Freitag, 20. Oktober 1916 – Es schneit …

Tagebucheintrag von Josef Scherrer-Brisig (1891-1965), Sekretär des Schweizerischen Christlichen Textilarbeiterverbands (1910-1916), später Kantonsrat und Nationalrat sowie Mitbegründer der Christlichsozialen Bewegung:

Heute fällt zum erstenmal ausgiebig Schnee, nachdem bereits am Gallustag schon Schnee fiel. Am Gallustag waren die Höhen bis auf Notkersegg herab mit Schnee besetzt. Heute ist das Hochtal der Steinach eine einzige Winterlandschaft. Der Pfadschlitten muss bereits in Funktion treten! Traurig für die armen Leute, die kein Holz haben zum Heizen!

[Berichte über die Sitzung der Rechnungskommission der politischen Gemeinde Tablat, abends um 7 Uhr, und der Vorstandssitzung der Christlich-Sozialen Partei Tablat, abends um Viertel vor neun Uhr]

Auf dem Heimweg von der Sitzung weht ein eisig kalter Nord, die Strassen sind gefroren & ca. 15 cm hoch mit Schnee bedeckt.

Quelle: Staatsarchiv St.Gallen, W 108/1 und P 915 (Anzeige in Rorschacher Zeitung, 24.02.1916)

Samstag, 23. September 1916 – Vatersorgen wegen Amtspflichten

Tagebucheintrag von Josef Scherrer-Brisig (1891-1965), Sekretär des Schweizerischen Christlichen Textilarbeiterverbands (1910-1916), später Kantonsrat und Nationalrat sowie Mitbegründer der Christlichsozialen Bewegung.

Josef Scherrer war zusätzlich zu seinen anderen Ämtern und Engagements auch Amtsvormund von Tablat. Das Staatsarchiv St.Gallen besitzt bis anhin kein Bild des Waisenhauses in Gossau, wohin Josef Scherrer seine Mündel bringen musste. Die Bilder vom Waisenhaus in Altstätten und vom Kinderheim in Rorschach sollen deshalb stellvertretend einen Eindruck von derartigen Institutionen vermitteln.

Am Nachmittag verbringe ich die Knaben Elser, deren Vater

ein pflichtvergessener Mann ist, ins Waisenhaus Gossau.

Die drei munteren Knaben gehen schweren Herzens ins Waisenhaus.

Möge es meinen Kindern nie so gehen, darum bitte ich Gott meinen

Herrn! Mögen sie auch dereinst selbst immer ihre Pflicht erfüllen,

dann wird der Segen Gottes sie gewiss stets begleiten.

Kinderheim Rorschach

Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, W 108/1 (Tagebuch) sowie ZMH 02/009a und ZMA 18/02.12-46 (Bilder)

Dienstag, 19. September 1916 – Diskussionen in der kantonalen Lebensmittelkommission

Tagebucheintrag von Josef Scherrer-Brisig (1891-1965), Sekretär des Schweizerischen Christlichen Textilarbeiterverbands (1910-1916), später Kantonsrat und Nationalrat sowie Mitbegründer der Christlichsozialen Bewegung. Neu ist Scherrer auch Mitglied der kantonalen Lebensmittelkommission:

Kantonale Lebensmittelkommission nachmittags 3 Uhr im Regierungsgebäude St. Gallen.

Kartoffelversorgung. Höchstpreise Produzenten, Wiederverkäufer, für en gros & mi-gros festgesetzt worden.

Es ist eine Zentralstelle für die Kartoffelversorgung geschaffen worden, der ausschliesslich der Import übertragen worden ist. Es besteht Aussicht im Oktober und November Kartoffeln zu bekommen. Höchstpreise! Die Konto haben nicht mehr so grosse Latitude im Festsetzen der Höchstpreise, nur noch 2 Cts. höher und niedriger als der Höchstpreis.

a. Produzenten                        17 Fr.

b. Wiederverkäufer                 18.-

c. Produzenten direkte Abgeber ab Hof    18.-.

d. Mehr als 50 kg                 20 Cts.

e. Weniger als 50 kg             22 Cts.

f. Detailhandel                     23 Cts.

Koch regt an, mit den Kantonen Thurgau & Appenzell eine Vereinbarung zu treffen, dass die Preise überall gleich hoch zu stehen kommen, da sonst die Kartoffeln wieder abwandern. Dr. Baumgartner bemerkt, er habe mit Eugster Regierungsrat gesprochen, der bemerkte, dass Appenzell Ausserrhoden 12 Cts. mehr wieder machen werde.

Dr. Nägeli. Man soll von einem Zuschlag unter allen Umständen zuwarten. Die Hauptsache ist, dass der Preis für die Produzenten überall ein gleicher ist. Nur muss eine gute Kontrolle der Behörden einsetzen. Für St.Gallen wird die Sache in nächster Zeit besser werden. Private Händler haben auch Kartoffeln von Italien auch hiernach gebracht.

Dr. Engensperger. Die Hauptsache ist, dass die Preise von Produzenten eingehalten werden und dass die Behörde die Märkte richtig kontrolliert. Das Rheintal wird aber bei diesen Preisen kaum Kartoffeln für grössere Gemeinden abgeben.

Maron. Dem Import ist die grösste Aufmerksamkeit zu schenken. Nebst Italien wird auch Deutschland Kartoffeln ausführen. Für die städtische Lebensmittelfürsorge erwartet diese Woche 900 Dutzend [?]. Die Preise sollen nicht erhöht werden. Die Versorgung wird durch den Import erfolgen müssen. Der Versorgung hängt auch vom Wetter ab. Man soll auch Reserven anlegen, auch der Kanton, nicht nur die Gemeinden.

Gabathuler. Den Höchstpreis nicht erhöhen. 17.- franko Verladung ist genügend. Bekommen wir die Kartoffeln so, so brauchen wir keine Erhöhung. Die Einkaufsorganisation muss sofort geschaffen werden, sonst fliessen alle Kartoffeln wieder nach Zürich. Der landwirtschaftliche Genossenschaftsverband kann die Konzession für den Einkauf verlangen und wer Kartoffeln will, kann sich an den Verband wenden. Man könnte so auch den Zwischenhandel ausschalten. Der Höchstpreis soll weder erhöht noch erniedrigt werden. Die Versorgung soll für kein Gebiet frei gegeben werden.

Dr. Engensperger. Wenn Lebensmittelkommissionen die Konzessionen wollen, so soll das kantonale Volkswirtschaftsdepartement solche Gesuche empfehlen. Die Gemeinden und Fürsorgekommissionen sollen ersucht [werden,] Einkäufe machen [zu] können. Man soll die Frage studieren, ob nicht der Kanton auch ein Lager anlegen sollte.

Dr. Baumgartner. Der Kanton soll für die kleineren Gemeinden Kartoffeln anschaffen. Die grossen Gemeinden wären dabei auszunehmen.

Dr. Ambühl. Für das Toggenburg und das Fürstenland muss gesorgt werden.

Koch. Die Regierung des Kantons Thurgau hat eine Umfrage an alle Gemeinden gestellt, wieviele Kartoffeln sie brauchen. Wir könnten das auch machen.

Maron. Eine Organisation muss geschaffen werden. Der kantonale Genossenschaftsverband soll die Sache an die Hand nehmen.

Dr. Nägeli befürchtet, dass die Händler sich nun rasch auf die Jagd machen und Kartoffeln einkaufen. Da ist eine richtige Verteilung erschwert.

Gabathuler. Die Ernte wird in 3 Wochen ziemlich beendigt sein. An die Gemeinden soll ein Zirkular gerichtet werden, dass sie über den Sachverhalt orientiert werden. Die Gemeinden sollen angehalten werden, Fürsorgekommissionen zu bestellen und Kartoffeln selbst aufzukaufen. Ebenso sollen die Gemeinden aufgeben, was sie eventuell benötigen. Der kantonale Genossenschaftsverband soll als Zentralstelle bestellt werden. Es soll aber speziell auch für die Bedürftigen gesorgt werden. Der Genossenschaftsverband soll also [für] alles aufkommen. Obstversorgung. Es sind noch keine Höchstpreise festgesetzt worden. Es sind nur Normalpreise.

Süsse frühe Mostäpfel 100 kg 7–8.-

saure                        ‘‘   9–10.-

Kochobst                  ‘‘   14–15.-

Tafeläpfel                  ‘‘  16–18.-

Produzentenpreise, franko Station.

Weniger bemittelte Kreise können versorgt werden, indem Subventionen vom Bund gewährt werden können.

Dr. Nägeli. Die Preise werden kaum eingehalten werden.

Milchversorgung. Eine Erhöhung der Konsummilch tritt im Allgemeinen nicht ein. Dagegen für die Stadt St. Gallen wird der Milchpreis auf 27 Cts. steigen. Die übrigen Milchpreise werden 26 Cts. bleiben.

Fleischversorgung. Es ist ein viel zu grosser Überschuss von Vieh da, etwas muss ausgeführt werden.

Weitere Frage, wie soll der Kanton & die Gemeinde die Lebensmittelversorgung an die Hand nehmen?

Koch regt die Schaffung von Fürsorgekommissionen an, jede Gemeinde soll gezwungen werden, eine solche Kommission zu schaffen.

Dr. Engensperger will möglichst kleine Kommissionen schaffen. Die Fürsorgekommission soll von der Notstandskommission getrennt werden. Der Zwischenhandel soll möglichst ausgeschaltet werden. Zucker sind viele Wagenladungen in den Kanton St. Gallen abgerollt. Die Monopolartikel können durch die Gemeinden nicht bezogen und gehandelt werden, nur für Unbemittelte können die Gemeinden Bezüge machen. Sorge für die Unbemittelten. Keine bestimmten Grenzen für den Bezug feststellen, Abgabe ausschreiben an die Unbemittelten. Die Bedürftigen sollen nicht besonders festgestellt werden, sonst kommen die Leute nicht. Der Kanton soll die Differenz zwischen Selbstkosten und Verkaufspreis zur Hälfte übernehmen.

Vorschlag Dr. Nägeli. Eine Schablonisierung soll nach dieser Richtung nicht erfolgen. Jedoch soll der Staat eine Subvention den Gemeinden geben. Regierungsrat Ruckstuhl will an die Staats-Subventionen bestimmte Bedingungen stellen, vor allem eine Organisation, damit nur Bedürftige berücksichtigt werden können. Suppenanstalten mitbeziehen.

Maron. Die Eierpreise sollten reguliert werden.

Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, W 108/1 (Tagebuch Scherrer), ZOA 002/07 (Obst- und Kartoffelhandlung von Joh. Buschor in Altstätten um 1910, fotografiert vom Architekten Karl Scherrer)

Sonntag, 17. September 1916 – Der Arbeitersekretär macht sich Gedanken zum eidgenössischen Dank-, Buss- und Bettag und entwickelt Familienfotos

Von Josef Scherrer geknipstes und selbst entwickeltes Bild vom Familientreffen am Bettag 1916 in Wittenbach bei seinen Eltern. Das Bild ist hinten in einem seiner Tagebücher eingeklebt.

Eidgenössischer Dank-, Buss- & Bettag.

Der eidgenössische Dank-, Buss- & Bettag kehrt zum drittenmal in der Kriegszeit. Tod und Schrecken sind rings an den Grenzen unseres Landes an die Stelle des Friedens getreten. Ein Ende des Ringens der Völker ist nicht zu denken. Da müssen wir Schweizer Gott, unserem einzigen Schirmherrn und König, mit umso grösserer Liebe danken, dass er unser Land nicht in den Krieg führte, sondern gnädiglich verschonte. Wir haben diese Gnade zwar nicht verdient, nicht verdient hat sie unser Volk und zuletzt ich selbst. Wir hätten eigentlich die gleichen Strafen verdient wie die übrigen Völker! Denn auch unser Vaterland ist von den alten Fehden der ewigen sittlichen Normen abgewichen. Mit bangem Herzen denkt man in dieser Gerichtsstunde daran. Möge Gott der Herr uns auch fernerhin, für uns und unsere Kinder das hohe Gut des Friedens bewahren!

Am Morgen empfange ich gemeinsam mit meiner lieben Gattin in der Kathedrale in St. Gallen das heiligste Altarsakrament. Oh wie unendlich gut ist doch Gott, dass er sich mit uns sündigen schwachen Menschen in der heiligen Brotsgestalt vereinigt und sich uns zur Seelennahrung gibt. Ich opfere die heilige Kommunion auf in erster Linie für meine herzensgute, treue und liebe Gattin, die vor ca. 15 Tagen durch Gottes Willen wieder Mutter geworden ist. Ich bete auch für meine Kinder, meine Eltern, Geschwister und Verwandten. Möge Gott sie alle auf dem rechten Wege führen und sie einst in das ewige Vaterland einziehen lassen.

Am Nachmittag gehen wir alle zusammen zu meinen Eltern nach Wittenbach. Ich freue mich immer darauf[,] auch meinen lieben Eltern einige Stunden zu widmen. Ich bin immer so stark engagiert, dass ich ja nur selten das grosse Glück habe, mit meiner Familie den ganzen Sonntag teilen zu können. Heute konnte ich das wieder einmal. Wittenbach ist immer noch ein liebes trautes Dörfchen. Tausend Jugenderinnerungen verbinden mich noch mit meiner eigentlichen Heimat. Denn da, wo man geboren und aufgewachsen ist, da grüsst die Heimat. Ich will damit nicht meinen Bürgerort Mosnang an zweite Stelle setzen. Mosnang mochte für meine Ahnen die Heimat sein, ich kenne es nicht und muss mich eigentlich schämen, noch nie meine Heimatgemeinde gesehen zu haben. In den Kirchturm hat vor einigen Wochen der Blitz eingeschlagen und bedeutenden Schaden verursacht. Man ist gegenwärtig daran, den Schaden zu reparieren.

Meine Mutter ist verhältnismässig ordentlich daran, meinem Vater geht es augenscheinlich nicht gut. Er hat sehr gealtert. Die Tage des Alters mit allen Gebrechen haben begonnen und ich bete zu Gott, dass er meinen lieben Eltern in den vielen Widerwärtigkeiten Trost und Geduld geben möge. Meine Eltern haben nur ein Leben der Sorge durchgekostet, besonders meine[r] liebe[n] Mutter möchte doch die Sonne noch etwas scheinen an ihrem Lebensabend!

Ich fotografiere noch die ganze Gruppe, ob die Bilder etwas werden, ich weiss es nicht, denn ich arbeite auf diesem Gebiete bis jetzt bedenklich schlecht! Möchte der heutige Tag aber doch in einem schönen Bildchen für immer festgehalten sein.

Der Abend führt uns zurück nach dem Krontal, wo wir seit Mai 1916 unsere Niederlassung genommen haben. Die Kinder und meine liebe Gattin, alle meine Herzlieben sind müde und gehen bald ins Bett. Ich gönne mir noch keine Ruhe, denn die aufgenommenen Bildchen müssen noch entwickelt sein! Die kommende Woche würde ich hiezu doch keine Zeit finden.

Gott, ich danke dir für den heutigen, so schönen Tag! Mögen solche Tage, die nur der Familie gehören, wiederkehren und möge der rotleuchtende Liebesmorgen immer bleiben, bis ein feierlicher Abend blinkt zum ewigen Start!

Quelle: Staatsarchiv St.Gallen, W 108/1 (Text und Bild)

Dienstag, 12. September 1916 – Dem Kartoffelmangel begegnet man mit Mais und Reis

Tagebucheintrag von Josef Scherrer-Brisig (1891-1965), Sekretär des Schweizerischen Christlichen Textilarbeiterverbands (1910-1916), später Kantonsrat und Nationalrat, Mitbegründer der Christlichsozialen Bewegung:

Lebensmittel-Kommission. Regierungsrätlich.

Anwesend: Regierungsrat Baumgartner, Ruckstuhl, Koch, Dr. Ambühl, Dr. Nägeli, Gabathuler, Engensperger, Scherrer

Zweck: Mittel und Wege zu finden zur Verhütung der Not, Verproviantierung des Volkes mit Lebensmitteln. Milchversorgung ist geregelt. Kartoffelversorgung, von der Bestandaufnahme wird vorläufig abgesehen. Sie ist aber der Zukunft noch vorbehalten. Es wird zu wenig Kartoffeln haben. Es sollen Ersatzmittel gesucht werden, vor allem Mais und Reis. Die Gemeinden sollten Mais und Reis sofort verschaffen und an die Bevölkerung abgeben. Denn Abgabe der Lebensmittel ohne unbemittelte Fleischspeise sollen nicht eine nicht mehr zu beschaffende Höhe erreichen. Dr. Engensberger bestätigt eigentlich meine Angaben. Dr. Nägeli will einen besseren Kontakt schaffen zwischen Produzenten und den Gemeinden. Fleisch, Speck amerikanischer 2.60 kg. nächsthin erhältlich. Die Massenspeisung wird erwogen. Schwierigkeiten bestehen.

Gabathuler

Resultat: 1. Besserer Kontakt zwischen Produzenten und Konsument unter Ausschaltung des Zwischenhandels. 2. Abgabe der Lebensmittel unter den Unkosten an die ärmere Bevölkerung, wobei der Kanton etwas leisten soll. Dr. Engensperger regt eine Bezugskarte für die Abgabe von Lebensmitteln an, die eine glatte Organisation ermöglicht.

Brennholz aus den Staatswaldungen. Gabathuler würde es übernehmen für die Gemeinden Mais etc. zu liefern. Dr. Ambühl will schärfere Massnahmen auf dem Kartoffelmarkte. Dr. Engensperger möchte den Gemeinden eine Provision geben, die Kartoffeln an konsumierende Gemeinden geben. Dr. Baumgartner bemerkt, dass Kartoffeln nur noch der Bund, die landwirtschaftlichen Genossenschaften, die Brennereien und jene, die bisher mit Kartoffeln Grosshandel getrieben haben. Die Behörden in Altstätten sollen verwarnt werden.

Die gestern abgegangene Eingabe an die Regierung des Kantons St. Gallen hat rasch gefruchtet, indem ich heute Morgen schon Bericht bekam an der von der Regierung eingesetzten Lebensmittelkommission als Mitglied aufzutreten. Es ist das doch auch wieder ein kleiner Erfolg unserer entschlossenen Arbeit. Würde nur allerorts stets flink gearbeitet, wir würden schon vorwärtskommen.

Bereits am 26. Februar war im St.Galler Bauer ein Artikel über Das Backen von Türkenbrot erschienen. Dieses wurde in Wartau, Werdenberg und im Sarganserland nach wie vor in den Privathaushalten hergestellt: Verwendet wird ein Gemisch von Maismehl und Vollmehl, z.B. im Mischungsverhältnis von gleichen Teilen beider Sorten oder 15 Pfund Weizenmehl und 9 Pfund Maismehl. Der selbst gebaute Mais gibt ein besseres Mehl, als der amerikanische Platamais. Von diesem wird das Brot kurz und brosmet bald. Je grösser der Anteil des Maismehles ist, um so weniger geht das Brot auf und um so mehr tritt der süssliche Geschmack des Maises hervor. Der hohe Maisgehalt macht das Brot auch feucht und „kurz“, aber nicht „spähnig“. Der Artikel beschrieb im Detail, wie der Teig für das Türkenbrot herzustellen, der Ofen einzuheizen und zu backen sei. Im Keller aufbewahrt, halte sich das Brot mindestens acht Tage lang gut, wobei es im Sommer weniger haltbar sei als im Winter.

Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, W 108/1 (Tagebuch) und W 248/82 (St.Galler Bauer, 3. Jg., Heft 8, 26.02.1916, S. 115-117) sowie ZOF 003/2.12 (Maisfeld vor den Baracken der Häftlinge der Strafkolonie Salez, ca. 1921-1925)

Sonntag, 10. September 1916 – „Die Arbeiterschaft will nicht Unterstützungen, sondern eben Arbeit, Verdienst.“

Ostschweizerische Delegiertenversammlung       

Casino – St. Gallen. 10. September 1916.

Christlich-soziales Kartell Rorschach

Leofeier, abends 4 Uhr im Kasino Rorschach.

Ich halte ein Referat über aktuelle Tagesfragen.

Vikar Frick referiert über die Enzyklika Rerum Novarum.

Im Tagebuch eingeklebt ist ein Zeitungsartikel zur Delegiertenversammlung der Christlich-Sozialen Partei im Casino in St.Gallen, den Scherrer erwähnt:

Notstandstagung der ostschweizer. Christlich-Sozialen.

St.Gallen, 1. September

-sk. Im „Casino“ in St.Gallen tagten heute unter Vorsitz von Kantonsrat und Arbeitersekretär Scherrer-St.Fiden die Delegierten der ostschweizerischen christlich-sozialen Arbeiterorganisationen 108 Personen stark zur Besprechung der gegenwärtig drohenden Notlage der Arbeiterschaft und der Massnahmen zur wirksamen Bekämpfung der Teuerung. Die 108 Delegierten vertragen 11,500 organisierte Arbeiter und Arbeiterinnen.

Kantonsrat Scherrer referierte über die gegenwärtige Teuerungs- und Notstandslage und der durch diese bedingten Massnahmen. Der Referent wies einleitend auf die immer schwieriger sich gestaltenden Verhältnisse unserer Import- und Exportverhältnisse hin und die sich dadurch ergebenden Schwierigkeiten für den Arbeiter; eine steigende Erwerbsunsicherheit, zunehmende Arbeitslosigkeit, grosse Verdienstausfälle sind die für das arbeitende Volk sich ergebenden fatalen Folgen der schlechten Industrielage, besonders in der ostschweizerischen Stickereiindustrie. Aber nicht nur der Ausfall an Lohneinnahmen verschlechtert die Existenzverhältnisse der untern Klassen, sondern äusserst drückend wirkt vor allem die stets noch steigende Teuerung. In vielen Arbeiterfamilien sind die Verhältnisse unhaltbar geworden, eine eingetretene Unterernährung in weiten Kreisen kann nicht bestritten werden. Anerkennend wurde hervorgehoben, dass man der Bundesbehörde und den Regierungen für die zur Sicherung der Verproviantierung unseres Landes getroffenen Massnahmen volles Vertrauen entgegenbringe und gewisse sich den Behörden entgegenstellende Hindernisse auch in der Arbeiterschaft nicht übersehen werden. Dagegen hätte ein hin und wieder früheres und energischeres Eingreifen das Volk noch vor manchen andern Schädigungen und Ausbeutungen durch gewissenlose Spekulanten bewahrt. Dringend muss aber verlangt werden, dass die vom Bundesrat beschlossenen Massnahmen, Höchstpreise u. dgl. auch glatt zur Durchführung kommen und die heute en gros betriebenen Umgehungen derselben durch die kantonalen und kommunalen Behörden energisch und sofort geahndet und bestraft werden. Es sind hier schreiende Missverhältnisse zu konstatieren, die nicht vorkommen würden, wenn besonders alle kommunalen Behörden ihre Pflicht erfüllen würden. Der Referent postulierte mit vollem Recht eine schärfere und durchgreifende Kontrolle der Höchstpreise, Kontrolle der Märkte usf. Um die Verproviantierung des Volkes für den nächsten Winter sicherzustellen, wurde für das ganze Land die Bestandesaufnahme der Lebensmittel verlangt. Ebenso wurde die sofortige Festsetzung von Höchstpreisen für das Obst, wie der Erlass eines Ausfuhrverbots dringend verlangt. Das Obst soll, da besonders die Aepfel eine normale Ernte haben, dem eigenen Volke zu einem anständigen, käuflichen Preise erhalten bleiben. Dem Obstdörren muss besonders infolge des eintretenden Mangels an Kartoffeln besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden. Für die Lebensmittel soll auch der Verkaufszwang eingeführt werden, da Höchstpreise praktisch nur so lange Wert haben, als genügend Waren vorhanden sind. Die Ausfuhr von Schlachtvieh muss verhindert werden. Gemeinden, Genossenschaften und Privathandel sollen bei Fürsorgeaktionen für die ärmsten Klassen Lebensmittel zum Selbstkostenpreise abgeben. Die Unkosten sind durch die Gemeinden zu tragen.

Im weiteren wurde der entschiedenen, gewerkschaftlichen Aktion gerufen. Besonders soll die Arbeiterschaft den Arbeitslosenkassen grösste Aufmerksamkeit entgegenbringen. Mit Ungeduld erwartet man einmal bestimmten Aufschluss über die längst in Szene gesetzte Notstandsfondsaktion der Stickereiindustriellen. Nach wir vor ist der Arbeitsbeschaffung für die Arbeitslosen dringende Beachtung zu schenken. Die Arbeiterschaft will nicht Unterstützungen, sondern eben Arbeit, Verdienst. Die eidgenössischen, kantonalen und kommunalen Behörden sollen planierte [geplante] Bauten, Strassen, Bachverbauungen, Bodenverbesserungen jetzt durchführen. Der Arbeit steht dann eine effektive Gegenleistung gegenüber, was bei blossen Unterstützungen nicht der Fall ist. Die Vereine werden angehalten, an jedem Orte eine eigene lokale Notstandskommission zu bilden, der der Referent eine Reihe höchst aktueller und wichtiger Aufgaben zuwies. Wir nennen: Kontrolle der Lebensmittelpreise, monatliche Preisstatistik, Fürsorge für bedürftige Mitglieder und unorganisierte Arbeiter, Schaffung einer kommunalen Beratungsstelle, Strafanzeige bei Höchstpreisübertretungen, regelmässige Berichterstattung über Betriebseinstellungen, Lohn- und Arbeitsverhältnisse, Fürsorgetätigkeit an die zentrale Notstandskommission. –

Schliesslich wurde auch die Bedeutung des Anbaues von Pflanzland für den Arbeiter hervorgehoben. Die Gemeinden sollten Pflanzland den unbemittelten Leuten unentgeltlich überlassen, Samen und Setzlinge zum Selbstkostenpreise überlassen, der Staats sollte auch dem Arbeiter, sofern er nicht Gratisland bebauen kann, eine angemessene Anbauprämie geben. Die Vereine sollen über den Gartenbau aufklärende und schulende Vorträge halten. – Den Hypothekarverhältnissen, die heute besonders drückend wirken für die kleinen Leute, soll ebenfalls vermehrte Aufmerksamkeit zugewendet werden. Rigoroses Vorgehen der Bankinstitute soll dem zentralen Notstandskomitee gemeldet werden, damit die geeigneten Schritte unternommen werden können.

Schliesslich werden die Vereine aufgefordert, während der kommenden Winterszeit nicht müssig zu bleiben, sondern alles einzusetzen, um Not zu lindern und zu verhüten. Wir wollen auf dem Boden der Gesetzlichkeit, des bestehenden Rechts und der bestehenden Ordnung die Interessen des arbeitenden Volkes mit aller Entschiedenheit vertreten und wahren. Wir hoffen dabei aber zum allermindesten eine Unterstützung und Berücksichtigung seitens der Bundes- und kantonalen Regierungen, wie die antinationale, radikale und revolutionäre Sozialdemokratie. Gegen die im „System“ liegende Zurücksetzung der christlich-nationalen Arbeiterschaft ist der laute und nachdrückliche Protest heute doppelt notwendig.

Die lebhaft einsetzende Diskussion, die die Ausführungen des Referenten übereinstimmend und energisch unterstützte, wurde benützt von Gemeinderat Braun, Verbandspräsident der Genossenschaften Konkordia, Kantonsrat Dr. Duft, Sekundarlehrer Pfister, Vikar Kissling, Schönenberger, Sticker, Hutter-Gschwend, Commis, Kantonsrat Bruggmann, Frl. Braun, Schwizer, Sticker, Täschler, Verwalter Eisele, Kantonsrat Klaus u.a.

Die Versammlung nahm hierauf einstimmig eine von Kantonsrat Brielmaier gestellte Resolution an, die den vom Referenten aufgestellten Postulaten zustimmt und das ostschweizerische Komitee beauftragt, die notwendigen Schritte zur Bekämpfung des Wuchers und der Lebensmittelspekulation bei den eidgenössischen und kantonalen Regierungen unverzüglich zu unternehmen und für die Durchführung der Postulate rastlos tätig zu sein.

Das bestehende ostschweizerische Komitee der christlich-sozialen Arbeiterverbände wurde mit Kantonsrat Scherrer an der Spitze einstimmig bestätigt.

Die Christlichsozialen drei Jahre später (Oktober 1919) an der Feier im Casino St.Gallen anlässlich der Nationalratswahlen. Von links nach rechts: Gewerkschaftssekretär Gustav Helfenberger, Albert Rütsche, Dr. Max Rohr, ein Kollege aus Bruggen, Joh. Müller, Dr. Johannes Duft, Josef Bruggmann, Josef Scherrer, Lehrer J. Seitz, Bankdirektor John Merten, Zeughausarbeiter Josef Odermatt, Baumberger (?), Zugführer Bischof, Conducteur Mösle

Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, W 108 (Tagebucheintrag) und P 907 (Die Ostschweiz, 43. Jg., Nr. 211 vom 11.09.1916, Abendblatt) sowie W 268/05.01 (Foto der Wahlfeier)

Montag, 10. Juli 1916 – Der Arbeitersekretär in den Ferien (Teil 7): Herzprobleme und es regnet schon wieder

Obst- und Gemüsemarkt in St.Gallen, 1903. Die schlechte Witterung während der Sommermonate 1916, die in den Tagebucheinträgen von Josef Scherrer immer wieder beklagt wurden, hatten bestimmt eine Auswirkung auf das Marktangebot.

Josef Scherrer befand sich immer noch in der Innerschweiz, wo er zusammen mit einem Kollegen einige Tage Ferien verbrachte. Über Bremgarten war er nach Luzern gereist.

Ich konsultiere in Luzern Herrn Dr. Brun bezüglich meiner angegriffenen Gesundheit. Gott sei Dank sind meine Lungen gesund. Dagegen ist das Herz angegriffen und auch eine Reparatur notwendig. Ich hoffe, dass ich bald wieder restauriert sein werde. Möge Gott mir die volle Gesundheit bald wieder schenken. Ich bin stark nervös und sollte nun länger aussetzen. Ich hatte schon längst diesen Moment gefürchtet! Seit Monaten und Jahren habe ich durch eine zähe Energie meine schwache Körperkonstitution stark und aufrecht gehalten. Jetzt ist sie ein wenig ins Wanken gekommen. Mit Gottes Hilfe wird es wohl wieder besser kommen.

Die Ferien werden ganz hübsch verregnet! Es ist schade, dass kein besseres Wetter kommt. Die Kulturen müssen schweren Schaden leiden.

Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, W 108/1 (Tagebuch) und ZMA 18/01.03-01 (Bild Gebrüder Wehrli, Kirchberg-Zürich, Autochrom: Louis Glaser, Leipzig)

 

Sonntag, 9. Juli 1916 – Der Arbei-tersekretär in den Ferien (Teil 6): Er besucht die Messe in Flüeli und gründet einen Arbeiterinnen-verein

Josef Scherrer befand sich immer noch in Flüeli in der Innerschweiz, wo er zusammen mit einem Kollegen einige Tage Ferien verbrachte.

Er notierte sich im Tagebuch:

Morgens gehe ich in der Kapelle zum Flüeli zum Gottesdienst.

In dem Gebäude denke ich an meine Gattin und meine Kinder. Möge Gottes Segen ihnen walten.

Bremgarten. Katholische Arbeiterinnen. 1. Gründung.

Ich gründe mit 15 Arbeiterinnen den Arbeiterinnenverein, indem die Arbeitslosenkasse sofort obligatorisch erklärt wird.

Auch der Kirchen- und Porträtmaler Franz Vettiger (1846-1917) aus Uznach befasste sich mit Niklaus von Flüe (vgl. Beitragsbild). In einem ca. 1917 entstandenen Seitenaltargemälde für die Wallfahrtskapelle Mariä Heimsuchung in Freienbach (Gemeinde Oberriet SG) ist der Heilige mit einer Christusvision zu sehen.

Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, W 108/1 (Tagebuch) und ZOA 001/6.425 (Altargemälde)

 

Samstag, 8. Juli 1916 – Der Arbeitersekretär in den Ferien (Teil 5): Wanderung bei schönem Wetter

Alp im St.Gallerland, ungefähr zur Zeit des Ersten Weltkriegs, wie sie in der Innerschweiz wohl ähnlich aussah, wo Josef Scherrer sich in Flüeli zusammen mit einem Kollegen noch immer in den Ferien befand.

Der Morgen ist heiter. Wir gehen (Bruggmann und ich) auf eine nahe liegende

Alp, wo wir eine wunderbare Aussicht auf die herrliche Landschaft haben.

In einer Alphütte gibt es frische, köstliche Milch.

Der Nachmittag führt die ganze Gesellschaft wiederum nach dem schönen

St.Niklausen.

Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, W 108/1 (Tagebuch) und W 238/08.07-01 (Foto A. Lichtensteiger, Dietfurt)

Freitag, 7. Juli 1916 – Der Arbeitersekretär in den Ferien (Teil 4): Zur Abwechslung Kegeln statt Jassen

Tagebucheintrag von Josef Scherrer-Brisig (1891-1965), Sekretär des Schweizerischen Christlichen Textilarbeiterverbands (1910-1916), später Kantonsrat und Nationalrat, Mitbegründer der Christlichsozialen Bewegung.

Josef Scherrer befand sich immer noch in Flüeli in der Innerschweiz, wo er zusammen mit einem Kollegen einige Tage Ferien verbrachte.

Diese Nacht habe ich, da ich nicht gerade ganz gut schlief, immer an meineliebe Gattin gedacht. Hoffentlich kann sie für einige Tage dem Garten und schweren Mutterpflichten entrückt werden, indem wir die Sorge für unsere Kinder in die Hände der Mutter von Marie legen.

Wir gehen heute miteinander nach Sarnen. Am Nachmittag wird ein Kegelschub gemacht.

Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, W 108/1 (Text) und W 238/02.06-05 (Gasthaus zur Traube mit Kegelbahn in Steinach, ca. 1906; viele Restaurants um die Jahrhundertwende bauten Kegelbahnen, um Gäste anzuziehen; Auszug aus einer Postkarte, erschienen bei Frau Dolder, Handlung, Steinach und gedruckt bei Leopold D. Guggenheim, Zürich)