Soldaten mit Gasmasken

Samstag, 20. April 1918 – Lage der Zivilbevölkerung und der Truppen im Aktivdienst

Hedwig Haller (1884-1963), aus deren Tagebuch das folgende Zitat stammt, wuchs am St.Galler Marktplatz auf. Dort betrieb ihr Vater eine Flaschnerei (Spenglerei). Die aus Württemberg stammende Familie war 1886 eingebürgert worden. Hedwig hatte den «Talhof» besucht und arbeitete als Telefonistin in der St.Galler Hauptpost.

20. April. Es wird immer schlimmer. Die Teuerung wächst zusehends. 1 Liter Milch kostet 40 cts. Die Kohlennot ist so gross, dass fast keine Bahnzüge mehr verkehren. Es ist nur ein Glück, dass es der bessern Jahreszeit entgegen geht & man bald nicht mehr heizen muss. Der Vater hat zwar schon vorgesorgt & hat buchene Scheiter gekauft, die er nach & nach versägen will. Der Meter kommt auf 40 frs.! Wer irgendwie kann, der pflanzt Gemüse & Kartoffeln. Der Staat verlangt, dass der Boden dazu verwendet wird & gibt die Steckkartoffeln gratis & den m2 Land zu nur 5 fr. zu pachten. –

Soldaten beim JassenWährend Schweizer Soldaten an ihren Posten an der Grenze höchstens einen «Gasmaskentürk» über sich ergehen lassen mussten, daneben Wartezeiten aber auch mit Jassen zubringen konnten, sah das Leben der kämpfenden Truppen im Ausland ganz anders aus:

Am 21. März hat die grosse Offensive begonnen im Westen, an der wieder unsäglich viel Blut vergossen wird. Louis [Verwandter von Hedwig Haller] schreibt: „Die Kämpfe mit den Engländern sind furchtbar hart. Wir kampieren immer im Freien, da die Gegend so verwüstet ist, wie glatt rasiert dem Boden gleich ist Alles.“ – Wenn nur einmal eine triftige Entscheidung käme, die all dem Elend endlich Halt gebieten würde. ! –

Zitate aus Hedwig Hallers Tagebuch sind bereits erschienen am: 11. Februar 1917, 23. Februar 1917 und 1. Oktober 1917

Quellen: Privatbesitz (Tagebuch Haller, Transkription und Hinweis zur Autorin: Markus Kaiser) sowie Staatsarchiv St.Gallen, W 132/2-337 und W 132/2-338 (Bilder aus dem Erinnerungsalbum des Geb. Sch. Bat. 8 im Aktivdienst an der Grenze bei Basel vom 18. März bis 2. Juni 1918)

Deutscher Gefechtsstand

Samstag, 11. August 1917 – Kriegs-tagebuch aus deutscher Sicht

Im Nachlass des St.Galler Historikers Hermann Wartmann (1835-1929) findet sich eine Reihe schmaler Hefte mit dem Titel Kriegschronik. Aus deutscher Perspektive wurde darin monatlich der Stand der Dinge festgehalten und kommentiert. Die Ausgabe der Kriegschronik für den August 1917 befasste sich unter anderem mit der auf den 1. August datierten päpstlichen Friedensnote An die Staatsoberhäupter der kriegführenden Völker. Abgedruckt sind in der Kriegschronik zudem Briefe deutscher Soldaten, eine Chronik über die täglichen Kriegsereignisse, Reden von Politikern, aber auch allgemein gehaltene Beiträge wie z.B. Drei Kriegsjahre in Zahlen oder Was versinkt mit einem Schiff?

Der Anfang des letztgenannten Beitrags lautet: Mit dem Begriff «Registertonnen» vermag der Laie nichts Rechtes anzufangen. Leichter verständlich klingt ihm schon die Nachricht, soundso viel tausend Tonnen Getreide oder Kohlen wären versenkt. Greifen wir aus der Fülle unserer täglichen U-Boots-Erfolge einige Beispiele heraus! Unter dem 6. Juli wurde der bewaffnete englische Dampfer «Saxon Monarch» mit 7000 Tonnen Weizen als versenkt gemeldet. Was bedeuten 7000 Tonnen Weizen? Mit 7000 Tonnen Weizen oder Roggen versorgt sich heute eine Stadt wie Frankfurt a.M., mit 425 000 Einwohnern, mindestens 10 Wochen lang mit Brot!

Ereignisgeschichtlich listete das Kriegstagebuch für die Tage vom 9. bis zum 11. August folgende Erfolge auf. Misserfolge wurden keine gemeldet:

9. August.

Westen: Starke englische Infanterieangriffe östlich und südöstlich Ypern zwischen Bahn Ypern-Roulers und Hollebeke gescheitert. – Die Engländer zwischen Strasse Monchy-Pelbes und Strasse Arras-Cambrai abgeschlagen.

Osten:  Südöstlich Czernowitz Eindringen in die Grenzstellung der Russen. – Zwischen Trotus- und Putnatal südlich Heerestrau rumänischen Höhenstellungen erstürmt. Zu beiden Seiten der Bahn Focsani-Ajudulnou der Übergang über die Susita von den Verbündeten erzwungen.

10. August.

Westen: Die Engländer beiderseits der Bahn Bösinghe-Langemarck abgewiesen. – Grabenstücke am Hochberg den Franzosen entrissen.

Osten: Der Russe am Slanic- und Ojtoztal ostwärts geworfen; Höhen am Mt. Cleja und Mgr. Casinului genommen. Schwere russische Blutopfer bei 7 Anstürmen gegen unsere Susitastellung.

11. August.

Westen: Ein englischer Angriffe bei Hollebeke und ein französischer bei Cerny abgewiesen.

Osten: Südlich des Trotosultales Höhenstellungen und Dorf Grozesci von verbündeten Truppen erkämpft.

England: Deutscher Flugzeugangriff auf Southend und Margate.

Nächster Beitrag: 14. August 1917 (erscheint am: 14. August 2017)

Quelle: Wy 135 (Nachlass Hartmann, Kriegschronik Monat August 1917, Texte und Bilder)

Donnerstag, 9. November 1916 – Deutsche Militärbehörden stampfen Schallplatten ein

Das Archiv des Komitees für die Wiedergutmachung schweizerischer Kriegsschäden befindet sich im Staatsarchiv St.Gallen. Im folgenden geht es um eine Fallbeschreibung. Ein Musikhaus aus Lausanne hatte wegen der Kriegswirren zahlreiche Schäden erlitten, für die es nach dem Krieg Wiedergutmachung forderte.

Der im Text erwähnte Musikverlag Breitkopf und Härtel gilt als ältester Musikverlag der Welt. Er wurde am 27. Januar 1719 gegründet. Das Musikhaus Foetisch frères in Lausanne, um den es im folgenden geht, ist rund hundert Jahre jünger. Es wurde 1804 ins Leben gerufen. (Quelle: Wikipedia und homepage von Foetisch frères, konsultiert am 15.09.2015).

Foetisch frères

editeurs de Musique

Lausanne

Am 23. Juli sandte die Firma an die Ecole Normale in Van Turquie d’Asie Musikinstrumente für Frs. 433.95 durch dei [sic] Assoc. Armenienne Miatzahl Constantinople. Sie kamen richtig in C. an. In Trébizond verschwand infolge der Kriegswirren die Sendung, unsere Rechnung wurde nicht bezahlt Das Polit. Depart. weist die Klage der Firma ab, mit der Begründung die Ware sei nicht mehr Eigentum der Firma.

 

Am 9. Nov. 1916 sequestrierten die deutschen Militärbehörden in der Buchdruckerei Dogilbert, Bruxelles, alle Musikplatten, Platten in Zinn. Unter diesen Platten waren 350½ kg. unser Eigentum, wofür die Firma Dogilbert 17.- das Kg. [sic] verlangte (für das Metall) was für uns Frs. $ 5957,50 ausmachte, damit war aber nur das Metall berechnet, die Musik, die auf diesen Platten eingraviert war[,] konnte nicht mehr gedruckt werden.

Die deutsche Behörde übergab einen Gesamtschein.

Am 15. Febr. 1919 Mitteilung hierüber an das Pol. Departement.

Ohne jeden Erfolg.

 

Am 31. Januar sequestrierten die franz. Militärbehörden einen Scheck von Ptas. 156.50, den wir an unsere Lieferanten: Union Musical Espanola, Barcelona, sandten zur Begleichung ihrer Faktura. Am 17. Febr. 1919 Mitte[i]lung hierüber an das Pol. Departement

Ohne jeden Erfolg

Fortsetzung Blatt 2

Foetisch frères

editeurs de Musique

Lausanne

Am 2. August 1919 wurde die schweiz. Legation durch die belgische Regierung benachrichtigt, dass sie das Haus Breitkopf und Härtel in Brüssel, Musikhaus und Musikverlag unter der Begründung, dass das Haus deutsch, der Sitz der Firma in Leipzig sei, sequestrieren werde.

Diese Mitteilung wurde der Schweizerischen

1926 Mitteilung an das Polit. Departement.

Ohne Erfolg

Legation gemacht, weil unser Name als Lieferant der Firma Breitkopf und Härtel ersichtlich war. Die Firma schuldete uns in jenem Zeitpunkt für unsere Lieferungen in den Jahren 1915 bis 1919 die Summe von Frs. S. 8028.-

Wir verständigten sofort den Sequester, um die Bezahlung unserer Rechnungen zu erlangen, doch wurden wir abgewiesen.

Die belgischen Gerichte wiesen uns ebenfalls mit Urteil vom 18. Februar 1922 ab. 1926 schrieben wir dem Politischen Departement, unter Beifügung der nötigen Belege. Die Frage ist von uns aus noch bei den belgischen Gerichten anhängig.

Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, W 292/1.2.3 (Komitee für die Wiedergutmachung schweizerischer Kriegsschäden, Fallbeschreibung) und ZMH 64/877.014.2 (Grammophonapparate zum Abspielen von Schallplatten im Musikhaus Hug in St.Gallen, ca. 1909-1913; Foto: Otto Rietmann, St.Gallen)

Zeppelin über St.Gallen, vor 1911

Sonntag, 3. September 1916 – Kriegsnachrichten: Keine Feier-tagsruhe für Soldaten

Nicht bloss ein Zeppelin wie auf dem Beitragsbild, sondern mehrere Flugschiffe (oder je nach Meldung ganze Geschwader) hatten in der Nacht vom 3. auf den 4. September 1916 die Südküste von England angegriffen. Die Zeitungen in der Ostschweiz berichteten über das Kriegsgeschehen. Im Morgenblatt des St.Galler Tagblatts stand auf der Frontseite als erster Artikel:

Deutscher Luftangriff auf England.

Berlin, 4. Sept. (Amtlich.) In der Nacht vom 3. Sept. haben mehrere deutsche Marineluftschiff-Geschwader die Festung London, die befestigten Plätze Yarmouth und Harwich, sowie Fabrikanlagen von militärischer Bedeutung in den südöstlichen Grafschaften und am Humber ausgiebig mit Bomben belegt. Die gute Wirkung der Angriffe konnte überall beobachtet werden. Stellenweise Brände und Explosionen.

Sämtliche Marineluftschiffe sind trotz starker Beschiessung unbeschädigt zurückgekehrt.

Gleichzeitig erfolgte ein Angriff durch Luftschiffe unseres Heeres auf Nordengland.

London, 3. Sept. (Amtlich.) Mehrere feindliche Luftschiffe griffen die Ostküste Englands um 11 Uhr abends an. Sie warfen an einzelnen Punkten Bomben ab. Der Angriff dauert fort.

London, 3. Sept. (Amtlich.) Der Angriff von dieser Nacht wurde von der grössten Anzahl Zeppelinen ausgeführt, die bis jetzt England angriffen. Es scheint, dass die östlichen Grafschaften von London Angriffsziel waren. Der Angriff auf London wurde abgeschlagen und ein Zeppelin heruntergeschossen. Er stürzte brennend ab. Zahlreiche Bomben wurden auf sehr weit voneinander entfernte Ortschaften abgeworfen. Bis jetzt sind jedoch noch keine Meldungen eingelaufen, weder über die Opfer noch über den Sachschaden.

Auch Die Ostschweiz schrieb prominent auf der Titelseite eine Zusammenfassung über die Geschehnisse auf den verschiedenen Kriegsschauplätzen. Der Luftangriff ist darin ebenfalls erwähnt:

Der europäische Krieg

Auf dem westlichen Kriegsschauplatz wurde speziell im Sommegebiet in den letzten zwei Tagen mit grosser Erbitterung gekämpft. Die Meldungen über die Ergebnisse sind wieder sehr widersprechend. Während das deutsche Bulletin sagt, dass starke französische Angriffe zusammengebrochen seien, meldet eine Havas-Depesche von gestern abend 11 Uhr ganz bedeutende französische Erfolge. 2000 Deutsche seien gefangen genommen und 6 Kanonen erbeutet worden.

Auf die Ostküste Englands ist wieder ein sehr starker Zeppelinangriff ausgeführt worden. Nach englischen Berichten geschah dies von der grössten Anzahl Zeppelinen, die bis jetzt England angriffen. Das Wolff-Bureau meldet sehr bedeutende Wirkungen.

Vom östlichen Kriegsschauplatz meldet das deutsch Grosse Hauptquartier schwere russische Verluste vom letzten Freitag. Eine Havas-Depesche aus Bukarest meldet erhebliche rumänische Fortschritte und die Gefangennahme von 1800 Oesterreichern. Das österreichische Bulletin gibt zu, dass die Oesterreicher nach fünftägigem Kampfe ihre Truppen auf das rechte Ufer der Cserna zurückgezogen haben. Das deutsche Bulletin sagt, dass die Dobrudscha-Grenze zwischen der Donau und dem Schwarzen Meere von den deutschen und bulgarischen Truppen überschritten worden sei. Der rumänische Grenzschutz sei unter schweren Verlusten für ihn zurückgeworfen.

Vom italienisch-österreichischen Kriegsschauplatz sind besondere Ereignisse nicht gemeldet.

Ueber die revolutionäre Bewegung in Griechenland resp. deren weitere Wirkung ist im Moment Sicheres noch nicht zu sagen.

Zum Luftangriff auf England heisst es in der Ostschweiz in einer Kurzmeldung fast identisch zum Tagblatt:

London, 3. Sept. (Havas.) Amtlich. Mehrere feindliche Luftschif[f]e griffen die Ostküste Englands um 11 Uhr abends an. Sie warfen an einzelne Punkten Bomben ab. Der Angriff dauert fort.

Die Abendausgabe des St.Galler Tagblatts informierte erneut über die Angriffe auf England:

Deutsche Luftangriffe auf England.

London, 4. Sept. (Amtlich.) Der von 13 Zeppelinen ausgeführte Streifflug ist der furchtbarste Angriff, der bis jetzt gegen Grossbritannien gerichtet worden ist. Den hauptsächlichsten Schauplatz der Operationen bildeten die östlichsten Grafschaften, und es scheint, dass jene es auf London und gewisse Industriestädte Mittelenglands abgesehen hatten.

Die neu eingeführte Vorschrift betreffend verminderte Lichtfülle in Häusern und Strassen erwies sich als sehr wirksam, denn die Luftschiffe mussten, statt wie bei dem Streifflug im Frühling des letzten Jahres einer bestimmten Route folgen zu können, während der Nacht in allen Richtungen hin und her fliegen, ehe sie die Route fanden, auf der sie sich den Zielpunkten mit Bestimmtheit nähern konnten. Es gelang 3 Luftschiffen, sich der Gegend, von London zu nähern. Das eine erschien über den nördlichen Quartieren um 2 Uhr früh. Es wurde von den Scheinwerfern alsbald ausfindig gemacht und von Fliegerabwehrkanonen und Flugzeugen heftig angegriffen. Nach einigen Minuten sah man es brennen und rasch in Flammen abstürzen. Das Luftschiffe [sic] war zerstört. Seine Ueberreste mit den Maschinen und den fast gänzlich verkohlten Leichen der Besatzung wurden in Uffley bei Enfield aufgefunden.

Zwei andere Zeppeline, die sich London näherten, wurden zurückgeschlagen, ehe sie sich dem Zentrum der Stadt zu nähern vermochten. Eine grosse Anzahl Bomben wurde auf gut Glück auf die östlichen und westlichen Grafschaften abgeworfen. Vollständige Berichte über Verluste und Schaden sind indessen noch nicht eingelangt. Aus den bis jetzt eingetroffenen ergibt sich, dass die Verluste nicht hoch sind in Berücksichtigung der an dem Flug beteiligten Zahl von Luftschiffen. Eine grosse Anzahl Bomben fiel teils ins Meer, teils in entlegene Felder.

Soviel stand auf der Frontseite des Abendblattes. Auf Seite 3 im Innern der gleichen Ausgabe hiess es in einer Kurzmeldung:

Zu den letzten Luftangriffen auf England.

London, 4. Sept. (Amtlich.) Eine Untersuchung hat ergeben, dass die durch den Streifflug angerichteten Verluste und der Sachschaden in keinem Verhältnis stehen zu der Zahl der beteiligten Luftschiffe. Die bis jetzt festgestellten Verluste belaufen sich auf einen Mann und eine Frau an Toten und auf 11 Männer und Frauen oder Kinder an Verwundeten. Die letzten Informationen besagen, dass 25 Häuser und einige Nebengebäude leicht beschädigt wurden. In der Nähe des Distrikts wurden zwei Wasserleitungen zerstört und drei Pferde getötet. Der Schaden in anderen Ortschaften ist sehr gering. Es wurden eine Anzahl Landhäuser und eine Kirche beschädigt. In der Gasfabrik brach ein Brand aus. Keinerlei militärischer Schaden wurde angerichtet.

Nebenbei bemerkt: Havas war eine Nachrichtenagentur (heute eine Werbeagentur). Der Ausdruck «So ein Havas!» bezeichnete im Volksmund eine nicht glaubwürdige Mitteilung.

Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, P 909 (St.Galler Tagblatt, Nr. 207, 04.09.1916, Morgenblatt und Abendblatt), P 907 (Die Ostschweiz, Nr. 205, 04.09.1916, Morgenblatt) und ZMA 18/01.01-23 (Bild von G. Metz, Basel, vor 1911)

Mittwoch, 15. März 1916 – Ein Schweizer wird in Marokko als Deutscher behandelt

Der St.Galler Kaufmann Hans Auer war der Sohn des Architekten Johann Wilhelm (Hans) Auer (1847-1906), der u.a. das Bundeshaus in Bern erbaut hatte. Seine Schwester war die Schriftstellerin Grethe Auer (1871-1940), deren literarische Karriere mit Schilderungen aus Marokko begann. Am 15. März 1916 wandte sich sein Anwalt an den Bundesrat:

An den

hohen Schweizerischen Bundesrat

Bern.

Hochgeehrter Herr Bundespräsident:

Hochgeehrte Herren Bundesräte:

Ich gestatte mir im Auftrage des Herrn Hans Auer[,] mich an Sie zu wenden mit der Bitte[,] dessen Interessen gegenüber der französischen Regierung mit allen Ihnen zu Gebote stehenden Mitteln wahren und vertreten zu wollen. Zu diesem Zwecke erlaube ich mir Ihnen folgendes auszuführen.

Herr H. Auer, der sich während 22 Jahren in Marokko als Kaufmann aufhielt, wurde mit seiner Familie sofort nach Ausbruch des europäischen Krieges von den französischen Militärbehörden arretiert und unter der Angabe, er werde nach einem neutralen Lande gebracht, trotzdem er Schweizer ist & sich als solcher auswies, nach Algier deportiert & dort interniert.

Seine Freilassung erfolgte durch Vermittlung des politischen Departements. Diese rigorose Behandlung eines Schweizer Bürgers wurde damit entschuldigt, Herr Auer sei als Teilhaber einer deutschen Firma in Mazagan und wegen sonstiger deutschfreundlicher Gesinnung verdächtigt, so dass das Gesetz von 1849 auf ihn Anwendung finde, wonach Frankreich im Staatsinteresse die Ausweisung aller Fremden verfügen kann, ohne dass diese dabei den geringsten Anspruch auf Entschädigung haben.

Ueberhaupt sei es nur ein Akt der Menschlichkeit & Gnade, dass die Behörden Hrn. Auer die Reise nach der Schweiz gestattet hatten. Eine Rückkehr von Hrn. Auer sei unerwünscht, wenigstens auf die Dauer des Krieges.-

Diese Begründung ist absolut unzutreffend, und würde gleichwohl niemals die Behandlung rechtfertigen, welche Herr Auer zu Teil geworden ist. Herr Auer macht demgegenüber folgendes geltend.

Herr Auer war in Marokko eine ganz bekannte Persönlichkeit. Durch seine langjährige Tätigkeit als Kaufmann, hat er in Mazagan und in den entferntesten [unleserlich] viele Sympathien erworben & stand namentlich auch immer zu den französischen Civil- & Militärbehörden [sic] in den besten Beziehungen. Er ist auch, um nur eines auszuführen, anlässlich eines landwirtschaftlichen Wettbewerbes von den franz. Behörden mit einem Diplom ausgezeichnet worden.

Herr Auer hatte daher erwarten dürfen, dass er bei Ausbruch des Krieges als Angehöriger einer befreundeten neutralen Macht, auch mit der nötigen Rücksicht behandelt werde. Dies war aber wie gesagt nicht der Fall. Im Gegenteil er wurde als Deutscher behandelt und es wurde demzufolge auch sein Vermögen mit Beschlag belegt. – Ihm selbst war weder vor seiner Deportierung noch auch nachher Gelegenheit geboten worden, seine Verhältnisse in Ordnung zu bringen, sondern er wurde gezwungen[,] Haus und Geschäft von einem Moment zum andern zu verlassen, obschon er zu Beginn des Krieges nicht auf der Liste der aus Marokko zu verbannenden Personen gestanden [hatte]. Er hat sich auch nicht etwa, wie dies zu Unrecht behauptet wurde, den Deutschen freiwillig angeschlossen. Er wurde vielmehr und das wollen wir hier feststellen, ohne Recht festgenommen und deportiert.

Durch diese Deportierung ist nun Hrn. Auer ein Schaden entstanden, dessen Höhe er noch gar nicht bemessen kann, dessen Ersatz er aber von der franz. Regierung zu fordern berechtigt ist.

Nach dieser Richtung kann er folgendes ausführen

Nach dem Herr Auer durch die Intervention des polit. Departementes frei gelassen worden war, wurde er & seine Familie, bestehend aus Hr. Auer, vier Kinder, einem Fräulein & einem Dienstmädchen von Sebdan auf einem Lastwagen nach Tlemzen gebracht & dort einfach an die Luft gesetzt. Tlemzen befindet sich im Innern von Algier zwei Tage Bahnfahrt von der Stadt Algier entfernt. Die Kosten der Reise von Tlemzen bis nach der Schweiz fielen ganz zu Lasten des Hrn. Auer und verursachten ihm eine Auslage von frs. 2500.- für welche er alle Belege in Händen hat.

Sein indirekter Schaden besteht im Verbot der Rückkehr nach Marokko. Seit nunmehr 19 Monaten ohne jede Nachricht, weiss Herr Auer heute nicht das geringste [sic] wie seine Angelegenheiten stehen. Er musste Marokko als ein plötzlich Ueberfallener verlassen & sein Geschäft & Privatvermögen, so wie es war, im Stich lassen. Herr Auer bat vergeblich korrespondieren zu dürfen, um sich Auskunft zu verschaffen. Auf seine Briefe erhielt er keinen oder abschlägigen Bescheid. Im April 1915 wurde er von der Militärbehörde mit seinem Anspruch an ein kompetentes Gericht verwiesen, „welches zusammentreten wurde“, ohne Angabe wo sich dies befindet; ausserdem teilte man ihm damals erst mit, dass er das Recht auf einen Vertreter habe mit den vom Protektorate bestimmten gesetzlichen Vollmachten; die gesetzlichen Erfordernisse der Vollmacht waren dabei nicht genannt.

Die franz. Regierung schlug Hrn. Auer als Mandatar Jemanden vor, den Herr de Pury, Adjunkt des politischen Departements, sogleich als unmöglich bezeichnete. Herr Auer schlug dann die Staatsbank von Marokko vor, die sich mit Informationen befasst. Diese schwieg sich aus, liess dagegen durch ihren Verwaltungsrat in Paris erklären, sie könne sich nicht damit befassen. Als sich Herr Auer darauf direkt an den General Joffre wandte, wurde Minister Lardy bedeutet, dass dies „inconvenable“ sei. Herr Auer wollte schliesslich einen gewissen Herrn Pedro Netto in Mazagan zu seinem Vertreter und leitete zu diesem Zwecke eine Anfrage zur Weiterbeförderung an die Schweiz. Gesandtschaft in Paris. Von dort kam der Bescheid zurück, die franz. Behörde sei mit der Wahl des Herrn Netto als Mandatar trotz seines ausgezeichneten Rufes nicht einverstanden, da derselbe englischer Nationalist sei und sich nur ein Franzose dazu eigne. Herr Auer hatte vorher noch zwei andere Herren, darunter einen Franzosen, zur Wahl vorgeschlagen. Als er wünschte, die franz. Regierung solle ihm selbst einen Mandatar ernennen, antwortete man ihm, diese sei dazu nicht verpflichtet, da Auer kein „sujet allemand“ noch „interdit“ oder „mineur“ sei.

Herr Auer weist aber nach, dass er wie ein „sujet allemand“ behandelt wurde, ja noch schlimmer, denn für seine Interessen wurde überhaupt nicht gesorgt.

Da die franz. Regierung ihn ohne rechtzeitige Anzeige auswies und ihm die Rückkehr nach Mazagan verweigerte, war er verhindert, seine Interessen selbst zu wahren. Die franz. Regierung nahm damit die Pflicht auf sich, an seine Stelle zu treten oder ihn wenigstens zu benachrichtigen, dass er selbst einen Mandatar zu ernennen habe, aber dies rechtzeitig und ihn dabei zu unterstützen. Statt dessen [sic] tat sie das Gegenteil.

Da Herr Auer seit dem Verlassen Marokko’s nachrichtenlos blieb, ist er naturgemäss in grosser Sorge um das Schicksal seines beweglichen und unbeweglichen Vermögens.

Ohne Zweifel ist der grösste Teil desselben, vor allem der Warenbestand, bereits verloren (wegen des ungünstigen Klimas). Namentlich ist auch infolge seiner plötzlichen Verschollenheit die mühsam erworbene Kundschaft verloren gegangen.

Eine weitere Frage die Hrn. Auer interessierte, ist die, ob sein neutraler Anteil am Gesellschaftsvermögen der deutschen Zweigniederlassung der Firma Brandt & Toel mit dieser gemeinsam unter Sequester gestellt wurde. Darüber Auskunft zu erlangen, ist ihm bis heute nicht gelungen, doch wird es wohl so sein, da er sonst darüber verfügen könnte.

Herr Auer verlangt daher Schadensersatz. Zur Begründung seiner Forderung kann er noch folgendes ausführen:

Herr Auer beruft sich in erster Linie auf seine Schweiz. Nationalität, die von der franz. Regierung übrigens niemals bezweifelt wurde: ferner stellt er fest, dass die Zweigniederlassung der Firma „Brandt & Toel“ mit einem schweizerischen Kapital von frs. 12.500.- gegründet wurde, die der Vater des Hrn. Auer hergab. Nachher erhielt Herr Auer von seinem Vater nochmals frs. 12.000.-, die er ebenfalls in das Geschäft steckte. Das deutsche Geschäft Brandt & Toel [Verb?] sich seiner Unternehmung nur den Namen, um seinen Kredit zu erhöhen, und erhielt dafür die Hälfte des Gewinnes. Der Sitz des eigentlichen Hauses Brandt & Toel ist Casablanca. Darin hat Hr. Auer keine Interessen. In der Zweigniederlassung dieser Unternehmung, die sich in Mazagan befindet, ist Hr. Auer unabhängiger Leiter gewesen. Er hat laut Inventar darin Werte stecken im Betrage von frs. 157.700.-

Seine andern, rein privaten Schweizerinteressen erreichen die Höhe von frs. 60.875.-

Ausserdem besitzt Herr Auer in Unternehmungen landwirtschaftlicher Art zusammen mit Hrn.Jourdan in Marseille frs. 37.500.- Die Gesamtinteressen des Hrn. Auer betragen demnach frs. 256.075.-

Herr Auer hat in erster Linie für sich selbst gearbeitet. Neben den Interessen der Firma Brandt & Toel vertrat Herr Auer auch solche ausländischer Schiffahrtsgesellschaften [sic], deren Agenturen er übernahm, so unter anderem die englische Power-Line, den ital. Servizio italo-spagnuolo, ferner an grossen Geschäften das von Reinach’s Nephew & Co. London, den Comptoir Ceramique Paris etc. Man sieht daraus, dass es sich absolut nicht um die einseitige Vertretung deutscher Unternehmungen handelte.-

Für den Verlust seines Vermögens & des Geschäftes ist er berechtigt von der franz. Regierung Ersatz zu verlangen.

In rechtlicher Beziehung kommen in Betracht

1. Das Dekret Briand vom 27. September 1914 über die Zwangsverwaltung des Vermögens der Deutschen & Oesterreicher.

Wir verweisen [sic] auf dieses Gesetz und [unleserlich] auch auf den Commentar [sic], den dasselbe auch Herrn A. Saillard gefunden hat.

„Legislation de Guerre 1914-1915. Le Séquestre des Biens des Allemands et des Austro-Hongrois Textes Officiels avec Commentaire juridique et pratique- Berger-Levraut, Paris 1915.“

Diese Arbeit behandelt die Frage des Sequesters deutscher & österreichischer Vermögen in ausführlicher Weise und stellt dabei fest, dass ein Sequester nur über ein Vermögen, einer der beiden genannten Nationen angehörenden Personen verfügt werden kann.

Es behandelt dann auch den Fall, wo das Vermögen eines Neutralen sequestriert wird und äussert sich darüber folgendermassen:

„pag. 30 [unleserlich] doute, par exemple, que si une personne dont les biens ont été placés sous séquestre etablissait sa nationalité neutre, elle serait fondé à obtenir amiablement ou judiciairement le retrait de l’ordonnance et la mainlevée du séquestre“.

Herr Auer ist schweiz.Nationalität und hat dies mehrfach nachgewiesen, sie wurde auch von der franz. Regierung niemals bestritten. Ein Sequester war daher ihm gegenüber von vorneherein unzulässig und hätte von den franz. Behörden selbst aufgehoben werden sollen.

Auf pag. [sic] 33 wird im weitern ausgeführt:

„Il arrive fréquemment que des biens mobiliers compris dans un inventaire n’étaient qu’un depot chez le sujet ennemi séquestre. Il est bien evident, dans ce cas, que le séquestre serait tenu de les restituer aux véritables avant droit pourvu qu’ils noient de nationalité neutre et ne résident pas en pays ennemi et sur leur demande dûment établie.“

Bei dem von Hrn. Auer’s Vater gegründeten Bankdepot, welches jetzt noch zu Gunsten der Firma Brandt & Toel Mazagan lautet, ist dies der Fall, auch für die Kapitalien Auer, die mit Jourdan-Marseille zusammen arbeiten. Diese Kapitalien sollten also von vorneherein vom Sequester ausgenommen sein.

Im weitern [sic] bestimmt die Verordnung über den Sequester:

„La présente décision sera notifiée aux [unleserlich] saisis (et à la maison N. & Cie.) Il est nécessaire par conséquence que l’ordonnance de mise sous séquestre soit publiée par extrait. Les extraits feront connaître le tribunal civil dont le président a ordonné la mise sous séquestre, la date de la decision la prescrivant, le nom, l’adresse et la nationalité de la personne ou de la maison dont les biens ont été placés sous séquestre.“

Wenn man nun auch irrtümlicherweise annehmen wollte, dass der Fall eines Sequesters gegeben wäre, so wurden doch die gesetzlichen Bestimmungen Hrn. Auer gegenüber in keiner Weise beobachtet.-Herr Auer, welcher nicht mehr in Frankreich oder Frankreich affilierten [sic] Gebieten wohnte, hätte von der Verhängung des Sequesters unterrichtet werden sollen, was ohne Schwierigkeit geschehen konnte, da ja seine Adresse den französischen Behörden bekannt war.

Das Dekret betref. [sic] des Sequesters ist von Frankreich auch auf Marroko angewendet worden.

Wir stellen nun fest, dass Herrn Auer gegenüber in absolut ungesetzlicher weise [sic] vorgegangen wurde.

2. Das Schweiz. politische Jahrbuch für 1915, insbes.ein [sic] Aufsatz von Prof. Burckhardt über die Rechte der Neutralen (Schweizer) gegenüber dem kriegführenden Ausland.

Prof. Burckhardt führt dort aus, dass die Rechte der Neutralen unbedingt geschont werden müssen. Es wird dann die Frage aufgeworfen, ob ein neutraler Teilhaber das Geschäft weiter betreiben darf für den feindlichen Inhaber oder ob er das ganze übernehmen muss und deshalb seinen Socius [sic] abfinden muss ? Es wird auch festgestellt, dass der Sequester seiner Natur nach Freund & Feind treffen muss. Sind die Gerichte für Klagen über Sequesteraufhebung etc. kompetent, so werden sie damit gleichzeitig dem Einfluss ihrer Regierung entzogen. Dem Neutralen ist also damit in keiner weise [sic] gedient, dass man ihn auf seine diplomatische Beschwerde gegen die Sequestrierung an einen Anwalt (mandataire:) weist, der Einsprache beim Gericht erheben soll. Die Regierung eines Landes ist verantwortlich für das Verhalten aller Landesbehörden den andern Staaten gegenüber. Die neutralen Staaten brauchen überhaupt die Zwangsverwaltung als nicht rechtsverbindlich anzuerkennen. Der Zwangsverwalter ist zur Vertretung in einem Streite über sequestrierte Güter nicht als zur gerichtlichen Vertretung legitimiert zu betrachten.

3. Im Falle der Firma Suchard hat man die deutschen Anteile sequestriert, während die neutralen (schweizerischen) von der Zwangsverwaltung verschont blieben.

Herr Auer darf verlangen, dass mit ihm auch so hätte verfahren werden sollen. Er bot sogar unter Kontrolle des Sequesters die Liquidation an, wobei die franz. Regierung ein gutes Geschäft gemacht hätte. Gegen eine ungerechtfertigte Zwangsverwaltung hat er stets energisch Protest erhoben und verlangte Schutz d.h. Erhaltung seiner Güter wie sie im Inventar bezeichnet sind. Seine Proteste waren alle wie in die Luft geschrieben ohne die geringste Wirkung.

Heute ist es mit der Aufhebung des allfälligen Sequester[s] nicht getan, sondern entweder hätte man Hrn. Auer die direkte Verfügung über das Vermögen vor einem Jahre ermöglichen müssen oder damals einen Vertrauensmann mit der Verwaltung & Vertretung beauftragen. Dazu hätte sich der vorgeschlagene Herr Pedro Netto sehr geeignet.

Hervorzuheben ist noch besonders, dass das Privatvermögen Auer’s in gar keiner Beziehung zum Hause Brandt & Toel steht (bestehend aus einem vollständigen Mobiliar & Grundbesitz). Dieses persönliche Vermögen musste ihm auf alle Fälle zur freien Verfügung gelassen werden.

Die Ausweisung, welche Herr Auer betroffen, ist wie es scheint, eine Vornahme der hohen Polizei und durch keinen Rekurs aufhebbar, wenigstens nicht auf dem ordentlichen Prozessweg. Ebensowenig [sic] wird General Lyautey auch nach dem Kriege eine Rückkehr in Erwägung ziehen, weil er auch dazu in keiner Weise verpflichtet ist.

Für Herrn Auer gestalten sich nun die Verhältnisse äussert misslich: weil seine Angelegenheiten bereits so im argen [sic] liegen, dass niemand sich mehr darin auskennen würde, kann er keinen Mandatar mehr bekommen. Er ist bereits ruiniert und muss daher aus obigen rechtlichen Gründen auf Schadensersatz bestehen.

Die franz. Regierung soll erklären, dass sie Hrn. Auer entschädigen will, insbesondere für den Schaden, der durch die Ausweisung Auer’s der Verzögerung der Benachrichtigung und Ernennung des Mandatars Hrn. Auer entstanden ist. Wenn gewünscht soll dieser Schaden in Hrn. Auer’s Anwesenheit und derjenigen einer neutralen Kommission geprüft werden oder der Fall einem neutralen Schiedsgericht übertragen werden. Bei der langen Dauer des Krieges wird es ein Totalverlust und hat die franz. Regierung seine Interessen laut Inventar zu übernehmen und ihn auszuzahlen, da sie aus militärischen Gründen ihn schädigte.

Für seine Arretierung, Deportierung und Internierung verlangt Herr Auer eine Extra-Entschädigung, indem er dabei auf den Fall Ryser verweist, wo ein Schweizer irrtümlich in Russland verhaftet wurde, und durch Vermittlung der Gesandtschaft eine Entschädigung sowie Schmerzensgeld erhielt.

Herr Auer bittet, der franz. Regierung heute eventuell nur mitzuteilen, dass er seine Interessen als verloren betrachte, infolge der langen Unterbrechung jeder Verbindung, dass er auf Ernennung eines Mandatars daher keinen Wert mehr lege und im übrigen [sic] einen etwaigen Sequester über seine im Inventar mitgeteilten Interessen nicht anerkenne, und sich vorbehalte, über die durch die Militärbehörde offenbar aus militärischen Gründen getroffenen Massnahmen sich ergebenden Schadensersatzansprüche, der franz. Regierung seine Anträge zu unterbreiten.

Aus unsern Ausführungen und aus den vielfachen Reklamationen und Eingaben, die Herr Auer bereits an das politische Departement gerichtet hat, ergibt sich deutlich, dass seine Interessen von den französischen Behörden in ernstlicher Weise verletzt worden sind und dass hier ganz offenbar ein Rechtsbruch gegenüber dem Angehörigen eines befreundeten neutralen Staates vorliegt, der sich als Missachtung unserer Neutralität qualifiziert. Wenn wir einerseits uns zur Innehaltung [sic] der strickesten [sic] Neutralität verpflichten, so dürfen wir anderseits beanspruchen und verlangen, dass unsere Angehörige[n] ebenfalls als Neutrale behandelt werden.

Herr Auer ist sich wohl bewusst, dass es vielleicht mit Schwierigkeiten verbunden sein mag, während der Dauer des Krieges zu einer Liquidation des Schadens zu schreiten. Allein er muss wenigstens daran festhalten, dass ihm von seiten [sic] Ihrer hohen Behörde der Schutz seiner Interessen bestätigt wird. Er muss im weitern [sic] verlangen, dass die franz. Regierung angehalten wird, schon jetzt sich prinzipiell über ihre Pflicht auszusprechen[,] den von ihr dem Petenten rechtswidrig zugefügten Schaden, ersetzen zu wollen.

Herr Auer hofft, dass er bei Ihnen vollen Schutz finden werde. Er ist sich wohl bewusst, dass die franz. Behörden, spez. diejenige Stelle, welche seine Verhaftung und Deportation verfügt hat, ihm nicht wohl gesinnt sind, allein er vertraut auf den gerechten & loyalen Sinn der franz. Regierung und ist überzeugt, dass ein Weg gefunden wird, um ihm vollständige Satisfaktion zu teil werden zu lassen.

Herr Auer ist gerne bereit seine Ausführungen, sei es durch mündliche Auskunft, sei es durch Einsendung von Belegen, zu ergänzen und stellt sich hiefür [sic] vollständig zu Ihrer Verfügung.

Ebenso möchte sich Herr Auer das Recht wahren[,] in einer fernern [sic] Eingabe seinen Standpunkt und speziell die rechtlichen Gesichtspunkte noch des weitern [sic] auszuführen.

Mit vorzüglicher Hochachtung:

                                                                                          Namens des Herrn Hans Auer:

Bern, den 14. März 1916

                                                                                                                 Fürsprecher.

Quellen: StASG, W 292/1.4.3 (Komitee für die Wiedergutmachung schweizerischer Kriegsschäden, Fallbeschreibung, im Advokaturbüro Koenig in Bern am 15. März 1916 abgestempelt)