Sonntag, 26. November 1916 – Mit vereinten Kräften gegen den Alkoholismus

In der Schweiz besitzt der Bund das Alkoholmonopol, d.h. er erhebt Steuern auf alkoholische Getränke. Aus dem Reinertrag der eidgenössischen Alkoholverwaltung fliessen seit der Einführung Ende des 19. Jahrhunderts pro Jahr 10% (sog. Alkoholzehntel) in die Bekämpfung des Alkoholismus. Die Verteilung der Gelder obliegt seit Anfang den Kantonen. Auch die Abstinenzvereine wie das Blaue Kreuz profitierten davon. Heute werden die Beträge allgemeiner „zur Bekämpfung der Ursachen und Wirkungen von Suchtproblemen“ eingesetzt.

Zur Mitgliederwerbung setzten verschiedene Abstinenzvereine, darunter auch das Blaue Kreuz, sogenannte Agenten oder Agentinnen ein. Ihnen war auch die Öffentlichkeitsarbeit für die Anliegen des Vereins übertragen.

[…]

Referat von Herrn Agent Ammann

Der Vereinsleiter im Verkehr mit den Behörden.

Einleitend bemerkte Herr Ammann, dass dies eine etwas heikle, aber doch sehr wichtige Sache sei, wie er solches während seiner 17jährigen Praxis als Vereinsagent schon zur Genüge habe erfahren können.

Dann stellte er die beiden Fragen auf:

1) Wie ist das Verhältnis zwischen Vereinsleiter & Behörde?

2) Wie kann der Vereinsleiter am meisten Erfolg erzielen?

Zur Frage 1 erklärte er, das Verhältnis müsse ein gutes ein. Wo dies nicht der Fall sei, so solle der Fehler gut gemacht werden. Die Behörden können nicht anders, als dem Blauen Kreuz Sympathie entgegenbringen, & zwar ganz besonders dann, wenn sich richtig gerettete Trinker im Verein befinden. Es sollen ja nicht etwa Zeitungsschreibereien oder Schimpferereien [sic] gegen die Behörden betrieben werden. Sowohl im Toggenburg als auch in Flums habe sich der Gemeinderat schon wiederholt an das Blaue Kreuz gewendet; ebenso sei dasselbe speziell auch im Kanton Thurgau sowohl von den Behörden als von der ganzen Bevölkerung sehr geachtet. Desgleichen habe auch bei den hiesigen Stadtbehörden [von St.Gallen] schon sehr viel erreicht werden können. Manchmal mache man den Behörden auch ganz ungerechte Vorwürfe; dieselben seien eben an die Gesetze gebunden. – Ferner erinnerte Herr Ammann auch an den fast spielend erhaltenen separaten Beitrag von Fr. 1500.- aus dem Alkoholzehntel für die Sekretariate bezw. Agenten, wovon unserem Verband bekanntlich Fr. 1200.- zufliessen. Schwieriger stehe es allerdings manchenorts bei den Kirchenbehörden, & zwar hauptsächlich wegen der vermeintlichen „Stündelei“ & dem befürchteten Wegzug der Leute aus der Landeskirche. Aber auch da hange es meistens nur von den Vereinsleitern ab, ob sie mit den Behörden richtig verkehren können.

Herr Pestalozzi verdankte die trefflichen Ausführungen des Herrn Ammann bestens & eröffnete auch hierüber die allgemeine Diskussion. Dieselbe wurde benützt von den Herren Rued, Zahnarzt Halter, Gassner, Weber & Hörler, & zwar durchwegs in zustimmendem Sinne zu den Ausführungen des Referenten. Sodann fügte Herr Pfarrer Pestalozzi noch bei, dass in der letzten Sitzung der Trinkerfürsorgestelle auch die Polizeibehörde vertreten gewesen sei; ferner erinnerte er speziell auch noch an das stets sehr freundliche Entgegenkommen des frühern Polizeidirektors, Herr[n] Zuppinger. Ebenso seien uns auch die Kirchenbehörden & der Regierungsrat sehr sympathisch gesinnt. Während man früher fast mit Verachtung auf uns herabschaute, sei jetzt doch schon längst ein gewaltiger Umschwung eingetreten, was sich insbesondere auch beim Bau unseres Vereinshauses erzeigt habe.

Zum Schluss machte der Aktuar auch noch darauf aufmerksam, dass die Bekämpfung des Alkoholismus kürzlich sogar auch auf das offizielle Programm der freisinnig-demokratischen Partei von Gross-St.Gallen gesetzt worden sei.

[…]

Schülergruppe

Schülergruppe vor dem Eingang zum Schäflegarten in Rorschach, um 1910. In der Mitte (mit Glatze): Vikar August Schönenberger.

Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, 091 (Blaues Kreuz, Auszug aus dem Protokoll der ersten Vereinsleiterkonferenz) sowie ZMH 61/072 (Visitenkarte) und ZOF 001/03 (Foto)

Sonntag, 22. Oktober 1916 – Öffentliche und geheime Laster

Protokol[l] der Monatsversammlung[,] abgehalten am 22. Okt. Anwesend waren 24 Personen.

Presitent [sic] Umlandt eröffnete die Versammlung mit Lied Nr. 118. Unser Referent Freund Kläger ver[r]ichtete dann mit uns das Gebet. Der Redner übernahm dan[n] das Wort, indem er seine Betrachtung an die Epistel des Paulus an die Galater im 5 Kap. Vers 1 und 14bis und mit 22. knüpfte. Freund Kläeger [sic] ermahnte uns mit herrlichen Worten festzustehen an dem Werk des Bl. Kreuzes. Wer einmal das Ret[t]ungsseil ergriffen hat[,] der soll es nicht wieder loslassen, denn man hat schlechte Erfahrung gemacht, wenn jemand längere Zeit im Bl. Kreuz war und er wieder fällt, so kommt er gewöhnlich noch ärger in die Knechtschaft, aber wollen wier [sic], die wir hier sind und befreit sind von dem Laster, uns unserer Freiheit freu[e]n; und danken demjenigen, der uns alle befreit hat, unser[e]m Herrn Jesu Christi. Es ist schad[e], dass die Leute es immer nicht glauben wollen, wen[n] nur diejenigen hier in Altstätten[,] die das Ret[t]ungsseil schon einmal ergriffen hatten[,] sich daran festgeklammert hätten, sie hätten nicht Platz hier in diesem Lokal, aber sie wollen nichtz [sic] opfern. Jesu gab sein Leben für uns, aber die Leute tun nichts für ihn, lieber Sterben [sic], als nur eines ihrer Laster, das sie doch nur unglücklich macht[,] zu entsagen. Wen[n] ein Mann nur das Rauchen oder eine Frau das schnupfen [sic, von Tabak] abgeben sollte, so bekommt man immer die Antwort, lieber Sterben [sic]. Das sind öffentliche Laster, aber die geheimen Laster sind schwer zu bezwingen. Die bezwingt niemand, ohne dass er Gott um Kraft und Beistand bittet. Ein Pra[h]ler[,] der meint[,] ohne Gott seine Laster bekämpfen zu können, der wird nie ein freier Man[n], denn nur der, der sich demüdigt [sic] und zum Kreuz geht, nur der wird richtig frei, denn wenn deine Sünden Blutroht [sic] sind, so sollen sie doch schneeweiss werden, aber offenbar sind die Werke des Fleisches, als da sind Ehebruche, Hurerei, Unreinigkeit [sic], Unzucht, Abgötterei, Zauberei, Feindschaft, Hader, Neid, Zorn, Zank, Zwi[e]tracht, Hass, Mord, Saufen, Fressen und dergleichen. Der Redner schloss dan[n] sein Refarat [sic,] indem er noch hienwies [sic] auf die Worte[,] die geschrieben steh[e]n, im Matäus [Matthäus] Kap. 24 Vers 13[:] Wer aber behar[r]et bis ans Ende, der wird selig.

Nun wurde das Lied Nr. 58 gesungen, dan[n] folgte die Diskus[s]ion[,] welche nicht stark benutzt wurde, dann nachher wurde ein Freund als Mitglied aufgenommen, und zum Schluss wurde das Acktiv Aufnahmslied [sic] Nr. 154 gesungen. Herrn Kläger sprach mit uns noch das Schlussgebet.

Der Presitent                             Der Aktuar

[Unterschrift fehlt]                      S. Schau

Die Antialkoholbewegung um die Jahrhundertwende war stark verzweigt. Das Blaue Kreuz, das zu den mitgliederstärksten Teilen gehörte, kümmerte sich vorwiegend um ehemalige (meist männliche) Trinker und ihre Familien. Geleitet wurden diese Vereine oft von evangelischen Pfarrern.

Lied Nr. 118 im Gesangbuch für die evangelische Kirche der Kantone Glarus, Graubünden, St.Gallen und Thurgau, Ausgabe für den Kanton St.Gallen (gedruckt in Frauenfeld 1911) begann so: Komm zu uns, Gottes guter Geist, schaff‘ Deiner Menschen Herzen neu! Der Text stammte von C. F. Neander (geboren 1723).

Schmolke (geboren 1672) und Kist (geboren 1607) hatten den Text für das Lied Nr. 58 gedichtet. Es war nach der Melodie von Nr. 48 (Thut mir auf die schöne Pforte) zu singen und eigentlich ein Adventslied. Sein Anfang lautete: Werde Licht, du Volk der Heiden! Werde Licht, Jerusalem! Dir geht auf ein Glanz der Freuden Vom geringen Bethlehem.

Lied Nr. 154 gehörte zu den Abendmahlsliedern, war zu singen nach der Melodie von Nr. 20 (Womit soll ich dich wohl loben): Danket, danket Gott mit Freuden, Danket ihm mit Herz und Mund! Macht die grossen Seligkeiten Dieses heil’gen Mahles kund, Was der Herr für Gnade schenket, Da er selbst und speist und tränket! Dankt ihm nun und immerdar, Dass er uns so freundlich war! Der Text stammte von N. Kaiser (geboren 1734).

Quelle: Staatsarchiv St.Gallen, Wy 091 (Blaues Kreuz, Sektion Altstätten, Vereinsversammlung)

Sonntag, 27. August 1916 – Sonntagsspaziergang des Blauen Kreuzes nach Eichberg

Protokol[l]

Vom Son[n]tag[,] den 27. August 1916.

Da unser Schwesterverein Eichberg eine Versammlung veranstaltet hatte, in der Herr Ammann referieren sollte, hatten wier [sic] uns entschlossen[,] derselben beizuwohnen.

Um 2 Uhr gings von Altstätten ab, ein schönes Trübchen [„es schöns Trübeli“, eine schöne Schar oder Gruppe] hatte sich zusammen gefunden[,] cirka 16 an der Zahl[;] dazu gesellte sich noch Herrn Tobler von Rebstein mit seiner Familie, um 3 Uhr waren wier im Eichberg im Schulhaus. Leider wurde von dort die Versammlung schwach besucht. Herr Künzler eröffnete die Versammlung[,] indem er uns begrüsste und über den anderweitigen schwachen Besuch sein betauern [sic] aus[s]prach. Hernach wurde gebetet[,] dann ein Lied gesungen. Der Presitent [sic] erteilte Herrn Amman[n] das Wort, der dann in vortrefflichen Worten den Feind innerhalb der Schweizergrenze [gemeint ist der Alkohol] schilderte. Nach diesem sehr wichtigen Referat, wurde wieder ein Lied gesungen, wonach dan[n] eine sehr rege Diskus[s]ion folgte. Es wurde gegenseitig der Wunsch ausgesprochen, dass die beiden Vereine mehr zusammen arbeiten sollten[.] Der Presitent verdankte den Anwesenden sein erscheinen und schloss die schöne Versammlung mit Lied und Gebet. Nun wurde der Heimweg angetretten [sic], der im raschen Tempo vollzogen wurde, da uns regen [sic] drohte.

Der Presitent                             Der Aktuar

[Unterschrift fehlt]                      S. Schau

Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, Wy 091 (Blaues Kreuz, Sektion Altstätten, Vereinsversammlung) und ZMC 03/09.01 (Bild des Primarschulhauses in Eichberg, wo die Versammlung des Blauen Kreuzes stattfand, undatiert)

Montag, 1. Mai 1916 – Schulfreie Nachmittage: Ausmärsche und Studiengänge für Knaben, Erho-lung und Hausarbeit für Mädchen

Schreiben des Erziehungsrates an den Schulrat in Rorschach:

1. Mai 1916.

[An] den Schulrat in Rorschach.

Tit.!

Sie haben die Beobachtung gemacht, dass Ihre schulpflichtige Jugend durch Teilnahme an Vereinen zum Schaden des Schulunterrichts zu sehr in Anspruch genommen ist und leisten darüber den Nachweis.

Auf Grund eines bezirksschulrätiglichen Gutachtens haben wir in unserer heutigen Sitzung folgendes beschlossen:

1.) Es ist den Primar- und Sekundarschülern untersagt, Vereinen aktiv anzugehören, die ihre Sitzungen, Proben, Versammlungen und Produktionen zur Sommerszeit nach 8 Uhr abends, zur Winterszeit nach 7 Uhr abends, abhalten.

2.) Sekundarschüler dürfen keinem sogenannten Sport-Verein angehören und neben dem fremdsprachlichen Unterricht der Sekundarschule keine sog. Sprachkurse, die von Vereinen abgehalten werden, besuchen.

Hochachtend,

Im Namen des Erziehungsrates,

Der Präsident:                                                                               Der Sekretär:

Scherrer [Unterschrift]                                                                 D. Dietsche [Unterschrift]

Mit gleichem Datum ging ein weiteres Schreiben an den Schulrat in Rorschach, in dem probeweise eine andere Lektionsdauer an der Sekundarschule bewilligt wurde – mit unterschiedlichen Konsequenzen für Schüler und Schülerinnen:

[…]

1. An der Sekundarschule Rorschach wird vom Beginn des Schuljahres 1916/17 an versuchsweise an 2 Vormittagen, Donnerstag und Samstag, der 45 Minutenbetrieb eingeführt, so dass den Schülern in der Woche ein zweiter, von den gewöhnlichen Schulstunden freien Nachm. zufällt.

2. Damit dieser 2. freie Nachmittag nicht missbräuchlich verwendet wird, werden von der Lehrerschaft mit den Knaben Ausmärsche, Studiengänge, Werkstatt– u. Museumsbesuche[,] Schwimmübungen etc. gemacht oder aber auch Wegleitung zur Lösung von Hausarbeiten erteilt.

3. Den Mädchen sollen die beiden freien Nachmittage zur Erholung u. zur Lösung von Hausaufgaben sowie hauswirtschaftl. Arbeit dienen.

Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, KA R.130 B 2 (Copie des lettres) und CK 13 A 4.4-1.06 (Frauen der Familie Bischof, Rorschacherberg, mit Kindern bei häuslichen Arbeiten (zwischen ca. 1910 und 1918))