Adele Berner-Wenner, Brief

Samstag, 6. Oktober 1917 – Der Winter naht

Die verwitwete Adele Berner-Wenner machte sich zunehmend Sorgen, wo sie sich den Winter über einquartieren könnte und was sie mit ihrem schulpflichtigen Sohn machen sollte. Ihrer Schwester Silvia schrieb sie:

[Randnotiz:] Erhalten – i[n] Fratte

Montreux.

Samstag, 6. Oct. 1917.

Meine liebe Silvia,

Vorgestern habe ich Deinen ersten Brief von Ende Aug. bekommen, der wirklich etwas lange zur Reise gebraucht hat, & jetzt verwundert es mich nicht mehr[,] dass ich nie einen Brief von Dir bekommen hatte. Ich danke Dir aber nachträglich dafür. – Ich hätte so gern von Dir gewusst[,] ob Du glaubst[,] dass es Mama freuen würde zum Geburtstag ein electr. Pfännchen zu haben, das 1 lt. fasst, & so ein wenig die Form einer Theemaschine hat, oder ob ihr das kleine genügt, das sie hat. Sage mir die Antwort nur per Postkarte. –

Emily hat mir Deinen letzten Brief vorgelesen, als ich am 24. Sept. zu ihnen kam. Dann habe ich auch einen lieben langen Brief von Mama bekommen[,] für den ich ihr vielmal danken lasse. Es tut mir so leid[,] dass Tante Jeanne krank ist, es ist wirklich recht traurig, & der arme Onkel hat nie auch ein wenig Freude haben können in den letzten Jahren. –

Seit vorgestern bin ich hier bei Gaspard’s [?] zu einem kleinen Besuch, am Montag bin ich wahrscheinlich wieder im Bellevue.

Nachdem wir 3 volle Wochen das wunderbarste Wetter gehabt haben, hat es sich vor 2 Tagen plötzlich verdorben, & heute nacht hat es bis ganz nach herunter geschneit. – Das wird vielleicht der Grund sein[,] dass Alex früher Ferien bekommt, denn diese fangen erst an, wenn es reichlich so kalt ist[,] dass man heizen müsste entweder am 20[.] oder 27. Oct. & dauern dann 14 Tage. Wenn sie erst so spaä stattfinden, so gehe ich mit Alex vielleicht in’s Wallis, wo es nicht so kalt ist, denn Pauls sind dann am aufpacken. – Für die Winterferien war Clara so gut[,] mir anzubieten vom 4[.] Jan. an Alex in’s Hôtel in Zuoz zu sich zu nehmen, was ich sehr dankbar angenommen habe, & für die 10 Tage vorher will ich noch einmal Frau Pfarrer anfragen, ob es ihr möglich wäre. – Hoffentlich giebt [sic] es nicht wieder es nicht wieder einen so langen Winter, wie der letzte, es wäre recht schlimm mit dem argen Kohlenmangel; es muss schrecklich sein so zu frieren. –

Ich habe es die ganze Zeit & überall herrlich, & habe Angst[,] dass ich furchtbar verwöhnt werde. Bevor ich nach Bellevue kam, hatte ich noch eine arge Hetzerei, das kann ja nicht anders sein, wenn man sich noch so Mühe giebt [sic], aber dann war es in Bellevue so wunderbar, dass wir die ersten Tage nicht einmal nach Genf gingen. Es war so blau & duftig, & so still am See, & die Sonne so herrlich[,] dass man [es] in Waschkleidern gerade recht hatte. Der grossen Obstsegen giebt [sic] auch viel zu tun, man pflückt, sortiert, & richtete einen Korb nach dem andern, der verschenkt wird. – Hier habe ich Gaspard’s beide wohl getroffen, Marcelle hat zwar immer mit Rheumatismus zu schaffen, aber G. ist gut dran & sehr leistungsfähig. Die kleine Lise ist reizend[,] so ein Muster von guter Erziehung, das versteht Marcelle aus dem Fundament. Am Morgen trägt sie Spielhöschen, & am Nachm. Replums [?] in allen Farben, & tanzt einher wie ein kl. Schmetterling. – Ich hoffe[,] dass es bei Euch immer gut geht, & dass Ihr Euch bei kühlerem Wetter recht schön von der Sommerhitze erholt. – Kann Maria den Kleinen noch gut stillen? & nimmt [sic] er schön zu? M. schrieb Emily[,] dass Gianni etwas zugenommen habe, ob er nicht mehr zu essen bekomme. Aber vielleicht jetzt hat man anfangen können. Führt sich die Balia [?] wieder recht auf? & will [sic] sie weiter bleiben? –

Die Cousinen sind jetzt in Lugano auf etwas 14 Tage, & denke Dir[,] ich darf wieder zu ihnen, wenn ich Alex zur Schule zurück bringe, für die wenigen Tage. – Sie hatten Lorly noch 8 Tage bei sich, die sich natürlich etwas langsam erholt, denn es war eine schwere Operation. Lorly liess Mama für ihren lieben Brief sehr danken. –

Marcelle lässt Euch alle sehr grüssen. Auch von mir viele herzliche Grüsse an Euch alle, gross & klein, im grossen & kleinen Haus. – Dich, liebe Silvia, umarmt mit einem innigen Kuss

Deine Dich herzlich liebende

Adèle Berner.

In der Korrespondenz von Silvia Wenner findet sich ein weiterer Brief ihrer Schwester vom 4. Januar 1918 aus Zuoz im Oberengadin. Darin schreibt Adèle Berner-Wenner, dass Clara Peters-Wenner (1874-1944), eine weitere Verwandte, mit ihrem Sohn Max (1907-1988) ebenfalls ins Engadin gekommen sei und dass sie ihr ihren Sohn, Alex Berner, während des Rests der Neujahrsferien in Obhut geben könne. Adèle Berner-Wenner fand bis Anfang Februar wieder Unterkunft bei den Cousinen Zürich, von denen in anderen Briefen die Rede ist. Danach reiste sie, wie ein weiterer Brief vom 19. Februar 1918 belegt, offenbar weiter nach Rom.

Nächster Beitrag: 13. Oktober1917 (erscheint am 13. Oktober 2017)

 Quellen: W 054/127.4.2 (Briefe an Silvia Wenner)

Tante Marie

Dienstag, 2. Oktober 1917 – Tante an Neffe

Ernst Kind, aus dessen Korrespondenz und Tagebuch schon einige History Blog-Beiträge erstellt wurden, hatte die Matura bestanden. Seine Tante gratulierte ihm:

St.Gallen – Springbrunnenplatz 14

Dienstag, 2. Oktober 1917.

Lieber Ernst!

Wenn ich es auch nicht schwarz auf weiss besitze, wie Dein Examen Dir gelungen ist, so weiss ich doch sicher, dass ich Dir, mein Lieber, freudig meine warmen Glückwünsche bringen darf für diese Frage, welche für Dich und Deine Eltern einen so wichtigen Lebensabschnitt bedeuten. Dein Einzug in das grosse glück- und gefahrenvolle Leben hat sich vielleicht in der Stille schon weiter vollzogen, als es ausser Dir irgend jemand bekannt ist, aber ich glaube an Dich, dass Du als ein Herrlicher durch den Feuerofen gehen wirst, dass Du nie Deine Ehre um ein Linsengericht preisgeben wirst, um so in die Reihen der Männer einzutreten, welche den seltenen Schatz eines ungetrübten Vertrauens für sich beanspruchen können und zu besonderer Beglückung für die Familie und die Allgemeinheit bestimmt sind. Herzlich werde ich immer teilnehmen an Deinen weiteren Geschicken, Gott erfülle sie mit reichem Erfolge!

ich und die Deinigen grüsse ich in voller Freundschaft, der lieben Mama werde ich ganz bald schreiben. Danke Du ihr vorläufig für den lieben, kleinen Gruss, mit Gottlob etwas besseren Nachrichten.

Mit einem besonders warmen Grusse für Dich Deine getreue

Tante Marie Bürke.

Nächster Beitrag: 3. Oktober 1917 (erscheint am: 3. Oktober 2017)

Quelle: Staatsarchiv St.Gallen, W 073/5 (Korrespondenz Ernst Kind, 1917)

 

Gruss von Papa

Montag, 20. August 1917 – Vater und Tochter: «1000 herzl Grüsse Papa»

Agnes (Ebneter-)Müller (1887-1973), Tochter des Staatsschreibers Othmar Müller (1859-1923), fasste in mehreren handschriftlichen, mit Fotos und Zeichnungen illustrierten Bänden ihre  eigene und die Familiengeschichte zusammen. Sehr häufig ist darin von ihrem Vater die Rede. Die beiden hatten offenbar ein inniges Verhältnis. Hier sind sie auf einer Foto von 1921 zusammen zu sehen. Anlass war ein Besuch von Agnes Müller bei ihrem Vater, der in Heiden Ferien machte:

Vater und Tochter 1921

In diesem Beitrag berichtete die 20-Jährige (vgl. Beitrag vom 18. August), wie sie von zu Hause fortging, um in Bern eine Bürostelle anzutreten:

Montag, 19. Aug, Meine Reise nach Bern (Bundeshaus) [Die Datierung ist falsch, entweder war es Sonntag, der 19. August oder Montag, der 20. August 1917]

Papa kam mit an die Bahn; mir war sehr weh ums Herz. Papa hatte so etwas Einfaches, ganz Klares in seinem Abschiednehmen, er gab nicht viel Ermahnungen, höchstens sagte er «ja für dich habe ich keine Angst, du wirst das schon recht machen». Sein grosses Zutrauen + sein überzeugter Glaube an mich + mein Wirken war mir das grösste + wertvollste Abschiedsgeschenk. – Wie ich in den Zug einstieg + der sich langsam in Bewegung setzte[,] sah ich nur immer ihn an – dann sah ich auch (bewusst zum erstenmal [sic])[,] dass seine Augen voll Tränen waren.

Vom 19. Aug. 17 bis 12. Dez. 18 war ich in Bern. An Papa hab ich dann oft telephoniert vom Büro aus, gewöhnl. an einem Samstag. Er war immer gleich in Stimmung. Nie war er ungehalten über mein Stören, und jedesmal am Schlusse gab er mir noch die Mahnung «gib der au jo recht Sorg!»

Briefe hat Papa nicht viel geschrieben, dafür Kartengrüsse. Wenn er einen Ausflug machte, dann schickte er mir auch jedesmal eine Karte. In den Briefen hatte er einen etwas veralteten, umständlichen Styl [sic], lange Sätze + etwas formell; aber immer herzlich + voll Güte. Bei jedem Brief hab ich denn auch eins oder auch ein paar Sätzli gefunden, aus denen seine Liebe bes. warm hervorgeleuchtet hat. –

Dann sandte er mir immer von Zeit zu Zeit St.Galler-Zeitungen als Drucksache + da stand in jeder Zeitung zwischen den Zeilen oder am Rand «herzl. Gruss Papa» oder «Gib dir Sorge» oder «wie geht’s dir» – «Schönen Sonntag» -[«]inniger Gruss Dein Papa». –

Im Mai 1918 hat man in St.Gallen Papas 30jähriges Jubiläum gefeiert; viele Gratulationen & manch Zeitungsbericht[,] alles Ehrungen, die Papa in seinem Innersten doch begrieflich so sehr freuten. –

Im Juli 1918 ging Papa nach Passugg in den Kronenhof, weil der Arzt Zuckerbefund konstatierte & er dort eine Kur durch Baden & Trinken verordnete.

Nächster Beitrag: 22. August 1917 (erscheint am 22. August 2017)

Quelle: Staatsarchiv St.Gallen, W 287/09.1.6 (Text, Foto und Beitragsbild: im Buch eingeklebter Zeitschriftenausschnitt mit dem Vermerk «1000 herzl Grüsse Papa«)

Panorama von St.Gallen

Samstag, 18. August 1917 – Wie man volljährig wird: Geburtstag einer 20-Jährigen

Im Erinnerungsbuch von Agnes (Ebneter-)Müller (1887-1973), der Tochter von Staatsschreiber Othmar Müller steht zum Tag, an dem sie volljährig wurde:

Am 18. Aug. 17 (Samstag) war ich 20. Ich sehe + höre noch, wie mir Papa Glück wünschte: er hält meine Hand in seiner rechten + die linke hält er drüber: «i wünsch der, dass d’all so brav + so gsund + so e gueti bliebscht, + dass du de Mama + üs allewil Freud machest + dass es der allewil guet gäng!» – Von Papa & Mama bekam ich die goldene Armbanduhr. Nachmittags durfte ich mit ihnen zu den Bergen. Bis Nest [Ortsbezeichnung in St.Gallen] mit dem Tram, dann durch den Wald hinauf – über die Jägerei (Fröhlichsegg rechts liegen lassen) & dann zum Säntisbänkli gekommen; wunderbarer Ausblick – etwas für Papa! Wir sassen dann auch lange dort & Papa meinte, wie schön doch der Alpstein aufgebaut sei; die verschiedenen Alpenkesten [?] (3) vom Kamor – Kasten immer höher bis zum Säntis. Ganz klarer, sonnenvoller Tag. – Über Teufen sind wir dann heimgelaufen.

Nächster Beitrag: August 1917 (erscheint am August 2017)

Quelle: Staatsarchiv St.Gallen, W 287/09.1.6 (Text) und ZMA 18/01.01-30 (Ausschnitt aus Ansichtskarte, im Vordergrund die Stadt St.Gallen, im Hintergrund der Alpstein)

Silvia Wenner

Mittwoch, 18. Juli 1917 – Innen-dekorationsfragen

Der folgende Brief von Adele Berner-Wenner an ihre Schwester Silvia Wenner ist ungenau datiert. Er wurde an einem Mittwoch im Juli 1917 verfasst:

[Randnotiz:] Erhalten i[n] Fratte

[Notiz:] Juli 1917

Mittwoch.

Meine liebe Silvia,

Heute morgen habe ich mit dem Tappezierer [sic] wegen Deinem Stoff gesprochen. Er meint[,] Du müsstest am Fenster an den Seiten hinunter 1 ½ mal die Breite nehmen, denn weil das Fenster 2mt. breit, & der Stoff nur 1 Mt. breit sei, so müsse man doch mindestens 1 ½ Mt. auf jeder Seite haben, weil es sonst mager aussehe. Nachdem er auch für die volants berechnet hat, so müsstest Du 36 Mt. für beide Fenster nehmen. Er findet den Stoff nicht sehr solid, & meint die Battiste mit pois wäre stärker. Letzteres wird wo[h]l richtig sein, aber ich habe dieses Müsterchen in’s Wasser gelegt & gesehen[,] dass es sich nicht schlecht wascht [sic], und es ist eben doch hübscher als Battiste. Nur wird es auf jeden Fall ziemlich eingehen, & würde ich Dir raten auf die 36 M. doch 1-2 M. zu berechnen wenn Du es vorhr netzen willst. Dann müsstest Du mir noch sagen[,] wieviel Du drüber ein haben willst, & ich will es Dir gern einkaufen. –

Was ich heute für einen Tag erlebe, das spottet jeder Beschreibung, & wenn ich nicht den 2ten Tag Sache hätte & die Tappezierer [sic], & so viel zu tun, dass jeden Abend wieder ungemacht auf den nächsten Tag geschoben wird[,] was alles nicht gemacht werden konnte, so wäre es zum lachen; so aber ist es bedrückend & lähmend. So landen nun Fritz [Wenner, Bruder von Adele und Silvia], Henry Fabio & ich heute abend zum Essen weisst Du wo? – auf der Rio’alta! – Morgen mittag sollte ich mit Frau Corradini Mutter in S. Giovanni essen (wenn ich nicht gehe, so muss ich zum dritten mal [sic] abschlagen) dann in’s Lido, nachher in die Eröffnung der Casa estiva von Miss G[?], & zum Abendessen zu O. Robert’s & am Vormittag absolut in die Casa Materna.

– Ich bin froh für Dich[,] dass Du in Fratte ein wenig ausschnaufen kannst, zwar sind die ersten Tage auch nicht rosig, aber hoffentlich musst Du nicht gerade auf den Sonntag Deine S… haben! –

– Ich schliesse schleunigst, & dieses mal muss ich wirklich lachen, den soeben telephoniert Herr Santi[,] er komme sofort nur mit mir zu sprechen wegen einem Haus. Es ist ½ 6 Uhr, & ich muss mich schnell ankleiden, damit ich dann nachher mit Fritz weg kann. –

Viele Grüsse an alle, & Dir einen innigen Kuss von Deiner Dich herzlich liebenden

Adèle.

Silvia Wenner (1886-1968) war die jüngste Tochter von Friedrich und Emma Wenner-Freitag. Sie verheiratete sich 1925 mit Hermann Ochsenbein, der ab 1916 als technischer Spinnereidirektor in den Wenner-Fabriken wirkte.

Nächster Beitrag: Juli 1917 (erscheint am Juli 2017)

 Quellen: W 054/127.4.2 (Briefe an Silvia Wenner) und W 054/127.9.3 (Beitragsbild: Silvia Wenner, ca. 1910-1920)

Hochzeitsfoto

Samstag, 9. Juni 1917 – Frauen-brief

Adele Berner-Wenner (1878-1946) und Silvia Wenner (1886-1968) waren Schwestern aus der süditalienischen Textilindustriellenfamilie, zu der schon andere Beiträge erschienen sind (vgl. Beiträge vom 12. und 24. Januar 1916 sowie vom 2. Januar, 13., 20. und 21. April 1917).

Adele Berner-Wenner war seit 1912 verwitwet. Sie hatte für einen 1902 geborenen Sohn, Alex, zu sorgen. Silvia Wenner verheiratete sich erst 1925 mit dem Industriellen Hermann Ochsenbein.

[Randnotiz:] Erhalten i[n] Fratte

Neapel, 9. Juni 1917.

Meine liebe Silvia,

Vielen herzlichen Dank für Deinen lieben langen Brief, der mich so sehr interessiert hat.

Ich hatte mich so sehr gefragt, wie woh[l] der Sonntag ausgefallen sei, & wie es Dir dabei mit Deiner Sache ergangen sei. Zum Glück ist es noch so abgelaufen, aber Du wirst doch recht froh gewesen sein, als Du am Abend in’s Bett schlüpfen konntest.

Mir ist es in letzter Zeit auch manchmal so gegangen, besonders in der letzten Woche, in dieser ging alles leichter[,] weil ich meine S… nicht mehr hatte. –

Ich habe diese Woche Mama noch 2 mal recht gesehen, am Montag war ich allein für den Tag in Rio’alta, & am Donnerstag mit meiner Schwiegermama.

Adele Wenner als Witwe

Natürlich läuft immer eines in’s andere, man muss sich immer sputen & eilen, & freut sich jedes mal [sic] wenn man das verschwitzte Strassenkleid & die warmen Schuhe wieder ausziehen kann. – Man wollte für das C.M.-Fest eine pêche arrangieren, die ich hoffte Frau Ascarelli übergeben zu können, aber weil sie abwesend war[,] so musste ich mich selbst bequemen, und habe nun sehr schön zusammen bekommen, etwa 270 kl. Gegenstände. Gestern nachm. blieb ich zu Hause[,] um alles in Papier zu wickeln, & habe über 3 Stunden lang Packetchen gemacht. Es ist sehr angenehm[,] dass Bob noch da ist, er ist schon einmal mit einer Ladung auf den Vomero gefahren, & geht morgen früh noch einmal. –

Ich begreife[,] dass die ersten Tage in Fratte nicht angenehm für Dich waren, mit den jetzigen Dienstboten-Verhältnissen, wenn Dir alles ein wenig verlottert vorkam. Man muss sich halt unter den obwaltenden Umständen wirklich genügen lassen, & hoffen, dass alles bald möglichst wieder in Ordnung kommen möge, & dabei das geniessen, an dem man sich noch freuen kann.

Ich freue mich[,] dass Du im Lauf der nächsten Woche kommen willst, man hat sich immer alles mögliche zu erzählen. – Ich weiss nicht[,] ob ich Dir gesagt habe, dass Grita [?] schrieb, Dr. Mende habe in den Ferien einen Gichtanfall bekommen & sei noch nicht zurück. Soeben kommt ein Express Brief von Alex vom 7ten. nach welchem Dr. M. noch immer abwesend sei, & so muss ich mich wo[h]l auf eigene Faust entschliessen, denn Du könnest [?] ja ein Fenster von dem einen, & ein Fenster von dem anderen machen, aber ich denke[,] das ist doch wo[h]l ausgeschlossen. –

Vor 2 Tagen war die Spitzenfrau Doema [?] Maria bei mir, & brachte mir eine wundervolle Decke zum ansehen. Es ist ja nicht ganz die gewünschte seidene Decke, die wir für Mama wünschen, aber etwas so schönes & eigenartiges, dass ich ihr sagte, sie wolle smir nur lassen zum ansehen, was sie gerne tut bis Du sie sehen kannst. Es ist eine calabresische Decke, antik, aber in ganz gutem Zustand, in der Art wie Pauls in Bellevue im rosa Fremdenzimmer ihre Bettdecke haben, nur ist alles viel feiner & in Seide eingewoben, in eine feine rostgelbe (aber matt in [den] Farben) Leinwand wirklich etwas ganz schönes für wem es gefällt, & kostet L. 140.- was ich nicht viel finde für was es ist. – Dann hat sie mir zur Ansicht noch ein breites, prächtiges Stück Filet, für ein Möbel, oder Store passend, gelassen zu L. 50.- Also Du findest etwas zum ansehen, die Frau hat nämlich eine kl. Reise gemacht, aber sie sagt nicht wohin.

Emily schreibt mir[,] dass Lili Andreae morgen zu ihnen komme, & übernachte, da kommt sie wahrscheinlich am Dienstag nach Fratte. – Ich lege noch ein Briefchen an Marta bei, das Du ihr bitte geben willst. –

Grüsse mir die Eltern herzlich & sei selbst innig umarmt von Deiner Dich sehr herzlich liebenden

Adèle.

Hinweise: In den Briefen zwischen der verwitweten Adele Berner-Wenner und ihrer Schwester Silvia Wenner ist mehrfach die Rede von «der Sache». Gemeint ist damit die Menstruation. pêche ist wohl ein Gesellschaftsspiel, bei dem man mit Hilfe einer kleinen Fischerrute kleine Geschenke «fischen» konnte.

Nächster Beitrag: 11. Juni 1917 (erscheint am 11. Juni 1917)

Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, W 054/127.4.2 (Briefe an Silvia Wenner) sowie W 054/125.10.1 (Beitragsbild: Hochzeitsfoto Adele und Hans Berner-Wenner, 1901) und W 054/125.9.4 (Foto Adele Berner-Wenner, vermutlich als Witwe, ca. 1910-1920)

Unterschrift Riklin

Freitag, 27. April 1917 – Das Wetter und die Moral

Der Psychiater Franz Beda Riklin leitete ein Interniertenlager in Château d’Oex. Nach einer längeren, ihn eher belastenden Phase schickte er erstmals positivere Meldungen nach Hause:

Château d’Oex, 27. April 1917.

Liebster Schatz!

Herzlichen Dank für Deine Mitteilungen. Es tut mir sehr leid, dass Du zuhause nun einen widrigen Betrieb u. so viel Arbeit hast. Gib acht, dass Du nicht wieder zuviel machst, u. vor dem Staub musst Du besonders aufpassen. Geh auch einmal zu Frl. Dr. Kuhn zur Kontrolle!

Sonst bin ich froh über Deinen Bericht. Ich lasse die Kindlein herzliche grüssen. Hier ist seit 3 Tagen gutes Wetter eingezogen, was den Aufenthalt angenehmer macht. Ich mache allerhand interessante Beobachtungen; ich schreibe Dir einmal darüber. Ich habe doch ziemlich zu tun; aber es scheint mir, mit dem Herz gehe es besser, u. mit dem allgemeinen körperlichen Befinden. Ich habe mehr Frische und Beweglichkeit gewonnen. Mutter lasse ich vielmal grüssen. Sie soll nicht Angst haben; eine event. Operation lässt sich gut ohne Narkose machen. Wohin geht sie?

Hoffentlich habt Ihr bald wärmer. Also recht herzliche Grüsse u. vielen Dank von Deinem treuen

Franz.

Nächster Beitrag: 30. April 1917 (erscheint am 30.  April 2017)

Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, W 106 (Briefe an seine Ehefrau; Text)

Fritz und Maria Wenner

Samstag, 21. April 1917 – Ehekorrespondenz

Fritz Wenner-Andreae antwortet seiner schwangeren Ehefrau auf ihren Brief vom Vortag (s. Beitrag vom 20. April):

Fratte di Salerno, 21. April 1917.

Liebes Frauchen,

Heute sende ich Dir also, wie abgemacht, die Wäsche der Kleinen durch unsern Corriere und gleichzeitig diesen kurzen Samstagsgruss für Dich und die l. Bübchen. Ich werde viel an Euch denken, obschon mir die Zeit nicht lange werden wird, denn ich habe genug Stoff, um mich zu beschäftigten. Wenn nichts dazwischen kommt, so hoffe ich[,] am Mittwoch morgen nach Neapel zu reisen und wenn Du einverstanden bist, so siedeln wir am Donnerstag um 12 Uhr hierher über. Hoffentlich geht es bis dann Mama besser! Hier ist das Wetter seit gestern wieder sehr schön[,] aber recht frisch. – Hat der Maler die Bilder wohl gebracht? Man könnte sie vielleicht vorläufig in die Via Medina bringen und kann ich sie dann von dort gelegentlich einpacken u. hierher spedieren lassen, denn am Mittwoch werde ich keine Zeit dazu haben u. im Hôtel sind uns die Dinger dann im Weg. Meinst Du nicht?

Wegen der Bezahlung kann ich dann ein anderes mal [sic] mit dem Maler verhandeln. –

Hier im Haus ist, wie mir scheint, alles in Ordnung u. für Euern Empfang bereit. Die beiden Kisten Mellin’s Food sind angekommen u. in der Küche untergebracht.

Und nun sage ich Dir auf Wiedersehen, liebe Maria, am Mittwoch und sende Dir u. den beiden Kleinen einen festen Kuss. Bitte sage der l. Mama[,]  ich lasse ihr herzlich gute Besserung wünschen u. der Adèle u. dem Alex eine gute Reise. – Es grüsst Dich u. umarmt Dich von ganzem Herzen Dein Dich innig liebender Maritino

Fritz.

Mellin’s Food war ein spezielles Kleinkinder-Milch-Getreidepräparat, hergestellt in Boston USA, vermutlich ähnlich wie das Nestlé-Kindermehl aus Lausanne.

Nächster Beitrag: 23. April 1917 (erscheint am 23. April 2017)

Quelle: Staatsarchiv St.Gallen, W 054/128.1 (Text) und W 054/129.1.1 (Fritz und Maria Wenner-Andreae 1913 auf ihrer Hochzeitsreise in England)

Gaertnerhaus der Villa Wenner

Freitag, 20. April 1917 – Ehekorrespondenz: Der Gärtner soll Lauch pflanzen

Maria Wenner-Andreae schreibt an ihren Mann Fritz. Sie weilt zusammen mit ihren beiden Söhnen immer noch im Parker’s Hotel am Corso Vittorio Emanuele in Neapel.

Neapel, den 20-4-1917.

Mein lieber armer Strohwitwer!

Damit Du am Sonntag doch etwas v. Deiner kl. Frau habest, sende ich Dir diese Zeilen. Unsere Putzel [Kinder] sind munter u. wohl u. Deine Frau hat 9 Stunden geschlafen. Che pigrona!

Es scheint mir[,] ich habe Dich seit einer Woche nicht mehr gesehen, stattdessen ist es ja seit gestern. Ich habe dann doch noch Adèle u. Alex überredet[,] mit mir zu essen. Es war sehr nett[,] dass sie kamen u. es schmeckte ihnen sehr gut. Ich hatte noch Marrons glacés gekauft, die auch nicht verschmäht wurden. Sie blieben bis nach 9 Uhr u. gingen Heim [sic], da Adèle den ganzen Tag unterwegs gewesen war.

Eben telephonierte ich mit Silvia. Mama hatte gestern abend über 39 Grad u. heute morgen hat sie über 38 Grad [Fieber]. De Nobili sagt aber: non è allarmante! Im Gegenteil[,] die Schmerzen sind seit dem Fieber besser geworden. Hoffen wir von Herzen[,] es sei bald überwunden! Diesen Nachmittag will ich sie besuchen. Vorher kommt aber Silvia her, da Mama wünscht, dass sie u. ich einen Augenblick Schivens [?] besuchen, der alte Herr soll nicht gut dran sein.

Bitte grüsse mir alle Schlaepfers, besonders Tante Elise. Sage ihr, wenn ich ihr etwas besorgen u. mitbringen könnte, täte ich es gerne. Grüsse mir die Bienchen, ich denke mir[,] Du stattest ihnen ein  Besüchlein ab. Lass Dich nicht stechen! – – Wenn morgen der Maler kommt, dann, bitte ich ihn[,] sich am Mittwoch zu presentieren [sic], denn ich kann nicht mit ihm verhandeln.

Mille baci al Papà caro da Gianni e Dimy. Grüsse mir die Leute. Sage Pietro[,] er soll ein bis[s]chen Porro [Lauch] pflanzen u. ein schönes Feld für Fagioli [Bohnen] preparieren den Samen hätte ich.

Von ganzem, ganzem Herzen umarmt u. küsst Dich Deine Dich sehr lieb habende

Maria.

Quelle: Staatsarchiv St.Gallen, W 054/128.1 (Text) und W 054/73.8 (Bild, Gärtnerhaus der Villa Wenner in Fratte di Salerno, ca. 1885)

Grand Hotel Briefkopf, Auszug

Dienstag, 17. April 1917 – Immer noch Winter in Château d’Oex

Der Psychiater Franz Beda Riklin weilte immer noch in Château d’Oex und leitete ein Interniertenlager mit kriegsversehrten Angehörigen der britischen Armee (vgl. Beitrag vom 11. April). An seine Frau schrieb er:

Château d’Oex, 17. April 1917.

Liebster Schatz!

Ich danke vielmal für Deinen letzten Brief. Über das Wetter musst Du Dich nicht mehr beklagen als wir hier. Meistens schneit es [Mitte April!], zB. heute ohne Unterbruch. Ich mach mir übrigns nicht allzuviel daraus, denn ich bin ja beschäftigt. Am meisten mss ich diese Arbeit mit der einer Anstaltsdirektion vergleichen. Die Sprachveränderung ist ganz günstig; doch wäre ein italienischer Aufenthalt nützlicher u. für uns beide angenehmer. Ja, wir müssen sehen, dass wir noch einmal einen Aufenthalt für uns haben. Es ist natürlich auch für mich relativ fade. Ich freue mich nur, noch ein Stück Frühling in dieser Gegend  zu sehen u. [unlesbar] dann auch einmal an den Genfersee hinunter. DAnn aber Schluss mit diesem Dienst. Nächsten Freitag fahre ich nach Olten zu einer Conferenz. Ich bin dort von Mittag-Nachmittag, fahre abends zurück bis nach Gstaad. In Olten; Hotel Schweizerhof.

Wie geht es wohl zuhause? Ich habe ein paar «Briefe» von den beiden Grossen u. schicke ihnen ab u. zu eine Karte.

Dem Herz geht es ziemlich gut, zuerst musste ich mich ans Steigen gewöhnen u. die Höhe. Aber ich komme jetzt ziemlich viel an die Luft. Zeitweise beschäftigen mich die Träume; auch habe ich e. Roman von Anatole France gelesen; weniger gut als die anderen.

Viele herzl. Grüsse u. Küsse

v. D. [von Deinem] Franz

Anatole France war ein französischer Schriftsteller. Er erhielt 1921 den Friedensnobelpreis (vgl. z.B. https://de.wikipedia.org/wiki/Anatole_France)

Nächster Beitrag: 19. April 1917 (erscheint am 19. April 2017)

Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, W 106 (Briefe von Franz Beda Riklin an seine Ehefrau, 1917; Texte und Beitragsbild: Auszug aus einem Briefkopf des Grand Hôtels, in dem Riklin logierte)