Socken für den Schützengraben

Mittwoch, 1. Mai 1918 – Socken für den Schützengraben

Soldaten in den Schützengräben litten oft an nassen Füssen, was zu Hautirritationen und Infektionen führen konnte. Die zum Wennerschen Firmenkomplex in Süditalien gehörenden Cotonifici Riuniti versuchten, mit ihren Produkten Abhilfe zu leisten.

Fritz Wenner war geschäftlich unterwegs und schrieb an seine Ehefrau auf dieser undatierten Ansichtskarte:

Liebe Maria

Wie ich vorausgesehen habe[,] wird die Sache hier noch einige Zeit länger dauern, als man ursprünglich glaubte, sodass ich vorläufig hier zurückgehalten bin. Was unsere Reise nach Mailand betrifft, so ist es[,] glaube ich[,] besser sie ohne weiteres um eine Woche zu verschieben. Das wird auch Dir besser passen, indem wir den fatalen 4. Mai in Fratte erledigen werden! – Ich würde Dir immerhin raten, wenn Du nach Mail. schreibst[,] das Datum unserer Reise nicht allzusehe zu präzisieren, denn nichts ist sicher auf dieser Welt! Ich hoffe Euch alle wohl und sende Euch Lieben allen meine herzlichsten Grüsse

Dein Fritz.

Seine Frau antwortete:

Fratte, den 1-5-18.

Mein lieber Fritz!

Vielen Dank für Deine l. Zeilen, die mir ja leider sagten[,] dass Du nicht kämest. So entschloss sich Silvia [Schwester von Fritz Wenner][,] wieder nach Neapel zurückzukehren. Sie hofft sehr[,] morgen reisen zu können[,] aber sie bittet keine banozzella [?] an die Bahn zu senden, da sie vielleicht noch im letzten Moment an reisen [am Reisen] verhindert werden könnte.

Hier geht es gut. Dimy [eigentlich Diethelm, Sohn von Fritz und Maria Wenner] ist auch wohler. De Nobili [Arzt] schrieb mir gestern u. verschrieb ihm Lacteol[.] Willst Du bitte noch eine Schachtel davon mitbringen? Ich lege die Ricetta v. D. N. bei. – Ich schrieb auch gleich einen Expressbrief nach Mailand u. teilte ihnen mit[,] uns erst nächste Woche zu erwarten.

Hoffentlich hast Du nicht zu viele tenature [?] u. kommen die Sachen bald ins Klappen.

Soll ich De Nobili für seinen Br. danken? oder [sic] erst abwarten[,] bis Dimy gesund sei, wie er prophezeite.

Eben brachte auch der Bauer die Spargeln u. Biscotto u danke ich Dir dafür auch für die anderen Biscotti[,] die Du sandtest.

Von Mailand habe ich gar keine Berichte mehr. Wahrscheinlich erwarteten sie uns täglich. Hoffentlich geht es der Mammina besser!!!

Wie leid tun mir die Berichte über Tante Jeanne. Bitte sage dem l. Mütterli[,] wie leid es mir tut.

Ich lasse das l. Mütterli herzl. von uns allen grüssen.

Dich küssen die Kinderlein u. Dein treues

Frauchen.

Weitere Beiträge zu Fritz und Maria Wenner-Andreae: 12. und 24. Januar 1916, 7. März 1917, 20. und 21. April 1917.

Quelle: Staatsarchiv St.Gallen, W 054/128.1 (Korrespondenz zwischen Maria und Fritz Wenner-Andreae, Karte und Brief vom 01.05.1918)

Hof Oberkirch

Mittwoch, 20. Februar 1917 – Wie schön ist doch die Schweiz

Hof Oberkirch: Das Alte Haus, Reproduktion nach einer farbigen Zeichnung von A. Blöchlinger

Brief eines Ehemaligen des Landerziehungsheims Hof Oberkirch, Kaltbrunn, an seine Ausbildungsstätte:

Wien, 20. Februar 1918

Die schönsten Erinnerungen an die Schweiz sind die an meine Reisen, die ich vom Hofe aus in dieses herrliche Land machte: zuerst die Herbstreise an den Bodensee und auf den Hohentwil [Hohentwiel], dann die Frühlingsreise mit Herrn Schlegel an den Genfersee und schliesslich die Bernerreise zur Landesausstellung. Wie schon ist doch die Schweiz immer und überall, am Bodensee ebenso wie am Genfersee! Ueberhaupt die Seen, die schönen Schweizerseen! Am liebsten ist mir immer der kleine Walensee gewesen.

Aber auch am Hofe war es schön. Lustig und fröhlich ging es immer dort zu. Freilich im anfang konnte ich nur mit Mühe den eigentümlichen Schweizer-Dialekt verstehen, aber das dauerte nicht lange, da verstand ich «Schwizerdütsch» ganz gut. Im Anfange hiess ich «der Oestricher», später nannte man mich mit meinen beiden Zimmerkameraden «die drei verrückten Karls». Auf der Terrasse führten wir damals noch wilde Fussballschlachten, wo uns allerdings infolge unseres Eifers bald 4 schöne Gummibälle in den Garten fielen, wo sie Herr Tobler [Direktor des Internats] konfiszierte. Hoffentlich bekomme ich sie wieder, wenn ich auf den Hof komme.

Gerne erinnere ich mich noch unserer Karnevalsunterhaltung, bei der ich aus Türlers Vorrat meine erste Zigarre, zu meinem Erstaunen ohne die prophezeiten fürchterlichen Folgen, rauchte.

Türler war übrigens auch unser Tischoberster und hatte u.a. auch die Pflicht, die süsse Speise auszuteilen, was aber nicht immer genau mit den anwesenden Personen ausging. Der Ueberschuss verfiel zumeist seiner unersättlichen Esslust, indem er meinte, er als Bauer müsse für drei schaffen und daher auch für drei essen.

Noch viele andere Sachen wüsste ich, aber ich will sie lieber für den Althöflertag nach dem Kriege aufheben, wenn wir armen Ausländer auch wieder in die Schweiz dürfen. Sie können mir glauben, dass ich diesen Tag sehnlichst herbeiwünsche.

Mit besten Grüssen Ihr

Karl Scheibe.

Karl Scheibe, Jahrgang 1899, war von 1913 bis 1914 im Hof Oberkirch. Er war zunächst Mitarbeiter und nach dem Tod seines Vaters Leiter der elterlichen Grossbuchbinderei in Wien.

Oskar Türler, Jahrgang 1898, war von 1912 bis 1915 Schüler im Landerziehungsheim. Nach Schulaustritt machte er eine Weiterbildung in einer landwirtschaftlichen Schule, war Knecht und Gehilfe in verschiedenen landwirtschaftlichen Betrieben, in denen Getreide- und Weinbau, Viehzucht und Milchwirtschaft betrieben wurde. Später lebte er zusammen mit seiner Familie als selbstständiger Bauer in Ebersol (Im Moos, Gemeinde Mogelsberg).

Quelle: Staatsarchiv St.Gallen W 127 (Landerziehungsheim Hof Oberkirch, Hof-Zeitung, Nr. 12, April 1918, Text und Beitragsbild; Nr. 40, Juni 1927, Hinweise zu Karl Scheibe und Karl Türler)

Maiskolben

Mittwoch, 16. Januar 1918 – Ehemaligenbrief: Friedenshoffnungen

Brief eines Ehemaligen des Landerziehungsheims Hof Oberkirch in Kaltbrunn an seine frühere Ausbildungsstätte:

Neuenburg, den 16.I.1918.

An den Hof denke ich hin und wieder, und jedesmal, wenn auf irgend eine Art und Weise auf ihn die Rede kommt und sogar ein Zeichen, wie die Hofzeitung mir zukommt, so treten all die Erinnerungen frisch auf, eine nach der andern, und dann verliert man sich wieder einmal für einige Augenblicke ins Land der Träume. Ich bedaure auch sehr, nicht an den Alt-Höflertag haben kommen zu können, aber mit den heutigen Verbindungen und Kosten ist’s so eine Sache, von einem Samstag abend auf einen Sonntag abend von Neuenburg nach Kaltbrunn zu reisen.

Bei mir wird wahrscheinlich dieses Jahr der Militärdienst kommen, wenn nicht mit dem Frieden das Militär vollständig abgeschafft wird, was nicht unmöglich wäre. Viele reden hier von einem Frieden im Februar oder im März, aber ich kann für den Augenblick noch nicht dran glauben, obwohl niemand nichts sehnlicher sich wünschen mag, al eine Freiden, dass man wieder warm haben und sich quasi satt essen kann. Von diesen Sachen klingen uns die Ohren immer hier. Es ist ein Wimmern und Seufzen in Pensionsmütterchens Gesicht. Manchmal ist’s schwierig, richtig mit den Leuten auszukommen jetzt. Manchmal rumoren die jugendlichen Mägen bedenklich, die Platten sind manchmal gar mager belegt; das Fleisch ist oft stärker als der Geist. Dann gibt’s nachher eine kleine Diskussion auf französisch und man schickt sich wieder drein, l’estomac tranquillisé. – Auf dem Bureau habe ich’s sehr streng, von 8-12 und 1½-6. Dann noch 8 Stunden besondere Fächer in der Woche! Dann bin ich müde am Abend um 10 Uhr und freue mich auf meine Kiste.

Felix Stockar.

Felix Stockar, Jahrgang 1899, war von 1912 bis 1915 Schüler im Hof Oberkirch. Nach Schulaustritt machte er eine Fachausbildung für Seidenfabrikation in Frankreich, Italien und Zürich. Ab ca. 1924 war er im Rohseideneinkauf tätig und wohnte in Schanghai in China.

Quelle: Staatsarchiv St.Gallen, W 127 (Landerziehungsheim Hof Oberkirch, Kaltbrunn, Hof-Zeitung, Nr. 12, April 1918, Text; Hof-Zeitung, Nr. 13, Juli 1918, Linoleumschnitt von Paul Tobler, Beitragsbild; Hof-Zeitung, Nr. 40, Juni 1927, Hinweis auf Felix Stockar)

Aerztemission

Donnerstag, 13. Dezember 1917 – Schweizer Aerztemission in Eng-land: Kiss the children

Vom 17. September bis zum 25. Oktober unternahm eine schweizerische militärärztliche Kommission für Austausch und Internierung der Kriegsgefangenen eine Reise nach England. Mitglied dieser Kommission war auch der Psychiater Franz Beda Riklin, der in früheren Blogbeiträgen unter anderem aus seiner Zeit als Militärarzt im Welschland berichtet hatte (vgl. Beitrag vom 17. August 1917).

In einer Broschüre, die 1918 erschien, schilderte Riklin seine Eindrücke, unter anderem von der Furcht vor Luftangriffen (Air-Raids). Auch die Lithographie für die Titelseite stammt von ihm (Ausschnitt daraus im Beitragsbild). Möglich ist, dass er, noch unter dem Eindruck der Reise, seine Erlebnisse in der Vorweihnachtszeit festhielt und an dieser Abbildung arbeitete. Bereits zuvor hatte er in verschiedenen Briefen an seine Frau über die Reise berichtet. Er schrieb in etwas holprigem Englisch, weil die Korrespondenz die Zensur passieren musste.

Grosvenor

Aus dem Grosvenor Hotel in London berichtete er am 10. Oktober 1917 nach Hause: My dear, Today we leave London, going back to Stafford. We will have quite hard work for some days and see about 1200 men again. Few and few the time approaches where we will be once more happily together. When you get this letter, we will already be travelling in France. Possibly Dr. Vischer [Leiter der Delegation?] is sending you a special enveloppe, but I don’t know if it reaches you before my return. Yesterday I visited Mrs Rider, Mr. McCormicks friend. She is a very nice and interesting American woman; I will see her the day we stop in London on our backway. She told me quite openly her opinion about the McCormicks. Don’t write mor[e] after getting this letter. I hope you to be still in good conditions. I have learned here a lot how to meet people. It gets cold, without heating, so in the evening I begin to get cold feet. I am in best health. Few and few I get enough about this sejour and will be very glad to work again at home, and very happy to continue the life with you together again. With best regards to mother and all people interested to us. Kiss the dear babys. Sincerely Yours Franz.

Zwei Tage später (12. Oktober 1917) notierte er in Stafford: My dear love, Since yesterday, we are once more here to work in the camp near here. A lot of work. I like the moore-country where we go everyday. The weather begins to get bad. Since I am here, I have a certain feeling of awakening, so I make the constatation that in London I was not quite «awaken», without feeling it. I hope to get of your news tomorrow or Sunday. We have to work here in every case until Thursday evening, and still two or three days in two other camps; so we will [be] back in London about at the end of the week, and stop in London for two days. So we will be travelling back, leaving London about the 15th; when we go to the front, it will take about another week, so that you will expect me about the 22th, I hope really not later. I am very anxious to get of your news the next days. Kiss the children. All my best wishes and  kindest regards. Yours truly Franz.

Erneut zwei Tage später war er immer noch in Stafford. Der Brief vom 14. Oktober ist der letzte überlieferte aus der Ehekorrespondenz zwischen Franz Beda Riklin und seiner Ehefrau aus dem Jahr 1917: My dear love, This morning I got your letter; it is very agreable every times [sic] to know that all is in order – except this vagabond which [sic] went in the Chalet at Laui-Alp [?]. It is rather peculiar that it happenes [sic] the first time after nine years. Don’t Forget to advertise the insurance compagny [sic]; Schlumpf at Alt-St. Johann is the Agent. Took this vagabonds the silver? Ugly people! Here all is well; I like so much this moor-country near here. – In ten days I hope to be at home; I will telegraph you when I arrive at Geneva; it is useless before; the telegramme would reach you to[o] late. Here we are well-nursed [?], about like children, exceedingly carefully. I got as cadeau «The first hundred thousand», which you shall write. I am rather inclined to write down some charactaristical [sic] impressions and thoughts; I tried such a sketsch [sic], and I think it is not too bad. The next place we stop is Derby, the last before returning. The weather is not unpleasant; autumn indeed, and the motordriving every morning and evening wonderful. Kiss the babys all together. Kindest regards. Yours Franz.

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Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, W 106 (Nachlass Franz Beda Riklin) und Riklin, Franz: Impressionen aus England, Zürich 1918 (Beitragsbild und erstes Zitat)

Briefauszug

Donnerstag, 29. November 1917 – Jungmännerkorrespondenz: Einsichten

Werner Kuhn, ein Schulfreund von Ernst Kind, schreibt in einem Brief:

Wallisellen, 29. Nov. 17.

Mein Lieber!

Unsere Korrespondenz, von der man sich allgemein so viel versprochen hatte, die ist denn bis jetzt doch ein wenig mager ausgefallen! Was treibst Du eigentlich? Die Rekrutenschule wird wohl bald zu Ende sein. Bist Du eigentlich immer im scharfen Arrest gewesen, dass Du mir nie mehr ein Wort geschrieben hast? Nun, das glaube ich nicht; aber vielleicht hast Du den ganzen Abend so eifrig an Deinem Gewehr gerieben, dass Du an nichts anderes mehr denken konntest. Wenn Du Dich jetzt dann nicht etwas besserst, so werde ich Dir auf Weihnachten eine mathematische Formelsammlung schenken. Das wäre ein Fest! Schulkorrespondenz schreibe [?] ich jetzt nicht mehr; auch habe ich noch niemanden, mit dem ich so kindlich dumm tun könnte, wie mit Dir. Kein Faustkampf mehr in der Schulbank; aber merkwürdigerweise ist es mir doch wohler als vor einem Vierteljahr, wo ich all das noch hatte. Nur muss ich versuchen, mir ein wenig mehr Sorgfalt anzugewöhnen. Die meisten Reaktionen gehen mir im ersten zweiten Mal Flöten [sic], weil ich mir nicht die Zeit nehme, einen Niederschlag, so und so manchmal auszuwaschen etc. So geht es eben. Durch Schaden wird man klug, aber dann ist man’s und bleibt man’s; für immer?

Herzl. Grüsse

Dein W. [Werner] Kuhn

Werner Kuhn-Laursen (1899-1963) studierte Chemie. Er war später Professor und Rektor an der Universität Basel, vgl. seine Kurzbiographie im Historischen Lexikon: http://www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D43525.php

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Quelle: Staatsarchiv St.Gallen, W 073/5 (Korrespondenz Ernst Kind)

Molitor

Dienstag, 20. November 1917 – Brief nach Deutsch-Südwest-afrika

Richard Molitor, Soldat in der deutschen Armee, schrieb noch eine dritte Karte an seinen Kollegen in St.Gallen, Joseph Fischer (vgl. Beiträge vom 23. Juli und vom 8. November 1917). Im Sommer hatte er die Zusendung von Schokolade gewünscht, und in der Mitteilung vom 8. November hatte er Joseph Fischer gebeten, einen Brief von ihm an einen Bekannten in Namibia weiterzuleiten:

Ohrdruf, 20. Nov. 1917

M. l. Jo. [Mein lieber Joseph]

Herzl. Dank für die rasche Antwort. Die wiederholte Adresse ist richtig. Brief geht in nächster Zeit ab. Er ist nicht gross. Möchte Dich aber doch um eine weitere Gefälligkeit bitten. Es wäre mir sehr lieb, wenn Du den Brief etwa 14 Tagen [sic] nach dessen Abgang in engl. Übersetzung nochmals an Albert abgehen lassen würdest. Einen davon dürfte er dann wohl erhalten. Für Deine grosse Freundlichkeit herzl. Dank. Ja, Dein l. Kärtchen vom Sept. betr. Choc. [Schokolade] habe ich s. Zt. richtig erhalten u. Dir auch bestätigt. Sollten meine Zeilen nicht angekommen sein, was ich befürchte, so sage ich [zweites «ich» gestrichen] Dir nochmals recht vielen Dank. Ich mache Dir doch grosse Mühe, gelt? Ich freue mich, dass es Dir immer recht gut geht. Ja, hoffentlich gibt’s nach dem Kriege ein Wiederluge [sic, schweizerdeutsch «Wiederluege» für «Wiedersehen»], der Friedensengel wird doch endlich einmal kommen. Empfange herzl. Grüsse von Deinem Freunde Richard.

Die Postkarte, auf dem die Mitteilung geschrieben wurde, enthielt auf der Vorderseite das Beitragsbild. Als Bildunterschrift steht Für «ihn»! Auf der Rückseite ist Näheres zur Serie zu erfahren: Wennerberg-Karte der Lustigen Blätter (Serie VII Nr. 7.) Grosse farbige Kunstblätter mit dem gleichen Bild auf Chromokarton (42:33 cm) 2 M. [2 Mark] Verlag der Lustigen Blätter (Dr. Eysler & Co.) G.m.b.H., Berlin SW 68.

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Quelle: Staatsarchiv St.Gallen, W 207, Album „Aus den Kriegszeiten“ (Karte an Joseph Otto Ferdinand Fischer (1892-1967) in St.Gallen)

Donnerstag, 8. November 1917 – Umständliche Kommunikation

Auf einer eng beschriebenen Karte berichtete Richard Molitor (vgl. Beitrag vom 23. Juli 1917) erneut an seinen Kollegen, Joseph Fischer, nach St.Gallen:

Ohrdruf, 8. Nov. 1917.

M. Lieber!

Meine Karte aus meinem ersten Urlaub wirst Du erhalten haben. In Neustadt [?] gibt es nichts besonders Neues. War auch mit Hubert zusammen. Machte u.a. einen Besuch in Urishof [?]. Von Albert hört man seit langem nichts mehr. Ich soll ihm mal durch Dich schreiben. Schicke Dir nun nächstens einen Brief für ihn. Sei bitte so freundlich u. sende ihn in neuem Umschlag mit Deinem Namen als Absender weiter. Die Adresse lautet: Albert Ketterer, Farm Omateva, District Gobabis, Südwestafrica. Jedoch warte ich mit dem Briefe, bis Du diese Karte bestätigt hast. Schreibe bitte bald! Im Voraus besten Dank. Ich hoffe, dass es Dir recht gut ergeht u. grüsse Dich herzl. Dein Freund Richard.

Als Absender ist angegeben: Abs. Gefr. R. Molitor, Nachr. Ers. Abt. 11 Etel Ers. Zug, Ohrdruf (Thür.)

Gobabis liegt im heutigen Namibia. Es gibt offenbar noch heute eine Omateva Hunting Farm, die von Deutschen betrieben wird, vgl. z.B. http://www.namibiana.de/namibia-information/pressemeldungen/artikel/freundlicher-elefant-nach-farmbesuchen-auf-nachhauseweg.html

Auch das Deutsche Bundesarchiv weist ein Dossier von ehemaligen Besitzern nach: https://www.deutsche-digitale-bibliothek.de/item/R7ARV44RM255MYGZG3VM5MQVYIHMRVFO

Die Karte war zugunsten der «Hindenburgabgabe» gedruckt worden, einer Spendenaktion, die in Deutschland während des Ersten Weltkriegs mehrfach durchgeführt wurde.

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Quelle: Staatsarchiv St.Gallen, W 207, Album „Aus den Kriegszeiten“ (Karte an Joseph Otto Ferdinand Fischer (1892-1967) in St.Gallen)

Samstag, 27. Oktober 1917 – Studentenleben: Türkische Wasserpfeifen, Latein und Griechisch

Walter Muschg-Zollikofer (1898-1965), später Professor für deutsche Sprache und Literatur an der Universität Basel, schrieb an seinen Schulkollegen Ernst Kind. Kind weilte in der Rekrutenschule, Muschg studierte an der Universität Zürich:

Zollikon, 27.X.17.

Mein Lieber!

Gerne will ich Dir in Beantwortung deines bestens verdankten Briefes einiges von meiner neuen, mehr oder weniger segensreichen Zeit schreiben. Und da ich aus Erfahrung weiss, dass für Soldaten, und speziell für Rekruten immer eine angenehme Abwechslung bedeutet, so habe ich, wie Du siehst, grosses Format gewählt und will sehen, ob ich die vier Folioseiten voll bringe.

Ich habe nach dem gegenwärtigen Stande meines Stundenplans 21 Stunden. Vielleicht ist das etwas viel im ersten Semester, aber einerseits sind dabei verschiedene, die nur als Luxusartikel betrachtet werden können, andrerseits aber ist ein solcher Betrieb «dort oben», dass es einem gar nicht wohl ist, wenn man zu Hause sitzt – besonders, wenn man nichts tut! Dass man daneben mit Vergnügen in allen Fakultäten gratis herum-«schindet», wirst Du auch bald konstatieren; immerhin: Mathematik habe ich bis jetzt in jedem ihrer vielerlei Gewändlein mit Verachtung gestraft.

Zunächst der Angelpunkt dieser wirren [?] Bewegung: Herr [Professor Albert] Bachmann [1863-1934]. Dass da mit blossem Riechen nichts zu machen ist, habe ich allerdings sofort gemerkt und mich sogar gezwungen gesehen, den ersten Band der dreibändigen «deutschen Grammatik» von Wilmans (12 Fr.- pfui Teufel) käuflich an mich zu bringen – hättest Du mir das je zugetraut? Aber es heisst eben: Vogel friss oder stirb – entweder mit Kopfsprung hinein oder dann lieber gar nichts! Immerhin: So schauderhaft, wie uns Spatz das Zeug ausgemalt hat, ists [sic] entschieden nicht und der Grund ist gegeben in meiner ersten diesbezüglichen Grunderkenntnis: Wir Literaten haben vor allen andern, auch den ältesten Semestern, einen ganz unabschätzbaren Vorsprung voraus mit unserem Latein und Griechisch. Die können fast alle gar nichts!

Bis jetzt habe ich für ca. 60 Franken Bücher gekauft: Direkt notwendige und indirekt notwendige.

Sodann [Professor] Adolf Frey [1855-1920]: Der Herr ist etwas senil, hat eine starke Dosis des bekannten Philologen-Grössenwahns und bildet sich überdies viel auf seine Dichterglorie ein. Aber es fällt ja immer etwas ab; wenn einer einmal etwa 10 Stunden auf Jean Paul herumreitet, kommt jeder bis zu einem gewissen Grad zu einem Urteil, wenn er auch nur ein Minimum des betreffenden Autoren gelesen hat. Da man zudem weitaus am meisten in den Seminarien lernt, beteilige ich mich in zweien, natürlich als stiller Teilhaber (höchstens Diskussion!) Frey behandelt das Goethe-Buch von Gundolf und Ermatinger den Grünen Heinrich (beide Fassungen), wobei sicher in beiden Fällen eine sehr respektable Stoffkenntnis resultiert.

Was übrigens die persönliche Vorstellerei betrifft, so war ich lange im Ungewissen; vorgestern aber hat mir Markus sehr geraten, das nicht zu tun, man mache sich nur lächerlich (In Deinem Fall wars [sic] natürlich etwas anderes!). Übrigens kann man ja beim Testieren noch einige Worte fallen lassen.

[Professor Emil] Ermatinger [1873-1953] sucht hauptsächlich durch äussere Erscheinung, unerträgliches Gesten- und Mi[e]nenspiel und sehr affektierte Aussprache Eindruck zu machen – aber eben, es ist für uns doch neu (nämlich der Stoff, nicht das andere!). In seinem «Deutschen Naturalismus» liest er gegenwärtig dessen Vorläufer: Ebner-Eschenbach, Wildenbruch und Konsorten.

Weiterhin gehe ich zu Eugen Müllers Schwiegervater, dem Landesmuseumsdirektor Jehrman [?], der «Höfisches Leben im Mittelalter» bringt und Projektionen versprochen hat. Zuerst aber will ich diese sehen, denn für das was er bis jetzt «bot», reuen mich entschieden 2 mal 6 Franken! Fast am meisten Freude, weil greifbaren Nutzen bringend, macht mir Donatis italienischer – kreuzfideler! – Anfängerkurs; sehr schön ist auch Zemp mit seinem zweistündigen Lichtbildervortrag über die Niederländer. Einen ebensolchen liest er über den italienischen Barock, den ich aber leider nicht besuchen kann.

Ad. Frey liest neben seinem vierstündigen Kolleg über die Romantiker unter anderm noch eines über «Aufgaben der Lit.-Geschichte»; wo es hinaus will, weiss ich noch nicht rechz. Es beruht durchaus auf Praxis; das letzte Mal beantwortete er zum Beispiel die Frage: «Wie hat man zu verfahren bei der wissenschaftlichen Gesamtausgabe der Werke z.B. eines Dichters?» Man kann sichs [sic] ja immerhin gefallen lassen.

Im übrigen ist zu sagen: Alle die, welche sich auf die Universität an sich gefreut haben, sind enttäuscht (z.B. alle Chemiker (Jenny!) und Mediziner!); wenn man abe reinmal einen gewissen festen Standpunkt hat und isch in den neuen Betrieb eingelebt hat, so bekommt man einen unheimliche Freude! Man ist eben frei! Dieser gemütliche Seelenzustand äussert sich spontan in unsern Zusammenkünften: Das letzte Mal rauchten unser fünf aus ein und derselben (Friedens-!)Pfeife und haben nach diesem Genuss beschlossen, für di egnaze Bande eine türkische Wasserpfeife mit möglichst viel Schläuchen anzuschaffen als Symbol unser[er] Zusammengehörigkeit!!

Im weitern und letzten wünsche ich Dir eine möglichst dicke Haut für alle «gemeinen Subjekte» und gute Verdauung obiger Kriegsmahlzeit!

Mit kameradschaftl. Gruss Dein

W. Muschg.

Zu Walter Muschg vgl. den Eintrag im Historischen Lexikon der Schweiz: http://www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D6446.php

Zu den genannten Professoren finden sich ebenfalls Artikel im HLS:

http://www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D11483.php (Albert Bachmann)

http://www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D11796.php (Adolf Frey)

http://www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D11774.php (Emil Ermatinger)

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Quelle: Staatsarchiv St.Gallen, W 073/5 (Korrespondenz Ernst Kind)

 

Adele Berner-Wenner, Brief

Samstag, 6. Oktober 1917 – Der Winter naht

Die verwitwete Adele Berner-Wenner machte sich zunehmend Sorgen, wo sie sich den Winter über einquartieren könnte und was sie mit ihrem schulpflichtigen Sohn machen sollte. Ihrer Schwester Silvia schrieb sie:

[Randnotiz:] Erhalten – i[n] Fratte

Montreux.

Samstag, 6. Oct. 1917.

Meine liebe Silvia,

Vorgestern habe ich Deinen ersten Brief von Ende Aug. bekommen, der wirklich etwas lange zur Reise gebraucht hat, & jetzt verwundert es mich nicht mehr[,] dass ich nie einen Brief von Dir bekommen hatte. Ich danke Dir aber nachträglich dafür. – Ich hätte so gern von Dir gewusst[,] ob Du glaubst[,] dass es Mama freuen würde zum Geburtstag ein electr. Pfännchen zu haben, das 1 lt. fasst, & so ein wenig die Form einer Theemaschine hat, oder ob ihr das kleine genügt, das sie hat. Sage mir die Antwort nur per Postkarte. –

Emily hat mir Deinen letzten Brief vorgelesen, als ich am 24. Sept. zu ihnen kam. Dann habe ich auch einen lieben langen Brief von Mama bekommen[,] für den ich ihr vielmal danken lasse. Es tut mir so leid[,] dass Tante Jeanne krank ist, es ist wirklich recht traurig, & der arme Onkel hat nie auch ein wenig Freude haben können in den letzten Jahren. –

Seit vorgestern bin ich hier bei Gaspard’s [?] zu einem kleinen Besuch, am Montag bin ich wahrscheinlich wieder im Bellevue.

Nachdem wir 3 volle Wochen das wunderbarste Wetter gehabt haben, hat es sich vor 2 Tagen plötzlich verdorben, & heute nacht hat es bis ganz nach herunter geschneit. – Das wird vielleicht der Grund sein[,] dass Alex früher Ferien bekommt, denn diese fangen erst an, wenn es reichlich so kalt ist[,] dass man heizen müsste entweder am 20[.] oder 27. Oct. & dauern dann 14 Tage. Wenn sie erst so spaä stattfinden, so gehe ich mit Alex vielleicht in’s Wallis, wo es nicht so kalt ist, denn Pauls sind dann am aufpacken. – Für die Winterferien war Clara so gut[,] mir anzubieten vom 4[.] Jan. an Alex in’s Hôtel in Zuoz zu sich zu nehmen, was ich sehr dankbar angenommen habe, & für die 10 Tage vorher will ich noch einmal Frau Pfarrer anfragen, ob es ihr möglich wäre. – Hoffentlich giebt [sic] es nicht wieder es nicht wieder einen so langen Winter, wie der letzte, es wäre recht schlimm mit dem argen Kohlenmangel; es muss schrecklich sein so zu frieren. –

Ich habe es die ganze Zeit & überall herrlich, & habe Angst[,] dass ich furchtbar verwöhnt werde. Bevor ich nach Bellevue kam, hatte ich noch eine arge Hetzerei, das kann ja nicht anders sein, wenn man sich noch so Mühe giebt [sic], aber dann war es in Bellevue so wunderbar, dass wir die ersten Tage nicht einmal nach Genf gingen. Es war so blau & duftig, & so still am See, & die Sonne so herrlich[,] dass man [es] in Waschkleidern gerade recht hatte. Der grossen Obstsegen giebt [sic] auch viel zu tun, man pflückt, sortiert, & richtete einen Korb nach dem andern, der verschenkt wird. – Hier habe ich Gaspard’s beide wohl getroffen, Marcelle hat zwar immer mit Rheumatismus zu schaffen, aber G. ist gut dran & sehr leistungsfähig. Die kleine Lise ist reizend[,] so ein Muster von guter Erziehung, das versteht Marcelle aus dem Fundament. Am Morgen trägt sie Spielhöschen, & am Nachm. Replums [?] in allen Farben, & tanzt einher wie ein kl. Schmetterling. – Ich hoffe[,] dass es bei Euch immer gut geht, & dass Ihr Euch bei kühlerem Wetter recht schön von der Sommerhitze erholt. – Kann Maria den Kleinen noch gut stillen? & nimmt [sic] er schön zu? M. schrieb Emily[,] dass Gianni etwas zugenommen habe, ob er nicht mehr zu essen bekomme. Aber vielleicht jetzt hat man anfangen können. Führt sich die Balia [?] wieder recht auf? & will [sic] sie weiter bleiben? –

Die Cousinen sind jetzt in Lugano auf etwas 14 Tage, & denke Dir[,] ich darf wieder zu ihnen, wenn ich Alex zur Schule zurück bringe, für die wenigen Tage. – Sie hatten Lorly noch 8 Tage bei sich, die sich natürlich etwas langsam erholt, denn es war eine schwere Operation. Lorly liess Mama für ihren lieben Brief sehr danken. –

Marcelle lässt Euch alle sehr grüssen. Auch von mir viele herzliche Grüsse an Euch alle, gross & klein, im grossen & kleinen Haus. – Dich, liebe Silvia, umarmt mit einem innigen Kuss

Deine Dich herzlich liebende

Adèle Berner.

In der Korrespondenz von Silvia Wenner findet sich ein weiterer Brief ihrer Schwester vom 4. Januar 1918 aus Zuoz im Oberengadin. Darin schreibt Adèle Berner-Wenner, dass Clara Peters-Wenner (1874-1944), eine weitere Verwandte, mit ihrem Sohn Max (1907-1988) ebenfalls ins Engadin gekommen sei und dass sie ihr ihren Sohn, Alex Berner, während des Rests der Neujahrsferien in Obhut geben könne. Adèle Berner-Wenner fand bis Anfang Februar wieder Unterkunft bei den Cousinen Zürich, von denen in anderen Briefen die Rede ist. Danach reiste sie, wie ein weiterer Brief vom 19. Februar 1918 belegt, offenbar weiter nach Rom.

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 Quellen: W 054/127.4.2 (Briefe an Silvia Wenner)

Tante Marie

Dienstag, 2. Oktober 1917 – Tante an Neffe

Ernst Kind, aus dessen Korrespondenz und Tagebuch schon einige History Blog-Beiträge erstellt wurden, hatte die Matura bestanden. Seine Tante gratulierte ihm:

St.Gallen – Springbrunnenplatz 14

Dienstag, 2. Oktober 1917.

Lieber Ernst!

Wenn ich es auch nicht schwarz auf weiss besitze, wie Dein Examen Dir gelungen ist, so weiss ich doch sicher, dass ich Dir, mein Lieber, freudig meine warmen Glückwünsche bringen darf für diese Frage, welche für Dich und Deine Eltern einen so wichtigen Lebensabschnitt bedeuten. Dein Einzug in das grosse glück- und gefahrenvolle Leben hat sich vielleicht in der Stille schon weiter vollzogen, als es ausser Dir irgend jemand bekannt ist, aber ich glaube an Dich, dass Du als ein Herrlicher durch den Feuerofen gehen wirst, dass Du nie Deine Ehre um ein Linsengericht preisgeben wirst, um so in die Reihen der Männer einzutreten, welche den seltenen Schatz eines ungetrübten Vertrauens für sich beanspruchen können und zu besonderer Beglückung für die Familie und die Allgemeinheit bestimmt sind. Herzlich werde ich immer teilnehmen an Deinen weiteren Geschicken, Gott erfülle sie mit reichem Erfolge!

ich und die Deinigen grüsse ich in voller Freundschaft, der lieben Mama werde ich ganz bald schreiben. Danke Du ihr vorläufig für den lieben, kleinen Gruss, mit Gottlob etwas besseren Nachrichten.

Mit einem besonders warmen Grusse für Dich Deine getreue

Tante Marie Bürke.

Nächster Beitrag: 3. Oktober 1917 (erscheint am: 3. Oktober 2017)

Quelle: Staatsarchiv St.Gallen, W 073/5 (Korrespondenz Ernst Kind, 1917)