Textilfachschule Klasse 1916

Donnerstag, 19. Dezember 1918 – Exkursion nach Bütschwil in die grösste Weberei der Schweiz

Unter den Fachschul-Nachrichten der Mitteilungen über Textil-Industrie, Ausgabe Dezember 1918, findet sich folgende Notiz:

Die Webschule Wattwil  unternahm am Donnerstag vor Weihnachten noch eine Exkursion nach Bütschwil, um die Weberei der Firma Wirth & Co. zu besichtigen. Im Verlaufe der letzten zwei Jahre wurde die dort bestehende Webereianlage, welche vorher bekanntlich der Firma Birnstiel, Lanz & Co. A.-G. gehörte, durch einen modernen Neubau erweitert. In demselben kamen nur Steinen-Rüti-Automaten zur Aufstellung. Inzwischen sind auch die früher mit Buntwebstühlen und Mousselinewebstühlen bestellten Websäle geräumt worden, um ebenfalls Automaten Platz zu machen. Bis jetzt sind bereits 560 Automaten in Betrieb und 200 solcher werden im nächsten Jahre noch dazu kommen, sodass Bürschwil die grösste Weberei ihrer Art in der Schweiz sein wird. Wenn alles wie vorgedacht fertig ist, dürfte diese Weberei aber auch eine der schönsten im Lande sein.

Es wird mit Gruppenantrieb gearbeitet, soweit nicht Einzelantrieb für gewisse Maschinen notwendig war. Die nötige Elektrizität für die Motoren erzeugt die eigene Wasserkraft, denn auch die Turbinenanlage hat eine Umgestaltung erfahren. Letztere ist dadurch besonders interessant, dass eine Turbine mit einer Bergtransmission in Verbindung steht, welche die Kraft nach der etwa 40 Meter höher liegenden Weberei überträgt. Man nimmt unwillkürlich an, dass dadurch viel Energie verloren geht; aber die Anlage ist ganz vorzüglich ausgeführt, sodass sie mit einem Nutzeffekt von 98 Prozent arbeitet.

Sowohl für die Lehrer, wie für die Schüler war der Besuch dieses Etablissements sehr instruktiv und führte zur Ueberzeugung, dass hier ein Industrieller seinen Reichtum wieder in eine Quelle des Verdienstes für Hunderte von Leuten verwandelt hat. Auch durch den nachfolgenden Rundgang durch die Zwirnerei Dietfurt, und durch den Blick in die neugeschaffenen Betriebsmaschinen-Räume wurde eine Grusszügigkeit offenbart, die sich nur mit reichen Mitteln vereinbaren lässt. Jedenfalls wird auch die Spinnerei noch diesem Zuge folgen in den nächsten Jahren, obgleich eigentlich schon längst viele innere Erneuerungen durchgeführt wurden. Es ist ungemein erfreulich, ein solches Werk der Textilindustrie der Neuzeit entsprechend umgestalten und entwickeln zu sehen. Darum möchten wir Herrn Wirth auch durch diese Zeilen unseren Dank zum Ausdruck bringen.

A. Fr.

Auf dem Beitragsbild ist die Klasse von 1916 der Webschule Wattwil zu sehen, zusammen mit dem langjährigen Direktor Andreas Frohmader (1870-1973, Direktor von 1902-1943).

Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, W 310/15-13 (Mitteilungen über Textil-Industrie, 25. Jg., Nr. 23/24, Dezember 1918; Einfügung zusätzlicher Absätze der besseren Lesbarkeit wegen) und W 310/19-6.2 (Beitragsbild)

 

Anzeige

Donnerstag, 20. September 1917 – Sorgen der Textilindustrie

An diesem Tag hätte die nächste Nummer des Fachblatts Mitteilungen über Textil-Industrie erscheinen sollen. Ausgeliefert wurde die Ausgabe jedoch erst am 9. Oktober. Die Gründe dafür waren auf der vorletzten Seite zu lesen: Mitteilung an die Leser. Da trotz frühzeitig begonnenen Umzuges der Druckerei Frank die Druckmaschinen erst am 8. Oktober wieder in Gang gesetzt werden konntnen, erfolgte die Spedition dieser Nummer am 9. November. In der Regel wird die Zeitung Ende Monats gedruckt und prompt mit Beginn des nächsten versandt. Wo die Zusendung verspätet erfolgt, beliebe man bei der Post zu reklamieren oder der Expedition umgehend Mitteilung zu machen, damit für Abhülfe gesorgt werden kann.

Was aber wurde so verspätet berichtet? Herausgepickt seien ein paar Mitteilungen:

Minimalsticklöhne für Stickereiindustrie. Unter dem Vorsitz des Herrn Dr. Kaufmann vom Schweiz. Volkswirtschaftsdepartement hat in St.Gallen eine Besprechung der interessierten Kreise zur Neunormierung der Stichpreise stattgefunden. Von Seiten der Schifflilohnstickereibesitzer war ein Minimalstichlohn von 57 Rappern normiert worden, während die Exporteure nur auf 48, höchstens auf 50 Rappen gehen wollten. Man einigte sich schlieslich auf 54 Rappen für 4/4 Normalware; für sog. Einteilware wird ein Zuschlag von drei Rappen per 100 Stich akzeptiert. Die Erhöung der Minimalstichlöhne wurde notwendig wegen der grossen Steigerungen der Garnpreise und der Verteuerung der verschiedenen andern Bedarfsartikel. (S. 170)

Ausfuhr von Stickereien nach den Vereinigten Staaten. Der Gesamtexport aus dem Konsularbezirk St.Galle nach den Vereinigten Staaten beziffert sich im vergangenen August auf 1,690,942 Fr. gegen 2,7 Milllionen im gleichen Monat des Vorjahres. Der Ausfall beträgt somit 1,009,154 Fr. Der Stickereiexport im besondern stellt sich für August 1917 auf 1,470,670 Fr., was gegenüber August 1916 einen Rückschlag von 960,014 Fr. bedeutet. (S. 170)

Der Siegeszug der Papiergarne. Auch auf das neutrale Ausland scheint sich der Siegeszug der Papiergarne zu erstrecken. Die sächsische Textilindustrie Wilhelm Kaufmann, Pirna, die in Glauchau eine Papiergarnspinnerei besitzt, hat auch bereits in Ronneby in Schweden eine Papiergarnspinnerei  und -weberei errichtet. Diese Gründung darf man wohl darauf zurückführen, dass in Schweden ausgezeichnete Vorbedingungen für diesen Fabrikationszweig gegeben sind, insbesondere die Beschaffung des Rohmaterials nur geringe Schwierigkeiten bietet. (S. 171)

Stillegung der Moskauer Textilfabriken. Die Seidenstoff- und Damenkleiderstoff-Fabriken Moskaus sind jetzt sämtlich stillgelegt worden, da es an Rohstoff- und Brennmaterial mangelt. Die Baumwollfabriken sollen zusammengelegt werden. Nur die Tuchfabriken, welche für den Heeresbedarf arbeiten, werden den Betrieb aufrecht erhalten. Die sämtlichen Baumwollfabriken des Gouvernements Kastroma haben den Betrieb eingestellt. Man zählt über 40,000 Arbeitslose. Die meisten Maschinen sollen, wie berichtet wird, von den Arbeitern zerstört worden sein. (S. 171)

Mitteilungen des Kaufmännischen Direktoriums in St.Gallen. Transit durch Deutschland. Die Exporteure werden darauf aufmerksam gemacht, dass Stickereien, welche den schweizerischen Ausfuhrbestimmungen für Deutschland entsprechen, nicht an die nordischen Einfuhrtrusts adressiert werden müssen, sondern dem nordischen Käufer direkt zuzsenden sind. Bei diesen Stickereien kommen somit die Formalitäten des gelben Ausfuhrgesuches nicht in Anwendung. Ebensowenig haben diese Vorschriften Gültigkeit für irgendwelche Waren, welche durch Ententeländer nach den nordischen Staaten exportiert werden. (S. 175)

Ebenfalls auf S. 175 findet sich nachstehende Anzeige. Die Seitenanzahl bezieht sich nicht auf die Anzahl Seiten in dieser Ausgabe der Zeitschrift, sondern auf den gesamten Jahrgang. Die Anzeige im Beitragsbild steht auf Seite 176.

Anzeige

Nächster Beitrag: 22. September 1917 (erscheint am: 22. September 2017)

Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, Wy 124 (Mitteilungen über Textil-Industrie, 24. Jg., Nr. 17/18, September 1917; Text und Bilder)

 

Hochzeitsfoto

Samstag, 9. Juni 1917 – Frauen-brief

Adele Berner-Wenner (1878-1946) und Silvia Wenner (1886-1968) waren Schwestern aus der süditalienischen Textilindustriellenfamilie, zu der schon andere Beiträge erschienen sind (vgl. Beiträge vom 12. und 24. Januar 1916 sowie vom 2. Januar, 13., 20. und 21. April 1917).

Adele Berner-Wenner war seit 1912 verwitwet. Sie hatte für einen 1902 geborenen Sohn, Alex, zu sorgen. Silvia Wenner verheiratete sich erst 1925 mit dem Industriellen Hermann Ochsenbein.

[Randnotiz:] Erhalten i[n] Fratte

Neapel, 9. Juni 1917.

Meine liebe Silvia,

Vielen herzlichen Dank für Deinen lieben langen Brief, der mich so sehr interessiert hat.

Ich hatte mich so sehr gefragt, wie woh[l] der Sonntag ausgefallen sei, & wie es Dir dabei mit Deiner Sache ergangen sei. Zum Glück ist es noch so abgelaufen, aber Du wirst doch recht froh gewesen sein, als Du am Abend in’s Bett schlüpfen konntest.

Mir ist es in letzter Zeit auch manchmal so gegangen, besonders in der letzten Woche, in dieser ging alles leichter[,] weil ich meine S… nicht mehr hatte. –

Ich habe diese Woche Mama noch 2 mal recht gesehen, am Montag war ich allein für den Tag in Rio’alta, & am Donnerstag mit meiner Schwiegermama.

Adele Wenner als Witwe

Natürlich läuft immer eines in’s andere, man muss sich immer sputen & eilen, & freut sich jedes mal [sic] wenn man das verschwitzte Strassenkleid & die warmen Schuhe wieder ausziehen kann. – Man wollte für das C.M.-Fest eine pêche arrangieren, die ich hoffte Frau Ascarelli übergeben zu können, aber weil sie abwesend war[,] so musste ich mich selbst bequemen, und habe nun sehr schön zusammen bekommen, etwa 270 kl. Gegenstände. Gestern nachm. blieb ich zu Hause[,] um alles in Papier zu wickeln, & habe über 3 Stunden lang Packetchen gemacht. Es ist sehr angenehm[,] dass Bob noch da ist, er ist schon einmal mit einer Ladung auf den Vomero gefahren, & geht morgen früh noch einmal. –

Ich begreife[,] dass die ersten Tage in Fratte nicht angenehm für Dich waren, mit den jetzigen Dienstboten-Verhältnissen, wenn Dir alles ein wenig verlottert vorkam. Man muss sich halt unter den obwaltenden Umständen wirklich genügen lassen, & hoffen, dass alles bald möglichst wieder in Ordnung kommen möge, & dabei das geniessen, an dem man sich noch freuen kann.

Ich freue mich[,] dass Du im Lauf der nächsten Woche kommen willst, man hat sich immer alles mögliche zu erzählen. – Ich weiss nicht[,] ob ich Dir gesagt habe, dass Grita [?] schrieb, Dr. Mende habe in den Ferien einen Gichtanfall bekommen & sei noch nicht zurück. Soeben kommt ein Express Brief von Alex vom 7ten. nach welchem Dr. M. noch immer abwesend sei, & so muss ich mich wo[h]l auf eigene Faust entschliessen, denn Du könnest [?] ja ein Fenster von dem einen, & ein Fenster von dem anderen machen, aber ich denke[,] das ist doch wo[h]l ausgeschlossen. –

Vor 2 Tagen war die Spitzenfrau Doema [?] Maria bei mir, & brachte mir eine wundervolle Decke zum ansehen. Es ist ja nicht ganz die gewünschte seidene Decke, die wir für Mama wünschen, aber etwas so schönes & eigenartiges, dass ich ihr sagte, sie wolle smir nur lassen zum ansehen, was sie gerne tut bis Du sie sehen kannst. Es ist eine calabresische Decke, antik, aber in ganz gutem Zustand, in der Art wie Pauls in Bellevue im rosa Fremdenzimmer ihre Bettdecke haben, nur ist alles viel feiner & in Seide eingewoben, in eine feine rostgelbe (aber matt in [den] Farben) Leinwand wirklich etwas ganz schönes für wem es gefällt, & kostet L. 140.- was ich nicht viel finde für was es ist. – Dann hat sie mir zur Ansicht noch ein breites, prächtiges Stück Filet, für ein Möbel, oder Store passend, gelassen zu L. 50.- Also Du findest etwas zum ansehen, die Frau hat nämlich eine kl. Reise gemacht, aber sie sagt nicht wohin.

Emily schreibt mir[,] dass Lili Andreae morgen zu ihnen komme, & übernachte, da kommt sie wahrscheinlich am Dienstag nach Fratte. – Ich lege noch ein Briefchen an Marta bei, das Du ihr bitte geben willst. –

Grüsse mir die Eltern herzlich & sei selbst innig umarmt von Deiner Dich sehr herzlich liebenden

Adèle.

Hinweise: In den Briefen zwischen der verwitweten Adele Berner-Wenner und ihrer Schwester Silvia Wenner ist mehrfach die Rede von «der Sache». Gemeint ist damit die Menstruation. pêche ist wohl ein Gesellschaftsspiel, bei dem man mit Hilfe einer kleinen Fischerrute kleine Geschenke «fischen» konnte.

Nächster Beitrag: 11. Juni 1917 (erscheint am 11. Juni 1917)

Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, W 054/127.4.2 (Briefe an Silvia Wenner) sowie W 054/125.10.1 (Beitragsbild: Hochzeitsfoto Adele und Hans Berner-Wenner, 1901) und W 054/125.9.4 (Foto Adele Berner-Wenner, vermutlich als Witwe, ca. 1910-1920)

Mitteilungen

31. Mai 1917 – Die „Sehnsucht nach dem baldigen Weltfrieden“

Zur Lage.

F.K. Hegte man bei Jahresbeginn noch Hoffnung auf die Möglichkeit der Anbahnung eines Friedensschlusses, so waltet heute eher das Gefühl vor, es könnte uns noch ein vierter Kriegswinter beschieden sein.

Seit Kriegsbeginn erzeugt der gewalttätige Druck des einen Gegners entsprechenden Gegendruck beim andern, wodurch die neutralen Völker immer stärker in Mitleidenschaft gezogen worden sind. Der verschärfte deutsche Unterseebootkrieg, der dadurch veranlasste Eintritt der Vereinigten Staaten in den Krieg auf Seite der Entente und die russische Revolution, sind die folgenschwersten Ereignisse dieser ersten Jahreshälfte.

Lebensmittelnot, Mangel an Rohmaterialien, ungenügende Kohlenzufuhr, Teuerung, mehr und mehr bedrückende Ausfuhrverbote, Transportschwierigkeiten, Verunmöglichung des Absatzes der industriellen Produkte kennzeichnen unsere heutige Lage. So frägt man sich, wie bei der zunehmenden wirtschaftlichen Einengung das noch werden soll?

Man hat seitens der kriegführenden Mächte des öftern Worte der Anerkennung und des Lobes gefunden für die korrekte neutrale Haltung der Schweiz und ihre oft bewiesene Liebestätigkeit für die Opfer des Weltkrieges. Auch die überwiegende Einigkeit und das Zusammenarbeiten unseres Volkes torzt verschiedener Wesensart der Landesteile sind als Vorbild für eine künftige Annäherung der verschiedenen Staaten Europas auf demokratischer Grundlage angeführt worden. Man ist noch weiter gegangen: unter Hinweis auf Arnold von Winkelried, der bei Sempach für die Freiheit der Schweiz ein[e] Gasse gemacht habe, hat man sich ausländischerseits auch ausgedrückt, wes werde unserm Land infolge seiner bisherigen philantropischen [sic] Wirksamkeit die Mission vorbehalten sein, in diesem völkermordenden Krieg dem Frieden eine Gasse zu machen.

Die Ereignisse der letzten Wochen haben leider manches an diesen Annahmen und guten Voraussetzungen erschüttert. Es hat sich gezeigt, dass Bemühungen um die Anbahnung eines Weltfriedens auch in einer Sackgasse enden könnten und ein Teil unserer Tagespresse, in schellfertigem Urteil, weiss nichts besseres [sic] zu tun, als ganze Volksteile aufzuhetzen und durch übertriebene Alarmberichte unser Ansehen in den Nachbarstaaten zu schädigen. Gegen solche Vorkommnisse sollte man bessere Vorbeugungs- und Abwehrmittel zur Hand haben. Wie kann man sonst verhüten, dass die gleichartige Stufe der ausländischen Alarmpresse die übertriebenen Anschuldigen als bestehende Tatsachen ihren Lesern vorsetzt und dazu schürt, dass die uns bedrückenden wirtschaftlichen Massnahmen immer noch enger gezogen werden[.] In erster Linie bekommen unsere Handels- und Industriekreise, dann der Gewerbestand die Folgen dieses, die Interessen unseres Landes schädigenden Gebaren zu spüren.

Mehr als je ist es nötig, unserseits durch Einheitlichkeit und Geschlossenheit der Reihen diesem Druck von aussen entgegenzuwirken. Der obersten Landesbehörde, die bis anhin in umsichtiger Weise ihr bestes im Interesse des Landes getan hat, darf man fernerhin volles Vertrauen entgegenbringen. Das politische Departement ist ja in guten Händen und die nunmehrige Angliederung der Handelsabteilung an das Volkswirtschaftsdepartement dürfte der Wichtigkeit der Sache eher noch förderlich sein.

Wollte man anschliessend die Lage der verschiedenen Zweige unsere einheimischen Textilindustrie unter den jetzigen Verhältnissen einer eingehenden Betrachtung unterziehen, so könnte man mit der Aufzählung aller der entgegenstehenden Schwierigkeiten ganze Spalten füllen, das Gute wäre dagegen mit wenigen Sätzen abgetan. Darum wenden wir uns zum Schluss lieber einer andern, doch erfreulicheren Seite unseres sonst gedrückten Daseins zu, den wunderbaren Offenbarungen der Natur, die uns seit Beginn des Monats Mai, nach dem langen harten Winter geradezu überschüttet mit der Fülle ihre schöpferischen Gestaltungskraft, die sich in der Fruchtbarkeit und Schönheit der Kulturen zeigt. Es ist, als ob Lehrmeisterin Natur uns absichtlich den harten, langen Winter als das Sinnbild des vernichtenden Krieges und im Gegensatz dazu die schöpferischen Jahreszeiten als Symbol der Segnungen des Friedens vor Augen führen wollte. Wenn die gewalttätigen Machthaber der Menschheit ihre Eingebungen nur etwas mehr aus dieser Schule schöpfen wollten!

Die Sehnsucht nach einem baldigen Weltfrieden ist allgemein, und dieser wird wie eine Erlösung wirken. Sollte aber nicht bald eine Einlenkung in den starren Prinzipien, Anschauungen und Zielen der sich bekämpfenden Gegner zum Durchbruch kommen, so steht uns noch der allerhärteste Kriegswinter bevor.

Die Initialen F. K. am Anfang des Artikels stehen vermutlich für Fritz Kaeser, Metropol, Zürich. Er war Chefredaktor und als solcher in Personalunion zuständig für redaktionelle Beiträge, Inserate und Expedition der Zeitschrift Mitteilungen über Textilindustrie.

Nächster Beitrag: 3. Juni 1917 (erscheint am: 3. Juni 2017)

Quelle: Staatsarchiv St.Gallen, Wy 124 (Mitteilungen über Textil-Industrie, 24. Jg., Nr. 11/12, Juni 1917; Text und Beitragsbild)

Fritz und Maria Wenner

Samstag, 21. April 1917 – Ehekorrespondenz

Fritz Wenner-Andreae antwortet seiner schwangeren Ehefrau auf ihren Brief vom Vortag (s. Beitrag vom 20. April):

Fratte di Salerno, 21. April 1917.

Liebes Frauchen,

Heute sende ich Dir also, wie abgemacht, die Wäsche der Kleinen durch unsern Corriere und gleichzeitig diesen kurzen Samstagsgruss für Dich und die l. Bübchen. Ich werde viel an Euch denken, obschon mir die Zeit nicht lange werden wird, denn ich habe genug Stoff, um mich zu beschäftigten. Wenn nichts dazwischen kommt, so hoffe ich[,] am Mittwoch morgen nach Neapel zu reisen und wenn Du einverstanden bist, so siedeln wir am Donnerstag um 12 Uhr hierher über. Hoffentlich geht es bis dann Mama besser! Hier ist das Wetter seit gestern wieder sehr schön[,] aber recht frisch. – Hat der Maler die Bilder wohl gebracht? Man könnte sie vielleicht vorläufig in die Via Medina bringen und kann ich sie dann von dort gelegentlich einpacken u. hierher spedieren lassen, denn am Mittwoch werde ich keine Zeit dazu haben u. im Hôtel sind uns die Dinger dann im Weg. Meinst Du nicht?

Wegen der Bezahlung kann ich dann ein anderes mal [sic] mit dem Maler verhandeln. –

Hier im Haus ist, wie mir scheint, alles in Ordnung u. für Euern Empfang bereit. Die beiden Kisten Mellin’s Food sind angekommen u. in der Küche untergebracht.

Und nun sage ich Dir auf Wiedersehen, liebe Maria, am Mittwoch und sende Dir u. den beiden Kleinen einen festen Kuss. Bitte sage der l. Mama[,]  ich lasse ihr herzlich gute Besserung wünschen u. der Adèle u. dem Alex eine gute Reise. – Es grüsst Dich u. umarmt Dich von ganzem Herzen Dein Dich innig liebender Maritino

Fritz.

Mellin’s Food war ein spezielles Kleinkinder-Milch-Getreidepräparat, hergestellt in Boston USA, vermutlich ähnlich wie das Nestlé-Kindermehl aus Lausanne.

Nächster Beitrag: 23. April 1917 (erscheint am 23. April 2017)

Quelle: Staatsarchiv St.Gallen, W 054/128.1 (Text) und W 054/129.1.1 (Fritz und Maria Wenner-Andreae 1913 auf ihrer Hochzeitsreise in England)

Gaertnerhaus der Villa Wenner

Freitag, 20. April 1917 – Ehekorrespondenz: Der Gärtner soll Lauch pflanzen

Maria Wenner-Andreae schreibt an ihren Mann Fritz. Sie weilt zusammen mit ihren beiden Söhnen immer noch im Parker’s Hotel am Corso Vittorio Emanuele in Neapel.

Neapel, den 20-4-1917.

Mein lieber armer Strohwitwer!

Damit Du am Sonntag doch etwas v. Deiner kl. Frau habest, sende ich Dir diese Zeilen. Unsere Putzel [Kinder] sind munter u. wohl u. Deine Frau hat 9 Stunden geschlafen. Che pigrona!

Es scheint mir[,] ich habe Dich seit einer Woche nicht mehr gesehen, stattdessen ist es ja seit gestern. Ich habe dann doch noch Adèle u. Alex überredet[,] mit mir zu essen. Es war sehr nett[,] dass sie kamen u. es schmeckte ihnen sehr gut. Ich hatte noch Marrons glacés gekauft, die auch nicht verschmäht wurden. Sie blieben bis nach 9 Uhr u. gingen Heim [sic], da Adèle den ganzen Tag unterwegs gewesen war.

Eben telephonierte ich mit Silvia. Mama hatte gestern abend über 39 Grad u. heute morgen hat sie über 38 Grad [Fieber]. De Nobili sagt aber: non è allarmante! Im Gegenteil[,] die Schmerzen sind seit dem Fieber besser geworden. Hoffen wir von Herzen[,] es sei bald überwunden! Diesen Nachmittag will ich sie besuchen. Vorher kommt aber Silvia her, da Mama wünscht, dass sie u. ich einen Augenblick Schivens [?] besuchen, der alte Herr soll nicht gut dran sein.

Bitte grüsse mir alle Schlaepfers, besonders Tante Elise. Sage ihr, wenn ich ihr etwas besorgen u. mitbringen könnte, täte ich es gerne. Grüsse mir die Bienchen, ich denke mir[,] Du stattest ihnen ein  Besüchlein ab. Lass Dich nicht stechen! – – Wenn morgen der Maler kommt, dann, bitte ich ihn[,] sich am Mittwoch zu presentieren [sic], denn ich kann nicht mit ihm verhandeln.

Mille baci al Papà caro da Gianni e Dimy. Grüsse mir die Leute. Sage Pietro[,] er soll ein bis[s]chen Porro [Lauch] pflanzen u. ein schönes Feld für Fagioli [Bohnen] preparieren den Samen hätte ich.

Von ganzem, ganzem Herzen umarmt u. küsst Dich Deine Dich sehr lieb habende

Maria.

Quelle: Staatsarchiv St.Gallen, W 054/128.1 (Text) und W 054/73.8 (Bild, Gärtnerhaus der Villa Wenner in Fratte di Salerno, ca. 1885)

Couvert

Freitag, 13. April 1917 – Ehekorrespondenz zum weiteren

Maria Wenner-Andreae schreibt an ihren Mann Fritz. Sie weilt immer noch im Parker’s Hotel am Corso Vittorio Emanuele in Neapel. Honig ist in Italien ein rares Gut:

Freitag, den 13. April 1917

Mein lieber Schatzel! Entschuldige, dass ich mit Bleistift schreibe, aber ich sitze in der sonne u. tro[c]kne meine Haare. Ich benutze diesen ruhigen morgen [sic] dazu. hoffentlich bist Du gut gereist u. verlief der gestrige gästereiche Tag gut. Marietta wird es schon gut gemacht haben. Ich wünsche Dir einen möglichst guten Sonntag, mein Schatz! Siehst Du auch nach den Bienen? Denke Dir[,] in Mailand [wo Marias Eltern lebten] bezahlt man jetzt 6-7 Lire für ein Kg. Honig. Hätte man jetzt, dann könnte man feine Geschäfte machen. Die Eltern baten mich[,] ihnen hier welchen zu besorgen, aber ich fürchte[,] die Preise werden auch hoch sein. So werde ich ihnen schreiben[,] sie mögen sich gedulden, bis wir ihnen senden können. Meinst Du nicht auch? Sorge dafür[,] dass die Familien recht stark werden. Die Eltern lassen Dich vielmals grüssen. – Unseren Buben geht es prächtig, Gianni behauptet[,] Du müsstest morgen kommen. Er wird dann bitter enttäuscht sein. Poverino! Nächste Woche kann Frl. Brogh [?] doch kommen[,] die Photos zu machen. – Heute werden wir hoffentlich mit dem Maler fertig. Wenn nur auch das Bild von Gianni netter wäre!! Die Kinder spielen in der Rampa unten u. Dimy huscht als echte Gallina überall herum. – Es ist doch eine penitenza [Strafe] so in der Sonne zu sitzen[,] um die Haare zu trocknen. Dafür findest Du aber ein ganz sauberes Frauchen!!! Gestern spazierte ich zu Elsa, die sich wohl fühlt. Auch dem Baby geht es ausgezeichnet. Ich wohnte auch einer Mahlzeit bei. Alles geht gut[.] Ich bin gespannt zu hören[,] wann Marietta abreist. A propos[:] Das Dienstmädchen sagte mir[,] sie sei für diesen Dienstag entlassen. Wenn Du wirklich nicht vor Mittwoch kommen kannst, dann bitte schreibe mir[,] was ich ihr geben soll. Du kannst ja einfach die Summe hinschreiben, ohne etwas dazu, wenn Du mir eine Karte sendest. Bitte vergiss es nicht, da ich sonst in Schwulitäten [sic] gerate. Bitte grüsse mir alle Schlaepfers!

Die Kinder umarmen u. küssen ihren Papa caro! Ich habe Dich innig lieb u. küsse Dich tausendmal Deine treue Mogliettina Maria.

Gleichentags schreibt auch Fritz Wenner an seine Ehefrau:

Fratte, 13. April 1917.

Liebstes Frauchen!

Ich hofe, am Sonntag mit dem 10.40 Uhr Zug nach Neapel reisen zu können, wo ich um halb 1 Uhr eintreffen sollte. Ich werde in diesem Falle von der Bahn zuerst in die Via Medina fahren, um zu hören, ob Du zum Mittagessen dort bist; wenn nicht, so fahre ich weiter ins Hotel.  Ich überlasse es natürlich Dir[,] für den Nachmittag zu arrangi[e]ren, was Dich freut; die Pferde können hoffentlich wieder regelmässiger Dienst tun. –

Die Schwestern u. Alex haben es gut getroffen mit dem Wetter hier u. in Pompei; auch für mich war es nett[,] Besuch zu haben. – Marietta wird also morgen um 10 Uhr morgens abreisen. Willst Du bitte das Mama sagen, dass ich mir erlauben werde[,] über diese Zeit drüben zu essen; ich hoffe[,] es wird ihr nicht unangenehm sein. –

Ich freue mich[,] Euch bald wieder zu sehen u. zu hören, was der Maler noch geleistet hat. Mit tausend herzlichen Grüssen u. einem Kuss meinem lieben Kleeblatt verbleibe ich Dein Dich herzinnig liebender

Fritz.

Quelle: Staatsarchiv St.Gallen, W 054/128.1

 

Kostueme Anzeige

Dienstag, 10. April 1917 – Frühlings- und Sommermode 1917 (Teil 2)

Fortsetzung des Berichts vom 8. April, neben den genannten Trends ist auch die bestickte, sogenannte russische Bluse en vogue:

In Sommerkleidern dürfte die Auswahl recht gross werden. Neben Kreppgeweben werden Voilestoffe, meistens aus Baumwolle, gebleicht, gefärbt, bedruckt oder bestickt, eine Hauptrolle spielen. Gewöhnlich kommen bei den Frühjahrsrevuen die leichten Sommerkleider bei den Vorführungen etwas zu kurz; das Gesehene lässt aber namentlich für die jüngere Damenwelt recht reichhaltige und geschmackvolle Ausführungen voraussehen. Die russische Bluse aus Krepp oder Voile, mit zartfarbigen Stickereien verziert, wird dabei ziemlich Erfolg haben.

In Kinderkleidern, die dieses Jahr auch vorgeführt wurden, spielen die vorgenannten leichten Stoffe die Hauptrolle, auch Batiste- und Rohseidengewebe, bedruckt oder bestickt, eignen sich gut hiefür. Für Sommerartikel könnte unsere schweizerische Plattstichweberei mit hübschen Neuheiten sich jedenfalls noch mehr Eingang verschaffen.

Der Hauptaufwand ist in Abend- und Gesellschaftskleidern gemacht worden, in denen wirklich vornehme und geschmackvolle Kleider vorgeführt worden sind. Als Stoffe sind qualitätsreiche Satins, wie satin duchesse, satin merveille, satin élégant verarbeitet worden, dazu Tüll oder Spitzen oder Perlstickereien. Namentlich in Schwarz mit farbigen Corsages sind reiche Kostüme vertreten, wobei schwarzer broschierter Tüll die leuchtende farbige Seide dämpft und anderseits Gold- oder Silberspitzen zu reicherer Garnierung dienen. Seidenstoffe spielen für Abendkleider eine hervorragende Rolle, wobei neben weichen glänzenden Geweben auch Taffet- und Faillegewebe vertreten sind. Sehr gut gefallen hat z.B. eine Robe aus Reseda changeant Taffet, das Corsage mit Rosen in brauner Seide bestickt und dasselbe oberhalb mit Goldspitzen garniert. Perlstickereien dürften bei diesen kostbaren Kleidern die effektvollere Garnitur sein und sehen derart ausgearbeitete Roben, namentlich auch in ganz Schwarz, sehr reich und vornehm aus. Für Festanlässe sind für die jüngere Welt die hellern, zarten Farben selbstverständlich vorgezogen worden. Einige crèmefarbene Kleider in Crêpe de Chine mit gleichfarbiger feiner Bordenstickerei. St.Galler Kunsterzeugnisse, haben ausserordentlich gefallen. Lebhaftere Farben, da oder dort entweder als gestickte Blumengrüppchen, als Gürtel oder Halsgarnitur angebracht, beleben die hellen Gewänder; auch mit künstlerischen Dessins bedruckte durchsichtige Stoffe bringen hübsche Variationen hinein. Einige sattfarbige Jungtöchterkleider, sogar eines mit mohnroter Bluse, hat man ganz gern gesehen, sie bringen etwas keckes in die auf graue, matte und dunkle Farben abgestimmte Mode.

Selbstverständlich wird bei der ausgesprochenen Tricotstoffmode die schweizerische Wirkerei- und Strickereiindustrie auf ausgiebige Beschäftigung rechnen können. Nicht nur in Sportkleidern, sondern auch in Ausgangskleidern hat man recht hübsche Kostüme aus Kunstseide oder Wolle zu Gesicht bekommen, namentlich für jugendliche Gestalten passend.

Zu den Strassenkleidern sind bei den Moderevuen auch die dazu passenden Hüte getragen worden. Es scheinen Matelot- und Rembrandtformen nebem Toques und sonstigen Gebilden der Hutmacherkunst zu gehen. Sehr fein sind die Hüte, die in ihrer Farbe mit dem Kleid der Trägerin übereinstimmen, gewöhnlich mehr durch gediegenes Material als durch Garnitur wirkend. Seidenbänder dürften als Hutgarnitur ziemlich starke Verwendung finden, daneben auch Federn und künstliche Blumen. Oefters sind abgesetzte, mehrfarbige und glänzende Motive in der Mitte des Hutes vorn der einzige Schmuck.

Anzeige Modellhut-Ausstellung

Wie bereits erwähnt sind die Jupes länger geworden und die „forme tonneau“ bezeichnet den neuen Schnitt. Ziemlich liberal sind Variationen gestattet, vom elegant fallenden darpierten Rock über „Paniers“ bis zum unten sichtlich einwärts gerundeten und inwendig gesäumten Rock, der dadurch fast etwas Orientalisches aufweist. Bei alledem sind die Jupes immer noch kurz genug, um einen eleganten Strumpf und Schuh zur Geltung zu bringen. Die Schuhwarenfirma Doelker A.-G. in Zürich hatte für verschiedene der Moderevuen die zu den Kleidern passenden Schuhe zur Verfügung gestellt, wie sie die feinere Robe und das moderne Gesellschaftskleid verlangen, wenn das Gesamtbild harmonisch zur Geltung kommen soll. Anstatt der bisher beliebten hohen Schnürschuhe wird demnach in dieser Saison der Halbschuh dominieren, bei Strassenkleidern die zahlreichen Lack- und Wildlederarten und auch der weisse Schuh wird ein Favorit der Mode sein. Für Gesellschaftsroben werden immer noch der „Doré“ und fein nuancierte „Brocate“ beliebt sein, für die man aparte Muster in Gold- und Silberbrokaten benötigt. Als besondere Neuheit gelten die bis über die Fesseln hinaufreichenden Bindspangen-Halbschuhe.

So hat in Zürich trotz des Krieges die internationale Mode reich an Neuheiten und an künstlerischer Gestaltung ihren Einzug gehalten und die kommenden wärmern und schönern Tage werden zu ihrer erfreulichen Entfaltung beitragen.

Nächster Beitrag: 11. April 1917 (erscheint am 11. April 2017)

Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, Wy 124 (Mitteilungen über Textil-Industrie, 24. Jg., Nr. 5/6, März 1917) und P 909 (St.Galler Tagblatt, 29.03.1917, Abendblatt: Beitragsbild und 23.03.1917, Abendblatt: Anzeige für Modellhut-Ausstellung)

Ostersonntag, 8. April 1917 – Frühjahrsmode (Teil 1)

Im Archiv der Textifachschule Wattwil findet sich eine Zeitschrift mit dem Titel Mitteilungen über Textil-Industrie. Sie erschien im Kriegsjahr 1917 nur noch einmal, statt wie vorher zweimal pro Monat jeweils auf das Monatsende hin. Wann genau die Ausgabe von ihren Abonnenten (und vielleicht auch Abonenntinnen) gelesen wurde, ist (wie bei allen Monatszeitschriften) nicht nachzuvollziehen. Möglich, dass der eine oder die andere erst am Osterwochenende Zeit hatte, sich die Artikel zu Gemüte zu führen.

Im folgenden Bericht geht es um die – allen Kriegszeiten zum Trotz – mit viel Aufwand abgehaltenen Modeschauen in Zürich, die auch in St.Gallen Beachtung fanden. Da Industrie- und Gewerbezweige von der Mode abhingen,  war man interessiert, die neusten Trends der Frühlings- und Sommermode im Detail zu studieren. Saisonfarben waren Sandtöne, Blau, Braun, Weinrot und Schwarz, bei den Schnitten dominierte die sogenannte Forme tonneau:

Die internationale Frühjahrs- und Sommer-Damenmode 1917 in Zürich.

F.K. [Fritz Kaeser, Redaktor] Im Monat März haben die Moderevuen der grossen zürcherischen Modefirmen stattgefunden, die jeweils an die neuesten Pariser Modell selbst neue Kleider kreieren und sie mit ihren Mannequins den geladenen Gästen oder einem weitern eleganten Publikum vorführen. Solche Anlässe sind in Zürich bereits zu gut besuchten Veranstaltungen geworden, so die am 8. März begonnene, eine Woche dauernde Modenschau in den obern Sälen von Adolf Grieder & Co., dann die zweimalige Vorführung von Spoerry Detail A.-G. im Hôtel Baur au Lac und die nachfolgende von E. Spinner & Co., die ebenfalls in zwei Malen in den Sälen des letztgenannten Hôtels stattgefunden hat.

Nachfolgende Kollektivdarstellung soll ein Gesamtbild über die voraussichtliche Gestaltung der internationalen Frühjahrs- und Sommermode ermöglichen, wie sie sich aus vorgenannten Modevorführungen ergibt. Als besondere Kennzeichen der neuen Mode ist die Umformung des Glockenrockes zur „forme tonneau“ zu erwähnen. Rock und Bluse oder Corsage sind zusammen verarbeitet in der Art der Prinzesskleider mit ziemlich viel Faltenpartien, die Jupes sind über den Hüften weiter und bauschiger, nach unten sich wieder einwärts rundend und zudem etwas länger werdend. Zu diesen Kleidern sind eine Anzahl neuer Stoffe von tricotartigem Aussehen erstellt worden, die auch die Eigenschaften des Dehnens und Wiederzusammenziehens zeigen. Namentlich in der zürcherischen Seidenindustrie sind verschiedene wohlgelungene Neuheiten dieser Art erstellt worden, so seidene Gabardine, Jersey, Krepp-Jersey, Tricotine, Voile Gabardine und Armure Gabardine, die neben aparten Wollstoffen wie Nattine, Tricotine, Gabardine, Diafine, Serge und Covercoat für Tailleur- und Nachmittagskleider, sowie für Mäntel guter Aufnahme begegnen dürften. Daneben finden auch die andern Seidenstoffe Verwendung, die seit einiger Zeit im Vordergrund stehen, so Crêpe de Chine, Crêpe Georgette, Serge, Satin, Popeline, Bengaline, Voile, Mousseline chiffon etc. Taffete scheinen von ihrer frühern Beliebtheit eingebüsst zu haben, werden aber für feinere Roben und Abendkleider noch gerne verarbeitet.

Neu bei den Tailleur- und Nachmittagskleidern sind die hellfarbigen, aus leichten, meist durchsichtigen Stoffen ausgeführten, mit den Jupes zusammen verarbeiteten Corsages und Blusen. Währenddem Rock und Jakett [sic] von gleichem Stoff und Farbe sind, zeigt sich beim Ausziehen des Jaketts ein öfters angenehm überraschender Farbenkontrast, der durch die meistens geschmackvolle Ineinanderverarbeitung interessant wirkt. Als Farben dominieren allerlei graue, gelbliche und rötliche Sandfarben, Blau in vielerlei Nuancen und Tonabstufungen, daneben Braun, Weinrot und Schwarz. Sind die Schönheit der Stoffe und die feine Linie des Schnittes besonders zu erwähnen, so wird die Wirkung durch wenig, aber effektvolle Garnitur an Kragen, Manchetten [sic], Taschen und Gürteln erhöht. In diesen, den einzelnen Modellen gut angepassten farbigen Kurbel- oder Steppstichstickereien, bei reichern Toiletten auch Gold- oder Silberverzierungen oder Perlstickereien, sieht man sehr geschmackvolle Ornamente, zum Teil auch abgepasste Motive in Kreis. Oder Quadratform. Die jüngere Damenwelt wird an diesem Kleiderschmuck Gefallen finden, wie auch an den russischen mit Schärpen lose gebundenen Blusen mit ebensolchen Verzierungen. Vornehm wirkende Kleider werden diejenigen sein, die aus Seiden-Gabardine, Voile- oder Armure-Gabardine, Crêpe Jersey mit Seidenchiffon, oder mit gold- oder silberbesticktem Tüll zusammen verarbeitet werden, wie man vielerlei solcher prächtiger Kleider gesehen hat.

Die neuen Damenmäntel sind in Stoffen und Farben den Strassenkleidern gut angepasst; der Schnitt derselben ist lose anschliessend gehalten, wobei hie und da breite Kragen oder Kapuzen recht „chic“ aussehen. Diese Mäntel werden zum Teil mit Seide gefüttert; zu erwähnen ist z.B. ein Mantel aus gelbbrauner Gabardine, ganz mit bedrucktem Seidenstoff gefüttert und diesen über den breiten Kragen nach aussen ausgelegt. Das vielfarbige Cachemirdessin [sic] auf weisser Seide wirkt sehr reich.

Fruehjahrsmode

Nächster Beitrag: 9. April 1917 (erscheint am 9. April 2017)

Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, Wy 124 (Mitteilungen über Textil-Industrie, 24. Jg., Nr. 5/6, März 1917; Text) und P 909 (St.Galler Tagblatt, 12.03.1917, Morgenblatt: Beitragsbild; 19.03.1917, Morgenblatt: Inserat der Firma S. A. Pollag & Co. St.Gallen)

Walhalla St.Gallen

Donnerstag, 15. März 1917 – Notstandsfonds der Stickerei-industrie

Josef Scherrer beschrieb in seinem stenografierten Tagebuch eine Sitzung der Verwaltungskommission des Notstandsfonds der Stickereiindustrie:

Präsident Steiger-Züst eröffnet die Sitzung.

1193 Firmen sind bis jetzt eruiert, bis jetzt sind Fr. 400,000 angemeldet. Der Präsident befürchtet, dass nicht Fr. 700,000.- zusammenkommen und bedauert, dass man nicht früher gesorgt habe. Jetzt kommt die Not.

Es rächt sich nun heute, dass man 1911/12 den Leuten der Schifflistickerei 1 Maschine zuschmiss und sie nun 1913, 14/15 nichts verdienen konnte.

Wir können also nicht von allen Arbeitgebern Unterstützung erhalten. Die Handstickerei hat bis heute nicht reklamiert. Es ist die Rettung der Handstickerei, dass sie sich anderweitig noch retten kann, indem sie mit der Landwirtschaft verbunden ist.

Wenn eine Not eintritt, so brauchen wir 3,3 Millionen im Monat, im Jahre 40 Millionen. Präsident Steiger-Züst möchte ein Werk von dauerndem Bestande und appelliert in diesem Sinne an die Versammlung. Die Bundesratsbeschlüsse werden zum Teil die Sanierung in der Stickerei-Industrie mitbewirken. Wir müssen eine Gesundung haben in den Löhnen, in den Abzügen, in der Kriegsversicherung.

Otto Alder. Wir wollten zuerst auf Grundlage der bestehenden Kassen und der Gemeindekassen vorgehen. Was dann erst nachher die Kriegsversicherung und was wir nur ungern mit Rücksicht auf die eingetretene ungünstige Lage uns zur eigentlichen Notstands [sic]

Mächler Dr. Regierungs-Rat. Nochmals eine letzte Frist bis 1. Mai eröffnen, damit die Leute der Kasse beitreten können.

Anträge. Das vorliegende Reglement soll nur ein Notreglement sein, das nur im äussersten Notfall Anwendung finden soll. Mit dem 1. Mai falle die ganze Geschichte dahin.

Eugster-Züst hat Bedenken gehabt gegen die Eingreifung in die bösartige Unterstützung und die Ausschaltung der freien Kassen. Eugster will unter der Voraussetzung, dass das nur ein Notreglement sei, darauf eintreten. Man sollte Fr. 200,000.- im äussersten Falle höchstens brauchen.

Dr. Zangger erwähnt, dass der Gedankengang Mächlers richtig sei. Aber er zweifelt, dass die Sache jetzt vorführbar sei.

Senn unter Vorbehalten einverstanden, wünscht eine Publikation.

Marti dito.

Weibel will auch für das Notreglement.

Eugster-Züst stellt den Antrag, das Büro sei zu beauftragen, mit dem Bundesrat in Verbindung zu treten bezüglich der Subventionierung der Kassen durch den Bund.

Dr. Fässler will das Notreglement nicht ausarbeiten und alles auf die Arbeitslosenversicherung einstellen.

Dr. Kaufmann war erstaunt über das Reglement des Ausschusses. Er würde es aber ausserordentlich bedauern, wenn in der zu haltenden Zwischenzeit der Fonds aufgebraucht würde. Wenn man auf den Entwurf eintreten will, so soll eine Begünstigung für die bereits versicherten Arbeiter geschaffen werden.

Der Antrag Eugster-Züst wird angenommen.

  1. Beratung des vorliegenden Notreglements.
  2. Wahl des Unterstützungsausschusses.

Das Bureau wird ex Offizio in den Ausschuss gewählt.

Als Arbeitnehmer werden gewählt Scherrer Josef, Vogel & Senn.

Als Arbeitgeber: Wetter, Huber, Köchlin, Rohner.

  1. Otto Alder teilt mit, dass Aussicht bestehe, dass England gewisse Erleichterungen für die Schweiz zulassen werde.

Anschliessend: Bankett im Hotel Walhalla.

Quelle: Staatsarchiv St.Gallen, W 108/1 (Tagebuch Scherrer, 15.03.1917) und ZMH 64/124a (Auszug aus Briefkopf: Hotel Walhalla-Terminus, St.Gallen, 1917)