Es beruht durchaus auf Praxis; das letzte Mal beantwortete er zum Beispiel die Frage: «Wie hat man zu verfahren bei der wissenschaftlichen Gesamtausgabe der Werke z.B. eines Dichters?» Man kann sichs [sic] ja immerhin gefallen lassen.

Im übrigen ist zu sagen: Alle die, welche sich auf die Universität an sich gefreut haben, sind enttäuscht (z.B. alle Chemiker (Jenny!) und Mediziner!); wenn man abe reinmal einen gewissen festen Standpunkt hat und isch in den neuen Betrieb eingelebt hat, so bekommt man einen unheimliche Freude! Man ist eben frei! Dieser gemütliche Seelenzustand äussert sich spontan in unsern Zusammenkünften: Das letzte Mal rauchten unser fünf aus ein und derselben (Friedens-!)Pfeife und haben nach diesem Genuss beschlossen, für di egnaze Bande eine türkische Wasserpfeife mit möglichst viel Schläuchen anzuschaffen als Symbol unser[er] Zusammengehörigkeit!!

Im weitern und letzten wünsche ich Dir eine möglichst dicke Haut für alle «gemeinen Subjekte» und gute Verdauung obiger Kriegsmahlzeit!

Mit kameradschaftl. Gruss Dein

W. Muschg.

Zu Walter Muschg vgl. den Eintrag im Historischen Lexikon der Schweiz: http://www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D6446.php

Zu den genannten Professoren finden sich ebenfalls Artikel im HLS:

http://www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D11483.php (Albert Bachmann)

http://www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D11796.php (Adolf Frey)

http://www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D11774.php (Emil Ermatinger)

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Quelle: Staatsarchiv St.Gallen, W 073/5 (Korrespondenz Ernst Kind)

 

Kriegsbrot

Donnerstag, 25. Oktober 1917 – Ferienverlängerung wegen Kohlennot

Die Herbstferien in Hof Oberkirch waren um vier Tage verlängert worden – Kohleknappheit führte dazu, dass in diesem Winter die Schulzeit für viele Schülerinnen und Schüler kürzer, resp. die Ferienzeit länger ausfiel: Da, ein Schreiben vom Hof, Ferienverlängerung, 4 Tage, bis am 29. Oktober. Hurra!!! wer wol[l]te sich da nicht freuen?, heisst es in der Schulchronik.

Am 29. Oktober war die Gnadenfrist jedoch abgelaufen, die Schüler wurden in Kaltbrunn erwartet:

20. Oktober 17. Trotz des wiederholt reduzierten Fahrplans rücken die Meisten [sic] mit den 5 Uhrzügen ein. Nur Cathomas, [Carl] Bois de Chaisne [eigentlich Bois de Chesne], Brandenberger, Schoop und Grieder, der zugleich ausgetreten, waren wegen Krankheit verhindert. Auch Kaspar fehlte. Dagegen erschien Alfons Haase, der seinen Abschied vom Hof schon gefeiert mit 2 Brüdern Mario und Erwin Haase. Also mit 3 Haasen wurde der Hof beglückt. [Hinweis: Die Schüler hielten verschiedene Haustiere auf dem Hof, zeitweise sogar ein Reh.]

Niki ist der Abschied vom Mutti besonders schwer gefallen, denn er konnte sich der Tränen nicht enthalten. Viel freudiger rückte Hugo Raichle ein, den[n] er will mit siner Brille eindruckschinden [sic].

In der Versammlung berichtete Herr Tobler über die Einschränkung des Heizens. Denn es wurde dem Hof Kohle zugeteilt, mit welcher er den kommenden Winter durchschlagen muss. Die obersten 2 Stockwerke werden gar nicht geheizt. Ferner das Naturkunde-[,] Blaue- und Mathematikzimmer nicht. Schule wird im Zeichnungs-[,] Studien- und in den beiden Essälen gehalten. Nicht nur dies gab uns der noch immer tobende Krieg zu spüren, sondern 2 der Lehrer[,] Herr Schlegel [Lehrer für Mathematik, Feldmessen und Buchhaltung] und Herr Dr. Rebmann [Lehrer für Latein, Geschichte und Geografie] sind im Dienst.

Lehrer und Schüler des Landerziehungsheims gruben in dieser Zeit in der Umgebung des Hofs auch selber nach Kohle (Bericht dazu im Beitrag zum 4. März 1917). Die nachstehende Foto von Kurt Bäbler wurde in der Hof-Zeitung vom April 1919 mit der Legende Unsere Kohlengräber 1918/19 publiziert:

Kohlengraeber Oberkirch

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Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, W 127 (Schulchronik 1915-1921; Beitragsbild in: Hof-Zeitung, Nr. 11, Dezember 1917, Linolschnitt mit dem Titel «Kriegsbrot» von Primarschüler Ulrich Schoop; Foto von Kurt Bäbler aus Album «Lehrer und Schüler auf dem Hof Oberkirch»)

Hof Zeitung Titelbild

Donnerstag, 18. Oktober 1917 – Bericht aus Frankreich

Georges Stouvenot (1885-1955) hatte von 1909 bis 1912 als Lehrer im Landerziehungsheim Hof Oberkirch gewirkt. Im Krieg war er als Soldat in die französische Armee eingezogen worden und dort als «Caporal» Rekruten ausgebildet. Mit einem auf den 18. Oktober 1917 datierten Brief berichtete über sein Leben in der Heimat. Arnas liegt im Rhonetal zwischen Dijon und Lyon:

Arnas, 18. Oktober 1917.

Ich bin sehr verlegen, Ihnen triftige Gründe über mein langes Stillschweigen anzugeben. Wie oft habe ich mir vorgenommen, Ihnen endlich einmal zu schreiben und Ihre verschiedenen Grüsse zu erwidern; aber ich war selten in der Lage, meine Gedanken geordnet vorzubringen. Ende Juli war ich einige Tage zu Hause; im August beschäftigten mich die ökonomischen Probleme so sehr, das ich keine Lust hatte, Korrespondenzen zu schreiben; dann im September hatten wir Weinernte und ich musste mich intensiver mit den Gefangenen beschäftigen.

Unterdessen habe ich Ihren lieben Brief vom 26.VI.17 wohl erhalten; ebenso die Hofzeitung, die mich daheim traf; ferner die Grusskarte der Alt-Oberkirchler vom 10. Sept. Besten Dank für alle die Mitteilungen und Grüsse, die mich äusserst freuten. – Am meisten interessierte mich Ihr Vortrag in der Neuen Helvetischen Gesellschaft über die Schulerziehung nach dem Kriege. – Freilich, die Umstände nötigen uns, unsere Aufmerksamkeit Problemen zuzuwenden, die vor dem Kriege nicht existierten. Es gibt Arbeit in Hülle und Fülle; ich glaube gar, ich habe meine Ziele zu weit und zu hoch gegriffen; und den Segen unserer Bemühungen werden wir wohl nicht mehr voll erleben können.

Seit vielen Wochen bin ich daran, meine Kenntnisse in Geschichte und namentlich in der Geographie zu revidieren und zu erweitern. Ich brauche sie notwendig zum Studium der ökonomischen Probleme. Ferner erprobte ich fleissig seit Anfang August meine Geduld im Aufbeissen harter Nüsse, wie die Lektüre von Cornelius Nepos; es ist eine tadellose Willensübung.

Mir geht’s in jeder Beziehung recht gut; ich habe keinen Grund, mich zu beklagen, im Gegenteil.

Herzliche Grüsse an alle!

Georges Stouvenot, chef de détachement de P.G. d’Arnas.

Hinweis: Cornelius Nepos war ein römischer Geschichtsschreiber.

Zu Stouvenot: vgl. auch Beitrag vom 1. März 1916. In einer Zuschrift an die Höfler-Zeitung vom 31. Januar 1915 hatte er sich u.a. Gedanken über die Parteilichkeit der Kriegsgegner und die jeweilige Propaganda gemacht:

Eine Zeitlang habe ich felsenfest Alles geglaubt, was unserseits geschrieben wurde, bis es mir zum Bewusstsein kam, dass ich als Gast Eures lieben Landes einst selbst anders gedacht hatte. Nun weiss ich, dass das Herz selten irrt, wohl aber der Verstand. Wie schwer ist es ja Euch, jedem der Kriegsführenden unparteiisch sein Recht zuzusprechen! Darüber habe ich mich lange verwundert.

Ich habe ferner versucht, einen klaren Einblick über die politische Lage bei uns und in der übrigen Welt zu gewinnen. Zeitungen jeder Färbung, klerikale wie antiklerikale Blätter studiere ich fleissig; doch umsonst! Wem soll ich glauben? Ich kann mich keiner Partei voll und ganz verpflichten.

Also trotz eines glühenden Optimismus bin ich ein Skeptiker geworden. Ich traue Niemandem mehr ohne weiteres. Ich will abwägen und zuletzt ein Urteil erarbeiten, das für mich gültig ist, das ich aber keineswegs Andern aufzudrängen beabsichtige.

Jetzt endlich bin ich auf jede Eventualität gefasst und bleibe meinem Vorsatze treu, die Erfahrungen eines jeden Tages fleissig zu beherzigen.

Mit herzlichem Gruss, Euer

G. Stouvenot, Caporal, 176e de Ligne, 26e Cie de Dépot, Epinal. 

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Quelle: Staatsarchiv St.Gallen, W 127 (Hof-Zeitung, herausgegeben im Land-Erziehungsheim Hof Oberkirch unter der Leitung von Anton Blöchlinger, Nr. 12, April 1918, resp. Nr. 3, März 1915; Beitragsbild: Linolschnitt von Max Hegetschweiler auf dem Titelblatt dieser Ausgabe der Hofzeitung)

Samstag, 13. Oktober 1917 – Kampf um jedes Zeitungsabonnement

Die Betriebskommission der Zeitung Ostschweiz hielt in ihrem Protokoll fest:

Gegenstand der Verhandlung ist die Agitation für die Ostschweiz auf kommendes Neujahr. In organisatorischer Richtung wird als Grundsatz aufgestellt, und dass keine allzu grossen Kosten verursacht werden sollen, und daher eine Massenpropaganda ausgeschlossen bleibe. Vor allem ist Sorge zu tragen, dass keine bisherigen Abonnenten auf den Jahreswechsel abspringen und dass die Gewinnung neuer Abonnenten auf dem Wege des persönlichen Besuches statt lediglich durch Versandt [sic] von Probenummern Platz greift.

Im weitern gibt Herr Redaktor Buomberger als Präsident des Katholikenvereins St.Gallen Aufschluss über die bereits im Katholikenverein der Stadt gefassten Beschlüsse, dahin gehend, dass alle Neuvermählten und neu Eingezogene kathol. Gesinnung in der Dompfarrei zum Abonnement der Ostschweiz gewonnen werden sollen, dass ferner die Wirtschaften, welche die Ostschweiz noch nicht halten, durch Besuche und konstantes Verlangen nach dem Blatte zum Abonnement moralisch verpflichtet werden und dass in Apologetischen Vorträgen stetsfort für die Presse agitiert wird. Die Suche nach neuen Abonnenten wird dadurch vereinfacht, indem das vom Katholikenverein aufgestellte Verzeichnis mit demjenigen der Ostschweiz-Abonnenten verglichen wird, und wo möglich, man auch Einsicht in die Postabonnenten-Verzeichnisse bekömmt [sic]

Herr Bezirksammann Wirt[h] als Präsident des konservativen Volksvereins Tablat regt auch an, die Frauenorganisatioen zur Blattpropaganda zu begrüssen. Vom Betriebe der Ostschweiz wird verlangt:

a. Die Gewährung einer Provision von 50 Rpp [sic] für jede neue Halbjahr[-]Abonnement.

b. Die Erstellung von Abonnenten-Verzeichnissen über alle drei Gemeinden St.Gallen, Tablat und Straubenzell, und Ueberlassung derselben an die propagandatreibenden Vereine.

Diese 2 Bedingungen werden gerne erfüllt und deren Zusage gesichert. Als Begleiterscheinung zur Propaganda wird noch betont, dass auf das kommende Neujahr eine abermalige Erhöhung des Abonnementspreises unausweichlich sei und damit gerechnet werden müsse, dass mindestens fr. 1.- [sic] pro Semester eintrete. Die enormen Papierpreise, die Lohnerhöhungen und Ausrichtung von Teuerungszulagen an das Geschäftspersonal, sowie das rapide Steigen der übrigen Bedarfspreise, machen eine Erhöhung des Blattabonnements zur zwingenden Pflicht, will man die fast unerschwinglichen Mehrauslagen zur [sic] einigermassen mit den Einnahmen in Einklang bringen, udn das Buchdruckergewerbe vor dem Ruin bewahren.

In längern Ausführungen macht noch Herr Isenrich sehr beachtenswerte Mitteilungen über die Rendite des Blattes und deren Erstellungskosten im Vergleiche zu den Einnahmen am Abonnementspreise & begründet die Notwendigkeit einer Erhöhung der letztern aus innigster Ueberzeugung.

Ein Punkt, der die Betriebskommission und den Verwaltungsrat schon des öftern beschäftigte und der in den Organisationen des Schweiz. Verbandes von Buchdrucker[n] und Verleger[n] und in den Lokalkonferenzen der städt. Blätter schon wiederholt gerügt und als unstatthaft bezeichnet wurde und die Ostschweiz-Verwaltung in Verlegenheit gebracht hat, ist das bestehende Arbeiter-Abonnement zum reduzierten Preise. An eine Abschaffung dieser Vergünstigung muss über kurz oder lang ernstlich gedacht und gedrungen werden. Die Wohltat dieser den christl. sozialen Arbeitervereinen s.z. eingeräumten Vergünstigung wird mitunter missbraucht und unter dem Titel der Mitgliedschaft von Personen beansprucht, die gar kein begründetes Anrecht darauf haben können. Hier kann nur die gänzliche Abschaffung der Arbeiterabonnements Wandel schaffen. Wie dies möglich und ohne Einbusse an Abonnements erreichbar ist, muss die Suche nach einem beidseitigen acceptablen Uebereinkommen bringen. Als ein zulässiges Mittel wurde schon die Frage der Abschaffung in Form eines an die Vereine zu leistenden Finanzausgleiches diskutiert. In der benutzten Diskussion über diese Angelegenheit warnt Herr Redaktor Buomberger vor dem Argument, im gleichen Atemzuge eine Erhöhung der Abonnementspreise und die Abschaffung der Arbeiter-Abonnements vorzunehmen, weil die finanzielle Last für die Arbeiter zu gross würde und Massen-Refüse [sic] des Blattes zu befürchten wären. Im Prinzipe [sic] ist Herr Redaktor Buomberger mit der gelegentlichen Beseitigung des Misstandes [sic] einverstanden und wünscht nur das Abwarten eines günstigeren Momentes, womit auch die Betriebskommission gleicher Auffassung ist und nie daran gedacht hat, beides miteinander zu vereinigen.

Herr Bezirksammann Wirth steht der Frage einer erneuten Erhöhung der Abonnements im allgemeinen skeptisch gegenüber und möchte die unerlässliche Einsparung in der Texteinschränkung des Blattes suchen. Nachdem hierauf von Seite des Präsidenten aufmerksam gemacht wird, dass der Gewinn der Texteinschränkung sich nicht mit der Abonnements-Erhöhung messen könne und letzteres sich mit dem erstern wohl ver[e]inigen lasse, und eine Erhöhung des Abonnementspreises für alle Blätter durch einen Beschluss des schweizerisch. Buchdruckerverbandes zur Pflicht gemacht werde, wird die Angelegenheit für heute erledigt.

Herr Augustin Stähly gibt noch Aufschluss über die begonnene Statistik der Wirtschaftsabonnenten der 3 Kreise im vereinigten St.Gallen, wovon mit Interesse Notiz genommen wird.

Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, Wy 088 (Firmenarchiv «Ostschweiz» Medien AG, Protokolle Verwaltungsrat und Betriebskommission, 1915-1920; Text)

Frau und zwei Kinder im winterlichen Pfäfers

Freitag, 12. Oktober 1917 – Schwierige Steuerfragen: Schul-geld fuer Kinder eines Internierten

Die Erziehungskommission des Kantons St.Gallen, ein Spezialausschuss des Erziehungsrates, befasste sich mit der Frage, ob die Kinder eines Internierten Offiziers Schulgeld zu bezahlen hätten:

Der Schulrat Pfäfers frägt an, ob er einen auf St.Margreterberg internierten Offizier, der daselbst seine 2 Kinder beschulen lässt, und seine Frau bei sich hat, besteuern dürfe. Es wird geantwortet, der internierte Offizier sei nur zwangsweise in der Schweiz, er müsse also rechtlich als ausserhalb des Landes wohnend betrachtet werden. Darum sei er zu keiner Steuer und Abgabe verpflichtet. Dagegen haben Frau und Kinder freiwillig hier Wohnsitz genommen und sind rechtlich als im Kanton St.Gallen wohnhaft zu betrachten. Da aber schwer zu ermitteln wäre, inwie weit [sic] die Frau steuerrechtlich belangt werden könnte, sollte von einer Steuer abgesehen werden und auf gütlichem Wege ein Schulgeld erhoben werden. Weitere Abklärung wäre beim eidgenössischen politischen Departement einzuholen. 26. Oktober.

Das Beitragsbild ist undatiert, aber zwischen 1901 und 1919 entstanden. Es zeigt eine (unbekannte) Frau und zwei Kinder im winterlichen Pfäfers.

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Quelle: Staatsarchiv St.Gallen, KA R. 130 B1, Bd. 1917 (Protokoll 1917/Nr. 492, Text) und ZOF 002/01.62 (Beitragsbild)

Adele Berner-Wenner, Brief

Samstag, 6. Oktober 1917 – Der Winter naht

Die verwitwete Adele Berner-Wenner machte sich zunehmend Sorgen, wo sie sich den Winter über einquartieren könnte und was sie mit ihrem schulpflichtigen Sohn machen sollte. Ihrer Schwester Silvia schrieb sie:

[Randnotiz:] Erhalten – i[n] Fratte

Montreux.

Samstag, 6. Oct. 1917.

Meine liebe Silvia,

Vorgestern habe ich Deinen ersten Brief von Ende Aug. bekommen, der wirklich etwas lange zur Reise gebraucht hat, & jetzt verwundert es mich nicht mehr[,] dass ich nie einen Brief von Dir bekommen hatte. Ich danke Dir aber nachträglich dafür. – Ich hätte so gern von Dir gewusst[,] ob Du glaubst[,] dass es Mama freuen würde zum Geburtstag ein electr. Pfännchen zu haben, das 1 lt. fasst, & so ein wenig die Form einer Theemaschine hat, oder ob ihr das kleine genügt, das sie hat. Sage mir die Antwort nur per Postkarte. –

Emily hat mir Deinen letzten Brief vorgelesen, als ich am 24. Sept. zu ihnen kam. Dann habe ich auch einen lieben langen Brief von Mama bekommen[,] für den ich ihr vielmal danken lasse. Es tut mir so leid[,] dass Tante Jeanne krank ist, es ist wirklich recht traurig, & der arme Onkel hat nie auch ein wenig Freude haben können in den letzten Jahren. –

Seit vorgestern bin ich hier bei Gaspard’s [?] zu einem kleinen Besuch, am Montag bin ich wahrscheinlich wieder im Bellevue.

Nachdem wir 3 volle Wochen das wunderbarste Wetter gehabt haben, hat es sich vor 2 Tagen plötzlich verdorben, & heute nacht hat es bis ganz nach herunter geschneit. – Das wird vielleicht der Grund sein[,] dass Alex früher Ferien bekommt, denn diese fangen erst an, wenn es reichlich so kalt ist[,] dass man heizen müsste entweder am 20[.] oder 27. Oct. & dauern dann 14 Tage. Wenn sie erst so spaä stattfinden, so gehe ich mit Alex vielleicht in’s Wallis, wo es nicht so kalt ist, denn Pauls sind dann am aufpacken. – Für die Winterferien war Clara so gut[,] mir anzubieten vom 4[.] Jan. an Alex in’s Hôtel in Zuoz zu sich zu nehmen, was ich sehr dankbar angenommen habe, & für die 10 Tage vorher will ich noch einmal Frau Pfarrer anfragen, ob es ihr möglich wäre. – Hoffentlich giebt [sic] es nicht wieder es nicht wieder einen so langen Winter, wie der letzte, es wäre recht schlimm mit dem argen Kohlenmangel; es muss schrecklich sein so zu frieren. –

Ich habe es die ganze Zeit & überall herrlich, & habe Angst[,] dass ich furchtbar verwöhnt werde. Bevor ich nach Bellevue kam, hatte ich noch eine arge Hetzerei, das kann ja nicht anders sein, wenn man sich noch so Mühe giebt [sic], aber dann war es in Bellevue so wunderbar, dass wir die ersten Tage nicht einmal nach Genf gingen. Es war so blau & duftig, & so still am See, & die Sonne so herrlich[,] dass man [es] in Waschkleidern gerade recht hatte. Der grossen Obstsegen giebt [sic] auch viel zu tun, man pflückt, sortiert, & richtete einen Korb nach dem andern, der verschenkt wird. – Hier habe ich Gaspard’s beide wohl getroffen, Marcelle hat zwar immer mit Rheumatismus zu schaffen, aber G. ist gut dran & sehr leistungsfähig. Die kleine Lise ist reizend[,] so ein Muster von guter Erziehung, das versteht Marcelle aus dem Fundament. Am Morgen trägt sie Spielhöschen, & am Nachm. Replums [?] in allen Farben, & tanzt einher wie ein kl. Schmetterling. – Ich hoffe[,] dass es bei Euch immer gut geht, & dass Ihr Euch bei kühlerem Wetter recht schön von der Sommerhitze erholt. – Kann Maria den Kleinen noch gut stillen? & nimmt [sic] er schön zu? M. schrieb Emily[,] dass Gianni etwas zugenommen habe, ob er nicht mehr zu essen bekomme. Aber vielleicht jetzt hat man anfangen können. Führt sich die Balia [?] wieder recht auf? & will [sic] sie weiter bleiben? –

Die Cousinen sind jetzt in Lugano auf etwas 14 Tage, & denke Dir[,] ich darf wieder zu ihnen, wenn ich Alex zur Schule zurück bringe, für die wenigen Tage. – Sie hatten Lorly noch 8 Tage bei sich, die sich natürlich etwas langsam erholt, denn es war eine schwere Operation. Lorly liess Mama für ihren lieben Brief sehr danken. –

Marcelle lässt Euch alle sehr grüssen. Auch von mir viele herzliche Grüsse an Euch alle, gross & klein, im grossen & kleinen Haus. – Dich, liebe Silvia, umarmt mit einem innigen Kuss

Deine Dich herzlich liebende

Adèle Berner.

In der Korrespondenz von Silvia Wenner findet sich ein weiterer Brief ihrer Schwester vom 4. Januar 1918 aus Zuoz im Oberengadin. Darin schreibt Adèle Berner-Wenner, dass Clara Peters-Wenner (1874-1944), eine weitere Verwandte, mit ihrem Sohn Max (1907-1988) ebenfalls ins Engadin gekommen sei und dass sie ihr ihren Sohn, Alex Berner, während des Rests der Neujahrsferien in Obhut geben könne. Adèle Berner-Wenner fand bis Anfang Februar wieder Unterkunft bei den Cousinen Zürich, von denen in anderen Briefen die Rede ist. Danach reiste sie, wie ein weiterer Brief vom 19. Februar 1918 belegt, offenbar weiter nach Rom.

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 Quellen: W 054/127.4.2 (Briefe an Silvia Wenner)

Kartoffelersatz

Freitag, 5. Oktober 1917 – Erntefest in Hof Oberkirch

Die Chronik für das Landerziehungsheim Hof Oberkirch vermerkt für den 5. Oktober ein Erntefest. Die Schüler verbrachten den Tag mit einem Ausflug. Im Wald entspann sich eine Tannzapfenschlacht, und später spielte man Räuberlis. Einige suchten auch Pilze, welche die Köchin der Schule abends zubereitete. Sie war auch für die ausserhäusliche Verpflegung an diesem Tag verantwortlich, es gab eine kräftige Knorrsuppe, Käse, Brot und Äpfel. Auch Brombeeren fand man viele.

Vorangegangen waren diesem Erntefest strenge und andauernde Gartenarbeiten während des ganzen Sommers, zu denen man die Schüler angehalten hatte. Ende September konnte der Segen ausgegraben werden:

Das strenge Arbeiten im Grabacker brachte eine reichliche Ernte: Mehr als das Zwölffache der Saatkartoffeln wurde geerntet. Im Ganzen 50 q. [Zentner] Auch der Mais[,] Kabis und Kohl gedieh gut. Wohl den Hauptverdienst haben die Sechser [6. Klasse, entsprach in dieser Schule den Fünfzehnjährigen], die es nicht scheuten, alle Tage früher als die Andern aufzustehen[,] um im Garten zu arbeiten. Als die Verordnung kam, dass die Gemeinde Kaltbrunn die Äcker am Grabacker zur Anpflanzung von Getreide bis 1. Oktober haben müsse, gab’s richtiger Kriegsbetrieb. Die ganze Schule machte sich ans Ernten, und bald war alles eingeheimst.

Die Schüler selber waren nicht immer beglückt ob des täglichen Einsatzes im Garten, insbesondere das Düngen war unbeliebt, wie sie in ihren Aufsätzen festhielten:

Es läutet zur Gartenarbeit. Weil es heute Dienstag ist, muss ich wohl oder übel auch gehen. Aber es ist wenigstens schönes Wetter und ziemlich warm. Wenn ich dann noch eine anständige Arbeit bekomme, so ist es auszuhalten. Unter anständigen Arbeiten verstehe ich solche, die mir gut gefallen, z.B. Spaten, Obst ablesen, Bäume fällen oder gar bei den Nachbarn heuen. Letzteres hat noch eine besonders gute Seite. Man wird dabei herausgefüttert.

Zwischen den Häusern steht Herr Tobler [Direktor] und macht Antreten.

«Wer will nach Uznach?»

«Ich! ich!» rufen viele Stimmen, denn der Auserwählte kann im Vorbeigehen noch schnell zur «Tante» [im Einkaufslädeli]. Der Kriesi darf gehen; er hat ein Velo.

«Du, Kriesi, bing mit 10 Chocoladensäckli.»

«Und mir für einen 20er Zeltli.» Er wird ganz mit Aufträgen überhäuft.

Nun heisst’s «Spaten». Sofort melde ich mich, denn jetzt im Herbst ist das eine der schönsten Arbeiten. Im Frühling ist’s nicht so angenehm, besonders bei ganz trockenem oder regnerischem Wetter; dann gibt es so grosse Klötze.

Wie ich zum Holzschopf gehe, höre ich noch, wie Herr Tobler zu Nänny sagt: «Du kannst mit 2 Kleineren Birnen schütteln.» Natürlich, der bekommt immer die angenehmsten Arbeiten, wenn er nicht im Büro faulenzt. Hinter uns kommt der Kuhn und holt eine Hacke; er muss jäten. Ich wünsche ihm viel Vergnügen, denn das ist meiner Ansicht nach die langweiligste Arbeit. Nur das Himbeerenaufbinden kommt ihm gleich. Während wir arbeiten, kommt mit grossem Gepolter der Huber mit der «Güllkanone» angefahren. Er hat sich geopfert. Niemand ist besonderer Freund dieser Beschäftigung. Herr Mäder kommt mit den Achtern zum Aufräumen.

Schon nach einer halben Stunde sind wir mit dem uns aufgetragenen Stück fertig. Nun sollen wir in den Johannisbeeren spaten. Danke für Obst!

Diesen Sommer hatten wir auch am Morgen Gartenarbeit [anstelle des sonst praktizierten täglichen Frühturnens]. Das war einmal eine Abwechslung; aber schon nach kurzer Zeit hätte ich lieber wieder Turnen gehabt. Nur zum Beerenablesen war ich dabei; viele verschwanden aber in meinem Magen.

Ein anderer schrieb, wie er auch für seine Familie zu Hause Gemüse zog, eine Möglichkeit, welche die Landschule während der Kriegszeiten anbieten konnte: […] Am Allerliebsten arbeite ich aber doch in meinem eigenen Acker, wo ich jedes Pflänzchen kenne. Und dann das Ernten! Das ist besonders schön, das ist gar keine Arbeit mehr, nur noch Vergnügen. Mama findet zwar, sie habe noch nie so teures Gemüse gehabt; doch – das gehört schon nicht mehr hierher. Die Bemerkung zum teuren Gemüse hatte ihren Hintergrund wohl darin, dass der Erntesegen nach Hause geschickt werden musste, vermutlich per Bahn, wodurch Frachtspesen anfielen.

Einige suchten sich vor der Arbeit zu drücken und erfanden verschiedene Strategien: […] Da kommt der Marcel aus dem Haus und murmelt so schnell, dass man es kaum verstehen kann: «Herr Tobler ich abe eine böse Fuss, kann ich Studin macha?» […] Schnell will ich mich noch umziehen. Leider ist es schon zu spät; ich will es probieren und trete in meinen Schulkleidern an. Herr Tobler hats aber schon gesehen und ich muss mich – gern oder ungern – umkleiden. Droben auf der Terrasse steht Hermes um uns zu fuxen, denn er kann ja cheffreien Nachmittag machen. Andere machens viel schlauer; die kommen überhaupt nicht zum Antreten und wenn es Herr Tobler merkt, haben sie immer noch eine gute Ausrede. […] Für Unterhaltung während der Arbeit muss ich nicht sorgen, denn im Garten nebenan arbeitet oder besser faulenzt der C. und verführt einen solchen Lärm, wie sämtliche Wäscherinnen der ganzen Gegend. […] Langsam schleicht die Zeit vorbei und noch langsamer wird meine Arbeit fertig. Ich schleiche in meine Bude. Ich habe herausgefunden, dass es so am vorteilhaftesten ist.

Ein anderer Schüler beschrieb noch weitere Versuche, um die Arbeit herumzukommen: […] Dann hat der Eine wunde Zehen, der Andere einen geschwollenen Finger, dieser an 7 Orten Eissen [Furunkel, Eiteransammlung], oder Latein. Sch. muss um 3 Uhr in die Uebungsstunde und findet es deshalb kaum mehr nötig anzufangen. (Wir wissen aber, dass seine Stunde erst um 4 beginnt – er ist ein Drückeberger.) […]

Die Buben aus den jüngeren Klassen waren ebenfalls nicht immer motiviert und hatten ihre eigenen Strategien:

Am liebsten tu ich Laub oder sonst was zusammenrechen. Man muss dann nicht zuviel schaffen, da man sagen kann, dass der Wind das Laub immer wieder fortnimmt, oder neues Laub vom Baume falle. Dann kann man sich auch sehr gut drücken, indem man sagt, dass man auf den Abort oder einen andern Besen suchen müsse.

Jetzt wird die Arbeit verteilt. Ich durfte zum Apfellesen gehen. Wir sackten dann viele Aepfel ein. Uns wurden oft kleine Steine nachgeworfen, denn wir warfen den andern faule Aepfel an. Das war sehr lustig. Mancher sagt dann, er müsse auf den Abort. Er ging dann schauen[,] wie spät es ist. Das machte ich oft nach. Andere Knaben mussten dann üben. Sie gingen dann eine viertel Stunde vor der Zeit weg, es war ihnen nur deshalb pressant.

Wenn es mir langweilig wirt [sic]. Schaue ich[,] ob nicht ein Lehrer in der Nähe sei[,] wen[n] ich ni[e]mand sehe[,] gehe ich fort und schaue[,] war für Zeit es war[,] wen[n] es etwa halb vier Uhr war[,] dan[n] ging ich zu den Beerensammlern und half[,] bis es leutete [sic] udn füllte meinen Becher und ass es im geheimen. Manchmal ging ich in das Haus und las in einem Buch[,] bis es leutete[.] ich [sic] freute mich immer[,] wenn es Leutete [sic]. (Ohne Korrektur, von einem Kleinen.)

Der Direktor war sich dieser Verhaltensweisen wohl bewusst und beurteilte sie als Erzieher der Knaben folgendermassen: Dieses Grosse [sich der Zeitlage ohne viel Murren und Schimpfen anzupassen] möchten wir auch unsere Jugend spüren lassen. Den Gedanken hat sie, wenn gefragt, wohl erfasst, sie schafft auch willig mit. Dass sie aber dabei im Alltäglichen die sorglose Jugend bleibt, das ist ihr Vorrecht.

Dass Schüler derart frei, vertrauensvoll und offen beschrieben, wie sie versuchten, Anweisungen der Erwachsenen zu umgehen, zeugt vom speziellen Geist, der in diesen reformpädagogischen Landerziehungsheimen herrschte.

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Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, W 127 (Hofchronik 1915-1921 sowie Bericht des Direktors zu «Die Gartenarbeit» und Aufsätze in: Hof-Zeitung, Nr. 11, Dezember 1917: Texte) und P 909 (St.Galler Tagblatt, 24.03.1917, Abendblatt)

Soldatenlieder Büchlein

Mittwoch, 3. Oktober 1917 – Schweizer Soldaten-Lieder

Am 3. Oktober begann die Infanterie-Rekrutenschule V/6 St.Gallen. Sie dauerte bis zum Samstag, 8. Dezember 1917.

Die angehenden Soldaten erhielten ein Liederbüchlein mit 80 Liedtexten, angefangen mit Heimatliedern: Rufst Du mein Vaterland (Nr. 1), O mein Heimatland (Nr. 2), Schweizerpsalm (Trittst im Morgenrot daher …) (Nr. 3) und Heisst ein Haus zum Schweizerdegen (Nr. 4).

Aufgelistet sind zudem diverse Militärlieder wie z.B. Auf, Ihr wackern Kanonier›!, De Chäreli Mitrailleur, Der Trainsoldat hat’s lustig, Ich bin ein jung Soldat, Roulez Tambours!, Addio la caserma und Ich bin ein junges Schützenblut. Nicht fehlen durfte auch Willst Du dein Dienstbüchlein zerreissen.

Daneben findet sich eine ganze Reihe Volkslieder wie Es Burebüebli mahn I net, Es wot es Fraueli z’Märit ga, Im Aargau sind zwei Liebi, ’s Ramseiers wie ga grase oder Le ranz des vaches und Quatter [Quattro] cavai che trottano.

Als letztes ist das Landsgemeindelied abgedruckt: Alles Leben strömt aus dir.

Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, Bro I 189 und Schweizerisches Militäramtsblatt 1917, S. 184 (freundliche Mitteilung betreffend Beginn und Dauer der Rekrutenschulen von Manuel Bigler, Stv. Chef Forschungsdienst, Bibliothek am Guisanplatz, Bern)