Kartoffelersatz

Freitag, 5. Oktober 1917 – Erntefest in Hof Oberkirch

Die Chronik für das Landerziehungsheim Hof Oberkirch vermerkt für den 5. Oktober ein Erntefest. Die Schüler verbrachten den Tag mit einem Ausflug. Im Wald entspann sich eine Tannzapfenschlacht, und später spielte man Räuberlis. Einige suchten auch Pilze, welche die Köchin der Schule abends zubereitete. Sie war auch für die ausserhäusliche Verpflegung an diesem Tag verantwortlich, es gab eine kräftige Knorrsuppe, Käse, Brot und Äpfel. Auch Brombeeren fand man viele.

Vorangegangen waren diesem Erntefest strenge und andauernde Gartenarbeiten während des ganzen Sommers, zu denen man die Schüler angehalten hatte. Ende September konnte der Segen ausgegraben werden:

Das strenge Arbeiten im Grabacker brachte eine reichliche Ernte: Mehr als das Zwölffache der Saatkartoffeln wurde geerntet. Im Ganzen 50 q. [Zentner] Auch der Mais[,] Kabis und Kohl gedieh gut. Wohl den Hauptverdienst haben die Sechser [6. Klasse, entsprach in dieser Schule den Fünfzehnjährigen], die es nicht scheuten, alle Tage früher als die Andern aufzustehen[,] um im Garten zu arbeiten. Als die Verordnung kam, dass die Gemeinde Kaltbrunn die Äcker am Grabacker zur Anpflanzung von Getreide bis 1. Oktober haben müsse, gab’s richtiger Kriegsbetrieb. Die ganze Schule machte sich ans Ernten, und bald war alles eingeheimst.

Die Schüler selber waren nicht immer beglückt ob des täglichen Einsatzes im Garten, insbesondere das Düngen war unbeliebt, wie sie in ihren Aufsätzen festhielten:

Es läutet zur Gartenarbeit. Weil es heute Dienstag ist, muss ich wohl oder übel auch gehen. Aber es ist wenigstens schönes Wetter und ziemlich warm. Wenn ich dann noch eine anständige Arbeit bekomme, so ist es auszuhalten. Unter anständigen Arbeiten verstehe ich solche, die mir gut gefallen, z.B. Spaten, Obst ablesen, Bäume fällen oder gar bei den Nachbarn heuen. Letzteres hat noch eine besonders gute Seite. Man wird dabei herausgefüttert.

Zwischen den Häusern steht Herr Tobler [Direktor] und macht Antreten.

«Wer will nach Uznach?»

«Ich! ich!» rufen viele Stimmen, denn der Auserwählte kann im Vorbeigehen noch schnell zur «Tante» [im Einkaufslädeli]. Der Kriesi darf gehen; er hat ein Velo.

«Du, Kriesi, bing mit 10 Chocoladensäckli.»

«Und mir für einen 20er Zeltli.» Er wird ganz mit Aufträgen überhäuft.

Nun heisst’s «Spaten». Sofort melde ich mich, denn jetzt im Herbst ist das eine der schönsten Arbeiten. Im Frühling ist’s nicht so angenehm, besonders bei ganz trockenem oder regnerischem Wetter; dann gibt es so grosse Klötze.

Wie ich zum Holzschopf gehe, höre ich noch, wie Herr Tobler zu Nänny sagt: «Du kannst mit 2 Kleineren Birnen schütteln.» Natürlich, der bekommt immer die angenehmsten Arbeiten, wenn er nicht im Büro faulenzt. Hinter uns kommt der Kuhn und holt eine Hacke; er muss jäten. Ich wünsche ihm viel Vergnügen, denn das ist meiner Ansicht nach die langweiligste Arbeit. Nur das Himbeerenaufbinden kommt ihm gleich. Während wir arbeiten, kommt mit grossem Gepolter der Huber mit der «Güllkanone» angefahren. Er hat sich geopfert. Niemand ist besonderer Freund dieser Beschäftigung. Herr Mäder kommt mit den Achtern zum Aufräumen.

Schon nach einer halben Stunde sind wir mit dem uns aufgetragenen Stück fertig. Nun sollen wir in den Johannisbeeren spaten. Danke für Obst!

Diesen Sommer hatten wir auch am Morgen Gartenarbeit [anstelle des sonst praktizierten täglichen Frühturnens]. Das war einmal eine Abwechslung; aber schon nach kurzer Zeit hätte ich lieber wieder Turnen gehabt. Nur zum Beerenablesen war ich dabei; viele verschwanden aber in meinem Magen.

Ein anderer schrieb, wie er auch für seine Familie zu Hause Gemüse zog, eine Möglichkeit, welche die Landschule während der Kriegszeiten anbieten konnte: […] Am Allerliebsten arbeite ich aber doch in meinem eigenen Acker, wo ich jedes Pflänzchen kenne. Und dann das Ernten! Das ist besonders schön, das ist gar keine Arbeit mehr, nur noch Vergnügen. Mama findet zwar, sie habe noch nie so teures Gemüse gehabt; doch – das gehört schon nicht mehr hierher. Die Bemerkung zum teuren Gemüse hatte ihren Hintergrund wohl darin, dass der Erntesegen nach Hause geschickt werden musste, vermutlich per Bahn, wodurch Frachtspesen anfielen.

Einige suchten sich vor der Arbeit zu drücken und erfanden verschiedene Strategien: […] Da kommt der Marcel aus dem Haus und murmelt so schnell, dass man es kaum verstehen kann: «Herr Tobler ich abe eine böse Fuss, kann ich Studin macha?» […] Schnell will ich mich noch umziehen. Leider ist es schon zu spät; ich will es probieren und trete in meinen Schulkleidern an. Herr Tobler hats aber schon gesehen und ich muss mich – gern oder ungern – umkleiden. Droben auf der Terrasse steht Hermes um uns zu fuxen, denn er kann ja cheffreien Nachmittag machen. Andere machens viel schlauer; die kommen überhaupt nicht zum Antreten und wenn es Herr Tobler merkt, haben sie immer noch eine gute Ausrede. […] Für Unterhaltung während der Arbeit muss ich nicht sorgen, denn im Garten nebenan arbeitet oder besser faulenzt der C. und verführt einen solchen Lärm, wie sämtliche Wäscherinnen der ganzen Gegend. […] Langsam schleicht die Zeit vorbei und noch langsamer wird meine Arbeit fertig. Ich schleiche in meine Bude. Ich habe herausgefunden, dass es so am vorteilhaftesten ist.

Ein anderer Schüler beschrieb noch weitere Versuche, um die Arbeit herumzukommen: […] Dann hat der Eine wunde Zehen, der Andere einen geschwollenen Finger, dieser an 7 Orten Eissen [Furunkel, Eiteransammlung], oder Latein. Sch. muss um 3 Uhr in die Uebungsstunde und findet es deshalb kaum mehr nötig anzufangen. (Wir wissen aber, dass seine Stunde erst um 4 beginnt – er ist ein Drückeberger.) […]

Die Buben aus den jüngeren Klassen waren ebenfalls nicht immer motiviert und hatten ihre eigenen Strategien:

Am liebsten tu ich Laub oder sonst was zusammenrechen. Man muss dann nicht zuviel schaffen, da man sagen kann, dass der Wind das Laub immer wieder fortnimmt, oder neues Laub vom Baume falle. Dann kann man sich auch sehr gut drücken, indem man sagt, dass man auf den Abort oder einen andern Besen suchen müsse.

Jetzt wird die Arbeit verteilt. Ich durfte zum Apfellesen gehen. Wir sackten dann viele Aepfel ein. Uns wurden oft kleine Steine nachgeworfen, denn wir warfen den andern faule Aepfel an. Das war sehr lustig. Mancher sagt dann, er müsse auf den Abort. Er ging dann schauen[,] wie spät es ist. Das machte ich oft nach. Andere Knaben mussten dann üben. Sie gingen dann eine viertel Stunde vor der Zeit weg, es war ihnen nur deshalb pressant.

Wenn es mir langweilig wirt [sic]. Schaue ich[,] ob nicht ein Lehrer in der Nähe sei[,] wen[n] ich ni[e]mand sehe[,] gehe ich fort und schaue[,] war für Zeit es war[,] wen[n] es etwa halb vier Uhr war[,] dan[n] ging ich zu den Beerensammlern und half[,] bis es leutete [sic] udn füllte meinen Becher und ass es im geheimen. Manchmal ging ich in das Haus und las in einem Buch[,] bis es leutete[.] ich [sic] freute mich immer[,] wenn es Leutete [sic]. (Ohne Korrektur, von einem Kleinen.)

Der Direktor war sich dieser Verhaltensweisen wohl bewusst und beurteilte sie als Erzieher der Knaben folgendermassen: Dieses Grosse [sich der Zeitlage ohne viel Murren und Schimpfen anzupassen] möchten wir auch unsere Jugend spüren lassen. Den Gedanken hat sie, wenn gefragt, wohl erfasst, sie schafft auch willig mit. Dass sie aber dabei im Alltäglichen die sorglose Jugend bleibt, das ist ihr Vorrecht.

Dass Schüler derart frei, vertrauensvoll und offen beschrieben, wie sie versuchten, Anweisungen der Erwachsenen zu umgehen, zeugt vom speziellen Geist, der in diesen reformpädagogischen Landerziehungsheimen herrschte.

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Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, W 127 (Hofchronik 1915-1921 sowie Bericht des Direktors zu «Die Gartenarbeit» und Aufsätze in: Hof-Zeitung, Nr. 11, Dezember 1917: Texte) und P 909 (St.Galler Tagblatt, 24.03.1917, Abendblatt)

Firmengelaende Stuerm in Rorschach 1927

Samstag, 22. September 1917 – Tumult an der Sitzung

Die Firma Stürm in Rorschach fühlte sich benachteiligt. Sie warf dem Verband St.Gallischer Sägereibesitzer, deren Mitglied sie war, vor, sie bei der Beteiligung an Exportkontingenten zu wenig zu berücksichtigen. Verbandsintern hatte deshalb am 25. Juli 1917 bereits ein Vermittlungsversuch mit einem externen Experten stattgefunden. Das Ergebnis dieser Besprechung wurde jedoch von der Firma nicht anerkannt. Sie wandte sich an das Eidgenössische Volkswirtschaftsdepartement, das jedoch dem Verband recht gab.  Im Protokoll vom 18. September steht: Dieser Entscheid liegt nun vor, welcher die Handlungen der Kommission vollauf billigt und die an Stürm gemachten Ausfuhrzuteilungen mehr als genügend bezeichnet. Das Departement geht weiter und teilt uns ohne Pflicht hiezu zu haben mit, dass die Firma Stürm im Jahre 1916 270 Waggon Bretter in Kompensation gegen Vieh von Oesterreich her beziehen konnte, ohne dass der Bund sich an dem hohen Gewinne beteiligte. Es wird beschlossen, diesen Entscheid in vollem Wortlaute an der nächsten Hauptversammlung zu verlesen, der Versammlung jedoch zu empfehlen, den Fall diskussionslos ohne weitern Streit heraufzubeschwören, zu erledigen.

Vorgängig zu dieser Hauptversammlung vom 22. September traf sich der Vorstand des Vereins zu einer Vorbereitungssitzung. Um halb neun Uhr gab es im Ochsen in Berneck folgenden Auftritt: Herr Stürm älter. [sic] folgt der Kommission[,] ohne hiezu eingeladen zu sein, auf den Fuss in den Sitzungssaal. Er verlangt kategorisch Ausschaltung des «Falles» auf heutiger Traktandenliste. Nach einigen heftigen Auseinandersetzungen wird Herr Stürm ersucht, das Lokal zu verlassen, um uns an der Sitzung nicht weiter zu stören, was nun geschieht. 

Gut eine Stunde später wurde die ausserordentliche Hauptversammlung eröffnet. Der «Fall Stürm» wurde als drittes Traktandum behandelt: Herr Stürm sucht sich sofort zu rechtfertigen, verliest einige ihm genehme Stellen aus betreffender Korrespondenz und wünscht, dass der Entscheid des Departementes nicht verlesen werde, da dies keinen Wert habe. Nach gemachter Aufklärung durch den Präsidenten wird Verlesung des Entscheides verlangt, welches erfolgt, womit sich die Versammlung befriedigt fühlt. Auf nochmals ausgesprochenen Wunsch der Kommission findet eine weitere Diskussion nicht statt.

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Quelle: Staatsarchiv St.Gallen, W 309/1.1 (Informationen und Texte aus Protokollen vom 25.07.1917, 18.09.1917, 22.09.1917) und ZMH 27/007a (Beitragsbild: Auszug aus Briefkopf der Firma Stürm in Rorschach, Firmengelände 1927)

Broschüre Volk und Heer

Mittwoch, 19. September 1917 – Ein ungeheuer trauriges Schauspiel menschlichen Wirrsals

Die Betriebskommission der Zeitung Ostschweiz konnte folgenden Auftrag verbuchen:

2. Herr Generalstabs-Adjutant Oberstdivisionär [Friedrich] Brügger [1854-1930] will seinen Bettagsvortrag im Katholikenverein der Stadt St.Gallen: «Volk und Heer» in der Ostschweiz erscheinen lassen und wünwt [sic], dass die Druckerei denselben auch in Broschürenform in Verlag nehme und ein Uebererlös dem «Roten Kreuz» zufalle. Einen Ausfall verspricht er zu decken. Die Betriebskommission ist einverstanden, beschliesst ein Format von ca. 14/24, Benützung des Zeitungssatzes, dagegen besseres Papier, Auflage von 800-1000 unter Rückbehaltung des Satzes. In diesem Sinne soll Herrn Brügger eine Vorlage gemacht werden, um event. dessen weitere Wünsche betreffend Verlag zu erfahren. Für die Reklame soll Herr Redaktor [Emil] Buomberger [1877-1939] um seine Mitwirkung ersucht werden, [sic]

In der Sitzung vom 3. Oktober 1917 findet sich ein weiterer Eintrag zum Geschäft:

2. Der in Broschürenform herausgegebene Vortrag Brügger «Volk & Heer» wird dem Katholikenverein St.Gallen zum reduzierten Preise von 30 Rpp. [sic] in 50 Exemplaren abgegeben, weil letztere schenkungsweise an Herrn Generaladjudant [sic] Brügger verabfolgt werden wollen.

Der Schluss von Friedrich Brüggers Bettagsvortrag lautete:

Volk und Heer, das muss unbedingt zusammenhalten und zusammenbleiben, ein starkes, ein wehrhaftes Volk und Heer. Wenn je einmal, so gilt das heute, wo rings um uns die Välker ihr Aeusserstes und Letztes zusammenraffen an Kraft und an Opfer, um oben zu bleiben im blutigen Ringen. Alle Länder und Völker um uns sind nicht als ungeheure Heerlager, wo alles für den Krieg lebt und arbeitet, an der Front die waffenfähigen Männer und hinten der übrige Teil des ganzen Volkes, alle eins, alle opfer- und todesbereit. Es ist das ein ungeheuer grosses Schauspiel menschlichen Opfermutes, aber auch ein ungeheuer trauriges Schauspiel menschlichen Wirrsals.

Wir sind bis heute verschont geblieben. Danken wir Gott dafür, heute besonders, am eidgenössischen Buss- und Bettag des Blutjahres 1917, und bitten wir Gott, dass er uns ferner verschone. Will er aber auch uns die grosse Prüfung nicht ersparen, dann wollen auch wir sie mannhaft bestehen, mit Gott und mit Ehren!

Nähere Angaben zu Friedrich Brügger und Emil Buomberger: vgl. e-HLS (http://www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D3558.php und http://www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D6229.php)

Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, Wy 088 (Firmenarchiv «Ostschweiz» Medien AG, Protokolle Verwaltungsrat und Betriebskommission, 1915-1920; Texte) und Misc. sep. 119(12) (Beitragsbild)

 

 

Auszug Protokollbuch

Montag, 16. Juli 1917 – Frauen im Verein und im Protokoll

Wann genau der Aktuar des Kantonalen Lehrervereins sein Sitzungsprotokoll vom Samstag, dem 14. Juli 1917 verfasste, lässt sich nicht mehr nachvollziehen. Sehr konzentriert konnte er – sicher ein Lehrer – beim Verfassen aber nicht gewesen sein, da er notierte: Sitzung der Kommission [Vorstand], Samstag[,] den 14[.] Juli nachmittags 3 Uhr nachmittags 3 Uhr im Restaurant «Vitta» in Rorschach (sic, vgl. Beitragsbild). Ob ihn das unter Nummer 14 notierte Geschäft: Wahl einer Lehrerin in die Kommission KLV Gesuch d. Lehrerinnen St.Gallen beschäftigte?

14 Die Sektion St.Gallen des schweizerischen Lehrerinnenvereins wünscht, dass in die zukünftige Kommission des KLV eine Lehrerin aufgenommen werde. Sie begründet das in einem längeren Schreiben u schlägt zugleich hiefür Fräulein Hedwig Scherrer an der [Schule] Blumenau vor. Ob eine Vertretung der Lehrerinnen in der Kommission KLV gerade eine Notwendigkeit u. brennend ist, ist eine Frage, die wir offen lassen. Die Wahl der Kommission KLV ist alleinige Sache des Lehrertages. Mögen die Gesuchstellerinnen dort ihre Anträge stellen. In diesem Sinne hält die Kommission KLV die Sache für erledigt. 

Übrigens: Die Kantonalsektion St.Gallen des Schweizerischen Lehrerinnenvereins widmete sich in diesem Sommer einer ganz praktischen Aufgabe. Im ersten Heft des 22. Jahrgangs der Schweizerischen Lehrerinnen-Zeitung berichtete sie über die Ferienversorgung bedürftiger Schulkinder: 73 Kinder durften sich drei oder vier Ferienwochen lang auf blumenreichen Wiesen, unter obstbehangenen Bäumen, in tannenduftenden Wäldern und schwarzbehangenen Brombeerstauden erholen. Die Ferieneltern bemühten sich um die Kinder, und da und dort wurde sogar mit Ovomaltine nachgeholfen. Die Schweizerische Lehrerinnen-Zeitung – eines der frühesten feministischen Publikationsorgane der Schweiz –  ist wie viele andere Zeitungen und Zeitschriften in den letzten Jahren digitalisiert worden und online bei den sogenannten e-Periodica zugänglich (http://www.e-periodica.ch). Der vollständige Bericht über die Ferienversorgung findet sich unter: http://www.e-periodica.ch/cntmng?pid=sle-001:1917-1918:22::14

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Quelle: Staatsarchiv St.Gallen, Wy 018 (Vorstandsprotokoll des Kantonalen Lehrervereins, 14.07.1917)

Stallerberg

Samstag, 14. Juli 1917 – Sommer-(Fuss)reisen der Schüler von Hof Oberkirch (Teil 3)

Hier noch der Bericht der dritten Klasse des Landerziehungsheims Hof Oberkirch (vgl. Beiträge vom 12. und 13. Juli), die auf Sommerreise gehen durfte:

Die Siebner!

von Kurt Schürmann

Heute war endlich nach langem Regen der 1ste schöne Tag. Wir traten unsere langersehnte Sommerreise an. Wir fuhren nach Chuhr [sic] mit den Sechsern, wo die beiden Klassen sich trennten. Wir gingen von da nach Churwalden, oberhalb des Churortes [Kurortes] Passug[g] vorbei und kochten in einem Forste ab. Wir gingen nun über die Lenzerheide an den kleinen Lenzerheidsee. Dort badeten wir. Dann ginge[n wir] durch das Tal der Albula nach Tiefencastel[.] Hier verlor der Detectiv [sic] seine Feldflasche. In Tiefencastel suchten wir ein Heulager. Dann gab es ein Café complet. Alles war fröhlich, nur der Detectiv konnte [sich] nicht über den Verlust seiner Feldflasche trösten[.]

Um 6 Uhr standen wir wieder auf. Dann assen wir im Hôtel Julia. Alsdann gingen wir die Julierstrasse hinauf und durch das Tal der Julia. Hinter dem Dorfchen [sic] Mühlen kochten wir ab. In Bivio übernachteten wir in Betten. Wir gingen am andern Morgen über den Pass des Stallerberges. Nun ging es schleunigst in das Avers hinunter. Dort kochten wir ab und gingen nach Andeer. Da hier alle Gasthöfe mit Militär überladen waren, gingen wir bis nach Zillis und übernachteten. hier.

Die Oberkirchler waren auf der 1895 erbauten sogenannten Alten Averser Strasse unterwegs, die auch heute wieder «bewandert» werden kann (vgl. www.aast.ch).

Die heutige befahrbare Strasse von Juf nach Andeer ist mehr als 27 km lang, der Höhenunterschied allein auf dieser Strecke beträgt mehr als 1000 m. Von Andeer nach Zillis sind es weitere 4 km, d.h. nach dem Gewaltsmarsch vorher von Bivio her waren die Knaben bestimmt noch eine weitere Stunde unterwegs.

Insgesamt hatten die Fünfzehnjährigen und ihr Lehrer auf der Tour von Bivio nach Zillis nicht nur eine bemerkenswerte Anzahl Kilometer, sondern auch etliche Höhenmeter zurückgelegt: Bivio liegt auf 1768 m ü.M., der Stallerberg auf 2581 m ü.M., Juf zuhinterst im Avers auf 2126 m ü.M., Andeer auf 982 m ü.M. und schliesslich Zillis auf 945 m ü.M. Das bedeutet (ohne allfällige Gegensteigungen) 812 m aufwärts und 1636 m abwärts, insgesamt 2448 m Höhendifferenz.

Am andern Tag war das Wetter schlechter. Ein Teil von uns besah mit Herrn Mäder die Kirche von Zillis, die viele Altertümer enthält. Gegen ½ 9 Uhr brachen wir nach einem “zünftigen Café complet” auf, und gingen durch die romantische Via mala[.]

Als wir in T[h]usis ankamen, regnete es stark. Wir fuhren, ohne das Städtchen angesehen zu haben fort nach Chur und von hier auf den Hof.

Carl Mäder war Lehrer für Deutsch, Geschichte und Gesang in Hof Oberkirch.

Paul Schetty

Der Chronist, Paul Schetty, schloss seine Berichte über die Sommerreisen mit folgenden Worten:

Nun ist also schon wieder ein Trimester vorbei. Auch gehen einige liebe Kameraden von uns weg. Es sind Hans Hinnen [?] Alfons Haase und Annaud [?] de Frey.

Ich wünsche ihnen eim Nahmen [sic] aller recht viel Freude und Erfolge im weitern Leben.

Paul Schetty.

Weder unterwegs noch auf dem Stallerberg konnte man sich 1917 an den heute geläufigen Wanderwegweisern orientieren. Die Schweizer Arbeitsgemeinschaft für Wanderwege SAW entstand erst 1934, legte aber bereits damals die einheitliche Signalisation mit den gelben Tafeln und der schwarzen Schrift fest, vgl. www.wandern.ch

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Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, W 127 (Hofchronik 1915-1921, Text; Foto von Paul Schetty aus dem Album «Schüler und Lehrer»); Foto des Wegweisers auf dem Stallerberg: Regula Zürcher, Juli 2016

Oberkirch Sechser 1917

Freitag, 13. Juli 1917 – Sommer-(Fuss)reisen der Schüler von Hof Oberkirch (Teil 2)

Nachdem im gestrigen Beitrag die Jüngsten, die auf Reise gehen durften, berichtet hatten, folgt heute die Erzählung der Ältesten. Sirup und Alpenklübler gehörten offenbar zu den Höhepunkten für die etwa sechzehnjährigen Schüler aus der zweitobersten Klasse der Schule (vgl. Beitragsbild):

Die Sechser.

Ihr kennt sicher alle die unruhige Erwartung am Abend vor jedem Ereignis das kommen soll. Ja, so war es auch am Abend vor der diesjährigen Sommerreise. Fast konnte an nicht einschlafen. Am Morgen standen wir frühe auf, den[n] schon um 7 Uhr ging der Zug von Benken ab. Dort stiegen auch die Siebner ein. Beide Klassen fuhren bis nach Chur. Dort trennten wir uns, und wir fuhren mit dem “kleinen Bähnchen” [Rhätische Bahn] nach Disentis. Schon in Chur bekamen wir einen Syrup [sic] und Käse. Man hörte Stimmen, Herr Tobler habe heute einen “ganz Gueten”. In Diesentis [sic] gingen wir auf der Pass[s]trasse nach St.Maria. Es war eine 5stündige Tour. Manchen schien der Luckmanier [sic] länger als sie gedacht hatten. Hier blieben wir nun 3 Nächte. Hat einer von Euch schon in St[.]Maria gelebt für einige Zeit? Nein, das ist eine sehr lustige Pinte, dieses Hospitz. Wir bekamen “Kaffee complet”. Einfach prima! Nur ein wenig spät kam er. Doch auf die letzten Tage haben wir auch diesem Graubündner Übelstand abgeholfen. Wir bestellten unser Essen regelmässig 1 bis 1 ½ Stunden zu früh, und dann kam es etwa zur rechten Zeit. Fluchte man, so sagten die romanischen Leute: “In eine Augenblick.” Immer mit dem gleichen Gesicht schauten sie uns an, ob wir lachten oder fluchten.

Ja, also wir schliefen hier in der ersten Nacht. Wir hatten ein gutes Heulager. Am 2ten Tag gingen wir auf den Scopie [Scopi]. Eine schöne Aussicht erfreute Alle [sic]. Es war 5 Stunden hinauf, die ersten waren in einer Stunde schon wieder unten.

Dann lies[s]en wir noch ein wenig das Kalb los. Zum Essen gab es Spag[h]etti mit – – Gaiskäs! Ihr hättet den Kuenzli sehen sollen, wie er “gefuschtet” hat, als er bemerkte, das[s] e skein Kuhkäse war. Natürlich wurde seine neuste Schwäche sofort gepackt und auf der ganzen Reise ausgenützt.

Nachher gabs [sic] es einen Syrup. Ja, es musste doch wa[h]r sein, das[s] Herr Tobler einen “guten” auf der Reise hatte.

Am 3ten Tag gingen wir an den Ritomsee. Das Wetter war schon nicht mehr ganz bock, aber richtig verregnet wurden wir nicht. Diese Tour füllte den ganzen Tag aus. Zum Abendessen gab es Schaffleisch. Dann verzogen wir uns aufs Heu. Am nächsten Tag war das Wetter ganz bedenklich. Eigentlich wollten wir über den Rondadurapass, aber so mussten wir wieder die Lukmanierstrasse hinunter und wurden traurig verschifft [verregnet.]

In einem ganz kleinen dunkeln und stinkigen Kuhstall mussten wir unterstehen. Dann aber besserte sich der Himmel, und die Sonne kam wieder hervor. Wir gingen nun nach Sedrun und Tschamut. Hier shliefen wir in Betten. Wir hatten es redlich verdient, denn den ganzen Tag waren wir auf den Beinen gewesen.

Das kleine Alphotel war sehr nett eingerichtet. – Hier gab es ein Essen. Omelette und Kartoffeln. Die Leute konnten nicht genug herbeischaffen. Es wurde kiloweise alles verschlungen. Nach dem Essen ging der Kuenzli sofort ins Bett, weil er ganz sicher sein wollte, ja nicht mehr hinausgetrieben zu werden. Dies rief bei allen eine grosse Erheiterung hervor. Nun mussten wir uns auch in’s Fremdenbuch schreiben. Neger schrieb sogar unter Stand hinein “stud. Neger”! und Hurmes [?] auch dorthin “Gewe [? “GW” für Grössenwahn?] im Hage”.

Dann krochen wir in die Kisten. Um 6 Uhr morgens ging es schon wieder hinaus. Auf den Oberalp marschierten wir. Von da aus nach Andermatt. Nun gings die wunderbare Schöllenenschlucht hinab. Einfach grossartig und erhebend. In Göschenen nahmen wir am Bahnhof zu Mittag. Herr Zahn begrüsste uns dann noch. 1257 gings mit dem Gotthardzug nach Flüelen. Die Kehrtunnels bei Wassen machten allen viel Spass. In Flüelen angekommen, bestiegen wir das Schiff und fuhren aufs Rütli; an dieser heiligen Städte [sic] nahmen wir ein[en] Syrup und einen Alpenklübler. Dies war kolossal einfach und hatte eine kollossale [sic] Wirkung. Sehr fröhlich gestimmt, fuhren wir wieder nach Flüelen, und von da asu über Art-Goldau [Arth-Goldau] auf den Hof. Müde und frisch landeten wir und schliefen die Strapazen der Reise aus.

In St.Maria machten wir noch die Bekanntschaft mit Herr[n] Pfarrer Bolt, dem Verfasser der Bücher: Sviz[z]ero, Peterli am Lift und Allzeit bereit. Ein feiner Mensch!

Gemeint ist der in Lichtensteig SG geborene Theologe und Schriftsteller Niklaus Bolt (1864-1947). Die genannten Werke waren über Jahrzehnte beliebte, mehrfach neu aufgelegte und übersetzte Jugendbücher. Der Svizzero erreichte ähnlich hohe Verkaufszahlen wie Johanna Spyris Heidi. (Informationen aus den Artikeln zu Niklaus Bolt im e-HLS und in wikipedia, beide konsultiert am 24.02.2017)

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Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, W 127 (Hofchronik 1915-1921 und Foto «Die VI-er 1917»)

Linolschnitt Oberkirch

Donnerstag, 12. Juli 1917 – Sommer-(Fuss)reisen der Schüler von Hof Oberkirch (Teil 1)

Die Pädagogen des Landerziehungsheims Hof Oberkirch bei Kaltbrunn waren geprägt von der Wandervogelbewegung. Sie ermöglichten auch ihren Schülern entsprechende Erfahrungen, von denen in der Schulchronik berichtet wird. 1917, mitten im Krieg, durften drei Klassen auf Tour gehen. Hier der Bericht der Jüngsten von ihnen:

12.7.17.

Die Ferienreisen.

Nun hatten uns die Eltern doch erlaubt, eine Sommerreise zu Machen. Am 7ten Juli zogen wir fort. Da ich die Reise der Siebner und 8ter nicht mitgemacht habe, lasse ich ihre Residenten sprechen.

Röbeli Straub gab das Amt zu erzählen dem Aktuar Hasenfratz. Der berichtet folgendes:

Am Morgen des 12ten Juli fuhren wir fort am See entlang nach Pfäffikon. Von dort aus marschierten wir auf den Etzel, wo wir auf einer Wiese Brot bekamen. Wir gingen von da aus nach Einsiedeln. Besondere[s] Interesse erregte die Kirche. Vor diesem Flecken essen wir kalt zu Mittag. Dann gingen wir durch das Alptal bis zum Fusse des Mieten [sic, gemeint ist der Mythen]. Wir kochten ab und assen zu nacht. Nach[h]er ging’s noch bis zu der Sennhütte zwischen den Mieten; hier suchten wir unser enges Strohlager auf.

Schon um halb 4 Uhr standen wir auf, und bestiegen den Mieten; in halber Höhe sahen wir den Sonnenaufgang. Oben sahen wir sehr weit herum und einer Photographierte [sic]. Nach einer Stunde stiegen wir wieder hinunter, packten und tranken kuhwarme Milch. Nun machten wir die Tour über den Sattel nach Schwyz. Dort rasteten wir und besahen Rathaus und das [Bundesbrief-]Archiv. Alsbald gingen wir gegen die Station Sattel am Übergang zum Agerisee [Ägerisee], und von da nach Morgarten. Hier fassten wir unser Nachtessen, und verzogen uns nach[h]er ins Heu. Am andern Morgen fuhren wir mit dem Dampfschiffchen nach Aegeri, wo wir gegen Zug in die Höllengrotte [Höllgrotte bei Baar ZG] marschierten. Wir wurden von 2 Wächtern in den Höllen herumgeführt und schauten die herrlichen Tropfsteingebilde an. Wir assen an der Lorze zu Mittag und dann waren wir rasch in Zug. Hier badeten wir, dann fuhren wir auf den Hof zurück.

Für die 8ter

Aktuar Hasenfratz.

Verfolgt man die Route auf einer Karte, so kann man nachvollziehen, dass die gut vierzehnjährigen Knaben in den drei Tagen fast 70 km zu Fuss marschiert waren. Die einzelnen, beschriebenen Streckenabschnitte sind zu Fuss in jeweils zwei bis drei Stunden zurückzulegen.

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Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, W 127 (Hofchronik 1915-1921 und Hof-Zeitung 1914/15, Linolschnitt von Oskar Türler)

Blume

Montag, 2. Juli 1917 – Elterntag in Hof Oberkirch

Montag, 2. Juli.

Der Elterntag,

Der 2te Juli war da. Schon in der 1sten Stunde kamen die St.Gallereltern. Natürlich spornten wir unsere Leistungen zum höchsten an. Viel Eltern waren es nicht. Erst um 12 Uhr sollten die Zürcher kommen. Und dies waren die Mehrzahl. Die Morgenstunden gingen glatt ab. Nur in der Mathematik bei den Sechsern [6. Klasse] war es ein wenige anders. Wenn nähmlich [sic] Frau Bez.-Ammann hören musste, dass ihr filio Küenzli einen fehlerhaften Satz machte, so schüttelte sie kräftig den Kopf und seufzte unwillig: «ne-!ne-! [sic] Nun war das Mittagessen. DAs Wetter sah bedenklich aus. Doch Herr Tobler liess draussen decken, denn er dachte: «Na, es wird doch halten!» Kaum sass die 35köpfige Gesellschaft am Tisch, als grosse, schwere Tropfen aus dem grauen Gewölk herunterzutropfen anfiengen [sic].

Doch die lustigen Leute und Höfler lies[s]en sich nicht so schnell stören. Man holte Pelerinen & Mäntel. Nun hüllten die Höfler ihre Mamenen [Mütter] ein, und das Diner nahm seinen Fortgang. D

och nun fing es an zu schiffen! Regnen kann man es nicht mehr nennen.

Wir mussten hinauf in den Essaal. Nun rannten die Herrschaften in den Essal [sic]. Wer hätte gedacht, dass alle diese so verschiedengeformten Eltern so rennen könnten?

Jakob, der schöne Portier nahm fast 2 Tische auf einmal – bald sassen wir im grossen und kleinen Speisesaal. Sogar im Pavillon waren Tische. Aber die guten Leute verloren den Humor nicht. Das Essen war auch prima. Die Alwine [?] hatte auch einen guten Tag! Sie war sogar trotz der riesigen Arbeit sehr gut aufgelegt und lachte, wenn auch niemand ein[en] Witz machte. Nach dem Essen gab es eine Aussprache für die Eltern. Die andern machten ein Fussball[spiel] oder Studien. Das hinterlistige Regnen hörte nun Plötzlich [sic] auf. Nach der Aussprache kamen die Eltern zum Fussballplatz herunter. Das Spiel wurde beendet. Nun meinte Herr Schlegel[, Lehrer für Mathematik, Feldmessen und Buchhaltung,] man solle noch ein Wettrennen veranstalten. Doch als man die Leute aufstellen wollte, waren sie nich tmehr da. Nun ging’s zum Schwimmbad. Das ganze Bassin war von Eltern umgeben.

Feurig glitzerten die Augen der Höfler. Denn wenn einer Eindruck schinden will, so kann er dies doch am besten am Elterntag[,] wenn’s Baden gibt. Oder?? – Ihne!! [Hinein!] BäBäBäBäBäBä Pfsch. [sic] Es spritzt nur so. Grossartiger Kopfsprung. Doch schnell hinaus. Es ist eiskalt. Wie immer! Oder hat schon ein Höfler am Elterntag in ordentlich warmen [sic] Wasser gebadet? – Die schon lange vorher geübten Kunststücke werden nun produziert. Freudestrahlend zeiget sich der Sohn seinen glücklichen Eltern.

Nachher gab’s nicht mehr etwas besonderes! Man bunnelte [sic für bummelte?] noch mit seinen Eltern. – Halt fast hätte ich das Abendessen vergessen. Das war ein prima Tee mit Confiture und Butter bis zur Bewusstlosigkeit. Zur allgemeinen Erheiterung sassen wir wieder an unsere alten Plätze vom Mittag, wieder die lustige und gemütliche Unordnung. – Nach dem Tee gingen langsam die Eltern heim. Die meisten Höfler begleiteten sie auf den Bahnhof. Dort die rührenden Abschiedszehnen [sic] und Haendedrücken, einzelne Traenen. Wenn der Zug schon ein wenig ihm [sic] Fahren ist, gibt einem der Papa noch ein «Mocke Gips»[.] Dann rasselt das Liebe davon. – Der Elterntag ist vorbei -.

In der Hof-Zeitung, dem üblicherweise dreimal pro Jahr erscheinenden Mitteilungsblatt berichtete der Direktor über die Themen der Aussprache mit den Eltern:

.[…] Am Nachmittag versammelten sich die Eltern und die Lehrer in der Bibliothek, wo zunächst die bevorstehenden Sommerwanderungen besprochen wurden. Darauf gaben Herr Franz Weber, Wädenswil [Vater eines Schülers in der 6. Klasse], und Herr Traugott Simmen, Brugg [Vater eines Schülers in der 7. Klasse], in packenden Worten ihren Gefühlen der Dankbarkeit und Anerkennung Ausdruck für die Erzieherarbeit auf Hof Oberkirch. Eine kurze Aussprache über den Fussballsport führte dann hinunter zum Spielplatz, wo eben ein Fussballspiel vor sich ging. Wir haben gesehen, dass sich da manche Ansicht geklärt hat. […]

Zum Fussballspielen in Hof Oberkirch vgl. auch den Beitrag vom 10. Mai 1916 (mit Fotos).

Nächster Beitrag: 9. Juli 1917 (erscheint am 9. Juli 2017)

Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, W 127 (Schulchronik 1915-1921; Hof-Zeitung, Nr. 11, Dezember 1917; Beitragsbild: Linolschnitt von Hans Simmen in: Hof-Zeitung, Nr. 10, Juli 1917)

 

Hotel Inserate

Mittwoch, 6. Juni 1917 – Krise im Fremdenverkehr?

Die Betriebskommission der Zeitung Ostschweiz vermerkte in ihrem Protokoll vom 6. Juni 1917:

5. Es fällt auf, dass uns die Hotel-Inserate fehlen. Das Präsidium soll untersuchen, warum hierin nicht mehr gehe & wie überhaupt Hr. Lampert seine Acquisitionstätigkeit ausübt. Es soll an die in Frage kommenden Hotels eine Einladung zum Inserieren auf die Ferien ergehen.

Am selben Abend erschien in der Ausgabe der Ostschweiz das obige Beitragsbild, samt einem Inserat des Kurhauses Waldheim:

Kurhhaus Waldheim

Die Akquisitionskampagne hatte offenbar Erfolg. Am 9. Juni inserierten neben den Kurhäusern Buchserberg, Wangs, Sonnenberg in Vilters und Säntis in Unterwasser auch diese Hotelbetriebe aus dem Toggenburg:

Hotels im Toggenburg

Die Ausgabe der Ostschweiz vom 9. Juni enthielt darüber hinaus auch Anzeigen von Gasthäusern aus den Kantonen Glarus und Graubünden.

Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, Wy 088 (Firmenarchiv «Ostschweiz» Medien AG, Protokolle Verwaltungsrat und Betriebskommission, 1915-1920) und P 907 (Die Ostschweiz, 06.06.1917, Abendblatt: Beitragsbild)

 

Huetten

Pfingstmontag, 28. Mai 1917 – Das St.Galler Bachstelzentrio (Teil 2)

Das Aufwachen in der Alphütte am andern Morgen war für die Naturfreunde auf Pfingsttour alles andere als gemütlich. Der Berichterstatter notierte: […] meine Zähne klapperten mit wahrer Virtuosität, hielt der Autor des Berichts fest. Hier die Fortsetzung seines Berichts (Teil 1 vgl. Beitrag vom 27. Mai):

Morgens halb 5 weckte mich ein Juchzer aus dem Halbschlummer, denn ich konnte vor Frieren kaum schlafen, u. meine Zähne klapperten mit wahrer Virtuosität. Die andern beiden schliefen noch ruhig, als ich Sie [sic] durch türaushängen [sic] wekte, dieselbe vor die Schwelle legte u. die Herrschaften einlud[,] auf die so geschaffene Terrasse hinauszutreten[,] um den herrlich anbrechenden Tag zu bewundern. Das Morgenessen wurde auf später verschoben[,] wenn die Sonne uns mit Ihren wärmenden Strahlen durchdringen würde[,] was jetzt noch nicht der Fall war[,] denn es war noch ziemlich kühl, also war man schnell Marschbereit [sic] u. weiter gings zur Obersee-Alp hinunter, doch kaum hatten wir etwa 100 Schritte gemacht, welch trauriger Anblick bot sich uns? wo [sic] ehemals schöner Hochwald gestanden hatte, ragten nur noch abgebrochene Strünke in die Luft u. die Stämme lagen in wilden [sic] Chaos durcheinander. Hier musste eine ungeheure Lawine oder ein Orkan gewütet haben. ca [sic] 5 hektaren [sic] gross war die verwüstete Fläche. Bald haben wir uns durchgearbeitet u. gelangten zur Oberseealp vor der Hütte tummelten sich einige Touristen, über magere Alpweide gings in Südlicher [sic] Richtung der Sulzalp zu. Vor der Alp Kreuzegg an einem muntern Bächlein wird gelagert[,] um den Kulinarischen [sic] Genüssen zu fröhnen [sic], kaum fertig mit Essen u. Waschen eröffnet unser Photo-Fritze eine Tannzapfenschlacht[,] in dessen Verlauf der Berichterstatter einen Volltreffer an den Kürbis erhielt, u Hans einen in den Kochenden [sic] Thee als Zuputz.

Nach ca ¾ Stdg. Rast gehts weiter mit erst mässiger[,] dann starker Steigung einem Bach entlang über den Sulzboden zur Sulz 1387 m hinauf [.] Hier beginnt der Schnee, er ist aber schön zu begehen[,] denn er trägt. Die Vegetation bleibt immer mehr zurük u. die Gegend nimmt hochalpinen Charakter an. So erreichten wir nach 2 Std. steigen [sic] die Alp Lachen 1500 m. Hier befionden sich 2 offene gute Hütten mit schönem Heulager, nur an Wasser fehlts, so löschen wir halt den Durst mit Schnee u. Citronen[,] welche letztere Menzer noch mit Zuker versüste [sic] u. nach kurzer Rast gings weiter der Passhöhe zu[,] welche wir nach schönem Steigen in 1 Std erreichten. Nun eröffnet sich uns eine neue Welt, vor uns das gewaltige Glärnisch-Massiv, rechts davon schaut die schöne Pyramide des bösen Faulen herfor [sic] als schöne Fortsetzung Pfannenstock, Silbern, Pragelpasshöhe u. Schwarzstock. Direkt zu unserer rechten [sic] erhebt sich der Rädertenstock in schönen Schichtenbildungen, dreht man sich um[,] so reiht sich Stock an Stock[,] worunter der Brünnelistock mit 2150 m als höchster regiert, als letzter ist noch die Scheye mit 2261 m zu bemerken. Soeben beginnt der Photograph seine Arbeit[,] um die Umgebung auf seine Platten zu fesseln, auch auf uns zwei arme Sünder hat er es abgesehen, wir hatten gerade ein schönes Rasenplätzchen ausgemacht[,] um auszuruhen, da ertönt sein Kommando: rückwärts, etwas links, noch etwas, halt; wir wollens uns wieder bequem machen, doch welche Gemeinheit! unser [sic] Kommandeur hatte uns in den grössten Dreck hinein dirigiert, wi’s [sic] beim Militär üblich ist, unser Protest fand jedoch taube Ohren u. da er unerbittlich blieb[,] so fügten wir uns drein u. legten uns hien [sic,] sonst wären die Berge im Hintergrund eifersüchtig geworden auf unsere Grösse u. da dacht ich[,] Bescheidenheit ist eine schöe Zier, wenns auch einen drekigen Hintern kostet.

Halb 2 Uhr began der Abstieg, bis zur Alp Ober Längenegg gings Pfadlos [sic] über ziemlich steile[,] aber üppige Alpweide hinunter, dann ca 10 Min das Tälchen hinaus in Westlicher [sic] Richtung, dann begann ein Weg[,] wie wir noch keinen unter den Füssen hatten u. yeder [sic] Beschreibung spottet, der berüchtigte Brühltobelweg [im Alpstein] ist ohne Übertreibung ein Spaziergang dagegen, so geröllbesät u. steil wie er war[,] musste man springen[,] ob man wollte oder nicht, ein Wunder[,] dass dabei keiner den Fuss verstaucht hat, Freund Menzer sprang mit wahrer Todesverachtung voraus u. erreichte dann auch als erster die Pragelstr. Endlich hat die hüpferei [sic] ein Ende u so sind wir die 1000 m in 50 Min hinuntergesprungen. Nach 10 Min war das Gasthaus Vorauen erreicht[,] wo wir bei einer Flasche Bier etwas verpusteten, dann gings im Stechschritt dem Klönthalersee entlang. Unterwegs überholte uns ein Bauernfuhrwerk[,] welches wir aber etliche Male wieder einholten. Yedesmal [sic] wenn wir wieder in der Nähe desselben waren[,] bekam das Pferd wieder ein Fitz [einen leichten Schlag], denn der Bauer wollte nicht[,] dass wir Ihn [sic] überholten. Da gabs für un sein[en] lustiger [sic] Zwischenfall, das Wägeli war bereits wieder eingeholt, als dasselbe sich plötzlich vorne rechts runter neigte u. die biedern Leutchen beinahe mit dem Strahsengraben [sic] Bekanntschaft gemacht hätten[,] denn das vordere rechte Rad war herausgefallen, der Schaden war aber schnell wieder gut gemacht u. weiter gings 4 ¼ Uhr kam Netstal in Sicht[,] ehe wir ins Dorf hineinmarschierten[,] schlugen wir uns seitwärts in die Büsche[,] um etwas Toilette zu Machen, uner Photograph folgte zwar nur murrend, denn Ihn [sic] plagte der Durst[,] uns zwar auch nicht minder[,] doch war die Sache bald in Ordnung, dann gings am berühmten Löntschenwerk vorbei ins Dorf hinein zum Bahnhof. Die 5/4 Std Aufenthalt wurd[en] zu einer Erfrischung benützt.

10 Min vor der Zeit kam ein Extrazug angefahren[,] wihr [sic] verstauten uns dort drin trotz dem Ruf der Schaffner: nicht einsteigen, dann gings fort hinaus aus dem schönen Linththal [sic]. In Ziegelbrüke hiess es ausstigen[,] der Zug fahre nicht über Uznach, wider [sic] mehr als 1 Std. Aufenthalt u. endlich konnten wir wider [sic] einsteigen u. kamen mit ziemlicher Verspätung in Uznach an[,] wo der Toggenburger Zug schon auf uns wartete. Glüklicherweise war dieser schon dermahsen überfüllt[,] dass wihr 2. Cl. fahren konnten [damals gab es noch 3 Klassen in den Zügen], wie fuhr sichs da schön auf den weichen Polstern. Freund Menzer u. der Berichterstatter waren denn auch bald eingeschlafen, wä[h]rend Hans noch seinen Ruksak nach etwas essbarem [sic] durchstöberte u. sich an den Überbleibseln gütlich tat. Da wurden wir plötzlich Morpheus Armen entrissen, St.Gallen war erreicht.

Froh über die prächtig verlaufene Pfingsttour trennten wir uns u. 2 Tage der Freiheit waren vorüber.

Berg frei!

Teilnehmer: H. Weber, Menzer

der Berichterstatter: O. Schlegel.

Obwohl im Bericht immer wieder davon die Rede ist, dass einer der Teilnehmer fotografierte, finden sich keine Bilder der Tour, und auch Zeichnungen oder Skizzen der Berichterstatter, wie sie in anderen Schilderungen zu finden sind (vgl. z.B. Beiträge zum 2. Juli 1916 und vom 6. August 1916), gibt es keine. Das Beitragsbild ist dem zweiten Band der Tourenberichte der St.Galler Naturfreunde entnommen, man findet es dort auf der Titelseite.

Nächster Beitrag: 31. Mai 1917 (erscheint am 31. Mai 2017)

Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, W 285/2.06.1-1 (Tourenbericht, der besseren Lesbarkeit wegen durch Absätze gegliedert) und W 285/2.06.2-1 (2. Band der Tourenberichte)