Naturfreunde

Sonntag, 9. Juni 1918 – Koch-touristen statt Hochtouristen: Dreigangmenu auf der Hundwilerhöhe

Noch ein Tourenbericht der Naturfreunde St.Gallen, diesmal mit falscher Datierung. Geht man davon aus, dass die Tour wie beschrieben am Sonntag stattfand, müsste sie auf den 9. Juni datiert sein, nicht auf den 7. Juni:

Bummel-Tour nach Hundwilerhöhe 7/6.1918

Um den Hochtouristen, al [?] pardon Kochtouristen Gelegenheit zu geben[,] sich wieder mal tüchtig in ihrem Fache zu produzieren[,] hatte sich eine kleine Schar entschliessen können, Sonntag den 7. Juni nach der Hundwilerhöhe zu pilgern. Ein schöner Tag soll uns beschieden sein. Dieser Gedanke entlockte uns gleich morgens in der Früh feine [?] Musik[,] ich glaube[,] sie wurde vom löblichen Präsidium der Hütten-Verwaltung Stadtmusik Lustmühle getauft; die es verstand, uns glückliche Menschenkinder mit letztem Humor auszuwappnen. Nun geh[‹]s im strammen Tempo den Ihnen [sic] allen gut bekannten Weg der Schwanenbrück entgegen, der hinauf führt in’s so ruhig & nett gelegene Dörfchen Stein. Wie so schmuck & einladende sind all die Häuschen der Dorfstrasse. Ist dies doch der grosse Stolz des Appenzeller-Völkleins; ein schmuckes Heim Ihr [sic] Eigen nennen zu dürfen.

Von hier wählten wir den Weg, der uns führen sollte nach Sonnenthal & dann hinauf in die Höhe. Da welch Überraschung wiederum Musik lässt sich hören, die Leute scheinen uns St.Galler wirklich gut gesinnt zu sein, dass Sie [sic] uns fortan mit Musik empfangen. Ein Blick nach dem «Ani» & der verrät wie so furchtbar gerne es jetzt einen feschen Walzer schwingen möchte. Als Neuling noch so furchtbar schüchtern, wagt es natürlich diesen Wunsch nicht zu aussern [äussern] & so muss Sie [sic] denn von niemand bedauert, schweren Herzens von Dannen [sic] ziehn? Daüfr ist Sie aber später reichlich entschädigt worden, denn eines unserer verehrten Mitglieder[,] der sich bei dieser Tour als Spinner entpuppt oder noch besser als Schwindler, pardon Buchdrucker ist er ja[,] der nimmt sich in recht liebenswürdiger Weise der Ani an.

Nach gut 2stündigem Marsche soll uns ein gutes Gabelfrühstück beschieden sein. Kuhwarme Milch ruft die Kleine. Nicht lange währt & eine Kanne Milch steht zur Verfügung. Herrschaft[,] wie das fein schmeckt! Dem Hans & Konsorten ist’s natürlich nicht so gut ergangen, sie mussten sich mit «Gäs[«]-Milch [Ziegenmilch] begnügen. Geschmeckt hat[‹]s Ihnen [sic] doch wie Sie behaupteten. Nun «möge man’s wieder verlide» heisst’s. Noch den einen letzten, aber grossen Stich & die Hundwilerhöhe ist erreicht. Nun haben wir unser schönes Alpstein [sic] vor uns in all seiner Pracht. Wenn auch die Aussicht nicht so war wie auch schon[,] so hat der Anblick desselben den Zweck nicht verfehlt, schöne Erinnerungen wachzurufen. Pläne werden geschmiedet, so wunderschöne[,] wie manch einer wird wohl in Erfüllung geh[e]n.

in herrliches Plätzchen wird nun ausgesucht, das uns ermöglicht, während Stunden eines richtigen[,] wie der Italiener sagt: [«]Dolce far niente» zu erfreu[e]n[;] unter einer wunderschönen Tanne wird Zuflucht genommen. Schnell die Schuhe & Strümpfe ausgezogen & der Spitzbueb[,] von gewisser Person so tituliert[,] präsentiert sich in seiner ganzen Grösse. Wie anfangs richtig bemerkt[,] hatten wir heute in Augenschein genommen[,] uns nicht in Hochtouristik zu üben[,] sondern in was viel Praktischerem[.] «Kochtouristen»[,] diesen 2 Worten wollten wir heute mal alle Ehre machen & so müssen denn die verehrten Zuhörer mir wohl gestatten, dass ich jenes Mittagsmahl[,] fabriziert von einigen strammen Junggesellen St.Gallen’s ein bis[s]chen kritisiere. Elf Uhr ist’s[,] Freund Weber und Geuggis wissen nichts gescheiteres [sic] zu tun als schon jetzt Vorbereitungen für d’table D’haute [eigentlich «table d’hôte», hier vielleicht gemeint: «Tafel auf der Höhe»] zu treffen, damit sie ja sicher bis 3 Uhr fertig werden. «Eh, Herdöpfel-Rösti soll’s z’erst geh»[,] ruft der Eine. Richtig[,] Sie [sic] gehn [sic] mit Ernst hinter ihr Tagwerk. Sie verstehn’s nicht schlecht, dass muss man gestehtn & können in dieser Hinsicht der jungen Damen-Welt nur bestens als praktischer Ratgeber empfohlen werden. Nicht lange währt, die Kartoffeln sind zum Rösten bereit. Nun kann’s los gehn [sic] bemerkte eine Stimme, nicht so viel Zwiebeln[,] schreit eine Andere, zu viel Salz[,] ergänzt die Dritte. Kommandieren können die Drei[,] s’ist ne wahre Freud[,] wird sich geäussert. Der Hans[,] der denkt[,] wer zuletzt lacht, lacht am besten. Es ist auch richtig so gekommen, den[n] eine Herdöpfel-Rösti[«] haben sie aufgetischt, eine feinere hätt man sich nicht wünschen können. Da haben die drei Mädels hübsch artig geschwiegen & mit Erlaubnis beim Verzehren derselben tatkräftig unterstützt. Nun folgt jene berühmte Suppe[,] bei der die Gemütlichkeit den Höhe-Punkt erreichte. Die Zubereitung derselben hat einem jeden ein Lächeln entlockt, unvergesslich bleibt jener Anblick, wie gefühlvoll unser Koch es verstand[,] seine Wurst im Kochtopf verschwinden zu lassen. Na Prost[,] diese Brühe[,] guten Appetit dazu[,] wird gerufen! Wer nun geglaubt[,] dass diese misslungen, der hattë[ sich geirrt. Fein ist sie gewesen & hat dem Koch alle Ehre gemacht[.] Schwarzer Kaffee & Kuchen bilden den Schluss unseres Mittagsmahl[s]; dass [sic] uns mords Spass [sic] bereitete.

Unserer [sic] Führer oder Beschützer[,] wie man sie nennen will[,] sollen sich dermassen am Essen gütlich getan haben, dass Sie [sic] sich genötigt sehn[,] sich mit Bock-Springen zu betätigen. Unserer Bummel-Tour gemäss beginnt nun ein so recht gemütliches Lagerleben. Welch herrlich, freies Gefühl beschleicht da den Wanderer hier oben. Weg von dem Hasten des täglichen Lebens, Ruhe & Frieden während Stunden geniessen zu können[,] das ist ja[,] was uns so mächtig hinaus zieht, hinaus in’s Freie, in Gottes schöne Natur. Wer seine richtige Freude daran empfindet[,] der muss auch gestehn; dass trotz den bitter bösen Zeiten[,] in der [sic] wir uns befinden[,] wir uns doch glückliche Menschen schätzen können; denn unser Heimatland unser einzig schönes Schwyzerlandli [sic] ist doch bis heute unversehrt geblieben. Dankbar gedenken dessen in erster Linie die, deren grösste Freude es ist[,] all ihre freien Stunden dazu zu benützen, um die reichen Schätze an Schönheit[,] deren unsere Heimat so viel besitzt[,] zu suchen und zu geniessen.

Diese schönen Ruhestunden entrin[n]en meistens nur allzu schnell & so ist es auch heute wieder der Fall.  5 Uhr ist’s & es soll Abmarsch erfolgen. «Euser Mutz»[,] der diesen Tag unserm Kreise geopfert, gedenkt von Hier nach der Hütte zu geh[e]n[,] um Dort [sic] von den grandiosen Belästigungen der Bremen [Bremsen, blutsaugende Insekten], die ihm so manch netten Kraftausdruck entlockt[,] sich zu erholen. Von unserm heutigen Idyll wird Abschied genommen, wo wir uns während nicht weniger den 7 Std[.] aufhielten. Heimwärts zieht die fröhliche Schar, wo wir glücklich & wohlbehalten um 8½ Uhr anlangten.

Berg frei

R. Braunschweig

Quelle: Staatsarchiv St.Gallen, W 285/2.06.1-2 (Naturfreunde St.Gallen, Tourenberichte 02.07.1916-12.04.1920, Text und Beitragsbild; zusätzliche Absätze der leichteren Lesbarkeit wegen eingefügt)