Geometrie

Dienstag, 27. März 1917 – Familiensolidarität

Josef Scherrer-Brisig (1891-1965), Arbeitersekretär und Politiker, beschreibt in seinem Tagebucheintrag, wie er für seine Familienmitglieder sorgte und insbesondere seinem jüngeren Bruder eine bessere Ausbildung ermöglichte:

Ich werde heute unerwartet von meinem Vater telefonisch an das Krankenbett meiner guten und lieben Mutter gerufen. Ich gehe am Mittag nach Wittenbach, um ans Krankenbett meiner herzensguten Mutter zu eilen. Eine hartnäckige Influenza & Lungenentzündung hat sie ins Bett geworfen. Der Arzt Dr. Trollich hält den Stand für etwas kritisch. Möge der liebe Gott meine liebe Mutter am Leben erhalten. Möchte doch ihr noch ein schönerer und besserer Lebensabend beschieden sein. Ich will helfen, so viel ich kann und in meinen Kräften liegt.

Mein Bruder Emil kommt nun aus der 6. Klasse. Man konnte ihn mit Rücksicht auf die gegenwärtigen Kriegsverhältnisse entgegen seinen Wünschen nicht in die Realschule anmelden. Ich halte nun aber dafür, dass er unbedingt in die Realschule gehen soll und ich erkläre mich bereit, ihm das Bahngeld zu vergüten. Wenn mein Bruder nicht eine tüchtige Schulung hat, so wird aus ihm nichts Rechtes werden. Die Verantwortung dafür kann und will ich nicht tragen, umso weniger, als Emil selbst den heissen Wunsch geltend macht[,] in die Realschule zu gehen. Ich will ihm dazu verhelfen.

Zur Geschichte der Realschulen in der Schweiz vgl. den Eintrag im Historischen Lexikon: http://www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D10426.php

Die Figur im Beitragsbild – Lernstoff im Fach Geometrie an Sekundar- und Realschulen – sollte folgende Eigenschaften eines pyhtagoräischen Dreiecks veranschaulichen: Das Hypotenusenquadrat [sic] ist gleich der Summe der Kathetenquadrate. […] umgekehrt [ist] […] ein Kathetenquadrat […] gleich dem Hypothenusenquadrat weniger das andere Kathetenquadrat. Im hinteren Teil des Schulbüchleins finden sich auch einige nützliche Übersichten über Masse und Gewichte wie die folgende Tabelle. Wer rechnete wohl mit Myriametern?

Masse

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Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, W 108/1 (Tagebuch Scherrer) und ZNA 02/0079 (Ebneter, K.: Geometrie an Sekundar- und Realschulen, St.Gallen 1916, 2. Heft, S. 115, Beitragsbild und Kommentar)

Sonntag, 1. Oktober 1916 – Hebammenausbildung: „Es werden nur Schülerinnen aufgenommen, welche nicht schwanger sind.“

Hebammen wurden im Kanton St.Gallen seit 1835 ausgebildet. Zusammen mit Bern, wo eine zweite Hebammenschule bestand, leistete St.Gallen auf diesem Gebiet Pionierarbeit. Anfangs fand der Unterricht im Haus vor dem Müllertor (heute St.Georgenstrasse 9) in St.Gallen statt. Die Ausbildung dauerte 3 Monate. 1886 wurde auf dem Areal des Kantonsspitals die kantonale Entbindungsanstalt eröffnet. Diese bot Platz für 30 Wöchnerinnen. Der Anstaltsarzt und die Oberhebamme waren fortan mit der theoretischen und praktischen Ausbildung der Hebammenschülerinnen betraut:

Bekanntmachung.

Der Unterrichtskurs für Hebammenschülerinnen wird Montag[,] den 8. Januar 1917, vormittags 10 Uhr, in der kantonalen Entbindungsanstalt eröffnet und dauert 26 Wochen. Anmeldungen hiefür sind dem Anstaltsarzt, Herrn Dr. P. Jung in St.Gallen, zuhanden der Sanitätskommission bis zum 30. November 1916 einzureichen.

Zur Aufnahme in den Hebammenkurs sind erforderlich und bei der Anmeldung einzusenden:

a) in gemeinderätliches Leumundszeugnis;

b) ein Geburtsschein, welcher bezeugt, dass die betreffende Person nicht unter 18 und nicht über 32 Jahre alt ist;

c) das letzte Schulzeugnis;

d) ein Impfschein;

e) ein ärztliches Zeugnis über die zur Erlernung und Ausübung des Hebammenberufes erforderlichen körperlichen und geistigen Fähigkeiten. Eine Nachprüfung durch den Hebammenlehrer bleibt vorbehalten.

Es werden nur solche Schülerinnen aufgenommen, welche nicht schwanger sind.

Die Hebammenschülerinnen erhalten Kost und Logis in der Entbindungsanstalt. Hiefür bezahlen Kantonsbürgerinnen, welche seit mindestens 2 Jahren im Kanton niedergelassen sind, pro Tag Fr. 1.50 = Fr. 273.- für den ganzen Kurs, die übrigen Schülerinnen pro Tag Fr. 2.50 = Fr. 455.-. Für erstere ist der Unterricht unentgeltlich, letztere bezahlen ein Schulgeld von Fr. 75.-. Alle haben des weitern zu entrichten: den Kostenbetrag für das Lehrbuch und die Hebammengeräte, sowie die Gebühren für die Prüfung und das Patent.

Der Betrag des Kost- und Schulgeldes ist vor dem Eintritt bei der Kantonsspitalverwaltung zu hinterlegen.

St.Gallen, den 1. Oktober 1916.

Im Auftrage der Sanitätskommission,

Der Aktuar:

Dr. Real.

Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, ZA 001 (Ausbildung von Hebammen, erschienen im Amtsblatt für den Kanton St.Gallen, 91. Jg., Bd. II, Nr. 14 vom 6. Oktober 1916, S. 427f.) und ZMA 18/01.07-10 (kantonale Entbindungsanstalt auf dem Gelände des Kantonsspitals, um 1910)