Ehepaar Wenner

Mittwoch, 24. Juli 1918 – Familienfestvorbereitungen

Silvia Wenner (1886-1968), die Schwester von Fritz Wenner-Andreae (vgl. den Beitrag vom 1. Mai 1918), hatte offenbar ihre Neffen gehütet. Sie erhielt am 24. Juli einen Brief ihrer ältesten Schwester Lily:

Erhalten i[n] Fratte

24. Juli 1918. – Sils-Maria.

Meine liebe Silvia, – Für Deinen so lieben Brief vom 27. Juni danke ich Dir sehr herzlich u. habe mich ganz besonders gefreut[,] wieder einmal direct von Dir zu hören. Dass Du eine so schwere Zeit als Vice-Mama mit den drei Bübchen erlebt hast[,] war mir sehr leid. Ich habe lebhaft mit Dir fühlen können, aber um so schöner wird es jetzt sein[,] sie so frisch & vergnügen herum springen zu sehen. Nun ist ja Valentin auch schon 1 Jahr alt. Wie die Zeit vergeht! Ich habe am 12ten ds. an ihn gedacht, denn das war doch sein Geburtstag, nicht? – Bei uns geht es, Gottlob [sic], gut. Wir sind bis jetzt von der s.g.  [sogenannten] spanischen Influenza verschont geblieben, denn wenn es auch nichts schlimmes ist, so ist es auch keine Annehmlichkeit. – Wir haben vor einigen Tagen eine Bombenhitze gehabt, s. d. man sich nur noch im Haus hinter geschlossenen Läden verkriechen konnte. – Letzten Samstag kam Anna wieder einmal für 14 Tage. Bis jetzt geht es unberufen leidlich, aber leider wird ja die Ruhe auch nicht lange dauern. – Gestern haben wir den 75. Geburtstag von Herrn v. G. gefeiert. Wir waren mittags zu Tisch drüben, & während dem Essen haben die drei Kinder, statt dem Toast sehr hübsche Verse aufgesagt, die Frau Max gedichtet hatte. Zuerst stand Max auf & sprach von der Vergangenheit, dann fiel ihm Rudi in’s Wort & wies auf die Gegenwart & er wurde wiederum von Marguerite abgelöst, welche die Wünsche für die Zukunft & das «Hoch» auf den Grossvater ausbrachte. Es war sehr nett! – Nun sind wir alle sehr in der Ueberlegung, wie & was man an der goldenen Hochzeit machen wird. Sie ist am 22. Sept., aber bei den jetzigen Verhältnissen muss man mit allem möglichst früh anfangen, denn es ist doch recht schwierig. Wahrscheinlich werden alle Kinder & Enkeln hier sein können für den Tag, & das ist natürlich das schönste, aber gerade darum giebt [sic] es so viel zu überlegen & einzurichten. Ich bin schon so voller Geheimnisse von allen Seiten, dass ich gar nicht mehr weiss, über was ich sprechen darf, u. über was nicht, & immer in Gefahr bin[,] mich zu verplappern. – Weisst Du noch, wie am Abend vor der silbernen Hochzeit der Eltern wir im Schulzimmer die Kränze wanden, & Fritz so viel Unsinn schwatzte, dass wir alle ganz schwach wurden? Wie weit scheint einem doch schon diese Zeit! Wenn Du einmal Bilder von den Zimmern zu Hause auf dem Lande hättest, wäre es mir eine grosse Freude[,] wenn Du sie mir schicken könntest! – Und nun hoffe ich, dass diese Zeilen Euch Alle [sic] wohl antreffen mögen, & dass auch die Berichte von Tante Jeanne leidlich lauten. Wie traurig muss ihr Zustand sein, & wie schwer für Onkel Robert[,] dass er nun auch dieses langsame Aufhören mit erleben muss! – Bitte, grüsse die lb. Eltern ganz besonders herzlich von mir & sage auch Fritz & Maria viel Liebes. Ich habe mich gereut zu hören[,] dass es Maria’s Mutter auch besser geht. – Meine Umgebung lässt vielmals grüssen. Dich selbst aber, mein Liebes Kleinsele, umarmt in treuer Liebe

Deine

Lily Wenner [1877-1959, Elisabeth Jeanne, genannt Lily, älteste Tochter von Friedrich und Emma Wenner-Freitag].

Im Beitragsbild sind Friedrich (1845-1931) und Emma (1852-1942) Wenner-Freitag zu sehen, die – wie im Brief erwähnt – am 22. September 1918 ihre goldene Hochzeit feiern konnten. Die undatierte Aufnahme entstand in der Stadtwohnung des Paars in der Via Medina in Neapel.

Quelle: Staatsarchiv St.Gallen, W 054/127.4.2 (Korrespondenz an Silvia Wenner, 1917-1921) und W 054/123.5c (Beitragsbild)

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