Praevention von Krankheiten

Sonntag, 13. Oktober 1918 – Nochmals Spanische Grippe

Hedwig Haller (1884-1963), aus deren Tagebuch das folgende Zitat stammt, wuchs am St.Galler Marktplatz auf. Dort betrieb ihr Vater eine Flaschnerei (Spenglerei). Die aus Württemberg stammende Familie war 1886 eingebürgert worden. Hedwig hatte den «Talhof» besucht und arbeitete als Telefonistin in der St.Galler Hauptpost.

13. Oktober 1918 Auch bei uns in St.Gallen sind alle Krankenhäuser überfüllt. Die untere Waid ist nun auch voll & die Sääle v. Schützengarten & Tivoli stehen in Bereitschaft. – In unserer nächsten Nähe, Goliathgasse 7, wurden an einem Tage 10 Personen weggeführt & ein davon ist schon gestorben. Bis zum 5. Okt. sind allein in unserem Kanton 21‘000 Fälle gemeldet worden & darunter 300 Todesfälle. –

Zitate aus Hedwig Hallers Tagebuch sind bereits erschienen am: 11. Februar 1917, 23. Februar 1917, 1. Oktober 1917, 20. April 1918, 1. Juli 1918, und 20. August 1918

Quellen: Privatbesitz (Tagebuch Haller, Transkription und Hinweis zur Autorin: Markus Kaiser) und Staatsarchiv St.Gallen, A 553/1.6 (Bildtafel aus: Langstein, Leo und Rott, Fritz: Atlas der Hygiene des Säuglings und Kleinkindes, 1918-1922)

Degersheim um 1911

Freitag, 27. September 1918 – Doppelter Gebrauch von Elektri-zität: Bügeleisen als Kochplatte?

An diesem Tag reichte Hans Früh aus Degersheim beim Schweizerischen Amt für Geistiges Eigentum ein Hauptpatent für einen Ständer für elektrisch geheizte Bügeleisen ein:

Gegenstand vorliegender Erfindung bildet ein Ständer für elektrisch geheizte Bügeleisen, welcher gestattet, die Wärme des geheizten Bügeleisens während dessen Nichtgebrauch nutzbringend zu verwerten. […] Der gezeichnete Ständer besteht aus dem Unterteil a und dem Oberteil d. Der Unterteil a, welcher aus Metall oder anderem feuerfestem Material hergestellt ist, dient zur Aufnahme des elektrisch geheizten Bügeleisens, und zwar so, dass die Bodenfläche des Bügeleisens gegen oben gerichtet ist, während die Handgriffseite nach unten gekehrt ist. Zu diesem Zwecke sind die beiden Seitenwände des Unterteils etwas unterhalb des obern [sic] Randes auf der Innenseite je mit einer nach innen gerichteten Tragrippe versehen, auf welche die Bügeleisenplatte d aufgeschoben werden kann. Etwas unterhalb der Höhenmitte des Unterteils a ist dieser durch einen Boden f abgeschlossen, so dass eine nach unten geschlossene Kammer b gebildet ist, welche die vom von den Rippen e getragenen, geheizten Bügeleisen abgegebene Wärme nicht nach unten strahlen lässt. Über den Tragrippen e, im Abstande, der der Bügeleisenstärke entspricht, befinden sich Tragrippen g, welche den als Wassergefäss ausgebildeten Ständeroberteil d tragen, der während der Benutzung des Bügeleisens mit Wasser gefüllt sein kann. Sobald das in den Ständer eingesetzte Bügeleisen durch den elektrischen Strom geheizt wird, wird die erzeugte Wärme den Boden des Wassergefässes bestreichen und den Gefässinhalt erhitzen. Auf diese Weise kann bei der Heizung des Bügeleisens die Wärme nicht nur zum Plätten, sondern zwischen dem Plätten oder auch sonst zur Erwärmung von Wasser oder andern Flüssigkeiten verwendet werden.

Patent Buegeleisen

Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, ZW 2 E/24d-080951 (Patentschrift) und W 238/09.05-21 (Beitragsbild, Ansichtskarte aus dem Verlag H. Biel, ca. 1911)

 

Buchungsjournal Kantonspolizei

Donnerstag, 29. August 1918 – Kartoffelschmuggel im Rheintal

Der Krieg kam den Kanton teuer zu stehen, obwohl er selbst nicht Kriegspartei war. In der Staatsrechnung und in den Buchungsjournalen der Dienststellen tauchen immer wieder unvorhergesehene Überschreitungen von Budgetposten auf. So findet sich auch in der sogenannten Anweisungskontrolle der Kantonspolizei für das Jahr 1918 Abrechnungen über nicht budgetierte Ausgaben. Verschiedene, damals noch Landjäger genannte Polizisten erhielten Sonderzulagen für Kontrollen an der Grenze im Rheintal. Dort hatte offenbar der Kartoffelschleichdiebstahl überhand genommen. 1197 Fr. kosteten diese Zahlungen den Kanton allein im Monat August. Am Wachtdienst beteiligt waren ein Korporal, vier Landjäger und vier Landjäger-Rekruten:

Sonderzulagen

Quelle: Staatsarchiv St.Gallen, KA R. 102 B 10, Bd. 1918 (Anweisungskontrolle, Text und Bilder)

Protokoll Lehrerverein

Donnerstag, 22. August 1918 – Lehrerbesoldungsfragen

Was im Protokoll zur Vorstandssitzung des Kantonalen Lehrervereins vom 10. August 1918 unter dem Titel «Situation betreffend Gehaltsgesetz» zu seitenweisen Einträgen geführt hatte (vgl. Beitragsbild), wurde im Tagblatt vom 22. August nur knapp berichtet:

Neuregelung der Lehrerbesoldungen.

Die grossrätliche Kommission beantragt dem Grossen Rate, die gesetzlichen Mindestgehalte der Lehrer folgendermassen festzusetzen: Für Primarlehrer mit endgültiger Anstellung an Halbjahrschulen 1600 Fr., an Jahrschulen 2200 Fr. bis 2600 Fr. Für Sekundarlehrer 3000 Fr. in den ersten zwei Dienstjahren, bis 3500 Fr. nach dem vierten Dienstjahr; dazu staatliche Dienstalterszulagen von 100 Fr. im 7. und 8. Dienstjahr, bis 600 Fr. im 17. Dienstjahr für Primar- und Sekundarlehrer. Die Beiträge des Staates an die Schulgemeinden sollen betragen für eine Primarlehrerkraft von 1 bis 4 Dienstjahren 250 Fr., von über 4 Dienstjahren 500 Fr., für jede vollbeschäftigte Sekundarlehrerkraft 500 Fr.

Der 15-zeilige Kurzartikel nahm in der Ausgabe des Tagblatts nur halb so viel Platz ein wie die Anzeige zum Konservenschrank aus asbesthaltigem Faserzement:

Konservenschrank aus Eternit

Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, Wy 018 (Archiv Kantonaler Lehrerverein, Protokoll Vorstand vom 10.08.1918) und  P 909 (St.Galler Tagblatt, 78. Jg., Nr. 196, 22.08.1918, Morgenblatt, S. 3 und S. 4)

Schälkur Bild

Mittwoch, 21. August 1918 – Sorgen einer Hausfrau

Das St.Galler Tagblatt publizierte an diesem Tag eine Zuschrift:

Stimmen aus dem Publikum.

(Ohne Verantwortung der Redaktion.)

Bessere Gaszuteilung.

Da gegenwärtig im Gemeinderat der Gaspreis verhandelt wird, wäre es meines Erachtens endlich einmal am Platze, ein anderes und gerechteres Zuteilungssystem einzuführen, z.B. per Kopf, wie bei den Lebensmitteln, dann würde es nicht vorkommen, dass Familien pro Monat nur 14-18 Kubikmeter zugeteilt erhalten, während sogenannte «bessere» Familien mit gleicher und noch kleinerer Kopfzahl 35-45 Kubikmeter bekommen. Eine dreiköpfige Familie braucht bei äusserster Sparsamkeit 25 Kubikmeter. Einsenderin dieser Zeilen möchte deshalb die zuständigen Behörden dringend bitten, dieser Angelegenheit, die eine ungleiche Verteilung und Härte in sich birgt, in angedeutetem Sinne näher zu treten.

Frau R.

Auf derselben Seite der Zeitung findet sich auch ein Kurzbericht aus dem Protokoll der Regierung, die sich ebenfalls mit Verteilungsfragen befasst hatte:

Kriegswirtschaftliche Massnahmen. In Ausführung eines Bundesratsbeschlusses vom 9. August betreffend den An- und Verkauf und die Abgabe von getragenen alten Schuhen, Kleidern und Wäschestücken und auf Grund einer Vorlage des Polizei- und Militärdepartements erlässt der Regierungsrat ein Kreisschreiben an die Gemeinderäte mit den erforderlichen weitern Anweisungen.

Salzpreis. Dem Grossen Rat wird im Hinblick auf die neuerdings eingetretene ganz erhebliche Steigerung der Gestehungskosten des Staates für die Erwerbung des nötigen Salzes die Revision und Aufhebung des Gesetzes vom 7. Januar 1918 betreffend den Salzpreis in dem Sinne beantragt, dass dem Regierungsrat die Ermächtigung, die Festsetzung des Preises sowohl für das Kochsalz wie für die andern Salzsorten unter Berücksichtigung der jeweiligen sachlichen, volkswirtschaftlichen und sozialen Gesichtspunkte vorzunehmen, übertragen werden soll.

Ob Frau R. angesichts ihrer hausfraulichen Sorgen für folgende Anzeige in der gleichen Ausgabe des Tagblatts empfänglich war, ist nicht zu erfahren:

Schälkur Anzeige

Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, P 909 (St.Galler Tagblatt, 78. Jg., Nr. 195, 21.08.1918, S. 4 und S. 6, Anzeige)

Dienstag, 20. August 1918 – Gewissensbisse eines Deserteurs

Hedwig Haller (1884-1963), aus deren Tagebuch das folgende Zitat stammt, wuchs am St.Galler Marktplatz auf. Dort betrieb ihr Vater eine Flaschnerei (Spenglerei). Die aus Württemberg stammende Familie war 1886 eingebürgert worden. Hedwig hatte den «Talhof» besucht und arbeitete als Telefonistin in der St.Galler Hauptpost.

20. August 1918 Nun ist er gekommen, der Freudentag, der uns endlich einmal unsern Louis brachte für einige Wochen Urlaub in die Schweiz. Aber allzu rasch kam der Tag, da er wieder einrücken sollte. Wo er hinkommt, da heissts: „Sie werden doch nicht so dumm sein & wieder gehn.“ Selbst seine Kameraden im Felde haben gesagt: „Wenn Du wieder kommst, dann sollte man Dich prügeln.“ – Louis kämpfte böse Stunden durch zwischen Pflicht & Vernunft & schliesslich siegte das Letztere, indem er sich entschloss zu bleiben & alles Unangenehme eines Deserteurs auf sich zu nehmen ! – Er meint, seinem Vaterlande später mehr nützen zu können, als wenn er wieder gehe & sich ev. schon von der ersten Kugel verstümmeln oder töten lasse.

Zitate aus Hedwig Hallers Tagebuch sind bereits erschienen am: 11. Februar 1917, 23. Februar 1917, 1. Oktober 1917, 20. April 1918 und 1. Juli 1918

Quelle: Privatbesitz (Tagebuch Haller, Transkription und Hinweis zur Autorin: Markus Kaiser)

Johann Coaz

Sonntag, 18. August 1918 – Promi-nentes Grippeopfer

Am 18. August verstarb hochbetagt der Forstingenieur und Alpinist Johann Wilhelm Fortunat Coaz-Lütscher (31.05.1822-18.08.1918). Coaz hatte als kantonaler Oberforstinspektor eine Zeit lang in St.Gallen gelebt und sich u.a. im Stadtturnverein engagiert. Im Archiv des SAC St.Gallen findet sich in der sog. «Ahnengalerie» eine Porträtfoto von ihm (vgl. Beitragsbild).

Todesanzeige Coaz

Am 21. August veröffentlichte das Tagblatt einen ausführlichen Nachruf auf Coaz:

Zum Andenken an Dr. h.c. Johann Coaz.

Im Patriarchenalter von über 96 Jahren ist Dr. h.c. Joh. Coaz, der hochverdiente Förderer der schweizerischen, der Forstwirtschaft überhaupt, von dieser Erde geschieden.

Johann Coaz war Bürger von Scanfs [S-chanf] im Engadin. 1843 schloss er al 21jähriger sesine forstlich-akademischen Studien in Deutschland ab und kehrte dann in seine Heimat zurück. Dazumal arbeiteten Ingieure des eidgenössischen topographischen Bureaus auch in den Bündnerberger an der Triangulation und topographischen Aufnahme des Kantons Graubünden. An der Spitze des Bureaus, das sich heute zur Abteilung Landestopopgraphie des schweizerischen Militärdepartements entwickelt hat und 100 Beamte zählt, stand Generalquartiermeister Oberst Dufour, der spätere General unserer Armee. Coaz wurde mit den Ingenieuren bekannt, und 1844 trat er in das topographische Bureau ein und erwarb sich schon in jungen ahren nicht geringe Verdienste am Zustandekommen des grossen topographischen Atlasses der Schweiz. Vo nihm stammen die Blätter Bernina, Davos, Tarasp, St.Moritz, Scaletta, Bevers [Bever], Chamuera und Scanfs [S-chanf] der Dufourkarte. Seine Tätigkeit brachte ihn mit dem Alpinismus aufs engste zusammen, und seit jener Zeit stand Coaz bis zu seinem Tode als einer der ersten Führer an der Spitze des schweizerischen Alpinismus, er, der Bezwinger der Bernina und damit der Mann, der sein Engadin in Konkurrenz mit dem Wallis und Berner Oberland treten liess. Sein Name wird in der Geschichte der Erschliessung unserer alpen einen bleibenden ehrenvollen Platz behalten.

Nach der Beendigung der topographischen Arbeiten wurde Coaz Forstinspektor des Kantons Graubünden; dieses Amt versah er von 1851-1874. Dann trag er in den Dienst des Kantons St.Gallen und bekleidete hier den Posten des Oberförsters; er lebte sich in St.Gallen gut ein, und immer wieder ist er gerne in unsere Stadt zurückgekehrt, wo er einen grossen Bekanntenkreis hatte.

Der Bundesrat berief den vortrefflichen Forstmann bald nach Bern und übertrug diesem das eidgenössische Oberforstinspektorat; diese Stelle versah er bis zum Jahre 1914, in welchem Jahre er nach ausserordentlichen Arbeitsleistungen im Dienste des Vaterlandes in den Ruhestand trat. Er zog sich nach Chur zurück und hat dort seinen Lebensabend verbracht. Welche Wegstrecke liegt zwischen seinem ersten Wirken in Amt und Würde und der Heimkehr aus der Bundesstadt in die rätische Hauptstadt! Welche Summe von Arbeit und wieviele glänzende Erfolge aus der Tatkraft des willensstarken Mannes, der nicht nachgibt, wenn er etwas als gut erkannt hat!

Coaz ordnete das schweizerische Forstwesen, schuf dem Bund die Oberaufsicht über die Forstpolizei; aus dieser heraus wurden besonders dem Alpengebiet die segensreichen Hilfeleistungen des Staates an Lawinen- und Wildbachverbauungen, Korrektionen, Bannwalderrichtungen, Alpverbesserungen usw. In all diesen Werken leben sein Geist und sein Weitblick, lebt der Name Coaz weiter. Neben der amtlichen Tätigkeit fand er immer noch Zeit, sich der Fach- und der alpinen Literatur zu widmen. Er war der Herausgeber des Schweizerischen Baumalbums, von dem bisheute bereits vier Bände erschienen sind; in den Jahrbüchern des S.A.C. finden wir zahlreiche Abhandlungen aus seiner Feder. Der lebhaft geschriebene und empfindende Rückblick «Aus dem Leben eines schweizerischen Topographen von 1844-1851» dürfe wohl die letzte grössere Arbeit des nunmehr Verstorbenen sein. Sie ist enthalten im 52. Jahrgang des S.A.C.-Jahrbuches. Aus ihr werden wir unseren Lesern demnächst einige Reminiszenzen zur Kenntnis bringen.

Hier mag auch noch erwähnt werden,, dass Coaz, ein grosser Freund unseres Wildparkes, die Initiative für die Wiedereinbürgerung des Steinwildes in unseren Alpen ergriffen hat. Er beförderte durch Beibringung von Bundessubventionen die Aussetzung von Tieren aus dem Wildpark St.Gallen ins Gebiet der Grauen Hörner und in das des Piz d’Aela ob Bergün. Hundert Jahre alt wollte Coaz werden: bis in die letzten Tage seines Lebens war er aussergewöhnlich rüstig; seine 96. Jahre waren ihm noch nicht zur Last geworden. Berg und Wald hatten ihm eine eiserne Gesundheit geschenkt und seinen Geist hell und klar gemacht, gleich dem Hohlicht über den Gräten der Bündnerberge. Plötzlich aber hat ihn der Tod leise berührt und hinübergenommen in das stille Land der Abgeschiedenen. St.

Vgl. auch den Beitrag im Historischen Lexikon der Schweiz: http://www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D28802.php

Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, P 909 (St.Galler Tagblatt, 78. Jg., N.r 195, Morgenblatt, 21.08.1918, S. 4, Todesanzeige und Abendblatt, 21.08.1918, S. 1, Nachruf) sowie W 312/11.1-01.93 (SAC St.Gallen, Ahnen-Galerie, Auszug aus Porträt von Johann Coaz)

Max von Orelli

Dienstag, 13. August 1918 – Ent-lassung aus dem italienischen Staatsgefängnis

Aus Neapel schrieb Fritz Wenner-Andrea an seine Ehefrau:

Liebe Maria,

Danke für Deine l. Zeilen, denen ich mit Freuden entnehme, dass es Euch im allgemeinen besser geht. Hier erleben wir einen Festtag. Orelli ist gestern abend in perfetto orario [?] und wohl und zufrieden angelangt. –

Ich gleibe heute u. morgen noch hier. Bitte sage es dem Gennaro [Angestellter], dass er mich erst morgen abholen soll. –

Heute abend essen wir bei Orellis. –

Ich habe sehr viel zu tun und schliesse mit tausend Grüssen an Alle

Dein Fritz

Hintergrund dieser Zeilen war die Freilassung von Max von Orelli (1874-1947) aus dem italienischen Staatsgefängnis. Er war Geschäftsführer der deutschstämmigen Firma Aselmeyer & Co. in Neapel in Neapel gewesen. Diese hatte im März 1916 mit den Textilfirmen der St.Galler Familien Schlaepfer, Wenner & Co. zu einer neuen Firma Corisal (Cotonifici riuniti di Salerno) fusioniert. Trotz Befolgung der hohen Auflagen der italienischen Behörden eröffneten letztere ein Untersuchungsverfahren gegen Orelli als Delegierten des Verwaltungsrates der Corisal und verhafteten ihn am 8. Mai 1918 auf offener Strasse vor der schweizerischen Gesandtschaft in Rom. Ein Militärrichter sprach ihn schliesslich wegen mangelnden Straftatbestandes («per inesistenza di reato») von der Anklage auf Hochverrat, worauf die Todesstrafe durch Erschiessen gestanden hätte, frei. In einem Privatdruck schilderte Orelli ein paar Jahre später seine Erlebnisse als privilegierter Häftling, aus denen hier auszugsweise zitiert wird:

In dem am Tiber, unterhalb des Giannicolo gelegenen Gefängnisses «Regina Coeli» angelangt, musste ich mich zuerst bis aufs Hemd ausziehen und mir eine genaue Durchsuchung gefallen lassen, die feststellen sollte, ob ich nichts bei mir trage, womit ich mein Leben oder das meiner Wärter gefährden oder abkürzen könnte. Wenige Tage vorher hatte sich ein berühmter Gefangener erhängt. Deshalb war die Untersuchung vorübergehend besonders streng. Die Schnüre aus meinen Schuhen wurden herausgezogen, alles was einem Band oder Schnalle an meiner Bekleidung ähnlich sah, entfernt. Hosenträger, Uhr, Kette, Messer, Bleistift, Papier, Brieftasche, Kravatte, alles wurde mir abgenommen und in einem Paket versiegelt. Sodann wurde ich in ein enormes Fremdenbuch eingetragen, wo ich auch die Namen meiner sämtlichen Vorfahren (mögen sie es mir verzeihen) anzugeben hatte, dann endlich wurde ich von meinerm Wärte durch lange, hallende Korridore nach dem dritten Flügel des Gebäudes geführt, wo ich in einer kleinen Zelle für «Passanten» eingeschlossen wurde. Das GEräusch des hinter mich sich drehenden Schlüssels im Schlosse brachte es mir zum erstenmal zum richtigen Bewusstsein, wo ich mich befand. Trotz dieses wenig angenehmen Gefühls nahm ich mir aber fest vor, mich durch alle diese Nebenerscheinungen und bevorstehenden Unannehmlichkeiten nicht einschüchtern zu lassen.

Es war völlig Nacht geworden. Ich entkleidete mich halb und legte mich auf die Pritsche, wo ich sofort fest einschlief. Ich musste einige Stunden geschlafen haben, als ich plötzlich durch ein blendendes Licht aufgeschreckt wurde. Ich brauchte einige Sekunden, um mich zu orientieren und um einen Gefängnisoffizier zu erkennen, der mich mit drohendem Blick anfuhr, ob ich denn icht wisse, wo ich meine Schuhe hinzustellen habe. Auf meine Versicherung, ich sei mit den Gebräuchen des Hauses nicht vertraut, fragte er, ob es denn das erste Mal sei, dass ich mich hier befände; und auf meine Bejahung schüttelte er ungläubig den Kopf. Es stellte sich heraus, dass er ei seiner nächtlichen Runde über meine Schuhe gestolpert war, die ich aus alter Gewohnheit wenigstens an die Türe gestellt hatte.

Am nächsten Morgen wurde mir ein ständiges Gemach angewiesen im ersten Stock des dritten Flügels Nr. 301.

Gegen Entrichtung von 70 Centesimi per Tag hatte man den Vorzug gegenüber den Verurteilten, dass die Zelle morgens und abends von Sträflingen gereinigt wurde. Im übrigen unterschied sie sich von denjenigen der Verbrecher nur darin, dass noch ein Tisch und ein Stuhl, sowie ein Nachttopf statt des sonst üblichen Gefässes (Calabrese), welches alle Zellen schmückt, hineingestellt wurden. Der Raum ist ungefähr 5 m lang und 2 1/2 m breit. Hoch oben befand sich ein vergittertes Fenster, durch welches ich einen bescheidenen Blick nach dem Himmel richten konnte. Die Bettstelle ist ein an der Wand befestigtes, aufklappbares starkes Eisengeflecht. Dieses wurde samt dem übrigen Mobiliar zur Feier meines Einzuges mit einer starken Stichflamme abgefahren, um das in den Verstecken hausende Ungeziefer möglichst zu vertilgen. Das Bettzeug bestand aus einer dünnen Strohmatratze und Kissen, zwei Leintüchern und einer Wolldecke. Auch erhielt ich zwei Handtücher, die öfters gewechselt wurden. Alle der Verwaltung gehörenden Stoffe waren von mehr oder weniger breiten, kaffeebraunen Streifen durchzogen, genau wie die Anzüge der Sträflinge.

Meine Freunde hatten dafür gesorgt, dass mir das Essen aus einer nahe gelegenen Trattoria täglich geschickt wurde. Auch eine Vergünstigung, die den noch nicht Abgeurteilten auf eigene Kosten gewährt wird. Da es aber nur einmal im Tage gebracht werden darf, und an der Türe einer genauen Untersuchung unterzogen wird, war es, bis es zu mir gelangte, immer kalt, was aber in dieser Jahreszeit nicht viel auf sich hatte. Nach und nach konnte ich einige Anschaffungen machen. Vorerst Löffel und Gabel aus Holz, da der vom Staat gelieferte Holzlöffel, den ich mir bei meinem Austritt in dankbarer Erinnerung angeeignet habe, in seiner rohen Schnitzarbeit seinem Zweck wenig entsprach. Sodann liess ich mir Handtücher und Hemden kaufen, denn die mir von zu Hause geschickten Bekleidungsstücke kamen erst mit grosser Verspätung an. Zeitungen durften keine gelesen werden, mit Ausnahme unpolitischer, illustrierter Blätter. Dagegen stand eine grosse Bibliothek zur Verfügung, und es durften auch broschierte Bücher von auswärts bezogen werden, nachdem sie die Zensur passiert hatten. Dieser waren selbstverständlich auch alle ein- und ausgehenden Briefe unterworfen. Und es dauerte volle drei Wochen, bis ich die ersten Nachrichten von meiner Familie erhielt. Alle Auslagen wurden in einer Art zinslosem Sparheft abgerechnet, in welchem das mir beim Eintritt abgenommene Geld als Kapital eingetragen war. Man verfügte also über keine Barmittel, konnte aber im Hause kleine Anschaffungen, wie Kerzen für Beleuchtung, Zigarren, Streichhölzer, Seife, usw. machen. Bei dieser Gelegenheit lernte ich die Zitrone als äusserst nützliche Frucht kennen, nicht nur zur Bereitung von Limonaden, sondern auch für Zahnpflege und Desinfektion. Denn nichts für diesen Zweck dienendes durfte ohne ärztliche Erlaubnis in die Zelle eingeführt werden.

Eine starke Hautschürfung zog ich mir zu, als ich bei meinen täglichen Turnübungen mit einer Faust versehentlich etwas zu heftig gegen die Wand boxte.

Mein tägliches Leben floss natürlich sehr gleichförmig dahin. Trotzdem ich nicht, wie meine verurteilten Hausgenossen, deren damals etwa 3000 mit mir das Gefängnis teilten, zu einer bestimmten Stunde angekleidet sein musste, erhob ich mich doch regelmässig mit dem ersten Glockenschlag, der gegen 6 Uhr morgens ertönte.

Die sich alle paar Stunden wiederholenden, verschiedenen Glockensignale waren überhaupt das einzige, was in Ermangelung einer Uhr eine Zeiteinteilung erlaubte; mit Ausnahme von dem Kanonenschuss, der um 12 Uhr mittags von dem Giannicolo täglich ertönte.

Ich begann mein Tagewerk mit Lektüre und etwas Turnübungen. Gegen 9 Uhr wurde mjir in einem Glas ein schwarzer Kaffee gereicht, nach 12 Uhr erhielt ich das Essen, wovon ich einen Teil für den Abend beiseite stellte. Ein- bis zweimal am Tag erschien ein Wärter, mit einem eisernen Stab sämtliche Fenstergitter abklopfte, um sich aus dem Klang zu vergewissern, dass sie noch intakt seien. Ein- bis zweimal wöchentlich hatte ich den Besuch des Barbiers, eines wegen einer Messeraffäre Verurteilten. Er kam immer in Begleitung eines Wärters und erzählte mir, das Rasiermesser in der Hand, seine Erlebnisse mit viel Drastik; dabei oft vom Wärter zur Ruhe verwiesen. Morgens um 8 Uhr und abends um 6 Uhr erschien ein Wärter in Begleitung eines Sträflings, der den Auftrag hatte, mein Zimmer zu reinigen. Diese dazu auserlesenen Sträflinge waren meist ganz junge, wegen militärischer Vergehen Verurteilte, die sich beim Aufräumen mit besonderer Liebe auf die bereitgelegten Zigarrenstummel stürzten. Gerne hätte ich ihnen manchmal von meinem nicht verzehrten Essen zugesteckt, aber das war streng verboten. Ihre Tätigkeit beschränkte sich darauf, den Boden aufzuwischen, für Leerung der Gefässe besorgt zu sein, frisches Wasser zu holen und das Bett zu machen. Letztere Arbeit wünschte ich sehr bald selber zu übernehmen, da ich gemerkt hatte, dass nach diesen Reinigungsbesuchen nicht selten eine Jagd auf Ungeziefer notwendig war, worin ich nach und nach eine gewisse Fertigkeit erwarb. Ich liess denn auch mein Bett immer heruntergeklappt, damit es nicht in Berührung mit der Wand komme. Im allgemeinen muss ich aber sagen, dass Gebäude und Zelle im Hinblick auf die darin verpflegte Gesellschaft reinlich zu nennen waren.

[… Informationen über eine im Innenhof des Gefängnisses erstellte Munitionsfabrik, in der Sträflinge arbeiteten]

Abends ging ich immer um 9 Uhr zu Bett, wo ich regelmässig die Töne vieler Glocken von nah und fern hörte, weil dann endlich der Lärm in der Fabrik verstummt war.

Während meines ganzen Aufenthaltes erfreute ich mich eines ausgezeichneten Appetits und Schlafes. Nur ganz wenige Male erinnere ich mich, im Halbschlaf das Geräusch der Runde, die allnöchtlich die Zellen betritt, gehört zu haben.

Das Personal des Gefängnisses, insbesondere der Oberaufseher meiner Abteilung, der Wärter meiner Etage, der Aufseher im Hof waren durchaus freundlich und rücksichtsvoll, da ich mich vom ersten Augenblick an den Anordnungen fügte. Auch der Direktor des Gefängnisses besuchte mich einige Male kurz, um sich zu erkundigen, ob ich Wünsche vorzubringen habe, was ich aber jederzeit verneinte. Während der kurzen Zeit der Zellenreinigung konnte ich meistens mit dem Aufseher plaudern. Allerdings nur über ganz nichtssagende Dinge, denn die Leute hielten sich streng an ihre Vorschrift, die ihnen verbot, Mitteilungen irgendwelcher Art an die Gefangenen gelangen zu lassen. Da ich weder durch Zeitungen noch durch Briefe, noch durch das Personal irgend etwas über die Weltereignisse erfahren konnte, wird man begreifen, dass ich nach meiner Befreiung viele Dinge vernahm, die mich in das grösste Erstaunen versetzten; denn gerade in diesen Monaten hatten sich gewaltige Veränderungen auf den verschiedenen Kriegsschauplätzen vollzogen.

Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, W 054/128.1 (Korrespondenz Fritz und Maria Wenner-Andreae, 1918) und W 054/47.4 (Max von Orelli: Kriegserlebnisse 1918, Privatdruck, S. 19-26) sowie W 054/47.7.1 (Beitragsbild, Max von Orelli, ca.1930)

Ehepaar Wenner

Mittwoch, 24. Juli 1918 – Familienfestvorbereitungen

Silvia Wenner (1886-1968), die Schwester von Fritz Wenner-Andreae (vgl. den Beitrag vom 1. Mai 1918), hatte offenbar ihre Neffen gehütet. Sie erhielt am 24. Juli einen Brief ihrer ältesten Schwester Lily:

Erhalten i[n] Fratte

24. Juli 1918. – Sils-Maria.

Meine liebe Silvia, – Für Deinen so lieben Brief vom 27. Juni danke ich Dir sehr herzlich u. habe mich ganz besonders gefreut[,] wieder einmal direct von Dir zu hören. Dass Du eine so schwere Zeit als Vice-Mama mit den drei Bübchen erlebt hast[,] war mir sehr leid. Ich habe lebhaft mit Dir fühlen können, aber um so schöner wird es jetzt sein[,] sie so frisch & vergnügen herum springen zu sehen. Nun ist ja Valentin auch schon 1 Jahr alt. Wie die Zeit vergeht! Ich habe am 12ten ds. an ihn gedacht, denn das war doch sein Geburtstag, nicht? – Bei uns geht es, Gottlob [sic], gut. Wir sind bis jetzt von der s.g.  [sogenannten] spanischen Influenza verschont geblieben, denn wenn es auch nichts schlimmes ist, so ist es auch keine Annehmlichkeit. – Wir haben vor einigen Tagen eine Bombenhitze gehabt, s. d. man sich nur noch im Haus hinter geschlossenen Läden verkriechen konnte. – Letzten Samstag kam Anna wieder einmal für 14 Tage. Bis jetzt geht es unberufen leidlich, aber leider wird ja die Ruhe auch nicht lange dauern. – Gestern haben wir den 75. Geburtstag von Herrn v. G. gefeiert. Wir waren mittags zu Tisch drüben, & während dem Essen haben die drei Kinder, statt dem Toast sehr hübsche Verse aufgesagt, die Frau Max gedichtet hatte. Zuerst stand Max auf & sprach von der Vergangenheit, dann fiel ihm Rudi in’s Wort & wies auf die Gegenwart & er wurde wiederum von Marguerite abgelöst, welche die Wünsche für die Zukunft & das «Hoch» auf den Grossvater ausbrachte. Es war sehr nett! – Nun sind wir alle sehr in der Ueberlegung, wie & was man an der goldenen Hochzeit machen wird. Sie ist am 22. Sept., aber bei den jetzigen Verhältnissen muss man mit allem möglichst früh anfangen, denn es ist doch recht schwierig. Wahrscheinlich werden alle Kinder & Enkeln hier sein können für den Tag, & das ist natürlich das schönste, aber gerade darum giebt [sic] es so viel zu überlegen & einzurichten. Ich bin schon so voller Geheimnisse von allen Seiten, dass ich gar nicht mehr weiss, über was ich sprechen darf, u. über was nicht, & immer in Gefahr bin[,] mich zu verplappern. – Weisst Du noch, wie am Abend vor der silbernen Hochzeit der Eltern wir im Schulzimmer die Kränze wanden, & Fritz so viel Unsinn schwatzte, dass wir alle ganz schwach wurden? Wie weit scheint einem doch schon diese Zeit! Wenn Du einmal Bilder von den Zimmern zu Hause auf dem Lande hättest, wäre es mir eine grosse Freude[,] wenn Du sie mir schicken könntest! – Und nun hoffe ich, dass diese Zeilen Euch Alle [sic] wohl antreffen mögen, & dass auch die Berichte von Tante Jeanne leidlich lauten. Wie traurig muss ihr Zustand sein, & wie schwer für Onkel Robert[,] dass er nun auch dieses langsame Aufhören mit erleben muss! – Bitte, grüsse die lb. Eltern ganz besonders herzlich von mir & sage auch Fritz & Maria viel Liebes. Ich habe mich gereut zu hören[,] dass es Maria’s Mutter auch besser geht. – Meine Umgebung lässt vielmals grüssen. Dich selbst aber, mein Liebes Kleinsele, umarmt in treuer Liebe

Deine

Lily Wenner [1877-1959, Elisabeth Jeanne, genannt Lily, älteste Tochter von Friedrich und Emma Wenner-Freitag].

Im Beitragsbild sind Friedrich (1845-1931) und Emma (1852-1942) Wenner-Freitag zu sehen, die – wie im Brief erwähnt – am 22. September 1918 ihre goldene Hochzeit feiern konnten. Die undatierte Aufnahme entstand in der Stadtwohnung des Paars in der Via Medina in Neapel.

Quelle: Staatsarchiv St.Gallen, W 054/127.4.2 (Korrespondenz an Silvia Wenner, 1917-1921) und W 054/123.5c (Beitragsbild)

Mels mit Gonzen

Dienstag, 9. Juli 1918 – Besichtigung des Eisenbergwerks am Gonzen

Erich Cathomas, geboren 1901, später in leitender Stellung in der Textilbranche tätig, war von 1916 bis 1918 Schüler im Landerziehungsheim Hof Oberkirch in Kaltbrunn. Für die Monate Mai bis August 1918 war er verantwortlich für das Verfassen der Schulchronik. Darin notierte er:

9. VII. 18. Endlich nach langer Regenzeit konnte man es wagen, auf die Sommerreise zu gehen. Vorläufig wagten es die Sechser. Reiseplan war: Sargans, Gonzenbergwerk, Ragaz und Taminaschlucht. Von Sargans aus ging’s sanft hinauf gegen den Gonzen, fast immer durch den kühlen Wald, immer wieder mit einem freien Blick in’s Rheintal hinunter. Nach zwei Stunden erreichten wir den Nausberg, wo das Bergwerk ist, eine Alp unter dem Gonzen. Ich stellte mir natürlich eine grossartige Gebäudeanlage vor. Um so grösser war mein Erstaunen, als wir vor ein paar unscheinbaren Alphütten standen.

Unter Führung eines Vorarbeiters gingen wir zum Stollen. Vor diesem befand sich eine Luftpumpanlage zur Lüftung des 700 Meter langen Stollens und zum Betriebe der hydraulischen Bohrer. Vor dem Stollen lag ein Haufen roter Steine. Eisenerze, die ein grosses Gewicht hatten. Nun traten wir in den Stollen ein, der in Kalkstein eingesprengt ist. Eine angenehme, kühle Luft herrschte hier. Wir zogen wacker aus, immer Sorge tragend, den Kopf nicht an der Decke anzustossen, obschon wir wussten, dass es hoch genug war.

Plötzlich schlugen dumpfe Töne an unser Ohr, deutlich verspürten wir die Schallwellen, die so stark waren dass das Licht auslöschte. Sie sprengten «an Ort», etwa zehnmal, und uns wurde es ganz gruselig. Nach etwa 300 m verzweigten sich die Stollen. Der eine war ein sogen. Pulvergang, der im Zickzack hinauf zu den 300 m höheren alten Stollen führen wird. Wir gingen im Hauptstollen weiter, wo auf 350 m zum erstenmal 3% Eisenerz gefunden wurden. 30 m weiter wurden 60% gefunden, von hier aus werden alle 25 m Seitenstollen angelegt. Endlich erreichten wir den Vortrieb, wo das ausgesprengte Material noch am Boden lag. Brrrr – ein schreckliches GErassel begann, fast wie beim Zahnarzt, nur viel lauter und derber. Es war die Bohrmaschine, die die Sprenglöcher machte. In jeder Schicht wird zweimal gesprengt, die Schicht dauert 8 Stunden. Die Arbeitsleistung im Tag beträgt 3 m im Hauptstollen und 2 m im Nebenstollen. Wir gingen zurück zum Tageslicht und begegneten noch den Rollwagen, mittelst denen der ausgesprengte Schutt hinausbefördert wird. Bald standen wir wieder draussen. Unsere Haare waren ganz trocken von der Stollenluft. Wir schnappten wieder nach Luft, denn im hinteren Teil des Stollens hatte ein Pulverdampf gelegen wie Nebel.

Quelle: Staatsarchiv St.Gallen, W 127 (Landerziehungsheim Hof Oberkirch, Kaltbrunn, Hof-Zeitung: Aus der Schulchronik) und W 238/05.05-05 (Beitragsbild: Mels mit Gonzen, Ansichtskarte aus dem Verlag J. Bärtsch, Mels, ca. 1917)