Auch Adele Berner-Wenner schrieb ihrer Schwester Silvia (vgl. Beitrag zum 3. Dezember 1918). Die Themen sind ähnlich wie im letzten Brief, es geht um den offenbar unzuverlässigen Postverkehr zwischen Italien und der Schweiz in den letzten Kriegstagen, um die Grippe und um einen allgemeinen Austausch über das Wohlergehen der weit verstreuten Familienmitglieder. Die verwitwete, alleinerziehende Adele Berner-Wenner erwähnt auch ihren Sohn, Alex, zu dem in früheren Beiträgen einiges zu erfahren war (vgl. Artikel zum 9. Juni 1917, 22. August 1917, 11. September 1917, 6. Oktober 1917 und 27. November 1917):
«Les Magnolias», Montreux, 5. Dec. 1918
Meine liebe Silvia, zwei liebe Briefe habe ich von Dir bekommen, während ich jetzt im Bellevue war, für die ich Dir sehr danke. Bitte sage auch Mama[,] dass ich ihr viel, vielmals für ihre beiden Briefe danke. Wir waren diesmal manche Woche ohne Nachrichten von Euch gewesen, & war es darum eine doppelt grosse Freude, als all› die lb. Briefe anlangten. – Es tut mir so leid zu hören[,] dass Fritz sich so langsam von der Grippe erholt, & noch recht angegriffen sei; hoffentlich hat er guten Appetit & kann sich wieder recht auffüttern. – Es war mir gar nicht recht[,] dass ich nur so spät auf Eure Geburtstage geschrieben habe, ich fürchte[,] dass die Briefe auch noch recht lang unterwegs waren. – Nachdem diesen Herbst so manches anders gegangen war, als ich erwartet hatte, so hat sich dann doch noch alles so gut gefügt. Ich konnte am 19[.] Nov. doch noch einmal nach Bellevue fahren & war sogar noch 3 Tage mit Alex zusammen dort. Für Alex war es gewiss viel besser[,] dass ich über seine Ferien nicht da war, denn er giebt sich immer viel natürlicher[,] wenn ich nicht dabei bin, & so hat er sich viel mehr an Pauls [gemeint ist die Familie von Paul] angeschlossen, was mich vollständig mit meiner Grippe ausgesöhnt hat. Man sah ihm an[,] wie sehr er die Ferien genossen hat, es hat ihm so gut getan[,] nach mehr wie [sic] 1 Jahr wieder eine Zeit in einem Heim zu verbringen. Nachdem Alex weg war[,] blieb ich noch 1 Woche, bis zum letzten Samstag bei Pauls, & habe es noch furchtbar genossen. Es war diesesmal [sic] besonders gemütlich, weil Paul ein System herausgefunden hatte, wie man mit wenig Holz den calorifère anheizen konnte, um den salon [sic] ganz schön warm zu bekommen, & das Treppenhaus vollständig zu temperieren. Es ist aber auch dieses Jahr viel weniger kalt als das letzte, was ich ungemein geniesse, denn um diese Zeit hatte man schon 2 Monate wirklich gefroren. – Am Samstag kam ich hieher, & fuhr von Lausanne nach Vevey mit Frau Ella’s Mann zusammen, was mich sehr freute. Gaspard’s geht es gut, & er erträgt die grosse Arbeit, die alle Aerzte wegen dieser langen Epidemie haben, recht gut. Die Grippe hatte schon abgenommen, als man leider wieder mobilisieren musste, & da ist sie wieder stark aufgeflackert. Es sind jetzt hunderte von unseren Soldaten & Offizieren in Glion zur Erholung. Das Wetter ist prachtvoll & sonnig. Ich wollte eigentlich nur bis heute bleiben, aber da morgen Pauls kommen, & den Nachm. & die Nacht hier bleiben, da sie am Samstag weiter fahren, so habe ich gern noch 2 Tage zugegeben. Das Reisen ist jetzt recht schlimm. Ich werde um 7 Uhr den Tram nach Vevey & dort die Bahn nach Chexbres nehmen müssen, um den Zug von Lausanne zu treffen, & dann komme ich um 5 Uhr an; anders geht es nicht. Aber man will das gern ertragen, in der Hoffnung[,] dass bald wieder bessere Zeiten kommen, & unser Schweizerland auch wieder den inneren Frieden erlangen wird. – Wenn Du die Collecte für die Zambézias [?] machen wolltest, so wäre es mir sehr recht, & ich hoffe[,] Du könnest das notwendige aus den Büchern ersehen. Du wirst sehen[,] dass die Beiträge zu L. 6.- meistens in 2malen, im Frühling und Herbst eingezogen sind, da es den Leuten so lieber ist.
Ich werde Dich im nächsten Brief gern bitten[,] einige Weihnachtsgeschenke für mich auszuteilen, & bin Dir sehr dankbar für Deine Mühe. – Alex schreibt, dass man sie sehr streng arbeiten lasse, & dass man vom 26. bis 31. Dec. wahrscheinlich Schule halten werde, & so gehen wir wo[h]l nicht mehr nach Zuoz. Wie sehr werde ich wieder an Euch alle denken in den Weihnachtstagen, wie ein Traum kommt mir manchmal dieses ganze Jahr vor. Ich bin heute seit 11½ mit Lise allein zu Hause, das Gaspard’s bis zum Abend in Lausanne sind. Marcelle interessiert sich immer so für alles, dass man nie fertig ist mit erzählen & reden. – Ich habe mich Gottlob [sic] sehr gut erholt & fühle mich nun viel wohler als im Herbst. Grüsse Eltern & Geschwister & die Bübchen sehr herzlich & sei Du selbst von Herzen umarmt von Deiner Schwester Adele Berner.
Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, W 054/127.4.2 (Korrespondenz Silvia Wenner) und W 132/2-112 (Beitragsbild: Album Gebirgsschützenbataillon 8: Aktivdienst 1914-1918, Dorfplatz von Zuoz, 1915)