Sonntag, 23. Januar 1916 – Ein Schweizerwappen-Tattoo am Vorderarm und Narben am Handgelenk

Der Direktor der Strafanstalt St.Jakob in St.Gallen hielt in den sogenannten Stammbüchern neben einem allgemeinen Signalement, den Vermögensverhältnissen, dem Gesundheitszustand und der Art des Verbrechens u.a. auch die Lebensgeschichte eines jeden Inhaftierten fest. Der vorliegende Fall betraf einen Mann, der am 24. Juli 1914 in das Gefängnis eingetreten war und am 23. Januar 1916 austreten konnte. Er war wegen Raubes verurteilt. Der Eintrag im Stammbuch weist eine Reihe von besonderen Kennzeichen auf, so unter anderem eine grosse Narbe am linken Handgelenk und ein tätowiertes Schweizerwappen am linken Vorderarm:

Leg. [legitim, d.h. ehelich] geboren, den 2. März 1893 in Montlingen, wo seine Eltern […], Sticker & […] noch wohnen. Er hat 3 Brüder & 4 Schwestern, alle 7 ledig. Die Erziehung sei recht gewesen.

Nachdem er die Primarschule in Montlingen mit ordentlichem Erfolg besucht hatte, ging er bis zum 17. Jahr in eine Ziegelei, erlernte dann beim Vater das Sticken, das er aber nach einem Jahre wieder aufsteckte & arbeitete seither als Taglöhner beim Rheindurchstich. 1913 passierte er die Infanterierekrutenschule in St.Gallen & am 31. Mai 1914 wurde er in Montlingen verhaftet.

Von der Polizeikommission Gossau ist er am 8. August 1911 wegen Ruhestörung & Rauferei mit 20 Fr. gebüsst worden; sonst weiss das Leumundszeugnis von Oberriet nichts Nachteiliges über ihn zu berichten.

Vorstrafen: keine.

Ankage: Samstag, den 30. Mai a.c. nachts zwischen 11 & 12 Uhr wurde der Pflästerermeister […] auf dem Wege von Krieseren [Kriessern] nach Montlingen das Opfer eines Raubüberfalles.

Der deshalb in Verdacht gekommene […] gestand schon im 2. Verhör, dass er jenen, den er zuvor im „Sternen“ in Krieseren in angetrunkenem Zustande gesehen hatte, in Beraubungsabsicht mit seinem Velo zu Boden gefahren, mit einigen Faustschlägen an den Kopf traktiert & geknebelt zu haben, wobei, bezw. worauf er ihn seines gesamten Tascheninhaltes beraubte.

Dieser bestand aus einer Barschaft von mindestens 214 Fr. 75, aus einem 2 Fr. wertigen Taschenmesser, aus 4 Schlüsseln im Werte von 5 Fr., 2 neuen Taschenbüchlein (Wert 2 Fr.) & einem Retourbillet [sic] St.Gallen-Altstätten (Restwert 2 Fr. 60). Von dem somit 226 Fr. 35 ausmachenden Gesamtdeliktsbetrag konnten dem Geschädigten 204 Fr. 75 in bar zurückgegeben werden. Messer[,] Schlüssel etc. will der Beklagte in den Kanal geworfen haben.

Obschon derselbe wegen Rauferei mit einer Geldbusse belegt wurde, fällt mildernd in Betracht, dass er im übrigen bisher gut beleumdet war & auch die Tat rasch gestanden hat, dass der Schaden zum grossen Teil gedeckt & für den Restbetrag anerkannt ist, sowie der Umstand, dass der Raubüberfall infolge der Trunkenheit des Geschädigten leicht durchzuführen war.

Verhandlung des Kantonsgerichts, den 23. Juli 1914 & Verurteilung […], als des Raubes schuldig, in Anwendung von Art. 66 Ziff. 2, 35 & 36 Str. G. zu einer

Zuchthausstrafe von anderthalb Jahren.

Einträge im Stammbuch der Strafanstalt St.Jakob
Einträge im Stammbuch der Strafanstalt St.Jakob

Im Stammbuch wurde auch das Betragen während der Haft festgehalten. Der Verurteilte wurde in der Schusterei beschäftigt. Arbeitsleistung und Betragen seien befriedigend gewesen.

Quelle: Staatsarchiv St.Gallen, KA R.86 B 5, Band 1912-1919

Donnerstag, 20. Januar 1916 – Lebenslauf und Straftat einer Zuchthausinsassin

Der Direktor der Strafanstalt St.Jakob in St.Gallen hielt in den sogenannten Stammbüchern neben einem allgemeinen Signalement, den Vermögensverhältnissen, dem Gesundheitszustand und der Art des Verbrechens u.a. auch die Lebensgeschichte einer jeden Inhaftierten fest. Der vorliegende Fall betraf eine Frau, die am 15. Juni 1916 in das Gefängnis eingetreten war und am 10. Juni 1918 austreten konnte. Sie war verurteilt wegen fortgesetztem Betrug im Rückfall. Eine dieser Straftaten hatte sie an 20. Januar 1916 begangen:

Leg. [legitim, d.h. ehelich] geboren, den 19. Sept. 1883 in Walzenhausen. Der Vater […], Landwirt befindet sich seit 2 Jahren im Armenhaus in Oberegg; die Mutter […] ist 1911 gestorben.

Sie hat einen verheirateten Bruder & eine ledige Schwester (Nr. 169), sei recht erzogen worden & besuchte die Primarschule in Sulzbach-Oberegg mit ordentlichem Erfolg.

Bis zu ihrer 1905 erfolgten Verehelichung blieb sie bei den Eltern, führte mit ihnen die Wirtschaft z. „Löwen“ in Oberegg & betätigte sich nebenbei auch mit Ausschneiden.

Dann zog sie nach Reute A.R., wo ihr Mann als Seidenweber arbeitete & sie die Ferggerei betrieb & 1913 siedelten sie nach Heiden über. Im Dezember gl. J. sah sie sich veranlasst zu fliehen & begab sich deshalb mit dem Manne nach Italien zu dessen Eltern.

Am 27. März 1914 in Lustenau inhaftiert, wurde sie nach Abbüssung ihrer Strafe in Feldkirch ausgeliefert und hatte dann ein Jahr Gefängnis in Trogen & unter dem Namen […], geschiedene […] (No.362) drei Monate Arbeitshaus hier zu bestehen.

Von St.Gallen (Austritt 27. Dezbr. 1915) kam sie in Strafuntersuchung nach Chur, wurde aber am 16. Jan. auf freien Fuss gesetzt, kehrte von dort zurück & trieb sich ohne bestimmten Wohnsitz in St.Margret[h]en, Heiden & im hiesigen Stadtgebiet herum. Angeblich wegen eines Blasenleiden[s] liess sie sich am 28. gl. Mts. in das Kantonsspital aufnehmen & dort erfolgte am 1. Febr. 1916 ihre Verhaftung.

Der Ehe mit […] entstammen 3 Kinder, von denen noch 2 Knaben im Alter von 9 & 2¼ Jahren am Leben sind; der ältere ist bei einer Schwägerin in Italien & der jüngere wurde von einer Drittperson in Trogen aufgenommen.

Nach der Rückkehr aus der Heimat hielt sich ihr Mann, mit dem sie recht gelebt haben will, im Tirol auf, wo er nach Ausbruch des Krieges zwischen Italien & Österreich interniert wurde, so dass sie seit 1914 getrennt leben.

Das Leumundszeugnis lautet ungünstig; sie wird als eine freche, äusserst verlogene Person geschildert. Nach der Verurteilung trat sie die Strafe nicht an, sondern reichte ein Kassationsbegehren ein, zog dasselbe aber zurück und fasste ein Revisionsgesuch ab, das jedoch am 10. d. Mts. vom Kantonsgericht abgewiesen wurde.

Vorstrafen: [diverse, u.a. wegen Diebstahl, Fälschung einer Privaturkunde, Betrug]

Anklage:

1. Am 12. Jan. 1916 erhielt die Inkulpatin auf ihr Verlangen von Stickfabrikant Rechsteiner in Rheineck 12 Paar Vorhänge im Werte von 82 Fr. zum Ausschneiden mit der Weisung, die Hälfte schon folgenden Tages zurückzuliefern. Diese 6 Paare erhielt er am 13. per Post zugestellt, jedoch unausgeschnitten & am 14. Jan. teilte sie ihm per Postkarte mit, dass er die andern 6 Paare am Dienstag (den 18. Jan.) erhalten werde, wenn nicht, könne er deren Wert am 20. Jan. per Einzugsman[d?]at an ihre Adresse „Weisses Kreuz“ in Chur erheben. Ganz zufällig entdeckte er gleichen Tages (14. Jan.) diese Vorhänge bei Frau […], gesch. […] in St.Margret[h]en, welche sie um 20 Fr. von der Beklagten gekauft hatte. Diese war damals gar nict tin Chur, sondern in Rorschach & hatte nur beabsichtigt, Zeit zu gewinnen. Rechsteiner nahm die Ware zu Handen & erlitt somit keinen Schaden.

2. Von Stickerfergger Karl Dörig erhob sie am 20. gl. Mts., sich der Angestellten Johanna Dell gegenüber 2mal als Frau […], Signalstr. 12, Rorschach ausgebend, in betrügerischer Weise Nachstickware für 201 Fr., die sie gleichen Tages in St.Gallen an Ramschhändler Abr. Heimberg für 70 Fr. verkaufte. Dieser gab Dörig Ware für 131 Fr. kostenlos heraus; der Rest war nicht mehr aufzufinden.

3. In ähnlicher Weise (angebl. Ausschneiderei in St.Margret[h]en) wusste sie am 14. bezw. 15. gl. Mts. bei Kirchgraber in St.Gallen, der sich am 18. auf die Suche machte & die Betrügerin in der „Krone“ daselbst erwischte, 4 Rideaux & 2 Brise-Bises [Scheibengardine] zu ergattern. Von der auf 160 Fr. gewerteten Warte hatte sie Stempel & Nummern bereits weggeschnitten; ein 50 Fr. wertiges Rideaux, das sie an die genannte Frau Stärkle verkauft hatte, fehlte; Kirchgraber bekam auch dieses kostenlos zurück.

4. Als „Frau […], Rorsch’strasse 52“ erschwindelte die Angeklagte am 24. Jan. bei Frau Valentini[,] Langgasse 87 „zum Ausschneiden“ 4 Sticketen im Werte von 179 Fr. 41 [Rp.], über deren Verwendung bezw. Verbleib sie jede Auskunft verweigert.

5. Am 27. gl. Mts. bezog sie unter falschem Namen von Frau Zimmermann-Schweikert, Birkenstr. 13 vier Sticketen im Wert von 170 Fr., die sie unverzüglich, ohne dass ein bleibender Schaden entstand, an Ramschhändler David Kaufmann in St.Gallen für 44 Fr. veräusserte. Ihr Alibibeweis, im „Schwanen“ gewesen zu sein, ist misslungen.

6. In gleicher Weise bekam sie an demselben Tage von Frau Hurter-Fisch, Zentralstrasse 8, Lachen-Vonwil 7 Sticketen im Werte von 152 Fr., die spurlos verschwunden sind. Der Gesamtdeliktsbetrag beziffert sich auf 903 Fr. 41 [Rp.] & der Schadensbetrag auf 401 Fr. 41 [Rp.].

Straferschwerend wirken die mehrfache rasche Rückfälligkeit & das hartnäckige, freche Leugnen.

Verhandlung des Kantonsgerichts, am 3. Mai 1916 & Verurteilung der […], als des fortgesetzten Betruges im Rückfall schuldig, gemäss Art. 68, bezw. 56 Ziff. 4, 37, 39, 35 & 13 Str.G. zu einer

Zuchthausstrafe von zwei Jahren &

zu 5 Jahren Kantonsverweisung.

Nachbemerkung: Die Verurteilte wurde während der Haftzeit zu verschiedenen Disziplinarstrafen verurteilt, so u.a. am 16. Dezember 1916 zu zwei Tagen scharfem Arrest wegen fortgesetzten Brechens des Stillschweigens (Gefangene durften nicht mit ihren Mithäftlingen sprechen). Ebenfalls scharfen Arrest erhielt sie 1917 wegen Korrespondenz (sechs Tage) und schlechten Betragens (zwei Tage).

Im Text ist von der Schwester der Verurteilten die Rede, welche Nr. 169 sei. Alle Häftlinge erhielten bei ihrem Eintritt in die Strafanstalt eine fortlaufende Nummer, mit der sie anstelle des Namens auch angesprochen wurden. Die Inhaftierte trug die Nummer 175.

Quelle: Staatsarchiv St.Gallen, KA R.86 B 5, Band 1912-1919

Samstag, 1. Januar 1916 – Tanz und Vergnügen in den Wirtschaften, willkommene Gelegenheit für Einbrecher

Einbruch.

In der Goliathgasse [in St.Gallen] fand am Neujahrsabend ein Einbruchdiebstahl statt, wobei dem Diebe 15,000 Fr. an Wertpapieren und 2000 Fr. bar in die Hände fielen. Die betreffende Familie war ausgegangen, und als sie zurückkehrte, begegnete ihr der Dieb mit einer Kassette unter dem Arm im Hausgange. Nichts Böses ahnend, liess man denselben passieren; aber als die Leute zur Wohnung kamen, fanden sie die Türe und den Sekretär erbrochen. Das Signalement des Diebes konnte ziemlich genau festgestellt werden, und schon nach einer Stunde war der Dieb mit dem vollständigen Raube in St.Fiden verhaftet. Der Verhaftete, ein Wipf aus dem Kanton Zürich, ist ein mehrfach vorbestraftes Individuum.

Anzeigen in der Rorschacher Zeitung vom 31. Dezember 1915

Anzeigen aus der Rorschacher Zeitung vom 31. Dezember 1915.

Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, P 907 (Text, 03.01.1916, Abendblatt, S. 2) und P 913 (Abbildungen, 31.12.1915)