Donnerstag, 31. August 1916 – Holznutzung in Kriegszeiten, und: Landwirte, pflanzet Nussbäume!

Neben Kohle diente Holz während des Ersten Weltkriegs als Hauptfeuerungsmittel zum Kochen und Heizen. Holz wurde aber beispielsweise auch zur Papierherstellung oder im Baugewerbe in grossem Ausmass verwendet. Schutzinteressen (der Regierungsrat spricht in seinem Kreisschreiben unten von ‚wirklichem Naturschutz und edelstem Heimatschutz‘) und Waldpflege standen vermehrtem Abholzen entgegen.

Kreisschreiben des Volkswirtschaftsdepartements des Kts. St.Gallen an die Waldbesitzer und das Forstpersonal betreffend ausserordentliche Holznutzung und Wiederanpflanzung.

Vom 31. August 1916.

Die ausserordentlichen Zeitverhältnisse stellen auch an den Wald fortgesetzt ausserordentliche Forderungen. Um einem allfälligen Holzmangel sowohl wie unerschwinglichen Holzpreisen zu begegnen, ist es unerlässlich, dass dem Bedarf durch Bereitstellung ausreichender Mengen Holz, und zwar Brennholz, wie Papierholz, Bauholz usw., stetsfort genügt wird. Das Forstpersonal wird daher wiederholt angewiesen, bei den erforderlichen Schlaganweisungen bestmögliches Entgegenkommen zu erweisen. Wo es sich um Waldungen handelt, deren jährliches Nutzungsquantum durch Wirtschaftspläne geregelt ist, wird der Regierungsrat von der gesetzlichen Befugnis, ausserordentliche Nutzungen zu bewilligen, – soweit wenigstens schlagreifes Holz in Frage steht, – in dieser Zeit gerne ausgiebigen Gebrauche machen. Indessen ist es wohl selbstverständlich, dass auch bei den derzeitigen vermehrten Nutzungen nach streng forstwirtschaftlichen Gesichtspunkten vorgegangen werden muss, indem nur schlagreife Holzbestände dem gesteigerten Bedarf geopfert werden sollen.

Wo solches Holz in einer den ordentlichen Abgabesatz übersteigenden Menge vorhanden ist, sollen die betreffenden Waldbesitzer (Orts- oder Korporationsverwaltungen) durch den Bezirksförster die regierungsrätliche Übernutzungsbewilligung nachsuchen und mit dem ausserordentlichen Erlöse allfällige Schulden amortisieren oder besondere forstwirtschaftliche Verbesserungen (wie notwendige Abfuhrwege, Entwässerungen, Aufforstungen usw.) ausführen.

Dass die unverzügliche, forstgerechte Wiederbepflanzung abgeholzter Waldbestände eintreten und der Waldkultur selbst die sorgsamste Pflege zugewendet werden muss, ist wohl für jeden einsichtigen Waldbesitzer eine selbstverständliche Pflicht. Allein nicht bloss der Wiederbepflanzung, die der Erhaltung des bisherigen Waldareals dient, sondern auch der Neuaufforstung zur Waldvermehrung muss überall die grösste Aufmerksamkeit geschenkt werden. Jegliches Oedland soll, soweit es nicht in Kulturland übergeführt werden kann, mit geeigneten Holzarten bepflanzt und in Wald umgewandelt werden. Dem Forstpersonal erwächst die dankbare Pflicht, nach dieser Richtung noch mehr als bisanhin [sic], initiativ und anregend zu wirken.

Ganz besondere Beachtung verdienen zurzeit aber auch die vielerorts rückständigen Durchforstungen, die einerseits im Interesse des Waldes durchgeführt werden und anderseits noch sehr viel Papier- und Brennholz liefern können.

Ausser dem Wald bedürfen im weitern auch einzelne Baumarten, deren Erhaltung ihres wertvollen Holzes wegen sehr gefährdet ist, so namentlich Nussbäume, aber auch Eichen, Ahorne, Eschen usw. noch eines besonderen Schutzes. Auf derartige Bäume ist in den letzten Jahren eine förmliche Jagd gemacht worden, der leider viele dieser Zierden der Landschaft zum Opfer gefallen sind. Da gilt es nun, durch Neupflanzung von Nussbäumen, wie andern Hochstämmen, die als Nutz- und Schutzbäume dienen können, den Schaden so gut als möglich wieder auszubessern. Jeder Waldbesitzer, wie Bodenbesitzer überhaupt, sollte es sich als Ehrenpflicht anrechnen, auf geeigneten Standorten auch wieder Nussbäume und dergleichen zu pflanzen. Und wenn es sich da oder dort noch um die Erhaltung eines schönen Baumes oder einer Baumgruppe als Naturdenkmal handelt, seien die zuständigen Gemeindebehörden an die gesetzliche Handhabe erinnert, die Art. 702 ZGB und Art. 154/155 EG ihnen bieten.

Es ist eben nicht zu verkennen, dass die Erhaltung und die Vermehrung der Waldungen, wie einzelner Baumtypen, wirklichen Naturschutz und edelsten Heimatschutz bedeutet, der dem Lande zum Nutzen und dem Besitzer überdies zur Ehre gereicht.

St.Gallen, den 31. August 1916.

Für das Volkswirtschafts-Departement des Kantons St.Gallen,

Der Regierungsrat:

Dr. G. Baumgartner.

Briefkopf

Inserat

Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, ZA 001 (Holznutzung und Wiederanpflanzung in Kriegszeiten, erschienen im Amtsblatt für den Kanton St.Gallen, 91. Jg., Bd. II, Nr. 14 vom 1. September 1916, S. 275f.) und ZOA 009/1.067 (Blick von der Alp Sennis oberhalb Berschis Richtung Alvier, abgeholztes Waldstück und einzeln stehender Baum, Aufnahme zwischen 1910 und 1935) sowie ZMH 22/026 (Briefkopf, 1909) und W 248/82 (Anzeige in: St.Galler Bauer, 3. Jg., Heft 44, 04.11.1916, S. 747)

 

Handsticker am Pantograph mit Fädlerin, um 1900

Mittwoch, 30. August 1916 – Klagen einer Handsticker-Frau

Aus der Stickerei-Industrie.

Notleidende Handsticker.

Durch Vermittlung ist uns ein Brief einer Frau, deren Mann Handsticker ist, zugekommen. Wir erachten es als Pflicht, das Tatsächliche aus diesem Briefe hier wiederzugeben; denn die Not in den Kreisen der Handsticker auf dem Lande ist viel grösser, als man gemeinhin annimmt. Wer sich die Mühe nimmt, die Leute zu besuchen, lernt Zustände kennen, die einen im Innersten ergreifen müssen. Unterernährung, Kränkeln, Verbitterung oder stummes Sichdareinschicken, das ist’s, was man am Pantograph findet.

Als geplagte Stickersfrau, so heisst es u.a. in dem erwähnten Briefe, möchte ich schildern, wie es um unsern Verdienst steht. Ich fürchte zwar, es nütze nicht viel. Man redet immer, dass Hilfe nötig sei; es wird ja, wenigstens auf dem Lande, nichts getan; man meint, das Elend sei noch nicht gross genug. Ist es nicht genug, wenn Familienväter wegen Unterernährung an der Maschine krank werden? Wenn unterernährte Handsticker wegen ungenügender Ernährung keine Kraft mehr haben und so der Krankheit erliegen, wann ist es denn genug? Mein Mann und ich müssen jeden Tag 13 Stunden arbeiten. Im Sommer, wenn wir kein Petrol brauchen, können wir, falls kein Abzug gemacht wird, 2 Fr. im Tag zusammenbringen; im Winter aber nur Fr. 1.30, weil wir für das Petrol, also für das Licht noch 70 Rp. ausgeben müssen. Ich frage: Wir können drei Personen heute leben mit 2 Fr. Verdienst im Sommer und Fr. 1.30 im Winter? Wir haben nur ein Kind und wissen kaum, wo aus und ein. Wie machen es jene, die mehrere Kinder haben? Ich will Ihnen vorrechnen zum Beweis, dass ich die Wahrheit schreibe: Wir haben auf gewöhnliche Ware 27 Rp. Lohn auf 4/4 Rapport 2000 Stiche; im Tag macht das Fr. 5.40. Wir brauchen aber 2½ Strang Garn, macht 2 Fr., 1 Fr. für den Hauszins, 40 Rp. für Nadeln, Wachs, Maschinenöl; alles zusammen Fr. 3.40 Spesen. Uns bleiben also noch 2 Fr. reiner Verdienst, vorausgesetzt, die Ware bringe keinen Abzug. Nun müssen wir mit 2 Fr. essen, für Kleider sparen, Steuern und Krankengeld bezahlen. Wie weit reichen heute 2 Fr. im Tage, wenn man an die hohen Lebensmittelpreise denkt? Haben da gewisse Herren, die in der Armenbehörde sitzen, das Recht zu sagen, ein Kind sollte man denn doch noch erhalten können? Wissen jene Herren, wie man das macht? Wissen sie, was Not und Unterernährung heissen? Das ist eben das Traurige, dass Mann und Frau, die vom frühen Morgen bis spät arbeiten, ihr einziges Kind fast nicht mehr ernähren können.

Sieht mein Mann sich nach anderer Arbeit um, dann heisst es, er sei zu alt (56 Jahre) und zu schwach. Wer kann stark und kräftig werden durch Unterernährung?

Wir hatten noch die halbe Zeit keine Arbeit; seit drei Jahren fehlt uns überhaupt ständige Beschäftigung. So haben wir das in besseren Zeiten mühsam ersparte Geldchen bis zum letzten Rappen aufgebraucht. Die Automaten und Schiffli haben uns uns um den Verdienst gebracht; Spezialware erhalten wir auch keine.

So ist die Lage der Handsticker auf dem Lande. In der Stadt werden Bürger, die unter den Zeitverhältnissen leiden und in Not geraten, ohne weiteres unterstützt. Die Auffassung des Begriffes «unterstützungsbedürftig» ist auf dem Lande bei vielen Armenbehörden heute noch eine veraltete, was selbstverständlich die Notleidenden empfinden müssen. Es gibt heute noch Armenbehörden, die arm gleichstellen mit ehrlos usw. Deshalb gelangen Unterstützungsbedürftige, die in ihrer Armut doch noch das alte Ehrgefühl bewahren wollen, nur im äussersten Falle an die Armenherren. Manche hungern lieber, als dass sie sich wie Bettler betrachten lassen wollen. Ist es nicht so?

Wir haben letzthin einen Handsticker auf dem Lande besucht. Auch dieser klagte bitter über die traurigen Verhältnisse in den Handstickerkreisen. Nach Abzug des Lohnes für die Fädlerin, der Spesen für Garn, Licht, Zutaten bleibt nichts mehr übrig. Der Mann bot das Bild schwerer Unterernährung. Seine Kost besteht aus dünnem Milchkaffee, Brot, wenn es gut geht, langt’s noch zu Kartoffeln. Der Riebel [Mais] ist ihm zu teuer. Butter ist nicht zu erstehen; das Geld langt nicht. Am Abend wird kein Licht angezündet; das Petrol ist zu teuer. Ein bisschen schlechter Tabak ist die einzige Freude, die der arme Mann noch hat. Auch er würde gerne behördliche Unterstützung annehmen, allein er fürchtet die strenge Armenbehörde seiner Gemeinde und – stickt nun um einen Hungerlohn, solange er kann.

Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, P 909 (St.Galler Tagblatt, Nr. 203, 30.08.1916, Abendblatt) und W 238/10.00-03 (Bild um 1900, Handsticker am Pantograph mit Fädlerin, offenbar vor der Krise)