Soldaten mit Gasmasken

Samstag, 20. April 1918 – Lage der Zivilbevölkerung und der Truppen im Aktivdienst

Hedwig Haller (1884-1963), aus deren Tagebuch das folgende Zitat stammt, wuchs am St.Galler Marktplatz auf. Dort betrieb ihr Vater eine Flaschnerei (Spenglerei). Die aus Württemberg stammende Familie war 1886 eingebürgert worden. Hedwig hatte den «Talhof» besucht und arbeitete als Telefonistin in der St.Galler Hauptpost.

20. April. Es wird immer schlimmer. Die Teuerung wächst zusehends. 1 Liter Milch kostet 40 cts. Die Kohlennot ist so gross, dass fast keine Bahnzüge mehr verkehren. Es ist nur ein Glück, dass es der bessern Jahreszeit entgegen geht & man bald nicht mehr heizen muss. Der Vater hat zwar schon vorgesorgt & hat buchene Scheiter gekauft, die er nach & nach versägen will. Der Meter kommt auf 40 frs.! Wer irgendwie kann, der pflanzt Gemüse & Kartoffeln. Der Staat verlangt, dass der Boden dazu verwendet wird & gibt die Steckkartoffeln gratis & den m2 Land zu nur 5 fr. zu pachten. –

Soldaten beim JassenWährend Schweizer Soldaten an ihren Posten an der Grenze höchstens einen «Gasmaskentürk» über sich ergehen lassen mussten, daneben Wartezeiten aber auch mit Jassen zubringen konnten, sah das Leben der kämpfenden Truppen im Ausland ganz anders aus:

Am 21. März hat die grosse Offensive begonnen im Westen, an der wieder unsäglich viel Blut vergossen wird. Louis [Verwandter von Hedwig Haller] schreibt: „Die Kämpfe mit den Engländern sind furchtbar hart. Wir kampieren immer im Freien, da die Gegend so verwüstet ist, wie glatt rasiert dem Boden gleich ist Alles.“ – Wenn nur einmal eine triftige Entscheidung käme, die all dem Elend endlich Halt gebieten würde. ! –

Zitate aus Hedwig Hallers Tagebuch sind bereits erschienen am: 11. Februar 1917, 23. Februar 1917 und 1. Oktober 1917

Quellen: Privatbesitz (Tagebuch Haller, Transkription und Hinweis zur Autorin: Markus Kaiser) sowie Staatsarchiv St.Gallen, W 132/2-337 und W 132/2-338 (Bilder aus dem Erinnerungsalbum des Geb. Sch. Bat. 8 im Aktivdienst an der Grenze bei Basel vom 18. März bis 2. Juni 1918)

Hof Oberkirch

Mittwoch, 20. Februar 1917 – Wie schön ist doch die Schweiz

Hof Oberkirch: Das Alte Haus, Reproduktion nach einer farbigen Zeichnung von A. Blöchlinger

Brief eines Ehemaligen des Landerziehungsheims Hof Oberkirch, Kaltbrunn, an seine Ausbildungsstätte:

Wien, 20. Februar 1918

Die schönsten Erinnerungen an die Schweiz sind die an meine Reisen, die ich vom Hofe aus in dieses herrliche Land machte: zuerst die Herbstreise an den Bodensee und auf den Hohentwil [Hohentwiel], dann die Frühlingsreise mit Herrn Schlegel an den Genfersee und schliesslich die Bernerreise zur Landesausstellung. Wie schon ist doch die Schweiz immer und überall, am Bodensee ebenso wie am Genfersee! Ueberhaupt die Seen, die schönen Schweizerseen! Am liebsten ist mir immer der kleine Walensee gewesen.

Aber auch am Hofe war es schön. Lustig und fröhlich ging es immer dort zu. Freilich im anfang konnte ich nur mit Mühe den eigentümlichen Schweizer-Dialekt verstehen, aber das dauerte nicht lange, da verstand ich «Schwizerdütsch» ganz gut. Im Anfange hiess ich «der Oestricher», später nannte man mich mit meinen beiden Zimmerkameraden «die drei verrückten Karls». Auf der Terrasse führten wir damals noch wilde Fussballschlachten, wo uns allerdings infolge unseres Eifers bald 4 schöne Gummibälle in den Garten fielen, wo sie Herr Tobler [Direktor des Internats] konfiszierte. Hoffentlich bekomme ich sie wieder, wenn ich auf den Hof komme.

Gerne erinnere ich mich noch unserer Karnevalsunterhaltung, bei der ich aus Türlers Vorrat meine erste Zigarre, zu meinem Erstaunen ohne die prophezeiten fürchterlichen Folgen, rauchte.

Türler war übrigens auch unser Tischoberster und hatte u.a. auch die Pflicht, die süsse Speise auszuteilen, was aber nicht immer genau mit den anwesenden Personen ausging. Der Ueberschuss verfiel zumeist seiner unersättlichen Esslust, indem er meinte, er als Bauer müsse für drei schaffen und daher auch für drei essen.

Noch viele andere Sachen wüsste ich, aber ich will sie lieber für den Althöflertag nach dem Kriege aufheben, wenn wir armen Ausländer auch wieder in die Schweiz dürfen. Sie können mir glauben, dass ich diesen Tag sehnlichst herbeiwünsche.

Mit besten Grüssen Ihr

Karl Scheibe.

Karl Scheibe, Jahrgang 1899, war von 1913 bis 1914 im Hof Oberkirch. Er war zunächst Mitarbeiter und nach dem Tod seines Vaters Leiter der elterlichen Grossbuchbinderei in Wien.

Oskar Türler, Jahrgang 1898, war von 1912 bis 1915 Schüler im Landerziehungsheim. Nach Schulaustritt machte er eine Weiterbildung in einer landwirtschaftlichen Schule, war Knecht und Gehilfe in verschiedenen landwirtschaftlichen Betrieben, in denen Getreide- und Weinbau, Viehzucht und Milchwirtschaft betrieben wurde. Später lebte er zusammen mit seiner Familie als selbstständiger Bauer in Ebersol (Im Moos, Gemeinde Mogelsberg).

Quelle: Staatsarchiv St.Gallen W 127 (Landerziehungsheim Hof Oberkirch, Hof-Zeitung, Nr. 12, April 1918, Text und Beitragsbild; Nr. 40, Juni 1927, Hinweise zu Karl Scheibe und Karl Türler)

Aerztemission

Donnerstag, 13. Dezember 1917 – Schweizer Aerztemission in Eng-land: Kiss the children

Vom 17. September bis zum 25. Oktober unternahm eine schweizerische militärärztliche Kommission für Austausch und Internierung der Kriegsgefangenen eine Reise nach England. Mitglied dieser Kommission war auch der Psychiater Franz Beda Riklin, der in früheren Blogbeiträgen unter anderem aus seiner Zeit als Militärarzt im Welschland berichtet hatte (vgl. Beitrag vom 17. August 1917).

In einer Broschüre, die 1918 erschien, schilderte Riklin seine Eindrücke, unter anderem von der Furcht vor Luftangriffen (Air-Raids). Auch die Lithographie für die Titelseite stammt von ihm (Ausschnitt daraus im Beitragsbild). Möglich ist, dass er, noch unter dem Eindruck der Reise, seine Erlebnisse in der Vorweihnachtszeit festhielt und an dieser Abbildung arbeitete. Bereits zuvor hatte er in verschiedenen Briefen an seine Frau über die Reise berichtet. Er schrieb in etwas holprigem Englisch, weil die Korrespondenz die Zensur passieren musste.

Grosvenor

Aus dem Grosvenor Hotel in London berichtete er am 10. Oktober 1917 nach Hause: My dear, Today we leave London, going back to Stafford. We will have quite hard work for some days and see about 1200 men again. Few and few the time approaches where we will be once more happily together. When you get this letter, we will already be travelling in France. Possibly Dr. Vischer [Leiter der Delegation?] is sending you a special enveloppe, but I don’t know if it reaches you before my return. Yesterday I visited Mrs Rider, Mr. McCormicks friend. She is a very nice and interesting American woman; I will see her the day we stop in London on our backway. She told me quite openly her opinion about the McCormicks. Don’t write mor[e] after getting this letter. I hope you to be still in good conditions. I have learned here a lot how to meet people. It gets cold, without heating, so in the evening I begin to get cold feet. I am in best health. Few and few I get enough about this sejour and will be very glad to work again at home, and very happy to continue the life with you together again. With best regards to mother and all people interested to us. Kiss the dear babys. Sincerely Yours Franz.

Zwei Tage später (12. Oktober 1917) notierte er in Stafford: My dear love, Since yesterday, we are once more here to work in the camp near here. A lot of work. I like the moore-country where we go everyday. The weather begins to get bad. Since I am here, I have a certain feeling of awakening, so I make the constatation that in London I was not quite «awaken», without feeling it. I hope to get of your news tomorrow or Sunday. We have to work here in every case until Thursday evening, and still two or three days in two other camps; so we will [be] back in London about at the end of the week, and stop in London for two days. So we will be travelling back, leaving London about the 15th; when we go to the front, it will take about another week, so that you will expect me about the 22th, I hope really not later. I am very anxious to get of your news the next days. Kiss the children. All my best wishes and  kindest regards. Yours truly Franz.

Erneut zwei Tage später war er immer noch in Stafford. Der Brief vom 14. Oktober ist der letzte überlieferte aus der Ehekorrespondenz zwischen Franz Beda Riklin und seiner Ehefrau aus dem Jahr 1917: My dear love, This morning I got your letter; it is very agreable every times [sic] to know that all is in order – except this vagabond which [sic] went in the Chalet at Laui-Alp [?]. It is rather peculiar that it happenes [sic] the first time after nine years. Don’t Forget to advertise the insurance compagny [sic]; Schlumpf at Alt-St. Johann is the Agent. Took this vagabonds the silver? Ugly people! Here all is well; I like so much this moor-country near here. – In ten days I hope to be at home; I will telegraph you when I arrive at Geneva; it is useless before; the telegramme would reach you to[o] late. Here we are well-nursed [?], about like children, exceedingly carefully. I got as cadeau «The first hundred thousand», which you shall write. I am rather inclined to write down some charactaristical [sic] impressions and thoughts; I tried such a sketsch [sic], and I think it is not too bad. The next place we stop is Derby, the last before returning. The weather is not unpleasant; autumn indeed, and the motordriving every morning and evening wonderful. Kiss the babys all together. Kindest regards. Yours Franz.

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Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, W 106 (Nachlass Franz Beda Riklin) und Riklin, Franz: Impressionen aus England, Zürich 1918 (Beitragsbild und erstes Zitat)

Molitor

Dienstag, 20. November 1917 – Brief nach Deutsch-Südwest-afrika

Richard Molitor, Soldat in der deutschen Armee, schrieb noch eine dritte Karte an seinen Kollegen in St.Gallen, Joseph Fischer (vgl. Beiträge vom 23. Juli und vom 8. November 1917). Im Sommer hatte er die Zusendung von Schokolade gewünscht, und in der Mitteilung vom 8. November hatte er Joseph Fischer gebeten, einen Brief von ihm an einen Bekannten in Namibia weiterzuleiten:

Ohrdruf, 20. Nov. 1917

M. l. Jo. [Mein lieber Joseph]

Herzl. Dank für die rasche Antwort. Die wiederholte Adresse ist richtig. Brief geht in nächster Zeit ab. Er ist nicht gross. Möchte Dich aber doch um eine weitere Gefälligkeit bitten. Es wäre mir sehr lieb, wenn Du den Brief etwa 14 Tagen [sic] nach dessen Abgang in engl. Übersetzung nochmals an Albert abgehen lassen würdest. Einen davon dürfte er dann wohl erhalten. Für Deine grosse Freundlichkeit herzl. Dank. Ja, Dein l. Kärtchen vom Sept. betr. Choc. [Schokolade] habe ich s. Zt. richtig erhalten u. Dir auch bestätigt. Sollten meine Zeilen nicht angekommen sein, was ich befürchte, so sage ich [zweites «ich» gestrichen] Dir nochmals recht vielen Dank. Ich mache Dir doch grosse Mühe, gelt? Ich freue mich, dass es Dir immer recht gut geht. Ja, hoffentlich gibt’s nach dem Kriege ein Wiederluge [sic, schweizerdeutsch «Wiederluege» für «Wiedersehen»], der Friedensengel wird doch endlich einmal kommen. Empfange herzl. Grüsse von Deinem Freunde Richard.

Die Postkarte, auf dem die Mitteilung geschrieben wurde, enthielt auf der Vorderseite das Beitragsbild. Als Bildunterschrift steht Für «ihn»! Auf der Rückseite ist Näheres zur Serie zu erfahren: Wennerberg-Karte der Lustigen Blätter (Serie VII Nr. 7.) Grosse farbige Kunstblätter mit dem gleichen Bild auf Chromokarton (42:33 cm) 2 M. [2 Mark] Verlag der Lustigen Blätter (Dr. Eysler & Co.) G.m.b.H., Berlin SW 68.

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Quelle: Staatsarchiv St.Gallen, W 207, Album „Aus den Kriegszeiten“ (Karte an Joseph Otto Ferdinand Fischer (1892-1967) in St.Gallen)

Donnerstag, 8. November 1917 – Umständliche Kommunikation

Auf einer eng beschriebenen Karte berichtete Richard Molitor (vgl. Beitrag vom 23. Juli 1917) erneut an seinen Kollegen, Joseph Fischer, nach St.Gallen:

Ohrdruf, 8. Nov. 1917.

M. Lieber!

Meine Karte aus meinem ersten Urlaub wirst Du erhalten haben. In Neustadt [?] gibt es nichts besonders Neues. War auch mit Hubert zusammen. Machte u.a. einen Besuch in Urishof [?]. Von Albert hört man seit langem nichts mehr. Ich soll ihm mal durch Dich schreiben. Schicke Dir nun nächstens einen Brief für ihn. Sei bitte so freundlich u. sende ihn in neuem Umschlag mit Deinem Namen als Absender weiter. Die Adresse lautet: Albert Ketterer, Farm Omateva, District Gobabis, Südwestafrica. Jedoch warte ich mit dem Briefe, bis Du diese Karte bestätigt hast. Schreibe bitte bald! Im Voraus besten Dank. Ich hoffe, dass es Dir recht gut ergeht u. grüsse Dich herzl. Dein Freund Richard.

Als Absender ist angegeben: Abs. Gefr. R. Molitor, Nachr. Ers. Abt. 11 Etel Ers. Zug, Ohrdruf (Thür.)

Gobabis liegt im heutigen Namibia. Es gibt offenbar noch heute eine Omateva Hunting Farm, die von Deutschen betrieben wird, vgl. z.B. http://www.namibiana.de/namibia-information/pressemeldungen/artikel/freundlicher-elefant-nach-farmbesuchen-auf-nachhauseweg.html

Auch das Deutsche Bundesarchiv weist ein Dossier von ehemaligen Besitzern nach: https://www.deutsche-digitale-bibliothek.de/item/R7ARV44RM255MYGZG3VM5MQVYIHMRVFO

Die Karte war zugunsten der «Hindenburgabgabe» gedruckt worden, einer Spendenaktion, die in Deutschland während des Ersten Weltkriegs mehrfach durchgeführt wurde.

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Quelle: Staatsarchiv St.Gallen, W 207, Album „Aus den Kriegszeiten“ (Karte an Joseph Otto Ferdinand Fischer (1892-1967) in St.Gallen)

Walter Grossmann

Montag, 29. Oktober 1917 – Bericht aus Ungarn

Walter Grossmann war vor dem Krieg im Landerziehungsheim Hof Oberkirch, einer reformpädagogisch geführten Schule, Schüler gewesen (vgl. auch den Beitrag zum 1. März 1916).

29.X.1917.

Aus der Karte vom A.-H.-Tag sehe ich, dass sie mich noch nicht vergessen haben; ich danke dafür allen, die dort waren und mich kannten und kann sie gleichzeitig versichern, dass, wenn ich auch nie geschrieben, so doch oft an die schöne Zeit im Hof gedacht habe. Von meinem Freunde Max hörte ich ab und zu, doch im letzten Jahr sehr selten, vielleicht ist auch die Zensur und die mangelhafte Postverbindung Schuld daran.

Von mir kann ich nicht viel erzählen; ich bin seit 1½ Jahren ununterbrochen im Felde, nachdem ich 1 Jahr lang in Budapest bei einer reitenden Art.-Division Dienst geleistet hatte. Damit wäre im Grossen und Ganzen alles gesagt; da kann sich jeder dazu das Seinige denken. Die Details sind dann manche schön, lustig und interessant, viele auch das Gegenteil. Aber das ist brieflich schwer wiederzugeben.

Das wäre mein äusseres Leben. Wie ich sonst geworden bin? Nun, ich glaube, ich bin ziemlich der Alte, der ich war, etwas weniger naiv, etwas leichtsinniger und ein ganz klein wenig älter. Ein unschuldiger Engel war ich ja nie. Manches vom Geiste des Hofes, das ich in mir aufgenommen habe, begleitet mich, wenn ich auch in Vielem nicht das geworden bin, was der Hof im Allgemeinen von uns wollte. Ich muss mich, wenn ich aus der ganzen Chose heil herauskomme, wieder in die Schulbank setzen und regelrecht die ganze landwirtschaftliche Hochschule absolvieren.

Wie siehts denn jetzt auf dem Hofe aus? Der liebe, alte Hof, ich habe ihn, meine kleine Bude oben im Himmel, alles, alles in guter Erinnerung. Sowie ich mal in die Schweiz kann, werde ich ihn unbedingt besuchen. Und dann will ich wieder ein paar Tage Höfler sein, vergessen all das Viele, das in den letzten Jahren mit mir und um mich geschah.

Allen Höflern, auch den Mädels, wenn welche sind, allen Lehrern, Allen meinen besten Gruss. Walter Grossmann, öster.-ung. Leutnant.

Der Krieg beschäftigte die Schüler im Hof Oberkirch. Erich Tobler stellte sich 1915 einen «Sturmangriff» folgendermassen vor:

Sturmangriff

Nächster Beitrag: 6. November 1917 (erscheint am 6. November 2017)

Quelle: Staatsarchiv St.Gallen, W 127 (Hof-Zeitung, herausgegeben im Land-Erziehungsheim Hof Oberkirch unter der Leitung von Anton Blöchlinger, Nr. 12, April 1918; Beitragsbild: Foto von Max Grossmann aus dem Album «Schüler und Lehrer» im gleichen Bestand; das Bild «Sturmangriff» findet sich in: Hof-Zeitung, Nr. 5, Weihnachten 1915)

Hof Zeitung Titelbild

Donnerstag, 18. Oktober 1917 – Bericht aus Frankreich

Georges Stouvenot (1885-1955) hatte von 1909 bis 1912 als Lehrer im Landerziehungsheim Hof Oberkirch gewirkt. Im Krieg war er als Soldat in die französische Armee eingezogen worden und dort als «Caporal» Rekruten ausgebildet. Mit einem auf den 18. Oktober 1917 datierten Brief berichtete über sein Leben in der Heimat. Arnas liegt im Rhonetal zwischen Dijon und Lyon:

Arnas, 18. Oktober 1917.

Ich bin sehr verlegen, Ihnen triftige Gründe über mein langes Stillschweigen anzugeben. Wie oft habe ich mir vorgenommen, Ihnen endlich einmal zu schreiben und Ihre verschiedenen Grüsse zu erwidern; aber ich war selten in der Lage, meine Gedanken geordnet vorzubringen. Ende Juli war ich einige Tage zu Hause; im August beschäftigten mich die ökonomischen Probleme so sehr, das ich keine Lust hatte, Korrespondenzen zu schreiben; dann im September hatten wir Weinernte und ich musste mich intensiver mit den Gefangenen beschäftigen.

Unterdessen habe ich Ihren lieben Brief vom 26.VI.17 wohl erhalten; ebenso die Hofzeitung, die mich daheim traf; ferner die Grusskarte der Alt-Oberkirchler vom 10. Sept. Besten Dank für alle die Mitteilungen und Grüsse, die mich äusserst freuten. – Am meisten interessierte mich Ihr Vortrag in der Neuen Helvetischen Gesellschaft über die Schulerziehung nach dem Kriege. – Freilich, die Umstände nötigen uns, unsere Aufmerksamkeit Problemen zuzuwenden, die vor dem Kriege nicht existierten. Es gibt Arbeit in Hülle und Fülle; ich glaube gar, ich habe meine Ziele zu weit und zu hoch gegriffen; und den Segen unserer Bemühungen werden wir wohl nicht mehr voll erleben können.

Seit vielen Wochen bin ich daran, meine Kenntnisse in Geschichte und namentlich in der Geographie zu revidieren und zu erweitern. Ich brauche sie notwendig zum Studium der ökonomischen Probleme. Ferner erprobte ich fleissig seit Anfang August meine Geduld im Aufbeissen harter Nüsse, wie die Lektüre von Cornelius Nepos; es ist eine tadellose Willensübung.

Mir geht’s in jeder Beziehung recht gut; ich habe keinen Grund, mich zu beklagen, im Gegenteil.

Herzliche Grüsse an alle!

Georges Stouvenot, chef de détachement de P.G. d’Arnas.

Hinweis: Cornelius Nepos war ein römischer Geschichtsschreiber.

Zu Stouvenot: vgl. auch Beitrag vom 1. März 1916. In einer Zuschrift an die Höfler-Zeitung vom 31. Januar 1915 hatte er sich u.a. Gedanken über die Parteilichkeit der Kriegsgegner und die jeweilige Propaganda gemacht:

Eine Zeitlang habe ich felsenfest Alles geglaubt, was unserseits geschrieben wurde, bis es mir zum Bewusstsein kam, dass ich als Gast Eures lieben Landes einst selbst anders gedacht hatte. Nun weiss ich, dass das Herz selten irrt, wohl aber der Verstand. Wie schwer ist es ja Euch, jedem der Kriegsführenden unparteiisch sein Recht zuzusprechen! Darüber habe ich mich lange verwundert.

Ich habe ferner versucht, einen klaren Einblick über die politische Lage bei uns und in der übrigen Welt zu gewinnen. Zeitungen jeder Färbung, klerikale wie antiklerikale Blätter studiere ich fleissig; doch umsonst! Wem soll ich glauben? Ich kann mich keiner Partei voll und ganz verpflichten.

Also trotz eines glühenden Optimismus bin ich ein Skeptiker geworden. Ich traue Niemandem mehr ohne weiteres. Ich will abwägen und zuletzt ein Urteil erarbeiten, das für mich gültig ist, das ich aber keineswegs Andern aufzudrängen beabsichtige.

Jetzt endlich bin ich auf jede Eventualität gefasst und bleibe meinem Vorsatze treu, die Erfahrungen eines jeden Tages fleissig zu beherzigen.

Mit herzlichem Gruss, Euer

G. Stouvenot, Caporal, 176e de Ligne, 26e Cie de Dépot, Epinal. 

Nächster Beitrag: 29. Oktober 1917 (erscheint am 29. Oktober 2017)

Quelle: Staatsarchiv St.Gallen, W 127 (Hof-Zeitung, herausgegeben im Land-Erziehungsheim Hof Oberkirch unter der Leitung von Anton Blöchlinger, Nr. 12, April 1918, resp. Nr. 3, März 1915; Beitragsbild: Linolschnitt von Max Hegetschweiler auf dem Titelblatt dieser Ausgabe der Hofzeitung)

Frau und zwei Kinder im winterlichen Pfäfers

Freitag, 12. Oktober 1917 – Schwierige Steuerfragen: Schul-geld fuer Kinder eines Internierten

Die Erziehungskommission des Kantons St.Gallen, ein Spezialausschuss des Erziehungsrates, befasste sich mit der Frage, ob die Kinder eines Internierten Offiziers Schulgeld zu bezahlen hätten:

Der Schulrat Pfäfers frägt an, ob er einen auf St.Margreterberg internierten Offizier, der daselbst seine 2 Kinder beschulen lässt, und seine Frau bei sich hat, besteuern dürfe. Es wird geantwortet, der internierte Offizier sei nur zwangsweise in der Schweiz, er müsse also rechtlich als ausserhalb des Landes wohnend betrachtet werden. Darum sei er zu keiner Steuer und Abgabe verpflichtet. Dagegen haben Frau und Kinder freiwillig hier Wohnsitz genommen und sind rechtlich als im Kanton St.Gallen wohnhaft zu betrachten. Da aber schwer zu ermitteln wäre, inwie weit [sic] die Frau steuerrechtlich belangt werden könnte, sollte von einer Steuer abgesehen werden und auf gütlichem Wege ein Schulgeld erhoben werden. Weitere Abklärung wäre beim eidgenössischen politischen Departement einzuholen. 26. Oktober.

Das Beitragsbild ist undatiert, aber zwischen 1901 und 1919 entstanden. Es zeigt eine (unbekannte) Frau und zwei Kinder im winterlichen Pfäfers.

Nächster Beitrag: 13. Oktober 1917 (erscheint am 13. Oktober 2017)

Quelle: Staatsarchiv St.Gallen, KA R. 130 B1, Bd. 1917 (Protokoll 1917/Nr. 492, Text) und ZOF 002/01.62 (Beitragsbild)

Firmengelaende Stuerm in Rorschach 1927

Samstag, 22. September 1917 – Tumult an der Sitzung

Die Firma Stürm in Rorschach fühlte sich benachteiligt. Sie warf dem Verband St.Gallischer Sägereibesitzer, deren Mitglied sie war, vor, sie bei der Beteiligung an Exportkontingenten zu wenig zu berücksichtigen. Verbandsintern hatte deshalb am 25. Juli 1917 bereits ein Vermittlungsversuch mit einem externen Experten stattgefunden. Das Ergebnis dieser Besprechung wurde jedoch von der Firma nicht anerkannt. Sie wandte sich an das Eidgenössische Volkswirtschaftsdepartement, das jedoch dem Verband recht gab.  Im Protokoll vom 18. September steht: Dieser Entscheid liegt nun vor, welcher die Handlungen der Kommission vollauf billigt und die an Stürm gemachten Ausfuhrzuteilungen mehr als genügend bezeichnet. Das Departement geht weiter und teilt uns ohne Pflicht hiezu zu haben mit, dass die Firma Stürm im Jahre 1916 270 Waggon Bretter in Kompensation gegen Vieh von Oesterreich her beziehen konnte, ohne dass der Bund sich an dem hohen Gewinne beteiligte. Es wird beschlossen, diesen Entscheid in vollem Wortlaute an der nächsten Hauptversammlung zu verlesen, der Versammlung jedoch zu empfehlen, den Fall diskussionslos ohne weitern Streit heraufzubeschwören, zu erledigen.

Vorgängig zu dieser Hauptversammlung vom 22. September traf sich der Vorstand des Vereins zu einer Vorbereitungssitzung. Um halb neun Uhr gab es im Ochsen in Berneck folgenden Auftritt: Herr Stürm älter. [sic] folgt der Kommission[,] ohne hiezu eingeladen zu sein, auf den Fuss in den Sitzungssaal. Er verlangt kategorisch Ausschaltung des «Falles» auf heutiger Traktandenliste. Nach einigen heftigen Auseinandersetzungen wird Herr Stürm ersucht, das Lokal zu verlassen, um uns an der Sitzung nicht weiter zu stören, was nun geschieht. 

Gut eine Stunde später wurde die ausserordentliche Hauptversammlung eröffnet. Der «Fall Stürm» wurde als drittes Traktandum behandelt: Herr Stürm sucht sich sofort zu rechtfertigen, verliest einige ihm genehme Stellen aus betreffender Korrespondenz und wünscht, dass der Entscheid des Departementes nicht verlesen werde, da dies keinen Wert habe. Nach gemachter Aufklärung durch den Präsidenten wird Verlesung des Entscheides verlangt, welches erfolgt, womit sich die Versammlung befriedigt fühlt. Auf nochmals ausgesprochenen Wunsch der Kommission findet eine weitere Diskussion nicht statt.

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Quelle: Staatsarchiv St.Gallen, W 309/1.1 (Informationen und Texte aus Protokollen vom 25.07.1917, 18.09.1917, 22.09.1917) und ZMH 27/007a (Beitragsbild: Auszug aus Briefkopf der Firma Stürm in Rorschach, Firmengelände 1927)

Briefkopf

Montag, 3. September 1917 – Lebensmittelknappheit: Abschiebung von Internierten?

Wann genau Franz Eberle (1885-1941), Ingenieur, folgendes Schreiben erhielt, ist unbekannt. Datiert ist der Brief mit Flums, den 31. Aug. 1917. Der Text nimmt am Anfang Bezug auf die Postspedition in Kriegszeiten. Leider ist nicht eruierbar, was der Angesprochene in Bern offenbar regelmässig bestellte. Tabak vielleicht, da das Produkt offenbar in Kistchen abgepackt war?

Mein Lieber!

Es freute mich, wieder einmal ein Lebenszeichen von Dir zu erhalten. Deinen letzten Brief habe [ich] leider nicht erhalten & musste daher annehmen, Du seist von München weggezogen. Sonst hätte Dir schon vor längerer Zeit geschrieben. Habe auch in Bern nach Deinen event. Bestellungen gefragt & keine Antwort erhalten. Daher der Ausfall. Am 29. Aug. habe [ich] nun für Dich vorläufig die August-Bestellung nach Bern abgehen lassen & zugleich die Fr. 19.50 abgeliefert. Ich fragte auch nach, ob man für die frühern Monate nachbestellen dürfe. Gegebenenfalls werde [ich] Dir natürlich wenigstens noch 2 Kistchen nachsenden lassen. Die Sache dürfte so ohne weiteres in Ordnung kommen. – Es freut uns, dass es Dir immer gut geht. Auch wir befinden uns wohl. Habe zur Zeit sehr viel zu tun, da ich zu all dem andern noch den Vorsitz in unserer Gemeindefürsorgekommission übernehmen musste & die Rationierung von Brot, Butter & verschiedenen andern Lebensmitteln vorzubereiten habe. Die Folgen des Krieges machen sich nun auch bei uns immer fühlbarer, so dass man bereits ernstlich von der Abschiebung der Internierten spricht. Ein Glück, dass wenigstens noch eine gute Ernte zu erwarten steht. Hoffen wir auf baldige bessere Zeiten.

Freundl. Grüsse von mir & d. Mutter.

Anton.

Nächster Beitrag: 7. September 1917 (erscheint am 7. September 2017)

Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, W 072/5.4 (Text) und ZMH 19/001c (Beitragsbild)