Donnerstag, 8. November 1917 – Umständliche Kommunikation

Auf einer eng beschriebenen Karte berichtete Richard Molitor (vgl. Beitrag vom 23. Juli 1917) erneut an seinen Kollegen, Joseph Fischer, nach St.Gallen:

Ohrdruf, 8. Nov. 1917.

M. Lieber!

Meine Karte aus meinem ersten Urlaub wirst Du erhalten haben. In Neustadt [?] gibt es nichts besonders Neues. War auch mit Hubert zusammen. Machte u.a. einen Besuch in Urishof [?]. Von Albert hört man seit langem nichts mehr. Ich soll ihm mal durch Dich schreiben. Schicke Dir nun nächstens einen Brief für ihn. Sei bitte so freundlich u. sende ihn in neuem Umschlag mit Deinem Namen als Absender weiter. Die Adresse lautet: Albert Ketterer, Farm Omateva, District Gobabis, Südwestafrica. Jedoch warte ich mit dem Briefe, bis Du diese Karte bestätigt hast. Schreibe bitte bald! Im Voraus besten Dank. Ich hoffe, dass es Dir recht gut ergeht u. grüsse Dich herzl. Dein Freund Richard.

Als Absender ist angegeben: Abs. Gefr. R. Molitor, Nachr. Ers. Abt. 11 Etel Ers. Zug, Ohrdruf (Thür.)

Gobabis liegt im heutigen Namibia. Es gibt offenbar noch heute eine Omateva Hunting Farm, die von Deutschen betrieben wird, vgl. z.B. http://www.namibiana.de/namibia-information/pressemeldungen/artikel/freundlicher-elefant-nach-farmbesuchen-auf-nachhauseweg.html

Auch das Deutsche Bundesarchiv weist ein Dossier von ehemaligen Besitzern nach: https://www.deutsche-digitale-bibliothek.de/item/R7ARV44RM255MYGZG3VM5MQVYIHMRVFO

Die Karte war zugunsten der «Hindenburgabgabe» gedruckt worden, einer Spendenaktion, die in Deutschland während des Ersten Weltkriegs mehrfach durchgeführt wurde.

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Quelle: Staatsarchiv St.Gallen, W 207, Album „Aus den Kriegszeiten“ (Karte an Joseph Otto Ferdinand Fischer (1892-1967) in St.Gallen)

Walter Grossmann

Montag, 29. Oktober 1917 – Bericht aus Ungarn

Walter Grossmann war vor dem Krieg im Landerziehungsheim Hof Oberkirch, einer reformpädagogisch geführten Schule, Schüler gewesen (vgl. auch den Beitrag zum 1. März 1916).

29.X.1917.

Aus der Karte vom A.-H.-Tag sehe ich, dass sie mich noch nicht vergessen haben; ich danke dafür allen, die dort waren und mich kannten und kann sie gleichzeitig versichern, dass, wenn ich auch nie geschrieben, so doch oft an die schöne Zeit im Hof gedacht habe. Von meinem Freunde Max hörte ich ab und zu, doch im letzten Jahr sehr selten, vielleicht ist auch die Zensur und die mangelhafte Postverbindung Schuld daran.

Von mir kann ich nicht viel erzählen; ich bin seit 1½ Jahren ununterbrochen im Felde, nachdem ich 1 Jahr lang in Budapest bei einer reitenden Art.-Division Dienst geleistet hatte. Damit wäre im Grossen und Ganzen alles gesagt; da kann sich jeder dazu das Seinige denken. Die Details sind dann manche schön, lustig und interessant, viele auch das Gegenteil. Aber das ist brieflich schwer wiederzugeben.

Das wäre mein äusseres Leben. Wie ich sonst geworden bin? Nun, ich glaube, ich bin ziemlich der Alte, der ich war, etwas weniger naiv, etwas leichtsinniger und ein ganz klein wenig älter. Ein unschuldiger Engel war ich ja nie. Manches vom Geiste des Hofes, das ich in mir aufgenommen habe, begleitet mich, wenn ich auch in Vielem nicht das geworden bin, was der Hof im Allgemeinen von uns wollte. Ich muss mich, wenn ich aus der ganzen Chose heil herauskomme, wieder in die Schulbank setzen und regelrecht die ganze landwirtschaftliche Hochschule absolvieren.

Wie siehts denn jetzt auf dem Hofe aus? Der liebe, alte Hof, ich habe ihn, meine kleine Bude oben im Himmel, alles, alles in guter Erinnerung. Sowie ich mal in die Schweiz kann, werde ich ihn unbedingt besuchen. Und dann will ich wieder ein paar Tage Höfler sein, vergessen all das Viele, das in den letzten Jahren mit mir und um mich geschah.

Allen Höflern, auch den Mädels, wenn welche sind, allen Lehrern, Allen meinen besten Gruss. Walter Grossmann, öster.-ung. Leutnant.

Der Krieg beschäftigte die Schüler im Hof Oberkirch. Erich Tobler stellte sich 1915 einen «Sturmangriff» folgendermassen vor:

Sturmangriff

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Quelle: Staatsarchiv St.Gallen, W 127 (Hof-Zeitung, herausgegeben im Land-Erziehungsheim Hof Oberkirch unter der Leitung von Anton Blöchlinger, Nr. 12, April 1918; Beitragsbild: Foto von Max Grossmann aus dem Album «Schüler und Lehrer» im gleichen Bestand; das Bild «Sturmangriff» findet sich in: Hof-Zeitung, Nr. 5, Weihnachten 1915)

Hof Zeitung Titelbild

Donnerstag, 18. Oktober 1917 – Bericht aus Frankreich

Georges Stouvenot (1885-1955) hatte von 1909 bis 1912 als Lehrer im Landerziehungsheim Hof Oberkirch gewirkt. Im Krieg war er als Soldat in die französische Armee eingezogen worden und dort als «Caporal» Rekruten ausgebildet. Mit einem auf den 18. Oktober 1917 datierten Brief berichtete über sein Leben in der Heimat. Arnas liegt im Rhonetal zwischen Dijon und Lyon:

Arnas, 18. Oktober 1917.

Ich bin sehr verlegen, Ihnen triftige Gründe über mein langes Stillschweigen anzugeben. Wie oft habe ich mir vorgenommen, Ihnen endlich einmal zu schreiben und Ihre verschiedenen Grüsse zu erwidern; aber ich war selten in der Lage, meine Gedanken geordnet vorzubringen. Ende Juli war ich einige Tage zu Hause; im August beschäftigten mich die ökonomischen Probleme so sehr, das ich keine Lust hatte, Korrespondenzen zu schreiben; dann im September hatten wir Weinernte und ich musste mich intensiver mit den Gefangenen beschäftigen.

Unterdessen habe ich Ihren lieben Brief vom 26.VI.17 wohl erhalten; ebenso die Hofzeitung, die mich daheim traf; ferner die Grusskarte der Alt-Oberkirchler vom 10. Sept. Besten Dank für alle die Mitteilungen und Grüsse, die mich äusserst freuten. – Am meisten interessierte mich Ihr Vortrag in der Neuen Helvetischen Gesellschaft über die Schulerziehung nach dem Kriege. – Freilich, die Umstände nötigen uns, unsere Aufmerksamkeit Problemen zuzuwenden, die vor dem Kriege nicht existierten. Es gibt Arbeit in Hülle und Fülle; ich glaube gar, ich habe meine Ziele zu weit und zu hoch gegriffen; und den Segen unserer Bemühungen werden wir wohl nicht mehr voll erleben können.

Seit vielen Wochen bin ich daran, meine Kenntnisse in Geschichte und namentlich in der Geographie zu revidieren und zu erweitern. Ich brauche sie notwendig zum Studium der ökonomischen Probleme. Ferner erprobte ich fleissig seit Anfang August meine Geduld im Aufbeissen harter Nüsse, wie die Lektüre von Cornelius Nepos; es ist eine tadellose Willensübung.

Mir geht’s in jeder Beziehung recht gut; ich habe keinen Grund, mich zu beklagen, im Gegenteil.

Herzliche Grüsse an alle!

Georges Stouvenot, chef de détachement de P.G. d’Arnas.

Hinweis: Cornelius Nepos war ein römischer Geschichtsschreiber.

Zu Stouvenot: vgl. auch Beitrag vom 1. März 1916. In einer Zuschrift an die Höfler-Zeitung vom 31. Januar 1915 hatte er sich u.a. Gedanken über die Parteilichkeit der Kriegsgegner und die jeweilige Propaganda gemacht:

Eine Zeitlang habe ich felsenfest Alles geglaubt, was unserseits geschrieben wurde, bis es mir zum Bewusstsein kam, dass ich als Gast Eures lieben Landes einst selbst anders gedacht hatte. Nun weiss ich, dass das Herz selten irrt, wohl aber der Verstand. Wie schwer ist es ja Euch, jedem der Kriegsführenden unparteiisch sein Recht zuzusprechen! Darüber habe ich mich lange verwundert.

Ich habe ferner versucht, einen klaren Einblick über die politische Lage bei uns und in der übrigen Welt zu gewinnen. Zeitungen jeder Färbung, klerikale wie antiklerikale Blätter studiere ich fleissig; doch umsonst! Wem soll ich glauben? Ich kann mich keiner Partei voll und ganz verpflichten.

Also trotz eines glühenden Optimismus bin ich ein Skeptiker geworden. Ich traue Niemandem mehr ohne weiteres. Ich will abwägen und zuletzt ein Urteil erarbeiten, das für mich gültig ist, das ich aber keineswegs Andern aufzudrängen beabsichtige.

Jetzt endlich bin ich auf jede Eventualität gefasst und bleibe meinem Vorsatze treu, die Erfahrungen eines jeden Tages fleissig zu beherzigen.

Mit herzlichem Gruss, Euer

G. Stouvenot, Caporal, 176e de Ligne, 26e Cie de Dépot, Epinal. 

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Quelle: Staatsarchiv St.Gallen, W 127 (Hof-Zeitung, herausgegeben im Land-Erziehungsheim Hof Oberkirch unter der Leitung von Anton Blöchlinger, Nr. 12, April 1918, resp. Nr. 3, März 1915; Beitragsbild: Linolschnitt von Max Hegetschweiler auf dem Titelblatt dieser Ausgabe der Hofzeitung)

Frau und zwei Kinder im winterlichen Pfäfers

Freitag, 12. Oktober 1917 – Schwierige Steuerfragen: Schul-geld fuer Kinder eines Internierten

Die Erziehungskommission des Kantons St.Gallen, ein Spezialausschuss des Erziehungsrates, befasste sich mit der Frage, ob die Kinder eines Internierten Offiziers Schulgeld zu bezahlen hätten:

Der Schulrat Pfäfers frägt an, ob er einen auf St.Margreterberg internierten Offizier, der daselbst seine 2 Kinder beschulen lässt, und seine Frau bei sich hat, besteuern dürfe. Es wird geantwortet, der internierte Offizier sei nur zwangsweise in der Schweiz, er müsse also rechtlich als ausserhalb des Landes wohnend betrachtet werden. Darum sei er zu keiner Steuer und Abgabe verpflichtet. Dagegen haben Frau und Kinder freiwillig hier Wohnsitz genommen und sind rechtlich als im Kanton St.Gallen wohnhaft zu betrachten. Da aber schwer zu ermitteln wäre, inwie weit [sic] die Frau steuerrechtlich belangt werden könnte, sollte von einer Steuer abgesehen werden und auf gütlichem Wege ein Schulgeld erhoben werden. Weitere Abklärung wäre beim eidgenössischen politischen Departement einzuholen. 26. Oktober.

Das Beitragsbild ist undatiert, aber zwischen 1901 und 1919 entstanden. Es zeigt eine (unbekannte) Frau und zwei Kinder im winterlichen Pfäfers.

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Quelle: Staatsarchiv St.Gallen, KA R. 130 B1, Bd. 1917 (Protokoll 1917/Nr. 492, Text) und ZOF 002/01.62 (Beitragsbild)

Soldatenlieder Büchlein

Mittwoch, 3. Oktober 1917 – Schweizer Soldaten-Lieder

Am 3. Oktober begann die Infanterie-Rekrutenschule V/6 St.Gallen. Sie dauerte bis zum Samstag, 8. Dezember 1917.

Die angehenden Soldaten erhielten ein Liederbüchlein mit 80 Liedtexten, angefangen mit Heimatliedern: Rufst Du mein Vaterland (Nr. 1), O mein Heimatland (Nr. 2), Schweizerpsalm (Trittst im Morgenrot daher …) (Nr. 3) und Heisst ein Haus zum Schweizerdegen (Nr. 4).

Aufgelistet sind zudem diverse Militärlieder wie z.B. Auf, Ihr wackern Kanonier›!, De Chäreli Mitrailleur, Der Trainsoldat hat’s lustig, Ich bin ein jung Soldat, Roulez Tambours!, Addio la caserma und Ich bin ein junges Schützenblut. Nicht fehlen durfte auch Willst Du dein Dienstbüchlein zerreissen.

Daneben findet sich eine ganze Reihe Volkslieder wie Es Burebüebli mahn I net, Es wot es Fraueli z’Märit ga, Im Aargau sind zwei Liebi, ’s Ramseiers wie ga grase oder Le ranz des vaches und Quatter [Quattro] cavai che trottano.

Als letztes ist das Landsgemeindelied abgedruckt: Alles Leben strömt aus dir.

Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, Bro I 189 und Schweizerisches Militäramtsblatt 1917, S. 184 (freundliche Mitteilung betreffend Beginn und Dauer der Rekrutenschulen von Manuel Bigler, Stv. Chef Forschungsdienst, Bibliothek am Guisanplatz, Bern)

Broschüre Volk und Heer

Mittwoch, 19. September 1917 – Ein ungeheuer trauriges Schauspiel menschlichen Wirrsals

Die Betriebskommission der Zeitung Ostschweiz konnte folgenden Auftrag verbuchen:

2. Herr Generalstabs-Adjutant Oberstdivisionär [Friedrich] Brügger [1854-1930] will seinen Bettagsvortrag im Katholikenverein der Stadt St.Gallen: «Volk und Heer» in der Ostschweiz erscheinen lassen und wünwt [sic], dass die Druckerei denselben auch in Broschürenform in Verlag nehme und ein Uebererlös dem «Roten Kreuz» zufalle. Einen Ausfall verspricht er zu decken. Die Betriebskommission ist einverstanden, beschliesst ein Format von ca. 14/24, Benützung des Zeitungssatzes, dagegen besseres Papier, Auflage von 800-1000 unter Rückbehaltung des Satzes. In diesem Sinne soll Herrn Brügger eine Vorlage gemacht werden, um event. dessen weitere Wünsche betreffend Verlag zu erfahren. Für die Reklame soll Herr Redaktor [Emil] Buomberger [1877-1939] um seine Mitwirkung ersucht werden, [sic]

In der Sitzung vom 3. Oktober 1917 findet sich ein weiterer Eintrag zum Geschäft:

2. Der in Broschürenform herausgegebene Vortrag Brügger «Volk & Heer» wird dem Katholikenverein St.Gallen zum reduzierten Preise von 30 Rpp. [sic] in 50 Exemplaren abgegeben, weil letztere schenkungsweise an Herrn Generaladjudant [sic] Brügger verabfolgt werden wollen.

Der Schluss von Friedrich Brüggers Bettagsvortrag lautete:

Volk und Heer, das muss unbedingt zusammenhalten und zusammenbleiben, ein starkes, ein wehrhaftes Volk und Heer. Wenn je einmal, so gilt das heute, wo rings um uns die Välker ihr Aeusserstes und Letztes zusammenraffen an Kraft und an Opfer, um oben zu bleiben im blutigen Ringen. Alle Länder und Völker um uns sind nicht als ungeheure Heerlager, wo alles für den Krieg lebt und arbeitet, an der Front die waffenfähigen Männer und hinten der übrige Teil des ganzen Volkes, alle eins, alle opfer- und todesbereit. Es ist das ein ungeheuer grosses Schauspiel menschlichen Opfermutes, aber auch ein ungeheuer trauriges Schauspiel menschlichen Wirrsals.

Wir sind bis heute verschont geblieben. Danken wir Gott dafür, heute besonders, am eidgenössischen Buss- und Bettag des Blutjahres 1917, und bitten wir Gott, dass er uns ferner verschone. Will er aber auch uns die grosse Prüfung nicht ersparen, dann wollen auch wir sie mannhaft bestehen, mit Gott und mit Ehren!

Nähere Angaben zu Friedrich Brügger und Emil Buomberger: vgl. e-HLS (http://www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D3558.php und http://www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D6229.php)

Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, Wy 088 (Firmenarchiv «Ostschweiz» Medien AG, Protokolle Verwaltungsrat und Betriebskommission, 1915-1920; Texte) und Misc. sep. 119(12) (Beitragsbild)

 

 

Abloesung

Samstag, 25. August 1917 – Entlassung aus dem Aktivdienst

Zug Störi als Of.Wache Dreisprachenspitze abgelöst Aug. 1917 Neuschnee

Das Geb.Sch.Bat. 8 (Gebirgsschützen-Bataillon 8) leistete vom 27. Mai bis zum 26. August 1917 Aktivdienst im Engadin. Stationiert war die Truppe in St.Moritz, Pontresina, Ponte, Schuls und im August schliesslich auf dem Umbrail. Die Truppe wurde am Sonntag, 26. August entlassen, d.h. die im Beitragsbild angesprochene Ablösung ist möglicherweise am Tag zuvor erfolgt.

Das Bild befindet sich auf einer Seite im Erinnerungsalbum der Truppe, auf der noch weitere Bilder von diesen Augusttagen im Umbrailgebiet zu sehen sind:

Lago di Rims

Originallegende: Patr. [Patrouille] am Lago di Rims 2392 m Mt Praveder Aug. 1917

Kommandohaus PapiermuehleOriginallegende: Kdo Haus «Papiermühle» rechts Piz Umbrail Aug. 1917 [Papiermühle möglicherweise, weil hier Rapporte u.ä. geschrieben wurden]

Offiziere am Umbrail

Originallegende: Oblt. Meyer u. Hptm. Cavelti am Piz Umbrail

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Quelle: Staatsarchiv St.Gallen, W 132/2, Seite 113

Riklin Bild, Skizze

Freitag, 17. August 1917 – Schweizer Ärztemission für England geplant

Der Psychiater Franz Beda Riklin sollte im Rahmen einer Schweizer Ärztedelegation in England Gefangenenlager besuchen. Im Brief an seine Frau ist beschrieben, wie sich die Pläne für die Organisation dieser Mission konkretisierten:

Küsnacht/Zch, den 17. Aug. 1917.

Liebster Schatz!

Vielen Dank für Deinen lieben Brief. De La Harpe [Armeearzt, mit dem Riklin während seiner Zeit in Château d’Oex zu tun gehabt hatte] hat mir mitgeteilt, dass es sicher noch wenigstens drei Wochen gehe. Ich reise wahrscheinlich mit Genfer Collegen, u. zwar solchen, die schon einmal drüben waren. Man geht so vor, halb alte u. halb neue, weil es so besser gehe wegen der conservativen Engländer.

Der Elektriker war da, hat Herd u. Heizkörper gebracht. Monti[e]rt wird erst in etwa 8 Tagen. Ich habe ihm alles erklärt. Es wird noch ein Draht von unten gezogen.

Gestern war ich bei Maria Moltzer zum Nachtessen u. habe nun extra mir die Bilder einmal angesehen. Man könnte vieles davon schon deutsch sagen!

Sonst nichts Besonderes, als dass ich auf einmal, am letzten Tage, nochmals in die Hodlerausstellung ging; aber es war eine grässliche Populace [sic, Publikum] da u. ich ging bald wieder; ein Einbruch der Masse (nicht des Volkes) auch Frau Sigg war da! Sie ist eine entsetzliche Figur wie immer; ich habe sie am Seil heruntergelassen, aber sie ist eigentlich von einem Hochmut der Dummheit beseelt. «Hodler müsste jedenfalls als Lehrer auch fein sein.»

Das Bild rückt; hier der Stand der Fläche; darf ichs [sic] noch fertig machen? Etwa zwei Tage. [vgl. Beitragsbild, im Original ca. 2,5 mm x 2,5 mm gross, vgl. auch die Abbildung im Beitrag vom 14. August]

Ich lasse die lieben Kinder recht herzlich grüssen, besonders auch Franzli. Wir haben also schon noch Zeit, uns etwas zu sehen.

Hier gibt›  [sic] viel Früchte zum Einmachen u. Bohnen zu trocknen: Pfirsiche, Pflaumen, Birnen, Mirabellen; die Zwetschgen fangen auch an.

Ich weiss jetzt mit äusserster Wahrscheinlichkeit, wer der Pfirsichdieb u. ebenso bestimmt der Küngeldieb [Kaninchendieb] war. Natürlich habe ichs [sic] von Kaul: Nämlich der Taglöhner des Gärtners. Er ist ein rückfälliger Dieb, u. ist auch Metzger! Den Kindern lieber nicht sagen. Dem Polizisten werde ich jedenfalls meine Mutmassung mitteilen.

Adieu für heute, u. auf baldiges Wiedersehen. Ich muss weitermalen.

Allerherzlichste Grüsse u. Küsse. Gruss an Tante Ida.

Dein treuer

Franz.

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Quelle: Staatsarchiv St.Gallen, W 106 (Korrespondenz Franz Beda Riklin an seine Ehefrau)

Deutscher Gefechtsstand

Samstag, 11. August 1917 – Kriegs-tagebuch aus deutscher Sicht

Im Nachlass des St.Galler Historikers Hermann Wartmann (1835-1929) findet sich eine Reihe schmaler Hefte mit dem Titel Kriegschronik. Aus deutscher Perspektive wurde darin monatlich der Stand der Dinge festgehalten und kommentiert. Die Ausgabe der Kriegschronik für den August 1917 befasste sich unter anderem mit der auf den 1. August datierten päpstlichen Friedensnote An die Staatsoberhäupter der kriegführenden Völker. Abgedruckt sind in der Kriegschronik zudem Briefe deutscher Soldaten, eine Chronik über die täglichen Kriegsereignisse, Reden von Politikern, aber auch allgemein gehaltene Beiträge wie z.B. Drei Kriegsjahre in Zahlen oder Was versinkt mit einem Schiff?

Der Anfang des letztgenannten Beitrags lautet: Mit dem Begriff «Registertonnen» vermag der Laie nichts Rechtes anzufangen. Leichter verständlich klingt ihm schon die Nachricht, soundso viel tausend Tonnen Getreide oder Kohlen wären versenkt. Greifen wir aus der Fülle unserer täglichen U-Boots-Erfolge einige Beispiele heraus! Unter dem 6. Juli wurde der bewaffnete englische Dampfer «Saxon Monarch» mit 7000 Tonnen Weizen als versenkt gemeldet. Was bedeuten 7000 Tonnen Weizen? Mit 7000 Tonnen Weizen oder Roggen versorgt sich heute eine Stadt wie Frankfurt a.M., mit 425 000 Einwohnern, mindestens 10 Wochen lang mit Brot!

Ereignisgeschichtlich listete das Kriegstagebuch für die Tage vom 9. bis zum 11. August folgende Erfolge auf. Misserfolge wurden keine gemeldet:

9. August.

Westen: Starke englische Infanterieangriffe östlich und südöstlich Ypern zwischen Bahn Ypern-Roulers und Hollebeke gescheitert. – Die Engländer zwischen Strasse Monchy-Pelbes und Strasse Arras-Cambrai abgeschlagen.

Osten:  Südöstlich Czernowitz Eindringen in die Grenzstellung der Russen. – Zwischen Trotus- und Putnatal südlich Heerestrau rumänischen Höhenstellungen erstürmt. Zu beiden Seiten der Bahn Focsani-Ajudulnou der Übergang über die Susita von den Verbündeten erzwungen.

10. August.

Westen: Die Engländer beiderseits der Bahn Bösinghe-Langemarck abgewiesen. – Grabenstücke am Hochberg den Franzosen entrissen.

Osten: Der Russe am Slanic- und Ojtoztal ostwärts geworfen; Höhen am Mt. Cleja und Mgr. Casinului genommen. Schwere russische Blutopfer bei 7 Anstürmen gegen unsere Susitastellung.

11. August.

Westen: Ein englischer Angriffe bei Hollebeke und ein französischer bei Cerny abgewiesen.

Osten: Südlich des Trotosultales Höhenstellungen und Dorf Grozesci von verbündeten Truppen erkämpft.

England: Deutscher Flugzeugangriff auf Southend und Margate.

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Quelle: Wy 135 (Nachlass Hartmann, Kriegschronik Monat August 1917, Texte und Bilder)

Molitor

Montag, 23. Juli 1917 – Soldatenpaket nach Deutschland gewünscht

Joseph Fischer erhielt nicht nur von seinen Kollegen in England Karten, sondern auch von solchen in Deutschland (vgl. die Beiträge vom 7. Januar, 26. August und 24. Oktober 1916 und vom 26. März 1917). Richard Molitor, Telegrafist in der deutschen Armee, schrieb an seinen Freund, Joseph Fischer in der Schweiz:

Abs. Telegr. R. Molitor, Nachrichten-Ersatz-Abst. 11, Etel-Ers.-Zug, Ohrdruf (Thüringen), 23. Juli 1917.

M. l. [Mein lieber] Josef!

Die Karte aus m. Urlaub wirst Du erhalten haben. Einige Tage vor der Rückfahrt traf noch Morath [?] ein, so dass ich wenigstens noch zum Schlusse mit einem alten Kameraden zusammen war. M. erhielt übrigens kürzlich das Eiserne Kreuz I. Kl. Von Frau Fischer (Adlerstr) konnte ich leider über Dich nichts erfahren, hoffe aber doch, dass es Dir stets recht gut geht. Nun habe ich wieder eine grosse Bitte! Könntest Du versuchen, da ich jetzt Soldat bin, ein Paket mit Chokol. [Schokolade] an mich zu senden? (Einschreiben.) Den Betrag würde ich entweder an Deine Haushälterin in Neustadt oder Dir selbst schicken. Ich bezweifle zwar, ob überhaupt die Ausfuhr nicht ganz gesperrt ist, kann es aber von hier aus nicht beurteilen. Im Voraus für Deine Bemühungen vielen Dank. Wahrscheinlich bleibe ich wohl einige Zeit hier. Empfange herzliche Grüsse von Deinem Freunde Richard.

Im Album «Aus den Kriegszeiten», das Joseph Fischer zusammengestellt hatte, findet sich ein vorgedruckter Brief des Schweizerischen Volkswirtschaftsdepartements vom 29. Oktober 1917. Darin steht: Im Besitze Ihrer Zuschrift vom 25. dies erwidern wir Ihnen, dass Ihrem Wunsche zu unserm Bedauern nicht entsprochen werden kann. Jede Ausfuhr von Lebensmitteln, Seife etc. (auch als Umzugsgut) ist verboten. Es ist möglich, dass Fischer versuchte, verschiedenen Personen im Ausland Pakete zu schicken.

Brief Eidgenoessisches Departement

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Quelle: Staatsarchiv St.Gallen, W 207, Album „Aus den Kriegszeiten“ (Karte an Joseph Otto Ferdinand Fischer (1892-1967) in St.Gallen)