Montag, 21. August 1916 – Kein Pardon bei Schulabsenzen

21. August 1916.

Herrn John. Büchel, Schulratspräsident in kath. Lüchingen.

Tit.!

Mit Schreiben vom 18. Dies erbitten Sie Weisungen zur Stellung des Schulrates gegenüber der Schulflucht der vier Schüler:

1.) Ida Bucher, geb. 16. Jan. 1902, jetzt in Heiden.

2.) Hans Ulmer, geb. 23. Nov. 1901, jetzt in Deutschland.

3.) Rosa Künzle, geb. 9. Jan. 1902, jetzt in Churwalden.

4.) Paul Gschwend, geb. 26. Juni 1901, unbekannt wo.

Wir erteilen Ihnen hiemit folgende Weisungen.

Sie wollen gegen diese Schulabsenzen mit aller Strenge einschreiten, nämlich nach Art. 150 und 151 der kant. Schulordnung, Nachtrag vom 10. Mai 1898 und 28. Febr. 1902, sowie ganz gleich wie bei Alpgängerei, siehe den Kleindruck in der beigelegten kantonalen Schulordnung vom 21. Sept. 1899.

Die Inhaber der elterlichen Gewalt in obigen vier Fällen wollen Sie vor Schulrat zitieren und ihnen Art. 150 und 151 nebst den Anmerkungen (Kleindruck) der beigelegten Schulordnung, gedruckt im Jahre 1915, vorlesen und erklären, welche Folgen die Widersetzlichkeit nach sich ziehen werde.

Im einzelnen ist in folgender Weise vorzugehen.

Die betr. Eltern haben beförderlich die Schulausweise beizubringen, dass die genannten Kinder auswärts die Schule besuchen. Ergibt sich daraus, dass letztere weniger Schulzeit haben, als wenn sie in kath. Lüchingen wären, so haben sie bei der Heimkehr die ausgefallene Schulzeit nachzuholen. (Siehe Verordnung über Alpgängerei) auch bei mehr als 15 Altersjahren. Vater Jakob Gschwend ist bei ferneren Schulabsenzen und weiterer ungenügender Auskunft sofort nach Art. 190 des Strafgesetzbuches dem Bezirksammann anzuzeigen.

Die Gemeinderatskanzlei wollen Sie bald darauf aufmerksam machen, dass in derartigen Fällen ohne Kenntnis und Zustimmung des Schulrates keine Heimatscheine und Pässe für das Ausland verabfolgt werden dürfen.

Hochachtend,

Der Regierungsrat:

HScherrer [Unterschrift]

Beilagen.

Es können auf Wunsch noch einige Exemplare verabfolgt werden.

Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, KA R.130 B 2 (Copie des lettres, Schreiben des Vorstehers des Erziehungsdepartements betreffend Schulflucht von zwei Schülerinnen und zwei Schülern der katholischen Schule Lüchingen) und W 238/03.08-66 (Ansichtskarte von Lüchingen, 1909, mit katholischem Schulhaus, Fotograf unbekannt)

Samstag, 22. Juli 1916 – Die Sekundarlehramtskandidaten besuchen Burgen und Schlösser am Rorschacherberg und baden im Alten Rhein

Bericht von der Burgenexkursion am 22. VII. 16.

1155 fuhr der Zug in St.Gallen ab. Im Eisenbahnwagen wurden die Berichterstatter gewählt. Man beschloss nämlich 2 zu wählen, einen für die Burgen und einen für das Übrige. Für das Erstere wählte man Zuppiger, für das Letztere Weinmann. Eilig gings nun an Wiesen und Feldern vorbei und bald langten wir in Goldach an. Wir marschierten nun durch das Dorf. Herr Hausknecht machte uns darauf aufmerksam, wie sich hier die Toggenburger- und Thurgauerhäuser treffen. Links an der Strasse steht nämlich ein grosser thurgauischer Fachwerkbau, daneben ein altes Toggenburgerhaus mit Butzenscheiben. Als wir aus dem Dorfe kamen, tauchte plötzlich der Bergfried des Möttelischl[osses]., halb versteckt hinter den Bäumen auf. Wir langten bald darauf vor dem Tore des Burggrabens an. Hier liegt ein sogenannter „Punteliasgranit“, der in der Eiszeit vom Tödi mitgenommen wurde. Im Schlossgarten erzählte uns Herr Hausknecht die Geschichte (näherer Berichterst. Zuppiger) Nachher marschierten wir weiter, und bald sah man nur noch den Turm, dann verschwand auch dieser, denn wir waren in einen Wald getreten. Es dauerte nicht lange, so hatten wir ihn durchkreuzt. Da bot sich ein ganz neues Bild. Unten sah man den blau-grünen Bodensee und Rorschach und am Bergabhang die weissgetünkten Mauern des St.Annaschlosses. Auf einem schmalen Fusspfade gelangten wir auf die Strasse, die nach dem Schlosse führt. Wir betrachteten es zuerst und suchten uns dann ein schönes Plätzchen aus. Auf diesem erzählte uns Herr Hausknecht wieder die Geschichte (nähere Berichterst. Zuppiger). Dann zogen wir unter fröhlichem Singen weiter. Die Lieder liessen aber noch viel zum Wünschen übrig! Etwa nach einer halben Stunde langten wir beim Schloss Wartensee an. Herr Hausknecht sagte uns, dass das Schloss keine bedeutende Geschichte habe. Es sei jetzt in privaten Händen, und darum könne man nicht hinein gehen. Auf dem Abhange desselben hielten wir eine Rast. Der, in Rucksä[c]ken mitgebrachte „Zvieri“ war bald verschlungen, und nun gings im Sturmschritt den Abhang hinunter bis nach Staad. Links und rechts sah man nicht selten kleine Wiesen, auf denen Fischernetze ausgebreitet waren. Wir näherten uns allmählich der Landzunge, auf der man nach der Rheinmündung gelangen kann. Wir konnten jedoch nicht auf dem Fusspfade gehen, denn es war alles überschwemmt. Die Maisfelder standen meistens einige Centimeter unter Wasser. Nach und nach mussten wir auf dem Damme gehen, denn links und rechts davon hatte das Wasser eine beträchtliche Höhe erreicht. Endlich kamen wir an der ersehnten Stelle an, denn der Tag war heiss, und ein kühles Bad tat einem wohl. Bald plätscherten wir in den alten Rhein hinaus. Hie und da verspürte man einen heftigen Schmerz an den Füssen, denn die Schilfstoppel wirkten nicht gerade angenehm an den Füssen. Im Rhein draussen spielten wir „Fangis“. Als wir uns genug getummelt hatten, kehrten wir wieder zurück. Wir waren aber stark mit Schlamm bespritzt, der beim herumspringen [sic] aufgewühlt wurde. Nach dem Ankleiden stand in der Wirtschaft Sirup und Brot bereit. Während des Essens schrieben wir Hedy einige Karten. Nachher machten wir einige Spiele. Guggi fiel dabei in eine grosse Pfütze, und wurde pudelnass. Natürlich wurde er tüchtig ausgelacht. Nur zu schnell rückte die Zeit vor und wir mussten schon den Rückweg antreten. In Staad wollten wir noch das Schloss Warteck [Wartegg] besichtigen. Da aber die Bahnschranken für 10 Minuten geschlossen waren, gingen wir der Seestrasse entlang. In Rorschach machten wir nochmals eine kleine Rast am Ufer des Sees und betrachteten noch den prächtigen Sonnenuntergang. Dann stiegen wir in den Zug, und fuhren unter fröhlichem Singen wieder heim.

Der Berichterstatter:

A. Weinmann IIÜ. [2. Klasse der Übungsschule]

Ernst Hausknecht2

Dr. phil. Ernst Hausknecht-Derendinger (1883-1928) unterrichtete Deutsch, Französisch und Geschichte an der Übungsschule für angehende Sekundarlehrer in St.Gallen. Die Ausflüge, die er mit den Lehramtskandidaten unternahm, waren geprägt von seinen Erfahrungen und seiner Einstellung als Präsident des Bezirksturnverbandes von St.Gallen und Umgebung sowie als Präsident des Schweizer Wandervogels (Schweizerischer Bund für alkoholfreie Jugendwanderungen) und als Initiant der Ortsgruppe St.Gallen dieser Vereinigung.

Vergleiche zu seiner Person auch die Beiträge vom 23. Februar und  20. März!

Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, B 012/5.2 (Bericht) sowie ZMA 18/02.09-02 (Mötteli-Schloss zwischen Goldach und Rorschacherberg, um 1920; Foto Editione Art. Perrochet Matile, Lausanne) und B 012/8.1.24 (Porträt Ernst Hausknecht)

Montag, 1. Mai 1916 – Schulfreie Nachmittage: Ausmärsche und Studiengänge für Knaben, Erho-lung und Hausarbeit für Mädchen

Schreiben des Erziehungsrates an den Schulrat in Rorschach:

1. Mai 1916.

[An] den Schulrat in Rorschach.

Tit.!

Sie haben die Beobachtung gemacht, dass Ihre schulpflichtige Jugend durch Teilnahme an Vereinen zum Schaden des Schulunterrichts zu sehr in Anspruch genommen ist und leisten darüber den Nachweis.

Auf Grund eines bezirksschulrätiglichen Gutachtens haben wir in unserer heutigen Sitzung folgendes beschlossen:

1.) Es ist den Primar- und Sekundarschülern untersagt, Vereinen aktiv anzugehören, die ihre Sitzungen, Proben, Versammlungen und Produktionen zur Sommerszeit nach 8 Uhr abends, zur Winterszeit nach 7 Uhr abends, abhalten.

2.) Sekundarschüler dürfen keinem sogenannten Sport-Verein angehören und neben dem fremdsprachlichen Unterricht der Sekundarschule keine sog. Sprachkurse, die von Vereinen abgehalten werden, besuchen.

Hochachtend,

Im Namen des Erziehungsrates,

Der Präsident:                                                                               Der Sekretär:

Scherrer [Unterschrift]                                                                 D. Dietsche [Unterschrift]

Mit gleichem Datum ging ein weiteres Schreiben an den Schulrat in Rorschach, in dem probeweise eine andere Lektionsdauer an der Sekundarschule bewilligt wurde – mit unterschiedlichen Konsequenzen für Schüler und Schülerinnen:

[…]

1. An der Sekundarschule Rorschach wird vom Beginn des Schuljahres 1916/17 an versuchsweise an 2 Vormittagen, Donnerstag und Samstag, der 45 Minutenbetrieb eingeführt, so dass den Schülern in der Woche ein zweiter, von den gewöhnlichen Schulstunden freien Nachm. zufällt.

2. Damit dieser 2. freie Nachmittag nicht missbräuchlich verwendet wird, werden von der Lehrerschaft mit den Knaben Ausmärsche, Studiengänge, Werkstatt– u. Museumsbesuche[,] Schwimmübungen etc. gemacht oder aber auch Wegleitung zur Lösung von Hausarbeiten erteilt.

3. Den Mädchen sollen die beiden freien Nachmittage zur Erholung u. zur Lösung von Hausaufgaben sowie hauswirtschaftl. Arbeit dienen.

Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, KA R.130 B 2 (Copie des lettres) und CK 13 A 4.4-1.06 (Frauen der Familie Bischof, Rorschacherberg, mit Kindern bei häuslichen Arbeiten (zwischen ca. 1910 und 1918))

 

Ansichtskarte von Rheineck mit Osterhase

Ostersonntag, 23. April 1916 – Gedicht im Drittklasslesebuch

Beitragsbild: Sekundar- und Primarschulhaus in Rheineck, ca. 1900

Der Erziehungsrat des Kantons St.Gallen gab 1916 unter anderem ein neues Lesebuch für das dritte Schuljahr der Primarschulen heraus. Darin findet sich folgendes Gedicht:

91. Ostern

 

Die Frühlingssonne

steigt auf im Ost,

bringt neue Wonne

nach Schnee und Frost.

 

Die Blümlein schliefen

und sind erwacht

aus Grabestiefen

und Wintersnacht.

Und froh erwachet

nun Berg und Tal

und grüsst und lachet

zum goldnen Strahl[.]

Aus Grabesbanden

ist Gottes Sohn

auch auferstanden

zum Himmelst[h]ron.

 

                                    Christ ist erstanden!

                                    Tönt’s fern und nah.

                                    Christ ist erstanden!

                                    Hallelujah!

Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, ZNA 01/0204 (Lesebuch für das dritte Schuljahr der Primarschulen des Kantons St.Gallen, hg. vom Erziehungsrat, Gossau 1916) und W 238/02.14-06 (Ansichtskarte von Rheineck, herausgegeben bei Gebr. Metz, Basel)

Dienstag, 14. März 1916 – Schweizer Examen in Fratte di Salerno

In Fratte di Salerno bei Neapel befand sich seit dem 19. Jahrhundert eine bedeutende, von Schweizern aufgebaute Textilindustrie. Zu den führenden Unternehmern zählten die Familien Wenner, Vonwiller, Züblin und Andreae von St.Gallen sowie Schlaepfer aus Rehetobel AR. Die Ausgewanderten bildeten eine eigene Kolonie und hatten sich organisatorisch in der sogenannten Fremdengemeinde Fratte zusammengeschlossen, die sich neben Freizeitaktivitäten vor allem um die Schulbildung der Unternehmerkinder und religiöse Belange kümmerte.

IV. Sitzung des Komite der Fremdengemeinde in Fratte di Salerno, Dienstag, den 14. März 1916, abends 6 Uhr auf dem Bureau der Herren Schlaepfer Wenner & Co. bei Anwesenheit aller 5 Mitglieder.

1.) Herr Schlaepfer begrüsst zuerst der neugewählte [sic] Schriftführer und verliest hierauf das Protokoll der III. Komite-Sitzung [sic] vom 7. Januar 1916 & ersucht alsdann Herrn Wenner dasjenige der ausserordentlichen Generalversammlung vom 6. Februar 1916 zu verlesen. Beide Protokolle werden gutgeheissen.

2.) Die Gratifikationen an die Lehrkräfte für das zu Ende gehende Schuhljahr [sic] 1915/16 werden wie folgt bestimmt: Frl. Brühlmann: Lit. 100.- wie letztes Jahr da ihr bereits in diesem Jahre d.h. für 1916/17 eine Gehaltserhöhung von L. 200.- laut Beschluss der ausserordentlichen Generalversammlung vom 6. Februar a.c. zugesprochen wurde. Herr Manser soll Lit. 150.- erhalten, ohne Gehaltsaufbesserung.

3.) Examen: Herr Schlaepfer schlägt vor[,] die Examen auf Samstag & Sonntag, den 15./16. April 1916 festzusetzen und zwar:

Samstag, 15. April von 9-11 Uhr vorm. Frl. Brühlmann

Sonntag, 16. April von 8 1/2-12 Uhr vorm. Herr Manser,

mit welchem Vorschlag sich die übrigen Mitglieder einverstanden erklären. Herr Wenner wird beauftragt, sich mit den Lehrern bezüglich des näheren Programms der Examen in’s Einvernehmen zu setzen.

4.) Die üblichen auf die Examen folgenden Ferien sollen Montag, den 17. April beginnen und bis zu Anfang des neuen Schuljahres d.h. Montag, den 1. Mai dauern.

5.) […]

6.) Herr Wenner erkundigt sich noch, ob die sr. Zt. von Herrn E. Ludwig vorgeschlagenen Reparaturen auf dem Friedhof ausgeführt wurden, worauf Herr Stüssi erklärt, dass das eiserne Eingangstor angestrichen wurde. Dagegen sind die zerfallenen Grabkreuze noch nicht durch neue ersetzt worden. Herr Schlaepfer & Herr Stüssi werden sich demnächst an Ort & Stelle begeben, zur weiterer [sic] Besprechung dieser Frage.

Schluss der Sitzung abends 6 ½ Uhr.

Die Schaffhauserin Marie Brühlmann war als Unterstufenlehrerin von 1914 bis zur Auflösung der Schweizerschule in Salerno 1921 tätig. Sie unterrichtete die erste bis vierte, später die erste bis sechste Klasse. Ausserdem erteilte sie Handarbeitsunterricht. Der Sekundarlehrer Hans Manser, laut Eigenaussagen ein liberaler Katholik (vgl. StASG, W 054/4.15), stammte aus St.Gallen. Er war für die fünfte bis neunte Klasse zuständig und von 1915 bis 1920 angestellt.

Quellen: StASG, W 054/21.1 (Auszug aus dem Vorstandsprotokoll der Fremdengemeinde in Fratte) und W 054/29.8 (Maskenball der Fremdengemeinde Salerno um 1910)

Montag, 13. März 1916 – Ein Jugendlicher muss mit anpacken

13. März 1916.

An den evang. Schulrat in Tablat.

Tit.!

Mit Schreiben vom 2. dies. empfehlen Sie zur Entsprechung ein Gesuch der Frau Hagen, Langgasse, um vorzeitige Schulentlassung des Knaben Kurt Hagen, Schüler der 7. Klasse, bei Lehrer Roduner, in der Gerhalde. Zur Begündung des Gesuches führen Sie an, der betr. Familienvater habe die Frau Hagen mit 8 Kindern böswillig verlassen und sich angeblich mit einer Weibsperson davon gemacht.

Die Kinder stehen im Alter von 20, 15, 14, 9, 8, 7, 5 u. 3 Jahren. Der älteste Sohn stehe z.Zt. in deutschen Kriegsdiensten und liege im Lazaret [sic] in München. An Unterstützung erhalte die Familie monatlich nur 90 Fr., wovon jeden Monat für Hauszins 30 Fr. abgehen. Der Knabe Kurt Hagen sei geb. den 22. Jan. 1902; es biete sich nun für ihn eine günstige Anstellung bei Selig u. Cie., mit 14 Fr. Wochenlohn.

Auf Antrag des Bezirksschulratspräsidenten von Tablat und in Betracht der traurigen Lage dieser fremden Familie, haben wir als Ausnahme beschlossen, die gewünschte Entlassung zu bewilligen.

Hochachtend,

Im Namen der Erziehungs-Kommission,

Der Präsident:                                      Der Sekretär:

Scherrer [Unterschrift]                         D. Dütschler [Unterschrift]

 

Selig im Adressbuch

Quellen: StASG, KA R.130 B 2 (Copie des lettres, Schreiben des Erziehungsrates betreffend eines Schulentlassungsgesuchs), Adressbuch der Stadt St.Gallen von 1916