Johann Coaz

Sonntag, 18. August 1918 – Promi-nentes Grippeopfer

Am 18. August verstarb hochbetagt der Forstingenieur und Alpinist Johann Wilhelm Fortunat Coaz-Lütscher (31.05.1822-18.08.1918). Coaz hatte als kantonaler Oberforstinspektor eine Zeit lang in St.Gallen gelebt und sich u.a. im Stadtturnverein engagiert. Im Archiv des SAC St.Gallen findet sich in der sog. «Ahnengalerie» eine Porträtfoto von ihm (vgl. Beitragsbild).

Todesanzeige Coaz

Am 21. August veröffentlichte das Tagblatt einen ausführlichen Nachruf auf Coaz:

Zum Andenken an Dr. h.c. Johann Coaz.

Im Patriarchenalter von über 96 Jahren ist Dr. h.c. Joh. Coaz, der hochverdiente Förderer der schweizerischen, der Forstwirtschaft überhaupt, von dieser Erde geschieden.

Johann Coaz war Bürger von Scanfs [S-chanf] im Engadin. 1843 schloss er al 21jähriger sesine forstlich-akademischen Studien in Deutschland ab und kehrte dann in seine Heimat zurück. Dazumal arbeiteten Ingieure des eidgenössischen topographischen Bureaus auch in den Bündnerberger an der Triangulation und topographischen Aufnahme des Kantons Graubünden. An der Spitze des Bureaus, das sich heute zur Abteilung Landestopopgraphie des schweizerischen Militärdepartements entwickelt hat und 100 Beamte zählt, stand Generalquartiermeister Oberst Dufour, der spätere General unserer Armee. Coaz wurde mit den Ingenieuren bekannt, und 1844 trat er in das topographische Bureau ein und erwarb sich schon in jungen ahren nicht geringe Verdienste am Zustandekommen des grossen topographischen Atlasses der Schweiz. Vo nihm stammen die Blätter Bernina, Davos, Tarasp, St.Moritz, Scaletta, Bevers [Bever], Chamuera und Scanfs [S-chanf] der Dufourkarte. Seine Tätigkeit brachte ihn mit dem Alpinismus aufs engste zusammen, und seit jener Zeit stand Coaz bis zu seinem Tode als einer der ersten Führer an der Spitze des schweizerischen Alpinismus, er, der Bezwinger der Bernina und damit der Mann, der sein Engadin in Konkurrenz mit dem Wallis und Berner Oberland treten liess. Sein Name wird in der Geschichte der Erschliessung unserer alpen einen bleibenden ehrenvollen Platz behalten.

Nach der Beendigung der topographischen Arbeiten wurde Coaz Forstinspektor des Kantons Graubünden; dieses Amt versah er von 1851-1874. Dann trag er in den Dienst des Kantons St.Gallen und bekleidete hier den Posten des Oberförsters; er lebte sich in St.Gallen gut ein, und immer wieder ist er gerne in unsere Stadt zurückgekehrt, wo er einen grossen Bekanntenkreis hatte.

Der Bundesrat berief den vortrefflichen Forstmann bald nach Bern und übertrug diesem das eidgenössische Oberforstinspektorat; diese Stelle versah er bis zum Jahre 1914, in welchem Jahre er nach ausserordentlichen Arbeitsleistungen im Dienste des Vaterlandes in den Ruhestand trat. Er zog sich nach Chur zurück und hat dort seinen Lebensabend verbracht. Welche Wegstrecke liegt zwischen seinem ersten Wirken in Amt und Würde und der Heimkehr aus der Bundesstadt in die rätische Hauptstadt! Welche Summe von Arbeit und wieviele glänzende Erfolge aus der Tatkraft des willensstarken Mannes, der nicht nachgibt, wenn er etwas als gut erkannt hat!

Coaz ordnete das schweizerische Forstwesen, schuf dem Bund die Oberaufsicht über die Forstpolizei; aus dieser heraus wurden besonders dem Alpengebiet die segensreichen Hilfeleistungen des Staates an Lawinen- und Wildbachverbauungen, Korrektionen, Bannwalderrichtungen, Alpverbesserungen usw. In all diesen Werken leben sein Geist und sein Weitblick, lebt der Name Coaz weiter. Neben der amtlichen Tätigkeit fand er immer noch Zeit, sich der Fach- und der alpinen Literatur zu widmen. Er war der Herausgeber des Schweizerischen Baumalbums, von dem bisheute bereits vier Bände erschienen sind; in den Jahrbüchern des S.A.C. finden wir zahlreiche Abhandlungen aus seiner Feder. Der lebhaft geschriebene und empfindende Rückblick «Aus dem Leben eines schweizerischen Topographen von 1844-1851» dürfe wohl die letzte grössere Arbeit des nunmehr Verstorbenen sein. Sie ist enthalten im 52. Jahrgang des S.A.C.-Jahrbuches. Aus ihr werden wir unseren Lesern demnächst einige Reminiszenzen zur Kenntnis bringen.

Hier mag auch noch erwähnt werden,, dass Coaz, ein grosser Freund unseres Wildparkes, die Initiative für die Wiedereinbürgerung des Steinwildes in unseren Alpen ergriffen hat. Er beförderte durch Beibringung von Bundessubventionen die Aussetzung von Tieren aus dem Wildpark St.Gallen ins Gebiet der Grauen Hörner und in das des Piz d’Aela ob Bergün. Hundert Jahre alt wollte Coaz werden: bis in die letzten Tage seines Lebens war er aussergewöhnlich rüstig; seine 96. Jahre waren ihm noch nicht zur Last geworden. Berg und Wald hatten ihm eine eiserne Gesundheit geschenkt und seinen Geist hell und klar gemacht, gleich dem Hohlicht über den Gräten der Bündnerberge. Plötzlich aber hat ihn der Tod leise berührt und hinübergenommen in das stille Land der Abgeschiedenen. St.

Vgl. auch den Beitrag im Historischen Lexikon der Schweiz: http://www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D28802.php

Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, P 909 (St.Galler Tagblatt, 78. Jg., N.r 195, Morgenblatt, 21.08.1918, S. 4, Todesanzeige und Abendblatt, 21.08.1918, S. 1, Nachruf) sowie W 312/11.1-01.93 (SAC St.Gallen, Ahnen-Galerie, Auszug aus Porträt von Johann Coaz)

Fieberkurve

Montag, 1. Juli 1918 – Spanische Grippe in St.Gallen

Hedwig Haller (1884-1963), aus deren Tagebuch das folgende Zitat stammt, wuchs am St.Galler Marktplatz auf. Dort betrieb ihr Vater eine Flaschnerei (Spenglerei). Die aus Württemberg stammende Familie war 1886 eingebürgert worden. Hedwig hatte den «Talhof» besucht und arbeitete als Telefonistin in der St.Galler Hauptpost. Im Juli hielt sie fest:

Die Folgen des Krieges machen sich immer mehr fühlbar. Eine furchtbare Krankheitsepidemie, die sog. Spanische Grippe, ist ausgebrochen & fordert unzählige Opfer. Die Krankheit ist sehr ansteckend & da mit hohen Fiebern verbunden, auch gefährlich. St.Gallen ist bis jetzt noch ziemlich gut dran. Im Bureau haben wir erst 2 Fälle gehabt, die sich wieder bald erholten. Dennoch sind alle Volksversammlungen, wie Theater, Kinos, Konzerte, Kirche, ja sogar die 1. August-Feier verboten. Da die Kaserne so viele Kranke hat, ist auch die Rekrutenschule bis auf Weiteres aufgehoben. Die Schüler bekamen Ferien. – Am Schlimmsten wütet es in der Westschweiz, sowie in Zürich & Bern, wo es über 20‘000 Kranke hat. Man musste den Postdienst & Eisenbahnverkehr einschränken & Telephongespräche, die mehr wie 3 Zentralen in Anspruch nehmen, werden auch verweigert. – Da die Bazillen hauptsächlich in den Schleimhäuten von Nase & Rachen hausen, so empfiehlt man viel Gurgeln mit Salbei Wermutthee & auch davon trinken zum desinfizieren von Hals, Magen & Gedärmen. –

Zitate aus Hedwig Hallers Tagebuch sind bereits erschienen am: 11. Februar 1917, 23. Februar 1917, 1. Oktober 1917 und 20. April 1918.

Der Psychiater Franz Beda Riklin, der vom August bis Oktober 1918 als Kommandant der Etappen-Sanitäts-Anstalt Solothurn amtierte und dort für hunderte von erkrankten Soldaten zuständig war, beschrieb seine eigenen Präventionsmassnahmen gegen die Grippe in einem Brief vom 25. Juli 1918 an seine Ehefrau in ähnlicher Weise: Zudem bin ich sehr vorsichtig, gurgle, schnupfe Flüssigkeiten, wasche die Hände, meide die Menschen u. die Menge – was will man mehr? Ich lebe auch absolut geregelt, überanstrenge mich gar nicht. Überdies glaube ich, nachdem ich die Sache in Lyon überstanden habe, nicht nochmals ausgesetzt zu sein.

Zu Riklin sind ebenfalls etliche Beiträge erschienen, u.a. über seine Zeit in Lyon am 7. und 13. Mai 1918 sowie am 8 Juni 1918.

Quellen: Privatbesitz (Tagebuch Haller, Transkription und Hinweis zur Autorin: Markus Kaiser) und Staatsarchiv St.Gallen, A 553/1.6 (Bildtafel aus: Langstein, Leo und Rott, Fritz: Atlas der Hygiene des Säuglings und Kleinkindes, 1918-1922) sowie W 106 (Nachlass Franz Beda Riklin)

Anzeige Pockenschutz-Impfung

Mittwoch, 14. November 1917 – Gesundheitszustand der Bevöl-kerung

Der Jahresbericht 1917 über das Medizinalwesen im Kanton St.Gallen gibt Auskunft über den Gesundheitszustand der Bevölkerung.

So meldete Dr. Theodor Wartmann über den Physikatsbezirk St.Gallen: Die durch die lange Kriegsdauer bedingte Erschwerung der Lebensbedingungen machte sich, was die Volksgesundheit anbelangt, in doppelter Richtung fühlbar: erstens in somatischer Beziehung durch eine deutlich zutage tretende Unterernährung breiter Volksschichten mit der Gefahr der Zunahme der Tuberkulose; zweitens in psychischer Richtung durch eine merkliche Zunahme der Geistesstörungen, bei denen als auslösendes Moment in zahlreichen Fällen pekuniäre [finanzielle] Sorgen, Todesfälle und sonstiger Kummer angegeben wurde. Dagegen sind die Alkoholexzesse mit ihren Folgeerscheinungen: Misshandlung und Körperverletzungen weniger zahlreich geworden. […] Die Zahl der Anzeigen ansteckender Krankheiten war keine grosse. Eigentliche Epidemien kamen keine vor. Diphtherie und Scharlach sind nie ganz verschwunden; der letztere trat wiederum in einzelnen Hausepidemien auf. Die Zahl der öffentlichen wie der privaten Schutzpocken-Impfungen war eine geringe. […]

Anderes vermeldete Dr. Jakob Ritter aus Altstätten für den Physikatsbezirk Ober- und Unterrheintal: […] Die öffentlichen Schutzpockenimpfungen fanden wieder ordentlichen Zuspruch. […]

Dr. Hans Weiss aus Grabs hielt bezüglich des Physikatsbezirks Werdenberg und Sargans fest: […] Diphtherie trat in grösserer Zahl in Sevelen und Grabs auf. Die Masern zeigten sich in Buchs und Grabs ziemlich bösartig. Der ärztlichen Anzeigepflicht wird besonders im Bezirk Sargans schlecht nachgekommen. Im Bezirk Werdenberg starben 41 Personen = 13% sämtlicher Verstorbener an Tuberkulose, im Bezirk Sargans 78 = 22,3%. (Diese hohe Anzahl Verstorbener an Tuberkulose im Bezirk Sargans dürfte damit zusammenhängen, dass seit 1909 in Walenstadtberg das St.Gallische Sanatorium für Lungenkrankheiten beheimatet war.) Starker Geburtenrückgang speziell im Bezirks Sargans. Die Schutzpocken-Impfung wurde ganz schlecht besucht. In mehreren sarganserländischen Gemeinden erschien überhaupt niemand zu derselben. […]

Aus dem Physikatsbezirk Gaster und See berichtete Dr. Hermann Lerch aus Schänis: […] Die Kommunaluntersuche wurden von den drei Amtsärzten vorgenommen. Amden entbehrt trotz grössten Wasserreichtums einer Quellwasserversorgung, ebenso Rieden, das auf zwei bei Regen trübe fliessende Brunnen angewiesen ist. Das Armenhaus Goldingen, das ganz aus Holz erstellt ist, entbehrt jeder Löscheinrichtung. Im Primarschulhaus Schänis sind die Abtritteinrichtungen ganz schlechte, ohne dass es bisher gelungen wäre, hierin Wandel zu schaffen. In der Bekämpfung ansteckender Krankheiten ist noch manches zu verbessern. Gesundheitskommissionen und Desinfektoren arbeiten oft nicht richtig zusammen. Die Gesundheitskommissionen scheinen im ganzen bedeutend weniger gearbeitet zu haben als frühere Jahre, obwohl gerade jetzt Milch und Brot in vermehrtem Masse kontrolliert werden sollten, wie die Erfahrung zeigt. […] Epidemisch trat Diphtherie in Rapperswil auf und führte zur zeitweiligen Dislokation zweier Klassen der katholischen Primarschule und zur Desinfektion der Unterrichtslokale, Vernichtung der Schulbücher und Untersuchung der Schulkinder auf Bazillenträger. Die Ansteckungsquelle scheint aber eher ausserhalb der Schule zu liegen. In Schänis trat Krätze [Milbeninfektion, die zu starkem Juckreiz führt] epidemisch auf, so dass die Schulkinder auf sie hin untersucht werden mussten. Zahlreiche Fälle wurden zur Vornahme der Krätzekur ins Krankenhaus Uznach verwiesen. Unter den nicht epidemischen Krankheiten ist der in letzter Zeit zahlreich auftretenden Entzündung des Dünndarms, kombiniert mit Icterus [Gelbsucht], zu gedenken. Die Impffrequenz war keine grosse, etwas besser im Seebezirk als im Gaster. Rapperswil, Rieden und Weesen lieferten keine Impflinge. […]

Über den Physikatsbezirk Ober- und Neutoggenburg schrieb Dr. Walter Scherrer aus Ebnat: […] Die sanitarischen Kommunaluntersuche wurden in allen Gemeinden gemacht. Kinder im Alter von 3-16 Jahren waren in den Armenanstalten von Alt St.Johann, Krummenau und Kappel. Keine der Anstalten war überfüllt. Die meisten derselben verfügte über erfreuliche Lebensmittelreserven. Die Hebammen sind mit wenigen Ausnahmen auf der Höhe ihrer Aufgaben. […] Unter den ansteckenden Krankheiten, deren Zahl keine hohe war, steht die Diphtherie an erster Stelle, ohne dass es irgendwo zu einer Epidemie gekommen wäre. Obwohl je ein Scharlachfall sich in den Ferienkolonien im Bendel, Kappel, und im Sternen, Hemberg, ereignete, kam es doch nicht zu weiterer Ausbreitung. Wattwil, Ebnat und Kappel hatten im Frühjahr Keuchhusten-Epidemien. Eine Hausepidemie von 4 Typhusfällen schloss sich an einen Todesfall bei einer nicht ärztlich behandelten Person an, bei der die Todesursache nur vermutungsweise hatte festgestellt werden können. Das bereits im Vorjahre konstatierte gehäufte Auftreten von Icterus catarrhalis in verschiedenen Gemeinden wiederholte sich in verstärktem Masse, sobald wärmeres Wetter eintrat. Die Schutzpockenimpfung ergab punkto Beteiligung ein klägliches Resultat. […]

Über die Zustände im Physikatsbezirk Alttogenburg hielt Dr. Johann Meyenberger aus Wil unter anderem folgendes fest: Da Fälle von Unterernährung namentlich bei Schulkindern häufig wahrgenommen werden, erscheinen die Schulsuppenanstalten als ein dringendes Erfordernis. […] Die Impfgelegenheit wurde nur schwach benützt. Punkto Mortalität ist zu bemerken, dass in einer Landgemeinde 8 Kinder an Lebensschwäche und Folgen des Geburtsvorgangs starben. […]

Dr. Karl Jud aus Lachen-Vonwil berichtete über den Physikatsbezirk Untertoggenburg und Gossau: Der Mangel an Kartoffeln und die Beschränkung an Brot und Fett machte sich in vielen Familien bemerkbar, doch gelang es der öffentlichen Fürsorgetätigkeit in Gemeinden und Schulen die Ernährungsmöglichkeiten erträglich, wenn auch nicht überall befriedigend zu gestalten. […] Die sanitarischen Kommunalbesuche wurden von allen 3 Amtsärzten durchgeführt. Im Armenhaus Degersheim ist nun eine neue zementierte Hausgrube erstellt worden. Das Armen- und Krankhaus Uzwil hat neue Fussböden erhalten. Die Inspektion der Hebammengeräte gab nur zu einigen kleineren Aussetzungen Anlass. Die Entbindungshefte warn zumeist richtig geführt. Eine kleine Scharlach-Epidemie hatte Gossau im I. Quartal zu verzeichnen. im übrigen kamen Infektionskrankheiten vereinzelt, zeitweise gehäuft, das ganze Jahr hindurch zur Anzeige. Keuchhusten herrschte ziemlich verbreitet während des ganzen Jahres in Straubenzell. Die Pockenschutzimpfungen wurden wenig benützt. […] Amtsärztliche Gutachten und Berichte wurden 33 abgegeben. Davon betrafen Misshandlung und Körperverletzung 4, Mord und Totschlag 1, Selbstmord 5, zweifelhafte Todesursache 1, Abortus 2, Vergehen gegen die Sittlichkeit 4, krankhaften Geisteszustand 4, gewöhnliche Polizeifälle 2, Sanitätspolizeiliches 9, Lehrerpensionszeugnisse 1. […]

Dem Jahresbericht liegt auch eine tabellarische Übersicht über die Pockenschutzimpfungen bei. Insgesamt wurden im Kanton St.Gallen im Jahr 1917 1208 Personen gegen Pocken geimpft, die meisten im Unterrheintal (259 Personen), in Gossau (163 Personen), in Oberrheintal (152 Personen) und im Untertoggenburg (151 Personen). Am wenigsten geimpfte Personen verzeichneten Ober- und Neutoggenburg mit je 17 Personen. Unten an der Tabelle heisst es: Bleibende Impfschädigungen sind keine beobachtet worden. Zur Verwendung kam ausschliesslich Lymphe aus dem schweizerischen Serum- und Impfinstitut in Bern. Die Kosten für die öffentlichen Impfungen beliefen sich auf Fr. 2230.72.

Zum Thema Epidemien vgl. den Beitrag im Historischen Lexikon der Schweiz: http://www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D13726.php

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Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, ZA 039 (Jahresbericht über das st.gallische Medizinalwesen 1917) und P 907 (Die Ostschweiz, Nr. 202, 12.11.1917, Morgenblatt: Beitragsbild)

Freitag, 30. März 1917 – Familienfreuden

Arbeitersekretär Josef Scherrer hat gute Nachrichten aus seiner Familie (vgl. Beitrag vom 27. März):

Ich bin heute wieder nach Wittenbach ans Krankenlager meiner Mutter gegangen. Der Krankenstand hat sich etwas gebessert, doch ist meine liebe Mutter stark geschwächt. Möge Gott ihr die Gesundheit bald wieder geben.

Zu Hause in meiner Familie ist Gott sei Dank alles gesund. Die lieben Kinderlein entwickeln sich ordentlich und erfreuen sich guter geistiger und körperlicher Gesundheit. Es ist ein herrliches gutes Geschenk, so gesunde Kinder zu haben. Mögen sie alle zu tüchtigen Menschen heranwachsen.

Mein liebes Frauchen ist in Erwartung des vierten Kindes. Kindersegen ist Gottes Segen. Möge sich das in meiner Familie erwahrheiten [bewahrheiten?].

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Quelle: Staatsarchiv St.Gallen, W 108/1 (Tagebuch Scherrer)

Geometrie

Dienstag, 27. März 1917 – Familiensolidarität

Josef Scherrer-Brisig (1891-1965), Arbeitersekretär und Politiker, beschreibt in seinem Tagebucheintrag, wie er für seine Familienmitglieder sorgte und insbesondere seinem jüngeren Bruder eine bessere Ausbildung ermöglichte:

Ich werde heute unerwartet von meinem Vater telefonisch an das Krankenbett meiner guten und lieben Mutter gerufen. Ich gehe am Mittag nach Wittenbach, um ans Krankenbett meiner herzensguten Mutter zu eilen. Eine hartnäckige Influenza & Lungenentzündung hat sie ins Bett geworfen. Der Arzt Dr. Trollich hält den Stand für etwas kritisch. Möge der liebe Gott meine liebe Mutter am Leben erhalten. Möchte doch ihr noch ein schönerer und besserer Lebensabend beschieden sein. Ich will helfen, so viel ich kann und in meinen Kräften liegt.

Mein Bruder Emil kommt nun aus der 6. Klasse. Man konnte ihn mit Rücksicht auf die gegenwärtigen Kriegsverhältnisse entgegen seinen Wünschen nicht in die Realschule anmelden. Ich halte nun aber dafür, dass er unbedingt in die Realschule gehen soll und ich erkläre mich bereit, ihm das Bahngeld zu vergüten. Wenn mein Bruder nicht eine tüchtige Schulung hat, so wird aus ihm nichts Rechtes werden. Die Verantwortung dafür kann und will ich nicht tragen, umso weniger, als Emil selbst den heissen Wunsch geltend macht[,] in die Realschule zu gehen. Ich will ihm dazu verhelfen.

Zur Geschichte der Realschulen in der Schweiz vgl. den Eintrag im Historischen Lexikon: http://www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D10426.php

Die Figur im Beitragsbild – Lernstoff im Fach Geometrie an Sekundar- und Realschulen – sollte folgende Eigenschaften eines pyhtagoräischen Dreiecks veranschaulichen: Das Hypotenusenquadrat [sic] ist gleich der Summe der Kathetenquadrate. […] umgekehrt [ist] […] ein Kathetenquadrat […] gleich dem Hypothenusenquadrat weniger das andere Kathetenquadrat. Im hinteren Teil des Schulbüchleins finden sich auch einige nützliche Übersichten über Masse und Gewichte wie die folgende Tabelle. Wer rechnete wohl mit Myriametern?

Masse

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Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, W 108/1 (Tagebuch Scherrer) und ZNA 02/0079 (Ebneter, K.: Geometrie an Sekundar- und Realschulen, St.Gallen 1916, 2. Heft, S. 115, Beitragsbild und Kommentar)

Montag, 19. Juni 1916 – Das Kirchenparlament sammelt für kranke Schweizer Soldaten

Die Synode ist das Parlament der Evangelischen Kantonalkirche. Die Verhandlungen fanden im Grossratssaal im Regierungsgebäude statt.

Der oben abgebildete Johann Baldegger gehörte – soweit bekannt – zu jenen Soldaten, bei denen die Erfüllung der Militärdienstpflicht keine körperlichen Schäden hinterliess. Es gab aber Soldaten, die krank aus dem Dienst zurückkehrten. Auf diese bezog sich der Antrag von Pfarrer Kambli in der Evangelischen Synode bezog:

[…]

14.) Umfrage, Kollekte.

Allgemeine Umfrage. Hr. Pfarrer [Wilhelm] Kambli [1898-1925], Lichtensteig, macht den Vorschlag: „Die Herren Synodalen verzichten auf das diesjährige Sitzungsgeld zugunsten chronisch erkrankter Schweizer Soldaten.“ Eine Abstimmung über diesen Vorschlag findet nicht statt, dagegen werden diejenigen, die auf das Taggeld verzichten wollen, ersucht, dies beim Sekretariat des kant. Kirchenrates oder bei einem der Sekretäre der Synode anzuzeigen. Anmerkung. Beim Mittagessen wurde ein Geschenk von 254 Fr. zu genanntem Zwecke zusammengelegt u. damit die Angelegenheit unter Zustimmung von Pfr. Kambli erledigt.

15.) Umfrage. Synodal-Gesang.

Weiter stellt in der Umfrage Hr. Apotheker Schobinger, St.Gallen, den Antrag, bei dem vorläufig nur provisorisch eingeführten Usus, anlässlich des Synodal-Gottesdienstes einstimmig zu singen, hinfort endgültig zu verbleiben. Der Antrag wird ohne Diskussion mit grosser Mehrheit abgelehnt und damit beschlossen, wieder zum früheren Usus zurückzukehren.

[…]

Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, CA 02/01.01 (Auszug aus dem Protokoll der Evangelischen Synode) und W 200/06.1 (Porträtbild des Soldaten Johann Baldegger-Bischof; Studioaufnahme von R. Lüscher, Gossau, ca. 1915)

Samstag, 3. Juni 1916 – Bündner Schlendrian bei der Maul- und Klauenseuche

Maul- und Klauenseuche.

Der „Genossenschafter“ schreibt: „Der Grund, warum St.Gallen, Appenzell und Graubünden mehr Seuche als andere Kantone haben, liegt nicht, wie ein Einsender des ‚St.Galler Tagblatt‘ meint, am Kraftfutterhandel, denn die Verwendung von Kraftfutter ist in den flachen Kantonen eine viel intensivere. Graubünden verwendet zum Beispiel im Verhältnis zum Viehstand sehr wenig Kraftfutter. Gewiss spielt bei diesen drei Kantonen die Nähe der Grenze eine gewisse Rolle, aber entscheidender ist der Umstand, dass der Kanton Graubünden die Seuche[n]vorschriften lange Zeit ganz ungenügend handhabte und insbesondere St.Galler-, Appenzeller- und z.T. auch Thurgauer- und Zürcherhändler in regem Verkehr mit Graubünden stunden. Da liegt der Has im Pfeffer! Wenn die Thurgauer, Zürcher und Aargauer für die Aufnahme von Bestimmungen über den Viehhandel im neuen Tierseuchengesetz eintraten, so wussten sie wohl warum.“

Sehr richtig. Die mangelhafte Handhabung der Seuchevorschriften im Kanton Graubünden hat ihn selbst und die ganze Ostschweiz schon schwer geschädigt. Red. [Redaktion]

Viehseuchen waren und sind bei allen Tierhaltern gefürchtet. Die Maul- und Klauenseuche war seit dem 18. Jahrhundert die am häufigsten auftretende Viehseuche. Es handelt sich dabei um eine hochansteckende Viruserkrankung, die Rinder, Schweine, Ziegen und Schafe befallen kann. Die Krankheit verläuft eher selten tödlich (5% Sterberate). Der Erreger wurde 1898 entdeckt, eine Impfung gesunder Tiere war aber erst ab 1938 möglich. Grosse Epidemien traten in der Schweiz rund um den Ersten Weltkrieg in den Jahren 1911 bis 1914 und 1920 bis 1921 auf. Weitere Informationen hierzu bietet das Historische Lexikon der Schweiz: http://www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D26226.php

Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, W 248/82 (St.Galler Bauer, 3. Jahrgang, Heft 22, 03.06.1916, S. 371-372) und A 416/5.1.4-3 (Schlachthofmitarbeiter in St.Gallen mit einem seuchenkranken Tier, 1926)

Montag, 10. April 1916 – Der Knecht ist krank: Wie man sich schriftlich von einer Sitzung abmeldet

Brief von Andreas Zeller, Kantonsrat und Gemeindeammann von Quarten, an den Präsidenten der Landwirtschaftlichen Gesellschaft des Kantons St.Gallen, Traugott Schneider:

Quarten, den 10. April 1916.

Herrn

Tr. Schneider, Direktor [des Custerhofs]

Rheineck!

Wegen plötzlich eingetretener Krank-

heit & heutigen Verbringung ins Spital,

unseres Knechtes, kann ich nicht an die

Sitzung kommen. Halten Sie diese doch.

Ich habe momentan doch nicht frohen

berathenden Muth; längere Zeit eine

Tochter im Spital & jetzt wieder den

Knecht.

Hochachtend

Zeller And [Andreas]

Karte

Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, W 248/31-18-01 (Brief) und B 002/2.1.2 (Foto des Spitals Walenstadt, aufgenommen zwischen 1902 und 1928/30, Fotograf unbekannt)

 

Sonntag, 19. März 1916 – Scharlachfieber im Schülerhaus: Der gegenwärtige Stand

Nachdem Dr. med. Theodor Wartmann (1861-1939) die Kantonsregierung bereits am 28. Februar über die Bekämpfung einer Scharlach-Epidemie im kantonalen Schülerhaus informiert hat, legt er hier einen aktualisierten Bericht vor:

Herr Landammann H. Scherrer, Vorstand des Erziehungs-Departementes des Kantons St.Gallen.

Hochgeehrter Herr Landammann!

Ihrem Auftrag vom 13. ds. gemäss erstatte ich Ihnen kurzen Bericht über Entstehung u. Verlauf der Scharlach-Erkrankungen im Schülerhause sowie über die getroffenen Massnahmen.

Nachdem das Schülerhaus seit seiner Gründung von gehäuftem Auftreten ansteckender Krankheiten glücklich verschont geblieben, sind in letzter Zeit 10 Fälle von Scharlachfieber vorgekommen, welche ernste Störungen des Betriebes herbeiführten u. welche umfassende Maassnahmen [sic] zur Verhütung künftigen Wiederauftretens verlangen.

Statistisches. Am 21. Febr. 1916 erkrankte Roduner Hans, am 22. Febr. Eugen Brassel, am 25. Febr. Franz Hobi und Hermann Kreis [Sohn der Vorsteherin des Schülerhauses], am 26. Febr. Gottlieb Roggwiler, am 27. Febr. Johann Anderegg, am 2. März Walter Amstad, am 6. März Walter Matzinger, am 12. März August Messmer u. am 16. März Rudolf Kreis [Sohn der Vorsteherin]. Im Ganzen ergeben sich 10 Fälle, 2 Knaben von Frau Vorsteher Kreis, 8 Zöglinge des Schülerhauses u. zwar verteilen sich diese gleichmässig auf Kantons- u. Verkehrsschule (je 4).

Entstehung der Epidemie. Da die Erfahrung im Allgemeinen lehrt, dass Scharlach-Patienten in den ersten Tagen ihrer Erkrankung viel weniger ansteckend sind, als während des Schuppungs-Stadiums, da wir ferner schon anfangs innerhalb weniger Tage mehrere Fälle unter unsern Zöglingen auftreten sahen, war der Gedanke naheliegend, dass – wie öfters beobachtet wird – im Hause eine Person vorhanden sei, welche nach unbemerktem Beginn einer ganz leichten Scharlach-Erkrankung sich selbst wohl fühle, aber durch die sich bildende Schuppen einen Ansteckungsherd bilde. Deshalb untersuchte ich Sonntag[,] den 27. Febr.[,] sämtliche Insassen des ganzen Hauses in dieser Richtung u. es wurde ein Zögling (Boner Christian) gefunden, der an einzelnen Körperstellen leicht schuppte; die weitere Beobachtung im Kantonsspitale ergab jedoch, dass es sich nicht um Scharlach handelte, Boner kehrte nach c[a]. 8 Tagen wieder gesund zurück. Ein bestimmter Weg der Einschleppung des ersten Falles sowie der Weiterverbreitung war also trotz aller Bemühungen nicht zu finden, umsoweniger [sic] als auch keineswegs ein engerer Kontakt zwischen den Erkrankten, sei es in der Schule, sei es im Hause bestand. In keinem Zimmer erlebten wir 2 Erkrankungen; auch die beiden Knaben von Frau Kreis können unmöglich einer von dem anderen infiziert worden sein, da der Anfang ihrer Erkrankung 20 Tage auseinander liegt u. als Incubationszeit 4 bis 7, im Maximum 11 Tage allgemein angenommen wird. Wir stehen also vor einem noch ungelösten Rätsel u. müssen uns in dieser Richtung mit manchen analogen Institutionen trösten. Es giebt [sic] fast kein grösseres Pensionat, das nicht einmal ganz gleiche schwere Zeiten erlebt hätte, ohne dass es gelungen wäre, den Weg der Einschleppung der Infektion zu eruieren.

Wichtig ist für uns die Constatierung der Tatsache, dass im Laufe der letzten Wochen in St.Gallen u. Umgebung (Herisau etc.) Scharlachfieber-Fälle gehäuft auftraten; im Januar 1916 sind dem Physikate von St.Gallen [Bezirksphysikat, Bezirksarztamt] 7, vom 1. Februar bis heute 52 Scharlach-Erkrankungen angezeigt worden – eine ausserordentlich hohe Zahl.

Getroffene Massnahmen. Jeder Krankheitsfall wurde sofort in’s Spital evakuiert u. umgehend das entspr. Zimmer durch die städtische Desinfektions-Anstalt desinfiziert. Der Zufall wollte es, dass gleichzeitig mit den Scharlach-Fällen ausserordentlich viele Erkrankungen an einfacher, fieberhafter Angina, 3 ernste Mittelohr-Entzündungen & Gelenkrheumatismen auftraten, Krankheiten, welche sehr oft als Complikation Scharlach begleiten. Es war deshalb nicht leicht, den häufig nur stundenlang dauernden Scharlach-Ausschlag sicher zu controllieren u. anderseits die Gefahr zu vermeiden, einen Schüler unter Scharlachkranke zu versetzen, ohne dass er selbst schon sicher an dieser Krankheit litt. Deshalb ordnete ich frühzeitig die Errichtung einer Quarantäne-Station an, indem wir eine halbe Etage so gut als möglich absperrten u. unter der Pflege eines zuverlässigen Krankenwärters alle genannten Patienten vereinigten. Ausserdem kam uns die Tit. Spitaldirektion in freundlicher Weise dahin entgegen[,] dass ein Zimmer im IV. Hause für die verdächtige[n] Fälle reserviert wurde; wir haben 2 oder 3 Schüler so frühzeitig evakuiert, dass noch kaum ein Ausschlag zu erkennen war, andern Tages zeigten sich sichere Erscheinungen der Erkrankung. Da die sofortige Evakuierung der Ersterkrankten hoffen liess, dass eine Beschränkung möglich sei, ordnete ich im Einverständnis mit den Direktionen der beiden Schulen zunächst eine Consignierung unserer Zöglinge an u. als mehrere Tage ohne neue Fälle verstrichen, wurde sie wieder aufgehoben. Leider wurde unsere Erwartung des Aufhörens der Epidemie nicht erfüllt u. nachdem die eidgen. Postprüfungen [für Schüler der Verkehrschule] zu Ende waren, beantragte u. veranlasste ich die Schliessung des Schülerhauses. Dabei verfolgte ich einmal den Zweck, die Schüler tunlichst weit voneinander zu entfernen u. vor Allem eine gründliche Reparatur sowie Reinigung des Hauses zu ermöglichen. Ich verdanke den beiden Schulen das verständnissvolle [sic] Entgegenkommen bei den zu eingreifenden Massnahmen. Die Räumung des Hauses geschah im Verlaufe von 2 Tagen; sämtliche Schüler wurden vor der Abreise gebadet, ihre während der Ferien nicht notwendig gebrauchten Effekten (Bücher etc.) wurden zurück behalten u. sollen insgesamt in einem Zimmer durch Formalin so gut als möglich desinfiziert werden.

Die Erkrankungsfälle u. die dadurch notwendigen Maassnahmen [sic] haben für die Verwaltung des Hauses schwere, oft kaum zu bewältigende Arbeit gebracht. Ich erachte als angenehme Pflicht zu betonen, dass Frau Vorsteher Kreis mit vorbildlicher Aufopferung u. klarem Verständniss [sic] die Durchführung der Anordnungen trefflich besorgt hat.

Befinden der Kranken. Unsere Zöglinge machten teilweise schwere Zeiten durch u. wiesen auch verschiedene Complikationen auf; heute ist lt. Bericht der Tit. Spitaldirektion glücklicherweise als sehr wahrscheinlich anzunehmen, dass alle wieder ihre volle Gesundheit erlangen werden.

Weitere notwendige Massnahmen. Bei meiner Inspektion sämtlicher Räume des Schülerhauses hat sich gezeigt, dass an verschiedenen Orten Verhältnisse bestehen, welche auch mässigen Anforderungen der Hygiene nicht genügen. Nach anderweitigen Erfahrungen bei Haus-Epidemien von Scharlach kann nur die gründlichste Renovation u. Reinigung zur Bekämpfung des unheimlichen Feindes führen u. es scheint mir deshalb dringende Pflicht sowie wohlverstandenes Interesse der leitenden Kreise unseres Hauses zu sein, in weitgehender Weise das Nötige anzuordnen. Vor Allem müssen schadhafte Decken, Böden, Wände repariert werden, um die Bacillen züchtenden Schrunden tunlichst zu eliminieren; ferner verlangt die Wissenschaft in solchen Fällen Erneuerung der Bemalung schadhafter Tapeten, sofern diese nicht abwaschbar sind. Als sehr wichtig hat sich ferner eine Verbesserung der Bade-Einrichtung im Keller gezeigt, welche den Anforderungen der Hygiene keineswegs mehr entspricht. Bei dieser Gelegenheit möchte ich auch lebhaft die Anbringung eines Bades in der ersten Etage empfehlen; wir haben z.B. in letzter Zeit mehrfach Gelenkrheumatismen behandelt, welche bei richtiger Bade-Möglichkeit sicher viel rascher geheilt wären; die Institutionen im Keller sind für solche Patienten nicht brauchbar. Auch die Zuführung von warmem Wasser mindestens in die erste Etage hat sich jetzt besonders, aber auch schon früher oftmals bei Erkrankungen der Zöglinge als dringend wünschenswert erwiesen.

Ich hoffe, dass die Tit. Schülerhauskommission meine genannten Anträge angelegentlich unterstützen wird, damit unser Haus zu Beginn des neuen Schuljahres mit gutem Gewissen wieder eröffnet werden kann.

Mit vorzüglicher Hochachtung bin ich

Ihr ergebener

[Unterschrift] Dr. Wartmann

St.Gallen, 19. März 1916.

Nachbemerkung: Dr. med. Theodor Wartmann (1861-1939), ein Pionier bei der Tuberkulosebekämpfung im Kanton St.Gallen, wirkte als Kantonsschularzt und von 1895 bis 1931 als Kantonsarzt.

Der frühere Vorsteher des Schülerhauses, der Sekundarlehrer Walther Christian Kreis, war im August 1915 im Alter von 41 Jahren verstorben. Seine Frau, Lena Mina Kreis-Pfiffner, übernahm die Leitung der Institution. Kreis war engagiertes Mitglied der Abstinenzbewegung gewesen, so u.a. als Präsident des Alkoholgegnerbundes St.Gallen und bereits in seiner Jugendzeit als Mitgründer der Humanitas Sangallensis, der ältesten Antialkoholverbindung an einem schweizerischen Gymnasium.

Quelle: Staatsarchiv St.Gallen, KA R.130-4g-1 (Bericht von Wartmann), ZA 541/02 (Règlement du Schülerhaus de St.Gall, Pensionat public fondé et maintenu par le canton et la ville de St.Gall, 1916)

 

Briefkopf Gebrüder Bühler in Uzwil, 1914

Donnerstag, 24. Februar 1916 – Vermischte Meldungen: Sturm-schäden, Arbeitsunfall, Brot-preiserhöhung und Lawinen im Oberland

Unter dem Titel Kleine St.Galler Chronik veröffentlichte die Rorschacher Zeitung folgende Nachrichten:

Der Vorstand des Verbandes st.gallischer Konsumvereine hat beschlossen, auf den 12. März eine Delegiertenversammlung nach St.Gallen einzuberufen. Neben den statutarischen Geschäften bildet das Steuer-Nachtragsgesetz, nach welchem eine weitere Belastung der erwiesenermassen schon abnormal hoch besteuerten Konsumvereine beabsichtigt ist. – Der letzte Woche tobende Sturmwind hat in Degersheim mehr Schaden angerichtet, als man anfänglich glaubte. Manchenorts wurden Scheiben eingedrückt, Dächer und Kamine beschädigt, ja sogar Gäden umgeworfen. Hauptsächlich wütete der Sturm auf den Höhen, dass es unheimlich war. – Wiederum ereignet sich in der Maschinenfabrik Gebr. Bühler in Uzwil ein schwerer Unglücksfall, indem einem Familienvater, Hrn. Gubler von Niederuzwil, an einer Steinpressmaschine die rechte Hand abgedrückt wurde. Schaurig war es anzusehen, wie Fetzen Fleisch herunter hingen. Dem Verunglückten musste im Gemeindekrankenhaus in Uzwil, wohin der derselbe sofort verbracht wurde, die verletzte Hand ganz amputiert werden. – An den Folgen einer sehr schweren Kropfoperation starb Frau Kantonsrat Grauer-Frey in Degersheim.

Laut Mitteilung des Bäckermeistervereins der Stadt St.Gallen wird mit heute eine Brotpreiserhöhung von 4 Rp. per Kilo (für den Fünfpfünder 8 Rp. Aufschlag) eintreten. – Die Schulgenossen von Rufi-Rütiberg, Schänis, wählten letzten Sonntag den Herrn Maynberger, von Wollerau, welcher bald zwei Jahre an dieser Schule als Kandidat zur besten Zufriedenheit wirkte und die Prüfung gut bestanden hatte, definitiv zu ihrem Lehrer. – Gewaltige Schneemassen lagern im Oberland und gelangten teilweise zum Absturz. Auf der Strassenstrecke Vadura-Vättis wurde eine Brücke von einer Lawine weggerissen und der Postverkehr war am letzten Sonntag mit Vättis unterbrochen. An einigen Stellen ist beträchtlicher Waldschaden entstanden. Die Schneehöhe erreichte in Vättis ein Meter. Durch eine von ihrem gewöhnlichen Gang abweichende Lawine war das Elektrizitätswerk Mapragg stark gefährdet.

Hinweis: Die verstorbene Lisette Grauer-Frey war seit 1880 die Ehefrau von Isidor Grauer-Frey (1859-1940). Der Stickereiunternehmer gehörte um die Jahrhundertwende zu den einflussreichsten St.Gallern. Er amtierte zunächst als Gemeinderat in Degersheim, danach als freisinniger Grossrat. Nicht zuletzt seiner Initiative war der Bau der Bodensee-Toggenburg-Bahn zu verdanken. Ausserdem war er Mitgründer der Naturheilanstalt Sennrüti in Degersheim. (vgl. http://www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D18269.php)

Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, P 913 (Rorschacher Zeitung, 17. Jg., Nr. 46, 24.02.1916) und ZMH 79/011b (Briefkopf, 1914)