Kneippanstalt Krähenmann, Risegg, Gemeinde Thal

Samstag, 8. September 1917 – Unglück im Steinbruch

Neuestes und Telegramme.

Unfall in den Steinbrüchen ob Buchen.

Staad, 8. Sept. * [sic] Gestern nachmittag ging eine Frau aus Rorschach mit ihrem sechsjährigen Knäblein Beeren suchen bei den Steinbrüchen ob Buchen. Eben hatten sie noch den Kleinen gemahnt, doch vorsichtig zu sein und schnell nachher fiel er über eine zirka zwölf Meter hohe Felswand. Wider Erwarten lebte das Kind noch, hatte aber einen Schenkelbruch, eine Wunde an der Stirne, und klagte über Schmerzen in der Brust. Herr Dr. Krähenmann, Risegg, legte dem Verunglückten einen Notverband an und zwei Männer trugen den Patienten auf einer Tragbahre ins Krankenhaus Heiden. – Ob sich nichts machen liesse zur Verminderung der Absturzgefahr in diesem Steinbruchgebiet?

Das Kurhaus Risegg präsentierte sich zur Zeit des Ersten Weltkriegs folgendermassen. Offenbar hatte man den auf dem Beitragsbild von ca. 1899 zu sehenden Laubenanbau in der Zwischenzeit durch ein festes Gebäude ersetzt :

Risegg, ca. 1910

Nächster Beitrag: 11. September 1917 (erscheint am 11. September 2017)

Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, P 913 (Rorschacher Zeitung, Nr. 209, 08.09.1917) sowie W 238/02.13-11 (Ausschnitt aus Ansichtskarte aus dem Verlag von U. Rhomberg, Fotograf, St.Fiden, ca. 1910) und W 238/02.13-08 (Beitragsbild, Ausschnitt aus Ansichtskarte des Verlags Gebrüder Weigmann, St.Gallen, C.B. 2027, ca. 1899)

Schiffahrt auf dem Rhein, Ausschnitt aus Briefkopf

Freitag, 7. September 1917 – Kriegssteuer und Korrespondenzschmuggel

Die Rorschacher Zeitung meldete unter anderem:

Kriegssteuer. Das st.gallische Mittelstandskomitee, das am letzten, stark besuchten kantonalen Mittelstandstag ins Leben gerufen wurde, richtet in Sachen der Finanzreform im Bund eine Kundgebung an die eidg. Räte. In dieser Kundgebung wird dagegen Stellung genommen, dass der Bundesrat im Jahre 1918 keine Kriegssteuer erheben wolle, während der st.gallische Mittelstandtstag die Wiederholung dieser Kriegssteuer als das beste und gerechteste Mittel betrachte, das finanzielle Gleichgewicht im Bundeshaushalte wieder herzustellen. Es sei angesichts der gewaltig anschwellenden Mobilisationsschuld nicht einzusehen, weshalb im Bezuge der Kriegssteuer nun ein Ruhejahr eintreten soll. Fortgesetzt stünden unsere Wehrmänner an der Grenze, opfern einen grossen Teil ihrer Zeit und ihres Verdienstes dem Vaterlande; da wäre es nicht zu verstehen, wenn die besitzenden Kreise des Landes in ihren Steuerleistungen zurückhalten würden. Der Verzicht der 50 Millionen Franken Einnahmen im Jahre 1918 durch den Bund müsste nach der Ansicht des [sic] Mittelstandskommission in weiten Volkskreisen Unzufriedenheit hervorrufen.

Schärfere Massnahmen gegen den Schmuggel. Die Heerespolizei bezw. der Departementschef Nord-Ostschweiz in Schaffhausen hat verfügt, dass künftig von dem aus dem Ausland in den Schweizerhäfen eintreffenden Schiffen ähnlich wie die Zivilreisenden auch die Schiffsmannschaften nur an Land gehen dürfen, wenn sie mit Pässen versehen sind. Damit unterläge das Dienstpersonal den gleichen Kontrollmassnahmen wie die Reisenden, was die Schiffsbediensteten wohl veranlassen wird, während des Aufenthaltes in den schweizerischen Häfen an Bord zu bleiben, wie es die schweizerische Schiffsmannschaft seit Kriegsausbruch in den Häfen auf deutschem Gebiete macht. Diese Neuordnung wird manchem begründeten oder unbegründeten Verdacht auf Brief- und Warenschmuggel durch die bayrischen und württembergischen Schiffsleute die Spitze brechen.

Nächster Beitrag: 8. September 1917 (erscheint am 8. September 2017)

Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, P 913 (Rorschacher Zeitung, Nr. 208, 07.09.1917) und ZMH 64/703 (Beitragsbild, Ausschnitt aus Briefkopf Nordostschweizerischer Verband für Schiffahrt Rhein-Bodensee, 1918)

Deutscher Gefechtsstand

Samstag, 11. August 1917 – Kriegs-tagebuch aus deutscher Sicht

Im Nachlass des St.Galler Historikers Hermann Wartmann (1835-1929) findet sich eine Reihe schmaler Hefte mit dem Titel Kriegschronik. Aus deutscher Perspektive wurde darin monatlich der Stand der Dinge festgehalten und kommentiert. Die Ausgabe der Kriegschronik für den August 1917 befasste sich unter anderem mit der auf den 1. August datierten päpstlichen Friedensnote An die Staatsoberhäupter der kriegführenden Völker. Abgedruckt sind in der Kriegschronik zudem Briefe deutscher Soldaten, eine Chronik über die täglichen Kriegsereignisse, Reden von Politikern, aber auch allgemein gehaltene Beiträge wie z.B. Drei Kriegsjahre in Zahlen oder Was versinkt mit einem Schiff?

Der Anfang des letztgenannten Beitrags lautet: Mit dem Begriff «Registertonnen» vermag der Laie nichts Rechtes anzufangen. Leichter verständlich klingt ihm schon die Nachricht, soundso viel tausend Tonnen Getreide oder Kohlen wären versenkt. Greifen wir aus der Fülle unserer täglichen U-Boots-Erfolge einige Beispiele heraus! Unter dem 6. Juli wurde der bewaffnete englische Dampfer «Saxon Monarch» mit 7000 Tonnen Weizen als versenkt gemeldet. Was bedeuten 7000 Tonnen Weizen? Mit 7000 Tonnen Weizen oder Roggen versorgt sich heute eine Stadt wie Frankfurt a.M., mit 425 000 Einwohnern, mindestens 10 Wochen lang mit Brot!

Ereignisgeschichtlich listete das Kriegstagebuch für die Tage vom 9. bis zum 11. August folgende Erfolge auf. Misserfolge wurden keine gemeldet:

9. August.

Westen: Starke englische Infanterieangriffe östlich und südöstlich Ypern zwischen Bahn Ypern-Roulers und Hollebeke gescheitert. – Die Engländer zwischen Strasse Monchy-Pelbes und Strasse Arras-Cambrai abgeschlagen.

Osten:  Südöstlich Czernowitz Eindringen in die Grenzstellung der Russen. – Zwischen Trotus- und Putnatal südlich Heerestrau rumänischen Höhenstellungen erstürmt. Zu beiden Seiten der Bahn Focsani-Ajudulnou der Übergang über die Susita von den Verbündeten erzwungen.

10. August.

Westen: Die Engländer beiderseits der Bahn Bösinghe-Langemarck abgewiesen. – Grabenstücke am Hochberg den Franzosen entrissen.

Osten: Der Russe am Slanic- und Ojtoztal ostwärts geworfen; Höhen am Mt. Cleja und Mgr. Casinului genommen. Schwere russische Blutopfer bei 7 Anstürmen gegen unsere Susitastellung.

11. August.

Westen: Ein englischer Angriffe bei Hollebeke und ein französischer bei Cerny abgewiesen.

Osten: Südlich des Trotosultales Höhenstellungen und Dorf Grozesci von verbündeten Truppen erkämpft.

England: Deutscher Flugzeugangriff auf Southend und Margate.

Nächster Beitrag: 14. August 1917 (erscheint am: 14. August 2017)

Quelle: Wy 135 (Nachlass Hartmann, Kriegschronik Monat August 1917, Texte und Bilder)

Maturaklasse Margaritha Gagg

Sonntag, 29. Juli 1917 – Angst vor den Frauen

Die Wochenendbeilage zur Rorschacher Zeitung vom 28. Juli 1917 enthielt zwei Beiträge über das Universitätsstudium in Deutschland:

Frauenstudium. In einer Studie in den «Historisch-politischen Blättern für das kath. Deutschland» über die Studentin stossen wir auf folgenden Satz: «Merkwürdig! Während draussen auf den unermesslichen Schlachtfeldern die Studenten seit drei Jahren Blut und Leben opfern, damit ihre Kommilitoninnen ungestört ihren Studien nachgehen können, organisieren diese den Kampf gegen das männliche Geschlecht und tragen damit einen tiefen Zwiespalt in unsere Hochschulen hinein». «Es spielt dabei wohl auch die Furcht mit, es könnte nach dem Krieg eine starke Reaktion gegen das Frauenstudium einsetzen.»

Diese Worte, wie die gesamte Studie beweisen, dass gegenwärtig in Deutschland und vermutlich auch in andern kriegführenden Staaten das Problem der Frauenarbeit und das Problem der gelehrten Frauenarbeit immer akuter wird. Nicht nur die industrielle Arbeit, sondern auch das Studium steht in der Kriegszeit unter immer stärker werdendem Einfluss der Frau. Wenn wieder normale Zustände zurückkehren, dann wird sich zweifellos eine Auseinandersetzung abspielen, die zu den merkwürdigsten und vielleicht auch traurigsten Blättern der Sozial- und Gesellschaftsgeschichte gehören. Und sicher wird ein starker Schlagschatten dieses Zwiespaltes auch auf die neutralen Länder übergreifen und wäre es auch nur in der Weise, dass die schweizerischen Universitäten von Studentinnen überflutet werden, die in ihrem eigenen Lande nicht mehr so leicht zukommen. – Der Weltkrieg schafft Probleme, von denen man im August 1914 noch nicht geträumt hätte.

Dreiteilung des akademischen Studienjahres. Eine Anzahl von Professoren der Universität  und der Technischen Hochschule in München haben an den Reichstag die Eingabe gemacht, womit sie für die Dreiteilung – Trimestrierung – des akademischen Studienjahres während der ersten beiden Friedensjahre eintreten. Sie erstreben daher, dass für diese Zeit in den gesetzlichen Bestimmungen über die staatlichen Prüfungen ein Trimester sinngemäss einem Semester gleichgestellt werde, um so den Kriegsteilnehmern den Zeitverlust, den sie im Dienst des Vaterlandes erlitten haben, durch Herabsetzung der Studienzeit auszugleichen. 

Die Schweiz gehörte zu den Vorreiterinnen des Frauenstudiums. Ab 1864 konnten an der Universität Zürich Frauen regulär studieren, erste Gasthörerinnen waren bereits seit den 1840er Jahren zugelassen. Es folgten die Universitäten Bern, Lausanne und Genf, später auch Basel. Die Furcht, es könnten nach Beendigung des Ersten Weltkriegs viele Studentinnen aus dem Ausland in der Schweiz ihre Ausbildung machen wollen, gründete in Erfahrungen, die man mit den frühen Studentinnen gemacht hatte. In den 1870er Jahren waren vor allem aus dem damaligen Russland viele, oft revolutionär eingestellte Frauen zum Studium in die Schweiz gekommen und hatten das «Image» der studierenden Frau nachhaltig geprägt.

Margaritha Gagg im Seitenprofil

Eine, die zwar erst 1918 Matura machte und 1923 ihren Doktortitel für eine Dissertation über Arbeiterinnenschutz erhielt, war Margaritha (Schwarz-)Gagg (1899-1989). Ihr Nachlass und das zugehörige Familienarchiv, aus dem auch die Bilder zu diesem Beitrag stammen, befinden sich im Staatsarchiv St.Gallen. Margaritha Gagg studierte an den Universitäten Bern, Genf und Freiburg im Breisgau Staatswissenschaften. Die spätere dreifache Mutter engagierte sich in der Sozialpolitik und setzte sich ab den 1930er Jahren für die Einführung einer Mutterschaftsversicherung ein.

Nächster Beitrag: 1. August 1917 (erscheint am 1. August 2017)

Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, P 913A (Text: Rorschacher Blätter zur Unterhaltung und Belehrung, Gratisbeilage zur Rorschacher Zeitung, Nr. 7, 1917, 28.07.1917) und W 291/17-11.07 und W 291/17-11.14 (Bilder: Gymnasialklasse Margaritha Gagg 1918, Foto: Max Hubacher; Margaritha Gagg im Seitenprofil, 21.10.1918)

Ansichtskarte von Waldkirch mit stehender Helvetia

Samstag, 28. Juli 1917 – Dreck im Bundeshaus

Die Wochenendbeilage zur Rorschacher Zeitung vom 28. Juli 1917 publizierte ein Gedicht, in dem sich der Verfasser (die Verfasserin?) negativ über die Verhältnisse im Bundeshaus ausliess:

s’best Fraueli.

’s best Fraueli uf de ganze Welt / Ist glich mi Muetter selig gsi; / Und ’s schönste Hüsli, das es git, / Mis Vaterhus am blaue Rhi. / Jo säb isch es!

Mi Muetter het no Schwiele gha / A ehrne arbeitsfrohe Händ, / Drum het au ’s Hüsli suber glänzt / I alle Winkle, alle Wänd; / Jo säb het’s!

Grad drum ist ’s best Fraueli / Mi liebi Muetter gsi; / Jetz putzid d’Wiber nur sich selbst / Und ’s Hus ist denn e Dreckeri; / Ja säb isch es!

Au ’s Müetterli Helvetia / Förbt numme [nicht mehr] all Tag d› Stube us, / und doch hett’s z› Bern im Stübli drin / Au Staub und Dreck – es ist e Grus! – Jo säb isch es!

M. von Schacheck.

In derselben Ausgabe publizierte man in der Rubrik «Lustige Ecke» auch folgenden Witz:

Gespräch im Bundeshaus. A.: Was tut nur Bundesrat Ador den ganzen Tag? B.: Er studiert die deutsche Literatur … A.: Nicht möglich! Was interessiert ihn denn daran? B.: Grimms Märchen und Hoffmanns Erzählungen.

Der Witz war eine Anspielung auf den Rücktritt des St.Galler Bundesrates Arthur Hoffmann (1857-1927), der über die sog. Grimm-Hoffmann-Affäre «gestolpert» war: vgl. dazu den Blog-Beitrag zum 19. Juni 1917.

Gustave Ador (1845-1928) war Hoffmanns Nachfolger als Aussenminister. Zu seiner Biographie vgl. den Eintrag im eHLS:  http://www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D3848.php

Nächster Beitrag: 29. Juli 1917 (erscheint am 29. Juli 2017)

Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, P 913A (Text: Rorschacher Blätter zur Unterhaltung und Belehrung, Gratisbeilage zur Rorschacher Zeitung, Nr. 7, 1917, 28.07.1917) und W 238/09.14-08 (Beitragsbild: Ansichtskarte aus dem Verlag von Josef Schönenberger, Wil, 1912)

Samstag, 30. Juni 1917 – Kokos-läufer, Kämme, Kleiderbürsten

Die Monatsbeilage zur Rorschacher Zeitung publizierte in ihrer Ausgabe vom 30. Juni 1917 einige praktische Hinweise zur Haushaltführung:

Kokosläufer gründlich zu reinigen. Die Läufer werden tüchtig auf beiden Seiten ausgeklopft, dann mit Wasser, am besten mit einer Giesskanne, besprengt, einen Tag liegen gelassen, dann mit in Sodawasser- und Seifenlösung getauchten Bürsten bearbeitet, zum Trocknen in freier Luft aufgehängt und dann wieder in Gebrauch genommen. Es ist gut, wenn die Reinigung jährlich zweimal, im Frühling und im Herbst, erfolgt. Die Läufer behalten dadurch ein gutes Aussehen und werden auch weniger abgenützt.

Die Kämme und Haarbürsten sollten allwöchentlich von Staub und Fett gereinigt werden, da das letztere auf die Hornfaser einwirkt und die Zähne deshalb leicht ausbrechen. Eine gründliche und schnelle Reinigung erzielt man, indem man die Kämme und Bürsten in leichtem, kaltem Salmiakwasser einweicht (ein Esslöffel voll auf einen Liter Wasser), dann mit einer alten Zahnbürste die Kämme ausbürstet, bis sie rein sind, dann spült man beide Gegenstände tüchtig mit kaltem Wasser, spritzt sie tüchtig aus und kann den Kamm sofort wieder in Gebrauch nehmen, während die Bürste auf die Borsten gelegt, in der Nähe des Ofens oder in der Sonne trocknen muss.

Schmutzige Kleiderbürsten verunreinigen den auszubürstenden Kleiderstoff mehr, als dass sie ihren Zweck erfüllen. Man säubert derartige Bürsten durch wiederholtes Abreiben mit Kartoffelmehl oder durch Waschen mit heisser Soda- oder Seifenlauge. Auch werden verbogene Borsten durch eine Wäsche wieder aufgerichtet.

Quelle: Staatsarchiv St.Gallen, P 913A (Rorschacher Blätter zur Unterhaltung und Belehrung, Gratisbeilage zur «Rorschacher Zeitung», 1917, Nr. 6, S. 48, Erscheinungsdatum: 30.06.1917)

Dienstag, 19. Juni 1917 – Ein Telegramm jagt das andere

Der St. Galler Bundesrat Arthur Hoffmann nahm 1917 eigenmächtige Sondierungen hinsichtlich eines Friedensschlusses zwischen Deutschland und Russland auf. Ein Telegramm, das er in bester Absicht nach St. Petersburg schickte, wurde indes öffentlich – und ihm zum Verhängnis. Die Angelegenheit weitete sich schnell zur Affäre aus und zwang ihn schliesslich zum Rücktritt.

Auch der Presse dienten Telegramme als wichtiges Kommunikationsmittel, wie hier im Tagblatt, wo auf der Redaktion fortlaufend (Privat-)Telegramme aus Bern eingingen:

Bern, 19. Juni. Herr Bundesrat Hoffmann hat am Tage der Vollendung seines 60. Lebensjahres sich, wie man zu allgemeinem, tiefem Schmerze vernehmen wird, veranlasst gesehen, seinen Rücktritt aus dem Bundesrat zu erklären. Es geschah wegen des Bekanntwerdens eines aus der herzlichen Bemühung um Förderung der Rückkehr zum Frieden unternommenen Schrittes, der von einer der kriegführenden Mächte als unfreundlicher Akt übel aufgenommen worden ist.

Bern, 19. Juni (-x- Privattelegr.) Niemand zweifelt daran, dass Herr Bundesrat Hoffmann sich bei seinem Vorgehen von der alleredelsten Absicht leiten liess und dabei unter keinem Einflusse, sondern aus freiem Entschlusse heraus handelte. Aber man begreift in Bern nicht, dass in dieser so eminent wichtigen Angelegenheit der Bundesrat nicht begrüsst und Nationalrat Grimm als Mittelsperson benützt wurde.

Im Laufe des Nachmittags hiess es, Herr Bundesrat Hoffmann habe dem Bundesrat seine Demission eingereicht. Die gestern Nacht ausgegebene Nachricht bestätigt sich nicht. Vielleicht bringt der heutige Tag eine Abklärung in der ernsten Krisis.

Bern, 19. Juni. (Privattelegr.) Der Bundesrat hat die heute morgen bei ihm eingereichte Demission des Herrn Bundesrates Dr. Hoffmann noch nicht angenommen. Der Bundesrat befindet gegenwärtig in Sitzung. [sic]

Annahme der Demission des Herrn Bundesrats Hoffmann.

-x- Bern, 19. Juni. (Priv.-Tel.) Der Bundesrat hat in seiner heutigen Sitzung nach längerer Beratung die Demission des Herrn Bundesrat Hoffmann angenommen. Das Schweizervolk wird mit grösstem Bedauern von der Tatsache des Rücktritts Kenntnis nehmen.

Die vollständige Frontseite des Tagblatts mit dem Zeitungsbericht in Frakturschrift:

Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, ZOF 002/02.04 (Fotografie Wilhelm II. und Bundesrat Hoffmann beim sogenannten «Kaisermanöver» von 1912 im Raum Kilchberg und Wil), P 909 (St.Galler Tagblatt)

Kuh Adela

Samstag, 16. Juni 1917 – Schönheit im Alter

Kuh Adela 776 Mels.

So lautete der Titel eines Artikels im St.Galler Bauer. Nach einer Einleitung folgt die Beschreibung der Milchkuh:

Das nebstehende [sic] Bild zeigt uns die höchstprämierte Kuh in unserm Kanton. Sie gehört Herrn Gemeinderat Schlegel in Mels und hat letzten Herbst 90 Punkte erhalten. Photographiert wurde sie drei Monate nach dem Kalben im Alter von bald 8 Jahren.

Von den richtigen Alpkühen weiss man, dass sie sich ihre Jugendlichkeit und Schönheit lang bewahren. Adela, die edelste unserer Grazien, ist sogar im Laufe der Jahre stets schöner geworden, hat erstmals 78, dann 79, 84 und schliesslich 90 Punkte erhalten. Ihre Leistungen sind sehr gute. Obschon es das Euter auf dem Bilde nicht verratet (die Kuh wurde mit leerem Euter photographiert), gab sie zur Zeit der Aufnahme noch 20 Liter Milch. Ihre Zuchtleistungen sind ebenfalls gute. Das beste Produkt ist ein zweijähriges Rind, das heute im Besitze von Herrn Altherr-Scherrer ist. Ausser diesem hat sie aber noch zwei gute Prämienkühe und ein[en] Belegscheinstier gezeugt. Der Abstammungsnachweis lässt uns keine der hervorragenden Blutlinien erkennen. In der grosselterlichen Generation müssen jedoch sehr gute Tiere gewesen sein, da wir dort die Punktzahlen 79½, 80 und 87 vorfinden. Also auch aus dieser Tatsache erhellt die Bedeutung der Qualität vorelterlicher Individuen.

Und nun die Formen, die Apparate, aus denen die Leistungen hervorgehen. Einige Bemerkungen sollen das Bild noch ergänzen. Vorerst die Farbe. Die schöne gleichmässige Farbe verratet das Rassentier. Vom Scheitel bis zur Sohle denselben blaugrauen, edeln Ton. Das reine Rehmaul, die weissen Innenseiten der Ohren und die hellen Hörner ergänzen den Eindruck der Rasse.

Aus dem Kopfe spricht Adel. Das breite Flotzmaul und die starken Ganaschen deuten an, dass ich die Braune auf der Weide zu wehren weiss. Die kurze, wohlgewölbte Nase und die breite Stirn weisen hin auf den kräftigen, breitgewachsenen Typ, den wir so gerne züchten. Die Formation des Schopfes und die Stellung der Hörner (kleine Zangenhörner) bestätigen den vorher erhaltenen Eindruck. Aus dem Auge spricht ruhige, selbstbewusste Kraft. Der Hals ist muskulös, wohlbewammt und fein befältelt. Er bekräftigt uns in der Auffassung, ein milchiges und doch starkes und nerviges Tier vor uns zu haben. Die Schulter könnte man vielleicht als etwas grob bezeichnen, doch beachte man den Laktationszustand. Die Brust ist sehr tief und herrlich gerippt; sie trotzt dem Tuberkelbazillus und ebensosehr den steilsten Halden. Die stolze, sichere Lende bewirkt die edle Linienführung des Körpers. Sie (die Linien) sind nicht gebrochen, sondern laufen oben und an den Seiten schön und stark bis ans Ende des Tieres. Auch Kreuzbein und Schwanzansatz fügen sich willig in diesen stolzen Zug. Die Kruppe ist sehr schön gebildet und die Hosen derart geformt, dass man ob solchem Gebilde nur staunen muss. Die weiss, wozu sie die Knochen hat. Die versteht sie zu dirigieren. Muskeln und Nerven ergänzen sich auf die beste Weise. Daher ist auch das Sprunggelenk schön, trocken und rassig geformt. Schienen und Klauen sind gut und durch mehrfache Alpung gehörtet. Die Braune steht daher auch im Senkel und marschiert wie unsere Bundeshengste.

Wer ob solchem Gewächs nicht Freude empfindet, wurde ohne Züchterader geboren. Sch.

Nächster Beitrag: 17. Juni 1917 (erscheint am 17. Juni 2017)

Quelle: Staatsarchiv St.Gallen, W 248 (St.Galler Bauer, IV. Jahrgang, Heft 24, 16.06.1917, Text und Bild)

Mitteilungen

31. Mai 1917 – Die „Sehnsucht nach dem baldigen Weltfrieden“

Zur Lage.

F.K. Hegte man bei Jahresbeginn noch Hoffnung auf die Möglichkeit der Anbahnung eines Friedensschlusses, so waltet heute eher das Gefühl vor, es könnte uns noch ein vierter Kriegswinter beschieden sein.

Seit Kriegsbeginn erzeugt der gewalttätige Druck des einen Gegners entsprechenden Gegendruck beim andern, wodurch die neutralen Völker immer stärker in Mitleidenschaft gezogen worden sind. Der verschärfte deutsche Unterseebootkrieg, der dadurch veranlasste Eintritt der Vereinigten Staaten in den Krieg auf Seite der Entente und die russische Revolution, sind die folgenschwersten Ereignisse dieser ersten Jahreshälfte.

Lebensmittelnot, Mangel an Rohmaterialien, ungenügende Kohlenzufuhr, Teuerung, mehr und mehr bedrückende Ausfuhrverbote, Transportschwierigkeiten, Verunmöglichung des Absatzes der industriellen Produkte kennzeichnen unsere heutige Lage. So frägt man sich, wie bei der zunehmenden wirtschaftlichen Einengung das noch werden soll?

Man hat seitens der kriegführenden Mächte des öftern Worte der Anerkennung und des Lobes gefunden für die korrekte neutrale Haltung der Schweiz und ihre oft bewiesene Liebestätigkeit für die Opfer des Weltkrieges. Auch die überwiegende Einigkeit und das Zusammenarbeiten unseres Volkes torzt verschiedener Wesensart der Landesteile sind als Vorbild für eine künftige Annäherung der verschiedenen Staaten Europas auf demokratischer Grundlage angeführt worden. Man ist noch weiter gegangen: unter Hinweis auf Arnold von Winkelried, der bei Sempach für die Freiheit der Schweiz ein[e] Gasse gemacht habe, hat man sich ausländischerseits auch ausgedrückt, wes werde unserm Land infolge seiner bisherigen philantropischen [sic] Wirksamkeit die Mission vorbehalten sein, in diesem völkermordenden Krieg dem Frieden eine Gasse zu machen.

Die Ereignisse der letzten Wochen haben leider manches an diesen Annahmen und guten Voraussetzungen erschüttert. Es hat sich gezeigt, dass Bemühungen um die Anbahnung eines Weltfriedens auch in einer Sackgasse enden könnten und ein Teil unserer Tagespresse, in schellfertigem Urteil, weiss nichts besseres [sic] zu tun, als ganze Volksteile aufzuhetzen und durch übertriebene Alarmberichte unser Ansehen in den Nachbarstaaten zu schädigen. Gegen solche Vorkommnisse sollte man bessere Vorbeugungs- und Abwehrmittel zur Hand haben. Wie kann man sonst verhüten, dass die gleichartige Stufe der ausländischen Alarmpresse die übertriebenen Anschuldigen als bestehende Tatsachen ihren Lesern vorsetzt und dazu schürt, dass die uns bedrückenden wirtschaftlichen Massnahmen immer noch enger gezogen werden[.] In erster Linie bekommen unsere Handels- und Industriekreise, dann der Gewerbestand die Folgen dieses, die Interessen unseres Landes schädigenden Gebaren zu spüren.

Mehr als je ist es nötig, unserseits durch Einheitlichkeit und Geschlossenheit der Reihen diesem Druck von aussen entgegenzuwirken. Der obersten Landesbehörde, die bis anhin in umsichtiger Weise ihr bestes im Interesse des Landes getan hat, darf man fernerhin volles Vertrauen entgegenbringen. Das politische Departement ist ja in guten Händen und die nunmehrige Angliederung der Handelsabteilung an das Volkswirtschaftsdepartement dürfte der Wichtigkeit der Sache eher noch förderlich sein.

Wollte man anschliessend die Lage der verschiedenen Zweige unsere einheimischen Textilindustrie unter den jetzigen Verhältnissen einer eingehenden Betrachtung unterziehen, so könnte man mit der Aufzählung aller der entgegenstehenden Schwierigkeiten ganze Spalten füllen, das Gute wäre dagegen mit wenigen Sätzen abgetan. Darum wenden wir uns zum Schluss lieber einer andern, doch erfreulicheren Seite unseres sonst gedrückten Daseins zu, den wunderbaren Offenbarungen der Natur, die uns seit Beginn des Monats Mai, nach dem langen harten Winter geradezu überschüttet mit der Fülle ihre schöpferischen Gestaltungskraft, die sich in der Fruchtbarkeit und Schönheit der Kulturen zeigt. Es ist, als ob Lehrmeisterin Natur uns absichtlich den harten, langen Winter als das Sinnbild des vernichtenden Krieges und im Gegensatz dazu die schöpferischen Jahreszeiten als Symbol der Segnungen des Friedens vor Augen führen wollte. Wenn die gewalttätigen Machthaber der Menschheit ihre Eingebungen nur etwas mehr aus dieser Schule schöpfen wollten!

Die Sehnsucht nach einem baldigen Weltfrieden ist allgemein, und dieser wird wie eine Erlösung wirken. Sollte aber nicht bald eine Einlenkung in den starren Prinzipien, Anschauungen und Zielen der sich bekämpfenden Gegner zum Durchbruch kommen, so steht uns noch der allerhärteste Kriegswinter bevor.

Die Initialen F. K. am Anfang des Artikels stehen vermutlich für Fritz Kaeser, Metropol, Zürich. Er war Chefredaktor und als solcher in Personalunion zuständig für redaktionelle Beiträge, Inserate und Expedition der Zeitschrift Mitteilungen über Textilindustrie.

Nächster Beitrag: 3. Juni 1917 (erscheint am: 3. Juni 2017)

Quelle: Staatsarchiv St.Gallen, Wy 124 (Mitteilungen über Textil-Industrie, 24. Jg., Nr. 11/12, Juni 1917; Text und Beitragsbild)

Soldat bei Rast

Pfingstsamstag, 26. Mai 1917 – Nochmals Soldatensprache

Gleich in mehreren Publikationen wurden 1917 Forschungen zur Soldatensprache veröffentlicht. Der Artikel in den Rorschacher Blättern vom Mai 1917 bestätigt zusammenfassend einiges, was in früheren Beiträgen des Blogs (vgl. die Beiträge vom 8., 9. und 27. Februar, sowie vom 2. März 1917) schon genannt wurde, gibt aber zum einen oder anderen Thema weitere Beispiele. Der Autor ist in der Quelle nicht angegeben:

Soldatensprache.

Hat schon die gewohnte Friedenszeit bei unseren Soldaten manche Erfindertalente inbezug [sic] auf neue sprachliche Ausdrücke zutage gefördert, so ist die lange Zeit der Mobilisation in dieser Beziehung noch weit produktiver gewesen. Die Soldaten führen eine kräftige Sprache; es sind nicht Ausdrücke für ein Mädchenpensionat, die hier ihren Ursprung haben; aber auch unter den derben Ausdrücken finden sich nicht wenige, denen man das Kompliment nicht versagen kann, dass sei gesundem, träfen Humor ihre Herkunft verdanken.

Schon die Begrüssung der Herren Offiziere bei der Mobilisation ist günstig: «Lueg, da chömet üseri Fuehrmanne [Fuhrmänner]»; «pass uf, der Vater pfurret deher», so wird der Hauptmann der Kompagnie begrüsst. Der «Rodel» oder das «Zivilstandsregister» wird verlesen, wenn die Mannschaftsregister kontrolliert werden. Sind viele neue, junge Offiziere da, dann heisst[‹]s: «Es send nebe wieder mengs neui Lehrbuebe do». Dann geht[‹]s an die Inspektion: «Uslege – Ordnung mache»; «s’Husrötli [Hausrat] usschtelle»; «de Husierchaschte [Hausierkasten] zwäg mache»; «de Raritätechaschte» oder «s’Chuchichästli [Küchenkästchen] uftue».

Zahlreich sind die Benennungen für die einzelnen Teile der Ausrüstung. Die Schuhe werden tituliert: «Gondeli» [kleine Gondel], «d’Ledischiff» [flaches Transportschiff für grosse Lasten], «d’Finke» [Hausschuhe] oder «Bundesfinke», auch «Weidling» oder «Pontons». Die Uniform heisst «‹Gwändli», «Kluft», «s’Kostüm» oder gar, wenn sie nicht mehr in den Salon hineinpasst, «de Saufetze». Für die Hose fällt etwa der Ausdruck «de Gasfänger» ab, wogegen dem Waffenrock eine Reihe Titulaturen zugedacht sind: «Bundestschoppe», «Chute» [Kutte], «Frack», «Gstältli». Die graue Ueberbluse, die anfangs der Mobilitationszeit eine kurze Existenz feierte, war nicht besonders beliebt: «Chochischoss» [Küchenschürze], «Staublompe», «Schnoderlompe» [Taschentuch], «Ströflighemp» [Sträflingshemd], «Konditertschoppe» [Konditorjacke] usw. Nicht wenige Bezeichnungen hat das Käppi gefunden: «Goggs», «Schlachthuet», «Kriegszilaster», «Fürwehrhuet», «Glüeofe» [Glühofen], «Verschlussgöfferli», «Oelhafe». Der Leibgurt oder Ceintüron ist der «Hungerbarometer», «Magebremse», «Schwimmgurt», «Hungerrieme». Neben den schon genannten Bezeichnungen für den Tornister finden sich: «Komode», «Schwitzchaschte», «Affechaschte», «Verdrusschaschte», «Pomadechischte», «Horöldrucke», «d’Schwiegermuetter», «d’Frau», «Bundeströckli». Wenn der Brotsack nichts mehr enthält, muss er sich «Verdrusspüntel» schimpfen lassen, sonst ist er allenfalls der «Magentröster».

Auch das Gewehr wird verschieden tituliert, je nach Stimmung: «Schüssbengel», «Klöpfschit», «Charst», «Sprötzgüggeli» oder einfach «Prügel», «Chlobe», «schwär Chog». Auch die anhänglichen Patronen heissen nach einem Marsch einfach «d’Chöge», «Bleizäpfe», «Bohne»; im Schiessstand erfreuen sie sich höherer Gunst: «Chügeli», «Magrönli», «Böhnli», «Bäbeli». Die Patronenschachtel wird bezeichnet als «Stompechischte», «Molichaschte», «Mistschachtle», «Komödli».

Das Seitengewehr oder Bajonett heisst unseres Wissens in der halben Welt «Chäsmesser» [Käsemesser], «Chrutmesser», «Zahnstocher», «Schwert» oder «Spiess». Weniger nobel kommt das Sackmesser weg: «Chlobe», «Hegel», «Spatzspiess» sind nicht die ehrenvollsten Bezeichnungen. In einzelnen Kompagnien, wo wegen des Fehlens des Taschenmessers einzelne Bestrafungen vorkamen, erhielt es einfach den Namen «Arrestgötti». – Als vereinzelten Ausdruck für die Wadenbinden soll das Wort «Kuraschibinde» vorkommen, weil ein Spassvogel in einer Kompagnie bei der Gewohnheit seines Offiziers, vor den Uebungen  die Wadenbinden anzuziehen, den Witz machte, er müsse «de Kuraschi zsammebinde» [von «Courage» für Mut]. – Zur Ausrüstung gehören auch die «Grabsteine», d.h. die Identitätstäfelchen. Nicht sehr appetitlich für die Feldflasche ist der Ausdruck «Schmierölchante».

Da die Lebensmittelversorgung beim Militär keine geringe Rolle spielt, so ist nicht zu verwundern, dass auch hier die Phantasie nicht übel ins Kraut geschossen ist. Der Morgenkaffee ist die «Bundesbrüh», «Abwäschwasser», «Seifewasser», «Grampolwasser». Kein Kompliment für die Küchenmannschaft ist es, wenn die Mannschaft nur noch den Ausdruck «Gülle» übrig hat. «Negerschweiss» ist eine Bezeichnung, die offenbar aus der Studentensprache zum Militär hinübergerutscht ist. Für Suppe ist der Ausdruck «Schnalle» ziemlich üblich und zwar in Kombinationen, zum Beispiel «Sauschnalle» oder «Dreckschnalle», sonst auch «Harzwasser», «Magenwasser». Zwieback heisst «Bundesziegel»; Brot: «Wegge», «Bundesgugelhopf», «Arbeitergugelhopf», [«]Magetrost», auch «Gemseier» soll bei den Gebirgstruppen vorkommen. Die Kartoffeln sind «Soldateneier», «Handlangerpflume»; die Makkaroni werden zu «Zementröhre» oder «Kanoneröhre» vergrössert; die Nudeln erhalten den Beinamen «Treubruchnudle». Der Spatz [Suppenfleisch] erhält, wenn er zu zähe ist, den Uebernahmen [sic] «Sohlleder», «Negergummi» «Kautschukbletz.» Ist er auch gar zu klein, so ist er «Photographiespatz» und noch kleiner, so sinkt er zur «Zahnplombe» herab.

Wenn auch der Tee sehr beliebt ist, so muss er sich doch die Titulatur «Abstinenten-Gülle» gefallen lassen oder «Temperenzler Wasser», auch «Magengift». Dem Schnaps ist man scharf auf den Leib gegangen; aber er fristet sein Dasein immer noch als «Sirup», «Heilsarmeewasser», «Heidelbeeriwasser», «Bundesträne», «Wichwasser» [Weihwasser], «Arrestante-Balsam», «Milch», «Augetrost».

Eine nicht geringe Rolle spielt auch der Taback [sic] und was drum und dran hängt. Alles Rauchbare wird kurzweg bezeichnet als «Back», «Chrut», «Nussbomblätter» [Nussbaumblätter], «Buchelaub» [Buchenlaub], «Knaster». Die Pfeife heisst «Lüller», «Heizofen», «Sudtopf», «Hirnitröchner» [Hirntrockner], «Nasewärmer», «Schmorhafe». Die Stumpen sind zu «Italiener-Havanna» avanciert. «Sargnägel» und «Friedhofspargle» für Brissago [Gemeinde im Kanton Tessin, in der zu dieser Zeit eine für die Schweiz bedeutende Tabakindustrie beheimatet war] sind auch im Zivilleben gebräuchlich. Rauchen bezeichnen die Soldaten als «näble» [nebeln], «dämpfe», «Flüge vertriebe» [Fliegen vertreiben], «peste» usw.

Auch die verschiedenen Körperteile sind der allgemeinen Freude an witzigen Bezeichnungen nicht entronnen. Die Nase ist das «Schmeckschit», «Gasmesser», «Rüebli» [Karotte], «Böggehöhli» [Höhle für Nasenpopel], und dementsprechend lauten auch die Bezeichnungen für das Taschentuch. Der Kopf ist der «Verstandchaschte», «Käppihogge», «Kürbse» [Kürbis], der Mund heisst «Brotklappe», [«]Suppeloch», «Fuetterspalt». Der allzeit aufnahmebereite Magen heisst «Heutrog», «Verdauigschratte», «Kottletfriedhof». Die Beine sind die «Stelzen», «Spazierhölzer», «Telephonstangen», «Rheumatismusstengel», die einem nach einem strengen Marsch beinahe «abfallen». Und wenn einer nach einem strengen Marsche wegen den Fussblattern sorgsam auftritt, wird er noch gefragt, ob er ein «Blatteremuseum» gegründet habe.

Nicht nur in einzelnen Ausdrücken, sondern auch in ganzen Redewendungen zeigt sich die schöpferische Sprachentätigkeit des Soldaten. Doch wechseln diese sehr stark von Truppenkörper zu Truppenkörper. Ziemlich allgemein ist der Ausdruck «sich dünn machen» für verschwinden. Viel verwendet wird auch die Wendung «i Sache», z.B. «Wie hämmers i Sache Urlaub». Doch können sich solche Bezeichnungen nicht länger halten, da sie zu stark an ihren Ursprung erinnern.

Quelle: Staatsarchiv St.Gallen, P 913A (Rorschacher Blätter zur Unterhaltung und Belehrung, Gratisbeilage zur «Rorschacher Zeitung», 1917, Nr. 5, S. 35, Erscheinungsdatum: 26.05.1917) und W 207 (Album «Aus den Kriegszeiten»; Beitragsbild: Soldat J. Schmuki bei einer Rast im Val Blenio, undatiert)