Hedwig Haller (1884-1963), aus deren Tagebuch das folgende Zitat stammt, wuchs am St.Galler Marktplatz auf. Dort betrieb ihr Vater eine Flaschnerei (Spenglerei). Die aus Württemberg stammende Familie war 1886 eingebürgert worden. Hedwig hatte den «Talhof» besucht und arbeitete als Telefonistin in der St.Galler Hauptpost. Im Juli hielt sie fest:
Die Folgen des Krieges machen sich immer mehr fühlbar. Eine furchtbare Krankheitsepidemie, die sog. Spanische Grippe, ist ausgebrochen & fordert unzählige Opfer. Die Krankheit ist sehr ansteckend & da mit hohen Fiebern verbunden, auch gefährlich. St.Gallen ist bis jetzt noch ziemlich gut dran. Im Bureau haben wir erst 2 Fälle gehabt, die sich wieder bald erholten. Dennoch sind alle Volksversammlungen, wie Theater, Kinos, Konzerte, Kirche, ja sogar die 1. August-Feier verboten. Da die Kaserne so viele Kranke hat, ist auch die Rekrutenschule bis auf Weiteres aufgehoben. Die Schüler bekamen Ferien. – Am Schlimmsten wütet es in der Westschweiz, sowie in Zürich & Bern, wo es über 20‘000 Kranke hat. Man musste den Postdienst & Eisenbahnverkehr einschränken & Telephongespräche, die mehr wie 3 Zentralen in Anspruch nehmen, werden auch verweigert. – Da die Bazillen hauptsächlich in den Schleimhäuten von Nase & Rachen hausen, so empfiehlt man viel Gurgeln mit Salbei Wermutthee & auch davon trinken zum desinfizieren von Hals, Magen & Gedärmen. –
Zitate aus Hedwig Hallers Tagebuch sind bereits erschienen am: 11. Februar 1917, 23. Februar 1917, 1. Oktober 1917 und 20. April 1918.
Der Psychiater Franz Beda Riklin, der vom August bis Oktober 1918 als Kommandant der Etappen-Sanitäts-Anstalt Solothurn amtierte und dort für hunderte von erkrankten Soldaten zuständig war, beschrieb seine eigenen Präventionsmassnahmen gegen die Grippe in einem Brief vom 25. Juli 1918 an seine Ehefrau in ähnlicher Weise: Zudem bin ich sehr vorsichtig, gurgle, schnupfe Flüssigkeiten, wasche die Hände, meide die Menschen u. die Menge – was will man mehr? Ich lebe auch absolut geregelt, überanstrenge mich gar nicht. Überdies glaube ich, nachdem ich die Sache in Lyon überstanden habe, nicht nochmals ausgesetzt zu sein.
Zu Riklin sind ebenfalls etliche Beiträge erschienen, u.a. über seine Zeit in Lyon am 7. und 13. Mai 1918 sowie am 8 Juni 1918.
Quellen: Privatbesitz (Tagebuch Haller, Transkription und Hinweis zur Autorin: Markus Kaiser) und Staatsarchiv St.Gallen, A 553/1.6 (Bildtafel aus: Langstein, Leo und Rott, Fritz: Atlas der Hygiene des Säuglings und Kleinkindes, 1918-1922) sowie W 106 (Nachlass Franz Beda Riklin)