Freitag, 9. Juni 1916 – Erben von Ausgewanderten gesucht

Erbenaufruf.

(Art. 555 ZGB.)

1294) Der am 27. Februar 1825 in Meilen-Mels (Kt. St.Gallen) geborene Josef Fridolin Good, Schuhmacher, Ehemann der Maria, geb. Kuchenmann, ist am 5. April 1861 in St. Antony, Minnesota, (Nordamerika), gestorben. Allfällige Nachkommen desselben werden als Erben von dessen Eltern: Fridolin Good, gestorben am 6. Juli 1864 in Mels, und der Anna Maria Good, geb. Schlegel, gestorben am 14. August 1868 in Mels, sowie von zwei Söhnen derselben, namens Josef Anton Good, gestorben am 1. Dezember 1880 in Mels, und Josef Good, gestorben am 20. September 1907 ebendaselbst, hiermit aufgefordert, sich innert der Frist eines Jahres von dieser Auskündigung an beim Bezirksamt Sargans, in Flums, anzumelden.

Erfolgt bis zum genannten Zeitpunkt, spätestens bis Ende des Monats Juni 1917, keine Anmeldung, so werden die Erbschaften der genannten vier Erblasser den hier bekannten Erben überlassen.

Flums, den 30. Mai 1916.

Bezirksamt Sargans.

[…]

Erbschafts-Antritt und -Verzichtleistung.

1296) Auf den Nachlass des am 30. Januar 1915 in Uganda (Britisch Ostafrika) verstorbenen Hektor Lenherr-Stadelmann, Kaufmann, von Gams, wohnhaft gewesen in St.Fiden, hat das Waisenamt Tablat (unter Zustimmung des Regierungsrates des Kantons St.Gallen) namens des Sohnes Hektor Johann Karl Lenherr Verzicht geleistet.

Dagegen hat Frau Witwe Leonie Lenherr, geb. Stadelmann, in St.Fiden, die Erbschaft unter öffentlichem Inventar angenommen.

Langgasse, den 2. Juni 1916.

Bezirksamt Tablat.

Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, ZA 001 (Auszüge aus dem Amtsblatt für den Kanton St.Gallen, 91. Jg., Bd. I, Nr. 23 vom 9. Juni 1916, S. 1023-1024 und S. 1024) und W 283/1-01866 (Bildausschnitt: Wartesaal für Auswanderer im Bahnhof Buchs, 1933)

Freitag, 17. März 1916 – Verschollen in Amerika

Verschollenheitsrufe.

633) Das Bezirksgericht Sargans hat auf das Begehren der Eventualerben der nachstehend genannten Impetraten die Eröffnung des Verschollenheitsverfahrens beschlossen gegen:

1. Johannes Giger, geboren 3. März 1848, von Quarten, Sohn des Josef Giger und der Katharina, geb. Pfiffner, in den 80er Jahren nach Amerika ausgewandert;

2. Josef Melchior Linder, geboren 17. Dezember 1819, von Tscherlach, im Jahre 1866 nach Amerika ausgewandert;

3. Josef Heinrich Gall, Lehrer, geboren 18. Januar 1833, von Berschis, und dessen Ehefrau Aloisia, geb. Walser, geboren 26. April 1844, und deren Kinder Josef Heinrich Aloisius, geboren 20. Mai 1869, und Josef Heinrich Jakob, geboren 12. März 1871, seit 1872 nach Amerika ausgewandert.

Es werden diese Genannten und alle, die über deren Verbleib Nachricht geben können, aufgefordert, binnen Jahresfrist seit dieser Auskündung, bezw. bis zum 15. September 1916, sich beim Bezirksgerichtspräsidenten von Sargans, in Ragaz, zu melden, andernfalls solche als verschollen erklärt würden.

Mels, den 16. März 1916.

Bezirksgerichtskanzlei Sargans.

Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, ZA 001 (Verschollenheitsrufe im Amtsblatt für den Kanton St.Gallen, 91. Jg., Bd. I, Nr. 11, S. 473) und Mag I 108 (Ratgeber für Auswanderer von 1912)

 

Mittwoch, 15. März 1916 – Ein Schweizer wird in Marokko als Deutscher behandelt

Der St.Galler Kaufmann Hans Auer war der Sohn des Architekten Johann Wilhelm (Hans) Auer (1847-1906), der u.a. das Bundeshaus in Bern erbaut hatte. Seine Schwester war die Schriftstellerin Grethe Auer (1871-1940), deren literarische Karriere mit Schilderungen aus Marokko begann. Am 15. März 1916 wandte sich sein Anwalt an den Bundesrat:

An den

hohen Schweizerischen Bundesrat

Bern.

Hochgeehrter Herr Bundespräsident:

Hochgeehrte Herren Bundesräte:

Ich gestatte mir im Auftrage des Herrn Hans Auer[,] mich an Sie zu wenden mit der Bitte[,] dessen Interessen gegenüber der französischen Regierung mit allen Ihnen zu Gebote stehenden Mitteln wahren und vertreten zu wollen. Zu diesem Zwecke erlaube ich mir Ihnen folgendes auszuführen.

Herr H. Auer, der sich während 22 Jahren in Marokko als Kaufmann aufhielt, wurde mit seiner Familie sofort nach Ausbruch des europäischen Krieges von den französischen Militärbehörden arretiert und unter der Angabe, er werde nach einem neutralen Lande gebracht, trotzdem er Schweizer ist & sich als solcher auswies, nach Algier deportiert & dort interniert.

Seine Freilassung erfolgte durch Vermittlung des politischen Departements. Diese rigorose Behandlung eines Schweizer Bürgers wurde damit entschuldigt, Herr Auer sei als Teilhaber einer deutschen Firma in Mazagan und wegen sonstiger deutschfreundlicher Gesinnung verdächtigt, so dass das Gesetz von 1849 auf ihn Anwendung finde, wonach Frankreich im Staatsinteresse die Ausweisung aller Fremden verfügen kann, ohne dass diese dabei den geringsten Anspruch auf Entschädigung haben.

Ueberhaupt sei es nur ein Akt der Menschlichkeit & Gnade, dass die Behörden Hrn. Auer die Reise nach der Schweiz gestattet hatten. Eine Rückkehr von Hrn. Auer sei unerwünscht, wenigstens auf die Dauer des Krieges.-

Diese Begründung ist absolut unzutreffend, und würde gleichwohl niemals die Behandlung rechtfertigen, welche Herr Auer zu Teil geworden ist. Herr Auer macht demgegenüber folgendes geltend.

Herr Auer war in Marokko eine ganz bekannte Persönlichkeit. Durch seine langjährige Tätigkeit als Kaufmann, hat er in Mazagan und in den entferntesten [unleserlich] viele Sympathien erworben & stand namentlich auch immer zu den französischen Civil- & Militärbehörden [sic] in den besten Beziehungen. Er ist auch, um nur eines auszuführen, anlässlich eines landwirtschaftlichen Wettbewerbes von den franz. Behörden mit einem Diplom ausgezeichnet worden.

Herr Auer hatte daher erwarten dürfen, dass er bei Ausbruch des Krieges als Angehöriger einer befreundeten neutralen Macht, auch mit der nötigen Rücksicht behandelt werde. Dies war aber wie gesagt nicht der Fall. Im Gegenteil er wurde als Deutscher behandelt und es wurde demzufolge auch sein Vermögen mit Beschlag belegt. – Ihm selbst war weder vor seiner Deportierung noch auch nachher Gelegenheit geboten worden, seine Verhältnisse in Ordnung zu bringen, sondern er wurde gezwungen[,] Haus und Geschäft von einem Moment zum andern zu verlassen, obschon er zu Beginn des Krieges nicht auf der Liste der aus Marokko zu verbannenden Personen gestanden [hatte]. Er hat sich auch nicht etwa, wie dies zu Unrecht behauptet wurde, den Deutschen freiwillig angeschlossen. Er wurde vielmehr und das wollen wir hier feststellen, ohne Recht festgenommen und deportiert.

Durch diese Deportierung ist nun Hrn. Auer ein Schaden entstanden, dessen Höhe er noch gar nicht bemessen kann, dessen Ersatz er aber von der franz. Regierung zu fordern berechtigt ist.

Nach dieser Richtung kann er folgendes ausführen

Nach dem Herr Auer durch die Intervention des polit. Departementes frei gelassen worden war, wurde er & seine Familie, bestehend aus Hr. Auer, vier Kinder, einem Fräulein & einem Dienstmädchen von Sebdan auf einem Lastwagen nach Tlemzen gebracht & dort einfach an die Luft gesetzt. Tlemzen befindet sich im Innern von Algier zwei Tage Bahnfahrt von der Stadt Algier entfernt. Die Kosten der Reise von Tlemzen bis nach der Schweiz fielen ganz zu Lasten des Hrn. Auer und verursachten ihm eine Auslage von frs. 2500.- für welche er alle Belege in Händen hat.

Sein indirekter Schaden besteht im Verbot der Rückkehr nach Marokko. Seit nunmehr 19 Monaten ohne jede Nachricht, weiss Herr Auer heute nicht das geringste [sic] wie seine Angelegenheiten stehen. Er musste Marokko als ein plötzlich Ueberfallener verlassen & sein Geschäft & Privatvermögen, so wie es war, im Stich lassen. Herr Auer bat vergeblich korrespondieren zu dürfen, um sich Auskunft zu verschaffen. Auf seine Briefe erhielt er keinen oder abschlägigen Bescheid. Im April 1915 wurde er von der Militärbehörde mit seinem Anspruch an ein kompetentes Gericht verwiesen, „welches zusammentreten wurde“, ohne Angabe wo sich dies befindet; ausserdem teilte man ihm damals erst mit, dass er das Recht auf einen Vertreter habe mit den vom Protektorate bestimmten gesetzlichen Vollmachten; die gesetzlichen Erfordernisse der Vollmacht waren dabei nicht genannt.

Die franz. Regierung schlug Hrn. Auer als Mandatar Jemanden vor, den Herr de Pury, Adjunkt des politischen Departements, sogleich als unmöglich bezeichnete. Herr Auer schlug dann die Staatsbank von Marokko vor, die sich mit Informationen befasst. Diese schwieg sich aus, liess dagegen durch ihren Verwaltungsrat in Paris erklären, sie könne sich nicht damit befassen. Als sich Herr Auer darauf direkt an den General Joffre wandte, wurde Minister Lardy bedeutet, dass dies „inconvenable“ sei. Herr Auer wollte schliesslich einen gewissen Herrn Pedro Netto in Mazagan zu seinem Vertreter und leitete zu diesem Zwecke eine Anfrage zur Weiterbeförderung an die Schweiz. Gesandtschaft in Paris. Von dort kam der Bescheid zurück, die franz. Behörde sei mit der Wahl des Herrn Netto als Mandatar trotz seines ausgezeichneten Rufes nicht einverstanden, da derselbe englischer Nationalist sei und sich nur ein Franzose dazu eigne. Herr Auer hatte vorher noch zwei andere Herren, darunter einen Franzosen, zur Wahl vorgeschlagen. Als er wünschte, die franz. Regierung solle ihm selbst einen Mandatar ernennen, antwortete man ihm, diese sei dazu nicht verpflichtet, da Auer kein „sujet allemand“ noch „interdit“ oder „mineur“ sei.

Herr Auer weist aber nach, dass er wie ein „sujet allemand“ behandelt wurde, ja noch schlimmer, denn für seine Interessen wurde überhaupt nicht gesorgt.

Da die franz. Regierung ihn ohne rechtzeitige Anzeige auswies und ihm die Rückkehr nach Mazagan verweigerte, war er verhindert, seine Interessen selbst zu wahren. Die franz. Regierung nahm damit die Pflicht auf sich, an seine Stelle zu treten oder ihn wenigstens zu benachrichtigen, dass er selbst einen Mandatar zu ernennen habe, aber dies rechtzeitig und ihn dabei zu unterstützen. Statt dessen [sic] tat sie das Gegenteil.

Da Herr Auer seit dem Verlassen Marokko’s nachrichtenlos blieb, ist er naturgemäss in grosser Sorge um das Schicksal seines beweglichen und unbeweglichen Vermögens.

Ohne Zweifel ist der grösste Teil desselben, vor allem der Warenbestand, bereits verloren (wegen des ungünstigen Klimas). Namentlich ist auch infolge seiner plötzlichen Verschollenheit die mühsam erworbene Kundschaft verloren gegangen.

Eine weitere Frage die Hrn. Auer interessierte, ist die, ob sein neutraler Anteil am Gesellschaftsvermögen der deutschen Zweigniederlassung der Firma Brandt & Toel mit dieser gemeinsam unter Sequester gestellt wurde. Darüber Auskunft zu erlangen, ist ihm bis heute nicht gelungen, doch wird es wohl so sein, da er sonst darüber verfügen könnte.

Herr Auer verlangt daher Schadensersatz. Zur Begründung seiner Forderung kann er noch folgendes ausführen:

Herr Auer beruft sich in erster Linie auf seine Schweiz. Nationalität, die von der franz. Regierung übrigens niemals bezweifelt wurde: ferner stellt er fest, dass die Zweigniederlassung der Firma „Brandt & Toel“ mit einem schweizerischen Kapital von frs. 12.500.- gegründet wurde, die der Vater des Hrn. Auer hergab. Nachher erhielt Herr Auer von seinem Vater nochmals frs. 12.000.-, die er ebenfalls in das Geschäft steckte. Das deutsche Geschäft Brandt & Toel [Verb?] sich seiner Unternehmung nur den Namen, um seinen Kredit zu erhöhen, und erhielt dafür die Hälfte des Gewinnes. Der Sitz des eigentlichen Hauses Brandt & Toel ist Casablanca. Darin hat Hr. Auer keine Interessen. In der Zweigniederlassung dieser Unternehmung, die sich in Mazagan befindet, ist Hr. Auer unabhängiger Leiter gewesen. Er hat laut Inventar darin Werte stecken im Betrage von frs. 157.700.-

Seine andern, rein privaten Schweizerinteressen erreichen die Höhe von frs. 60.875.-

Ausserdem besitzt Herr Auer in Unternehmungen landwirtschaftlicher Art zusammen mit Hrn.Jourdan in Marseille frs. 37.500.- Die Gesamtinteressen des Hrn. Auer betragen demnach frs. 256.075.-

Herr Auer hat in erster Linie für sich selbst gearbeitet. Neben den Interessen der Firma Brandt & Toel vertrat Herr Auer auch solche ausländischer Schiffahrtsgesellschaften [sic], deren Agenturen er übernahm, so unter anderem die englische Power-Line, den ital. Servizio italo-spagnuolo, ferner an grossen Geschäften das von Reinach’s Nephew & Co. London, den Comptoir Ceramique Paris etc. Man sieht daraus, dass es sich absolut nicht um die einseitige Vertretung deutscher Unternehmungen handelte.-

Für den Verlust seines Vermögens & des Geschäftes ist er berechtigt von der franz. Regierung Ersatz zu verlangen.

In rechtlicher Beziehung kommen in Betracht

1. Das Dekret Briand vom 27. September 1914 über die Zwangsverwaltung des Vermögens der Deutschen & Oesterreicher.

Wir verweisen [sic] auf dieses Gesetz und [unleserlich] auch auf den Commentar [sic], den dasselbe auch Herrn A. Saillard gefunden hat.

„Legislation de Guerre 1914-1915. Le Séquestre des Biens des Allemands et des Austro-Hongrois Textes Officiels avec Commentaire juridique et pratique- Berger-Levraut, Paris 1915.“

Diese Arbeit behandelt die Frage des Sequesters deutscher & österreichischer Vermögen in ausführlicher Weise und stellt dabei fest, dass ein Sequester nur über ein Vermögen, einer der beiden genannten Nationen angehörenden Personen verfügt werden kann.

Es behandelt dann auch den Fall, wo das Vermögen eines Neutralen sequestriert wird und äussert sich darüber folgendermassen:

„pag. 30 [unleserlich] doute, par exemple, que si une personne dont les biens ont été placés sous séquestre etablissait sa nationalité neutre, elle serait fondé à obtenir amiablement ou judiciairement le retrait de l’ordonnance et la mainlevée du séquestre“.

Herr Auer ist schweiz.Nationalität und hat dies mehrfach nachgewiesen, sie wurde auch von der franz. Regierung niemals bestritten. Ein Sequester war daher ihm gegenüber von vorneherein unzulässig und hätte von den franz. Behörden selbst aufgehoben werden sollen.

Auf pag. [sic] 33 wird im weitern ausgeführt:

„Il arrive fréquemment que des biens mobiliers compris dans un inventaire n’étaient qu’un depot chez le sujet ennemi séquestre. Il est bien evident, dans ce cas, que le séquestre serait tenu de les restituer aux véritables avant droit pourvu qu’ils noient de nationalité neutre et ne résident pas en pays ennemi et sur leur demande dûment établie.“

Bei dem von Hrn. Auer’s Vater gegründeten Bankdepot, welches jetzt noch zu Gunsten der Firma Brandt & Toel Mazagan lautet, ist dies der Fall, auch für die Kapitalien Auer, die mit Jourdan-Marseille zusammen arbeiten. Diese Kapitalien sollten also von vorneherein vom Sequester ausgenommen sein.

Im weitern [sic] bestimmt die Verordnung über den Sequester:

„La présente décision sera notifiée aux [unleserlich] saisis (et à la maison N. & Cie.) Il est nécessaire par conséquence que l’ordonnance de mise sous séquestre soit publiée par extrait. Les extraits feront connaître le tribunal civil dont le président a ordonné la mise sous séquestre, la date de la decision la prescrivant, le nom, l’adresse et la nationalité de la personne ou de la maison dont les biens ont été placés sous séquestre.“

Wenn man nun auch irrtümlicherweise annehmen wollte, dass der Fall eines Sequesters gegeben wäre, so wurden doch die gesetzlichen Bestimmungen Hrn. Auer gegenüber in keiner Weise beobachtet.-Herr Auer, welcher nicht mehr in Frankreich oder Frankreich affilierten [sic] Gebieten wohnte, hätte von der Verhängung des Sequesters unterrichtet werden sollen, was ohne Schwierigkeit geschehen konnte, da ja seine Adresse den französischen Behörden bekannt war.

Das Dekret betref. [sic] des Sequesters ist von Frankreich auch auf Marroko angewendet worden.

Wir stellen nun fest, dass Herrn Auer gegenüber in absolut ungesetzlicher weise [sic] vorgegangen wurde.

2. Das Schweiz. politische Jahrbuch für 1915, insbes.ein [sic] Aufsatz von Prof. Burckhardt über die Rechte der Neutralen (Schweizer) gegenüber dem kriegführenden Ausland.

Prof. Burckhardt führt dort aus, dass die Rechte der Neutralen unbedingt geschont werden müssen. Es wird dann die Frage aufgeworfen, ob ein neutraler Teilhaber das Geschäft weiter betreiben darf für den feindlichen Inhaber oder ob er das ganze übernehmen muss und deshalb seinen Socius [sic] abfinden muss ? Es wird auch festgestellt, dass der Sequester seiner Natur nach Freund & Feind treffen muss. Sind die Gerichte für Klagen über Sequesteraufhebung etc. kompetent, so werden sie damit gleichzeitig dem Einfluss ihrer Regierung entzogen. Dem Neutralen ist also damit in keiner weise [sic] gedient, dass man ihn auf seine diplomatische Beschwerde gegen die Sequestrierung an einen Anwalt (mandataire:) weist, der Einsprache beim Gericht erheben soll. Die Regierung eines Landes ist verantwortlich für das Verhalten aller Landesbehörden den andern Staaten gegenüber. Die neutralen Staaten brauchen überhaupt die Zwangsverwaltung als nicht rechtsverbindlich anzuerkennen. Der Zwangsverwalter ist zur Vertretung in einem Streite über sequestrierte Güter nicht als zur gerichtlichen Vertretung legitimiert zu betrachten.

3. Im Falle der Firma Suchard hat man die deutschen Anteile sequestriert, während die neutralen (schweizerischen) von der Zwangsverwaltung verschont blieben.

Herr Auer darf verlangen, dass mit ihm auch so hätte verfahren werden sollen. Er bot sogar unter Kontrolle des Sequesters die Liquidation an, wobei die franz. Regierung ein gutes Geschäft gemacht hätte. Gegen eine ungerechtfertigte Zwangsverwaltung hat er stets energisch Protest erhoben und verlangte Schutz d.h. Erhaltung seiner Güter wie sie im Inventar bezeichnet sind. Seine Proteste waren alle wie in die Luft geschrieben ohne die geringste Wirkung.

Heute ist es mit der Aufhebung des allfälligen Sequester[s] nicht getan, sondern entweder hätte man Hrn. Auer die direkte Verfügung über das Vermögen vor einem Jahre ermöglichen müssen oder damals einen Vertrauensmann mit der Verwaltung & Vertretung beauftragen. Dazu hätte sich der vorgeschlagene Herr Pedro Netto sehr geeignet.

Hervorzuheben ist noch besonders, dass das Privatvermögen Auer’s in gar keiner Beziehung zum Hause Brandt & Toel steht (bestehend aus einem vollständigen Mobiliar & Grundbesitz). Dieses persönliche Vermögen musste ihm auf alle Fälle zur freien Verfügung gelassen werden.

Die Ausweisung, welche Herr Auer betroffen, ist wie es scheint, eine Vornahme der hohen Polizei und durch keinen Rekurs aufhebbar, wenigstens nicht auf dem ordentlichen Prozessweg. Ebensowenig [sic] wird General Lyautey auch nach dem Kriege eine Rückkehr in Erwägung ziehen, weil er auch dazu in keiner Weise verpflichtet ist.

Für Herrn Auer gestalten sich nun die Verhältnisse äussert misslich: weil seine Angelegenheiten bereits so im argen [sic] liegen, dass niemand sich mehr darin auskennen würde, kann er keinen Mandatar mehr bekommen. Er ist bereits ruiniert und muss daher aus obigen rechtlichen Gründen auf Schadensersatz bestehen.

Die franz. Regierung soll erklären, dass sie Hrn. Auer entschädigen will, insbesondere für den Schaden, der durch die Ausweisung Auer’s der Verzögerung der Benachrichtigung und Ernennung des Mandatars Hrn. Auer entstanden ist. Wenn gewünscht soll dieser Schaden in Hrn. Auer’s Anwesenheit und derjenigen einer neutralen Kommission geprüft werden oder der Fall einem neutralen Schiedsgericht übertragen werden. Bei der langen Dauer des Krieges wird es ein Totalverlust und hat die franz. Regierung seine Interessen laut Inventar zu übernehmen und ihn auszuzahlen, da sie aus militärischen Gründen ihn schädigte.

Für seine Arretierung, Deportierung und Internierung verlangt Herr Auer eine Extra-Entschädigung, indem er dabei auf den Fall Ryser verweist, wo ein Schweizer irrtümlich in Russland verhaftet wurde, und durch Vermittlung der Gesandtschaft eine Entschädigung sowie Schmerzensgeld erhielt.

Herr Auer bittet, der franz. Regierung heute eventuell nur mitzuteilen, dass er seine Interessen als verloren betrachte, infolge der langen Unterbrechung jeder Verbindung, dass er auf Ernennung eines Mandatars daher keinen Wert mehr lege und im übrigen [sic] einen etwaigen Sequester über seine im Inventar mitgeteilten Interessen nicht anerkenne, und sich vorbehalte, über die durch die Militärbehörde offenbar aus militärischen Gründen getroffenen Massnahmen sich ergebenden Schadensersatzansprüche, der franz. Regierung seine Anträge zu unterbreiten.

Aus unsern Ausführungen und aus den vielfachen Reklamationen und Eingaben, die Herr Auer bereits an das politische Departement gerichtet hat, ergibt sich deutlich, dass seine Interessen von den französischen Behörden in ernstlicher Weise verletzt worden sind und dass hier ganz offenbar ein Rechtsbruch gegenüber dem Angehörigen eines befreundeten neutralen Staates vorliegt, der sich als Missachtung unserer Neutralität qualifiziert. Wenn wir einerseits uns zur Innehaltung [sic] der strickesten [sic] Neutralität verpflichten, so dürfen wir anderseits beanspruchen und verlangen, dass unsere Angehörige[n] ebenfalls als Neutrale behandelt werden.

Herr Auer ist sich wohl bewusst, dass es vielleicht mit Schwierigkeiten verbunden sein mag, während der Dauer des Krieges zu einer Liquidation des Schadens zu schreiten. Allein er muss wenigstens daran festhalten, dass ihm von seiten [sic] Ihrer hohen Behörde der Schutz seiner Interessen bestätigt wird. Er muss im weitern [sic] verlangen, dass die franz. Regierung angehalten wird, schon jetzt sich prinzipiell über ihre Pflicht auszusprechen[,] den von ihr dem Petenten rechtswidrig zugefügten Schaden, ersetzen zu wollen.

Herr Auer hofft, dass er bei Ihnen vollen Schutz finden werde. Er ist sich wohl bewusst, dass die franz. Behörden, spez. diejenige Stelle, welche seine Verhaftung und Deportation verfügt hat, ihm nicht wohl gesinnt sind, allein er vertraut auf den gerechten & loyalen Sinn der franz. Regierung und ist überzeugt, dass ein Weg gefunden wird, um ihm vollständige Satisfaktion zu teil werden zu lassen.

Herr Auer ist gerne bereit seine Ausführungen, sei es durch mündliche Auskunft, sei es durch Einsendung von Belegen, zu ergänzen und stellt sich hiefür [sic] vollständig zu Ihrer Verfügung.

Ebenso möchte sich Herr Auer das Recht wahren[,] in einer fernern [sic] Eingabe seinen Standpunkt und speziell die rechtlichen Gesichtspunkte noch des weitern [sic] auszuführen.

Mit vorzüglicher Hochachtung:

                                                                                          Namens des Herrn Hans Auer:

Bern, den 14. März 1916

                                                                                                                 Fürsprecher.

Quellen: StASG, W 292/1.4.3 (Komitee für die Wiedergutmachung schweizerischer Kriegsschäden, Fallbeschreibung, im Advokaturbüro Koenig in Bern am 15. März 1916 abgestempelt)

 

Dienstag, 14. März 1916 – Schweizer Examen in Fratte di Salerno

In Fratte di Salerno bei Neapel befand sich seit dem 19. Jahrhundert eine bedeutende, von Schweizern aufgebaute Textilindustrie. Zu den führenden Unternehmern zählten die Familien Wenner, Vonwiller, Züblin und Andreae von St.Gallen sowie Schlaepfer aus Rehetobel AR. Die Ausgewanderten bildeten eine eigene Kolonie und hatten sich organisatorisch in der sogenannten Fremdengemeinde Fratte zusammengeschlossen, die sich neben Freizeitaktivitäten vor allem um die Schulbildung der Unternehmerkinder und religiöse Belange kümmerte.

IV. Sitzung des Komite der Fremdengemeinde in Fratte di Salerno, Dienstag, den 14. März 1916, abends 6 Uhr auf dem Bureau der Herren Schlaepfer Wenner & Co. bei Anwesenheit aller 5 Mitglieder.

1.) Herr Schlaepfer begrüsst zuerst der neugewählte [sic] Schriftführer und verliest hierauf das Protokoll der III. Komite-Sitzung [sic] vom 7. Januar 1916 & ersucht alsdann Herrn Wenner dasjenige der ausserordentlichen Generalversammlung vom 6. Februar 1916 zu verlesen. Beide Protokolle werden gutgeheissen.

2.) Die Gratifikationen an die Lehrkräfte für das zu Ende gehende Schuhljahr [sic] 1915/16 werden wie folgt bestimmt: Frl. Brühlmann: Lit. 100.- wie letztes Jahr da ihr bereits in diesem Jahre d.h. für 1916/17 eine Gehaltserhöhung von L. 200.- laut Beschluss der ausserordentlichen Generalversammlung vom 6. Februar a.c. zugesprochen wurde. Herr Manser soll Lit. 150.- erhalten, ohne Gehaltsaufbesserung.

3.) Examen: Herr Schlaepfer schlägt vor[,] die Examen auf Samstag & Sonntag, den 15./16. April 1916 festzusetzen und zwar:

Samstag, 15. April von 9-11 Uhr vorm. Frl. Brühlmann

Sonntag, 16. April von 8 1/2-12 Uhr vorm. Herr Manser,

mit welchem Vorschlag sich die übrigen Mitglieder einverstanden erklären. Herr Wenner wird beauftragt, sich mit den Lehrern bezüglich des näheren Programms der Examen in’s Einvernehmen zu setzen.

4.) Die üblichen auf die Examen folgenden Ferien sollen Montag, den 17. April beginnen und bis zu Anfang des neuen Schuljahres d.h. Montag, den 1. Mai dauern.

5.) […]

6.) Herr Wenner erkundigt sich noch, ob die sr. Zt. von Herrn E. Ludwig vorgeschlagenen Reparaturen auf dem Friedhof ausgeführt wurden, worauf Herr Stüssi erklärt, dass das eiserne Eingangstor angestrichen wurde. Dagegen sind die zerfallenen Grabkreuze noch nicht durch neue ersetzt worden. Herr Schlaepfer & Herr Stüssi werden sich demnächst an Ort & Stelle begeben, zur weiterer [sic] Besprechung dieser Frage.

Schluss der Sitzung abends 6 ½ Uhr.

Die Schaffhauserin Marie Brühlmann war als Unterstufenlehrerin von 1914 bis zur Auflösung der Schweizerschule in Salerno 1921 tätig. Sie unterrichtete die erste bis vierte, später die erste bis sechste Klasse. Ausserdem erteilte sie Handarbeitsunterricht. Der Sekundarlehrer Hans Manser, laut Eigenaussagen ein liberaler Katholik (vgl. StASG, W 054/4.15), stammte aus St.Gallen. Er war für die fünfte bis neunte Klasse zuständig und von 1915 bis 1920 angestellt.

Quellen: StASG, W 054/21.1 (Auszug aus dem Vorstandsprotokoll der Fremdengemeinde in Fratte) und W 054/29.8 (Maskenball der Fremdengemeinde Salerno um 1910)