Prorektorat Kantonsschule

Donnerstag, 24. Oktober 1918 – Grippefrei (mit Hausaufgaben)

Der Prorektor der Kantonsschule St.Gallen hielt in seinem Tagebuch fest:

Okt. 24

Gemeinsame Sitzung mit den Vertretern der städtischen Anstalten zur Besprechung der Frage, wie lange die Schulen der Grippegefahr wegen geschlossen bleiben sollen. Beschluss, bis auf weiteres den Unterricht nicht wieder aufzunehmen. Bei der Frage, ob sich ein gemeinsames Vorgehen aller hiesigen Schulen empfehle, erklärte ich unser Einverständnis, machte aber den Vorbehalt, dass unter Umständen die Kant. Schule [das Gymasium] ihrer besonderen Verhältnisse wegen ihre Handlungsfreiheit sich wahren müsse.

Nachmittag Besprechung mit den Abteilungsvorständen. Es wird beschlossen, wie in 7g & 2s, die schon am Montag Hausaufgaben erhielten, auch in 4t und 3m solche anzuordnen. Die Lehrer haben bis Samstag ihre Aufgaben dem Vorstand einzureichen, der sie zusammenstellt, vervielfältigt & den Schülern durch die Post zugehen lässt.

Meldung aller Beschlüsse an die Studienkommission.

Die Klassenbezeichnungen beziehen sich auf die gewählte Maturitätsrichtung: 7g ist die Klasse mit Maturatypus B (Latein), 4t diejenige mit Maturatypus C (Mathematik und Naturwissenschaften) und 3m diejenige mit Maturatypus E (Wirtschaft). Diese Klassen standen kurz vor den Maturaprüfungen. In der Klasse 2s sassen Seminaristinnen und Seminaristen.

Quelle: Staatsarchiv St.Gallen, KA R. 130-4c-3 (Tagebuch Prorektor, 1913-1919)

 

Protokoll Lehrerverein

Donnerstag, 22. August 1918 – Lehrerbesoldungsfragen

Was im Protokoll zur Vorstandssitzung des Kantonalen Lehrervereins vom 10. August 1918 unter dem Titel «Situation betreffend Gehaltsgesetz» zu seitenweisen Einträgen geführt hatte (vgl. Beitragsbild), wurde im Tagblatt vom 22. August nur knapp berichtet:

Neuregelung der Lehrerbesoldungen.

Die grossrätliche Kommission beantragt dem Grossen Rate, die gesetzlichen Mindestgehalte der Lehrer folgendermassen festzusetzen: Für Primarlehrer mit endgültiger Anstellung an Halbjahrschulen 1600 Fr., an Jahrschulen 2200 Fr. bis 2600 Fr. Für Sekundarlehrer 3000 Fr. in den ersten zwei Dienstjahren, bis 3500 Fr. nach dem vierten Dienstjahr; dazu staatliche Dienstalterszulagen von 100 Fr. im 7. und 8. Dienstjahr, bis 600 Fr. im 17. Dienstjahr für Primar- und Sekundarlehrer. Die Beiträge des Staates an die Schulgemeinden sollen betragen für eine Primarlehrerkraft von 1 bis 4 Dienstjahren 250 Fr., von über 4 Dienstjahren 500 Fr., für jede vollbeschäftigte Sekundarlehrerkraft 500 Fr.

Der 15-zeilige Kurzartikel nahm in der Ausgabe des Tagblatts nur halb so viel Platz ein wie die Anzeige zum Konservenschrank aus asbesthaltigem Faserzement:

Konservenschrank aus Eternit

Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, Wy 018 (Archiv Kantonaler Lehrerverein, Protokoll Vorstand vom 10.08.1918) und  P 909 (St.Galler Tagblatt, 78. Jg., Nr. 196, 22.08.1918, Morgenblatt, S. 3 und S. 4)

Mels mit Gonzen

Dienstag, 9. Juli 1918 – Besichtigung des Eisenbergwerks am Gonzen

Erich Cathomas, geboren 1901, später in leitender Stellung in der Textilbranche tätig, war von 1916 bis 1918 Schüler im Landerziehungsheim Hof Oberkirch in Kaltbrunn. Für die Monate Mai bis August 1918 war er verantwortlich für das Verfassen der Schulchronik. Darin notierte er:

9. VII. 18. Endlich nach langer Regenzeit konnte man es wagen, auf die Sommerreise zu gehen. Vorläufig wagten es die Sechser. Reiseplan war: Sargans, Gonzenbergwerk, Ragaz und Taminaschlucht. Von Sargans aus ging’s sanft hinauf gegen den Gonzen, fast immer durch den kühlen Wald, immer wieder mit einem freien Blick in’s Rheintal hinunter. Nach zwei Stunden erreichten wir den Nausberg, wo das Bergwerk ist, eine Alp unter dem Gonzen. Ich stellte mir natürlich eine grossartige Gebäudeanlage vor. Um so grösser war mein Erstaunen, als wir vor ein paar unscheinbaren Alphütten standen.

Unter Führung eines Vorarbeiters gingen wir zum Stollen. Vor diesem befand sich eine Luftpumpanlage zur Lüftung des 700 Meter langen Stollens und zum Betriebe der hydraulischen Bohrer. Vor dem Stollen lag ein Haufen roter Steine. Eisenerze, die ein grosses Gewicht hatten. Nun traten wir in den Stollen ein, der in Kalkstein eingesprengt ist. Eine angenehme, kühle Luft herrschte hier. Wir zogen wacker aus, immer Sorge tragend, den Kopf nicht an der Decke anzustossen, obschon wir wussten, dass es hoch genug war.

Plötzlich schlugen dumpfe Töne an unser Ohr, deutlich verspürten wir die Schallwellen, die so stark waren dass das Licht auslöschte. Sie sprengten «an Ort», etwa zehnmal, und uns wurde es ganz gruselig. Nach etwa 300 m verzweigten sich die Stollen. Der eine war ein sogen. Pulvergang, der im Zickzack hinauf zu den 300 m höheren alten Stollen führen wird. Wir gingen im Hauptstollen weiter, wo auf 350 m zum erstenmal 3% Eisenerz gefunden wurden. 30 m weiter wurden 60% gefunden, von hier aus werden alle 25 m Seitenstollen angelegt. Endlich erreichten wir den Vortrieb, wo das ausgesprengte Material noch am Boden lag. Brrrr – ein schreckliches GErassel begann, fast wie beim Zahnarzt, nur viel lauter und derber. Es war die Bohrmaschine, die die Sprenglöcher machte. In jeder Schicht wird zweimal gesprengt, die Schicht dauert 8 Stunden. Die Arbeitsleistung im Tag beträgt 3 m im Hauptstollen und 2 m im Nebenstollen. Wir gingen zurück zum Tageslicht und begegneten noch den Rollwagen, mittelst denen der ausgesprengte Schutt hinausbefördert wird. Bald standen wir wieder draussen. Unsere Haare waren ganz trocken von der Stollenluft. Wir schnappten wieder nach Luft, denn im hinteren Teil des Stollens hatte ein Pulverdampf gelegen wie Nebel.

Quelle: Staatsarchiv St.Gallen, W 127 (Landerziehungsheim Hof Oberkirch, Kaltbrunn, Hof-Zeitung: Aus der Schulchronik) und W 238/05.05-05 (Beitragsbild: Mels mit Gonzen, Ansichtskarte aus dem Verlag J. Bärtsch, Mels, ca. 1917)

Naturfreunde

Sonntag, 9. Juni 1918 – Koch-touristen statt Hochtouristen: Dreigangmenu auf der Hundwilerhöhe

Noch ein Tourenbericht der Naturfreunde St.Gallen, diesmal mit falscher Datierung. Geht man davon aus, dass die Tour wie beschrieben am Sonntag stattfand, müsste sie auf den 9. Juni datiert sein, nicht auf den 7. Juni:

Bummel-Tour nach Hundwilerhöhe 7/6.1918

Um den Hochtouristen, al [?] pardon Kochtouristen Gelegenheit zu geben[,] sich wieder mal tüchtig in ihrem Fache zu produzieren[,] hatte sich eine kleine Schar entschliessen können, Sonntag den 7. Juni nach der Hundwilerhöhe zu pilgern. Ein schöner Tag soll uns beschieden sein. Dieser Gedanke entlockte uns gleich morgens in der Früh feine [?] Musik[,] ich glaube[,] sie wurde vom löblichen Präsidium der Hütten-Verwaltung Stadtmusik Lustmühle getauft; die es verstand, uns glückliche Menschenkinder mit letztem Humor auszuwappnen. Nun geh[‹]s im strammen Tempo den Ihnen [sic] allen gut bekannten Weg der Schwanenbrück entgegen, der hinauf führt in’s so ruhig & nett gelegene Dörfchen Stein. Wie so schmuck & einladende sind all die Häuschen der Dorfstrasse. Ist dies doch der grosse Stolz des Appenzeller-Völkleins; ein schmuckes Heim Ihr [sic] Eigen nennen zu dürfen.

Von hier wählten wir den Weg, der uns führen sollte nach Sonnenthal & dann hinauf in die Höhe. Da welch Überraschung wiederum Musik lässt sich hören, die Leute scheinen uns St.Galler wirklich gut gesinnt zu sein, dass Sie [sic] uns fortan mit Musik empfangen. Ein Blick nach dem «Ani» & der verrät wie so furchtbar gerne es jetzt einen feschen Walzer schwingen möchte. Als Neuling noch so furchtbar schüchtern, wagt es natürlich diesen Wunsch nicht zu aussern [äussern] & so muss Sie [sic] denn von niemand bedauert, schweren Herzens von Dannen [sic] ziehn? Daüfr ist Sie aber später reichlich entschädigt worden, denn eines unserer verehrten Mitglieder[,] der sich bei dieser Tour als Spinner entpuppt oder noch besser als Schwindler, pardon Buchdrucker ist er ja[,] der nimmt sich in recht liebenswürdiger Weise der Ani an.

Nach gut 2stündigem Marsche soll uns ein gutes Gabelfrühstück beschieden sein. Kuhwarme Milch ruft die Kleine. Nicht lange währt & eine Kanne Milch steht zur Verfügung. Herrschaft[,] wie das fein schmeckt! Dem Hans & Konsorten ist’s natürlich nicht so gut ergangen, sie mussten sich mit «Gäs[«]-Milch [Ziegenmilch] begnügen. Geschmeckt hat[‹]s Ihnen [sic] doch wie Sie behaupteten. Nun «möge man’s wieder verlide» heisst’s. Noch den einen letzten, aber grossen Stich & die Hundwilerhöhe ist erreicht. Nun haben wir unser schönes Alpstein [sic] vor uns in all seiner Pracht. Wenn auch die Aussicht nicht so war wie auch schon[,] so hat der Anblick desselben den Zweck nicht verfehlt, schöne Erinnerungen wachzurufen. Pläne werden geschmiedet, so wunderschöne[,] wie manch einer wird wohl in Erfüllung geh[e]n.

in herrliches Plätzchen wird nun ausgesucht, das uns ermöglicht, während Stunden eines richtigen[,] wie der Italiener sagt: [«]Dolce far niente» zu erfreu[e]n[;] unter einer wunderschönen Tanne wird Zuflucht genommen. Schnell die Schuhe & Strümpfe ausgezogen & der Spitzbueb[,] von gewisser Person so tituliert[,] präsentiert sich in seiner ganzen Grösse. Wie anfangs richtig bemerkt[,] hatten wir heute in Augenschein genommen[,] uns nicht in Hochtouristik zu üben[,] sondern in was viel Praktischerem[.] «Kochtouristen»[,] diesen 2 Worten wollten wir heute mal alle Ehre machen & so müssen denn die verehrten Zuhörer mir wohl gestatten, dass ich jenes Mittagsmahl[,] fabriziert von einigen strammen Junggesellen St.Gallen’s ein bis[s]chen kritisiere. Elf Uhr ist’s[,] Freund Weber und Geuggis wissen nichts gescheiteres [sic] zu tun als schon jetzt Vorbereitungen für d’table D’haute [eigentlich «table d’hôte», hier vielleicht gemeint: «Tafel auf der Höhe»] zu treffen, damit sie ja sicher bis 3 Uhr fertig werden. «Eh, Herdöpfel-Rösti soll’s z’erst geh»[,] ruft der Eine. Richtig[,] Sie [sic] gehn [sic] mit Ernst hinter ihr Tagwerk. Sie verstehn’s nicht schlecht, dass muss man gestehtn & können in dieser Hinsicht der jungen Damen-Welt nur bestens als praktischer Ratgeber empfohlen werden. Nicht lange währt, die Kartoffeln sind zum Rösten bereit. Nun kann’s los gehn [sic] bemerkte eine Stimme, nicht so viel Zwiebeln[,] schreit eine Andere, zu viel Salz[,] ergänzt die Dritte. Kommandieren können die Drei[,] s’ist ne wahre Freud[,] wird sich geäussert. Der Hans[,] der denkt[,] wer zuletzt lacht, lacht am besten. Es ist auch richtig so gekommen, den[n] eine Herdöpfel-Rösti[«] haben sie aufgetischt, eine feinere hätt man sich nicht wünschen können. Da haben die drei Mädels hübsch artig geschwiegen & mit Erlaubnis beim Verzehren derselben tatkräftig unterstützt. Nun folgt jene berühmte Suppe[,] bei der die Gemütlichkeit den Höhe-Punkt erreichte. Die Zubereitung derselben hat einem jeden ein Lächeln entlockt, unvergesslich bleibt jener Anblick, wie gefühlvoll unser Koch es verstand[,] seine Wurst im Kochtopf verschwinden zu lassen. Na Prost[,] diese Brühe[,] guten Appetit dazu[,] wird gerufen! Wer nun geglaubt[,] dass diese misslungen, der hattë[ sich geirrt. Fein ist sie gewesen & hat dem Koch alle Ehre gemacht[.] Schwarzer Kaffee & Kuchen bilden den Schluss unseres Mittagsmahl[s]; dass [sic] uns mords Spass [sic] bereitete.

Unserer [sic] Führer oder Beschützer[,] wie man sie nennen will[,] sollen sich dermassen am Essen gütlich getan haben, dass Sie [sic] sich genötigt sehn[,] sich mit Bock-Springen zu betätigen. Unserer Bummel-Tour gemäss beginnt nun ein so recht gemütliches Lagerleben. Welch herrlich, freies Gefühl beschleicht da den Wanderer hier oben. Weg von dem Hasten des täglichen Lebens, Ruhe & Frieden während Stunden geniessen zu können[,] das ist ja[,] was uns so mächtig hinaus zieht, hinaus in’s Freie, in Gottes schöne Natur. Wer seine richtige Freude daran empfindet[,] der muss auch gestehn; dass trotz den bitter bösen Zeiten[,] in der [sic] wir uns befinden[,] wir uns doch glückliche Menschen schätzen können; denn unser Heimatland unser einzig schönes Schwyzerlandli [sic] ist doch bis heute unversehrt geblieben. Dankbar gedenken dessen in erster Linie die, deren grösste Freude es ist[,] all ihre freien Stunden dazu zu benützen, um die reichen Schätze an Schönheit[,] deren unsere Heimat so viel besitzt[,] zu suchen und zu geniessen.

Diese schönen Ruhestunden entrin[n]en meistens nur allzu schnell & so ist es auch heute wieder der Fall.  5 Uhr ist’s & es soll Abmarsch erfolgen. «Euser Mutz»[,] der diesen Tag unserm Kreise geopfert, gedenkt von Hier nach der Hütte zu geh[e]n[,] um Dort [sic] von den grandiosen Belästigungen der Bremen [Bremsen, blutsaugende Insekten], die ihm so manch netten Kraftausdruck entlockt[,] sich zu erholen. Von unserm heutigen Idyll wird Abschied genommen, wo wir uns während nicht weniger den 7 Std[.] aufhielten. Heimwärts zieht die fröhliche Schar, wo wir glücklich & wohlbehalten um 8½ Uhr anlangten.

Berg frei

R. Braunschweig

Quelle: Staatsarchiv St.Gallen, W 285/2.06.1-2 (Naturfreunde St.Gallen, Tourenberichte 02.07.1916-12.04.1920, Text und Beitragsbild; zusätzliche Absätze der leichteren Lesbarkeit wegen eingefügt)

Naturfreunde

Sonntag, 2. Juni 1918 – Der sor-genbeladene Proletarier geniesst prächtige Fernsichten

Die Naturfreunde (und -freundinnen!) St.Gallen gingen wieder einmal auf Tour (vgl. frühere Beiträge zum 02.07.1916, 23.07.1916, 06.08.1916 und zum 27./28.05.1917). Hatte man in den Jahren zuvor anspruchsvolle Bergwanderungen im Alpstein und im Glarnerland unternommen, wanderte man nun auf bescheideneren Höhen kilometerweise und dadurch nicht weniger anstrengend durch das Appenzeller Vorderland.

St.Anton-Gebhardshöhe-Walzenhausen

Motto: Hinaus aus dem Hause, der Tag ist schön, / Hinaus auf die lieblichen, sonnigen Höhn! / Den Rucksack zur Stelle, den Bergstock zur Hand. / O herrliches Leben auf Bergeshöh’n, / Da wohnt der Friede, da ist es schön.

Was gibt es wohl Schöneres, als ein bis[s]chen Wandern im heimatlichen Hügelland, dazu noch im Frühling? Das ist ein Genuss, den sich auch der sorgenbeladene Proletarier leisten kann, denn noch sind Wanderlust und Lebensfreude nicht rationiert. Schon die blosse Aussicht der Teilnahme an einer Wanderfahrt lässt uns frohgestimmt sein und hebt uns hinaus über all den Alltagskram. – Die Sorgen hübsch zu Hause lassend, zieht man an einem milden Lenzmorgen hinaus in die blühende Natur. Mit oder ohne Ränzel und Wanderstab, Brot-, Fett-, Käse- und Landkarte in der Brusttasche wohl verwahrt, geht[‹]s früh morgens dem Appenzellerländli zu.

So war es auch am ersten Juni-Sonntag des vierten Kriegsjahres, als sich um halb 6 Uhr ein Häuflein wanderfroher Naturfreunde beim «Mühleck» [in St.Gallen-St.Georgen] zusammenfand. Das Wetter sah zwar nicht gerade einladend aus, graue Wolken zogen von einem leichten Nordost getrieben, am Himmel dahin. Unsere neun Touristen schienen jedoch in den Wettergott ein grosses Vertrauen zu haben, nur wenige hatten sich in vorsorglicher Weise die Pelerine umgeschnallt. Unter allerlei anregenden Gesprächen, Rede und Gegenrede tauschend, ging man munter durchs Philosophental und am Wenigerweier vorbei nach Vögelinsegg. In Speicher gab die Dorfmusik just ein Morgenkonzert; während wir ihren klangvollen Weisen lauschten, schlossen sich uns noch zwei Nachzügler an. Ohne Aufenthalt passierte [man] Trogen und nach kaum drei Stunden war das so hübsch gelegene Wald erreicht. Im Hof «Waldebene» ob dem Dorf war der Bauer gerade am Melken, bereitwillig überliess er den Hungernden von der köstlichen Milch. Allgemein wurde der Inhalt des Rucksackes einer Inspektion unterzogen und ein besonders Freigebiger regalierte [beschenkte] die Wandergenossinnen mit feiner Konfitüre.

Eine umfassende Rundsicht entzückt hier das Auge; vom waldumsäumten Kaien und heimeligen Rehetobel schweift der Blick bis weit ins Oberthurgau hinaus; Heiligkreuz, Rotmonten und der Tannenberg grüssen aus der Tiefe heraus. Im Westen liegen hinter den eben durchwanderten Orten die Erhebungen des Appenzeller Hinterlandes mit Sitz, Hundwilerhöhe und Kronberg. Die bewaldete Kuppe des Gäbris beschliesst die Rundsicht, links davon hängen die Regenwolken sehr tief. Vom Alpstein, der sich von hier aus prächtig ausnehmen dürfte, ist nichts zu sehen. Der kalte Wind vermochte unsere gute Stimmung nicht zu beeinflussen, mahnte aber doch zum Aufbruch[,] und über Bühl und «Tanne» pilgerte die Gesellschaft gemächlich nach St.Anton.

Bei der «Tanne» öffnet sich der Blick nach Osten, grüne Wiesen, waldreiche Hügel und freundliche «Heimeli» [kleine Heimstätten] bieten für das Auge angenehme Ruhepunkte. Um halb 10 Uhr kam die Gruppe auf St.Anton an. Rechts die ehrwürdige Kapelle, links ein behäbiges Gasthaus, dehnt sich unvermittelt das mittlere Rheintal mit dem staatlichen Flecken Altstätten unter uns aus. Wir sind auf dem östlichen Ausläufer des Alpsteins; gegen das Rheintal fallen die Hänge ziemlich steil ab, hin und wieder treten die nackten Nagelfluhfelsen zutage, während von Nordosten her das Gelände eine Hochebene bildet und gegen Wald und Kaien hin allmählich sich senkt. Um mit beschaulicher Ruhe die Aussicht geniessen und den Znüni einnehmen zu können, einigte man sich auf einen kleinen Halt; die einen wollten sich in der Wirtschaft gütlich tun, während die andern in der Nähe mitten auf einem Fussweg es sich bequem machten. Eine holde Fee im blauen Kleide verteilte brotkartenfreie Süssigkeiten, und fand damit allgemeines Lob. Die Fama will wissen, , es seien nun auf einmal drei Paare gewesen und der siebente im Bunde habe, in seiner Zurücksetzung, die Pfeife in Brand gesteckt und sich damit hinter seinen umfangreichen Rucksack verkrochen. Mehr kann ich nicht verraten!

Weil die Herbeischaffung der notwendigsten Lebensmittel heute die grösste Sorge ist, freute es uns besonders, zu sehen, wie in der weiten Rheinebene alles Land in sorgfältiger Weise bebaut wird. Von oben betrachtet, nehmen sich die ausgedehnten felder hinter Rebstein-Marbach und Altstätten wie ein einziger wohlgepflegter Garten aus. Das dunkle Grün der Mais- und Getreidepflanzungen wechselt mit den hellgelben, schon «geheuten» Wiesen, nebenan lassen sich «Schöchli» [Gras- oder Heuhaufen] und langgezogene Kartoffeläcker unterscheiden. Die rotbraunen Hausdächer verschwinden beinahe in dem sattgrünen Blätterdach der unzählichen Obstbäume. Möge die Mhüe der Landwirte durch einene reichen Ertrag belohnt werden, es kommt auch uns Städtern zugute, denn die Zufuhren an Nahrungsmitteln aus dem Auslande waren noch nie so unsicher wie gerade jetzt.

Bald nach 10 Uhr ward Oberegg erreicht, auf angenehmen Fusswegen durch Wiesen und Wald. Man muss es den Appenzellern lassen, sie verstehen es, ihren Ortschaften ein heimeliges, sauberes Aussehen zu geben. Von der Höhe schon bewunderten wir die reizvolle, geschützte Lage dieses Dorfes mit seinen vielen neuen Ziegeldächern. Die kleinen Häuschen inmitten hübscher Gärten machen einen wohnlichen Eindruck; hier stört kein lärmendes Getriebe die idyllische Ruhe. Die uns zur Verfügung stehende Zeit gestattete leider keinen Aufenthalt, es wurde direkt nach Blatten marschiert und durch dunkeln, geheimnisvoll träumenden Tannenwald nach Gerschwendi. Von allen Höhen zwischen Wald und Walzenhausen gefiel dem Berichterstatter diese am besten, die Rundsicht ist selten schön. Die Naturfreunde sind an diesem Punkt viel zu schnell vorbeigegangen, ein kurzer Halt hätte sich wohl gelohnt, die Ruhebänke am Waldessaum haben ja förmlich zum Verweilen eingeladen. Denn inzwischen hatte das Wetter mehr und mehr gebessert, lachender Sonnenschein begleitete die Wandernden.

Wieder trennte man sich in zwei Gruppen, die erstere fühlte sich durch die stolz im Winde flatternde weiss-rote Fahne unwillkürlich nach dem Restaurant Gebhardshöhe (892 Meter über Meer) hingezogen, die zweite zog eine Rast weiter unten am Waldrand vor, um in der eigenen Küche ein frugales Mahl zu bereiten. Auf der Terrasse der Sommerwirthschaft bietet sich eine prächtige Fernsicht: Von Fähnern und Hohen Kasten nach links folgen die bekannen Gipfel Falknis, Drei Schwestern, Scesaplana [Schesaplana], Zimbaspitze, Hoher Freschen, Staufen und weiterhin die Allgäuer Alpen. Unten die Ortschaften Dornbirn, Hohenems, Götzis und Rankweil. Im Vordergrund die ausgedehnte, vom Silberband des Rheins durchzogene Ebene, wo wir Lustenau, Heerbrugg, Diepoldsau, Schmitter, Altstätten, Oberriet usw. erkennen. Schnurgerade weisse Landstrassen verbinden die Dörfer untereinander und bringen wohltuende Abwechslung in das Landschaftsbild. Im Norden liegt der Bodensee vor dem Beschauer ausgebreitet. Von Bregenz schweift der Blick weit hinaus in schwäbische Gaue, um über das Schweizerufer nach Westen sich zu wenden, wo der Horizont durch waldige Höhen und einzelne Bauernhöfe abgeschlossen wird. Durch den Genuss einer solch weiten Rundschau wird die Anstrengung einiger Marschstunden reichlich aufgewogen. Aber auch für des Leibes Wohl ist gesorgt: wir wurden zu billigem Preise gut bedient, was hier ehrend erwähnt werden soll.

Beim Abstieg nach Walzenhausen ist leicht zu erkennen, dass hier ein rühriger Verkehrsverein an der Arbeit ist, die zahlreichen Waldwege und bequemen Ruhebänke sind gut unterhalten, die Wegweiser orientieren den Spaziergänger vortrefflich. Wo man sich auch befinden mag, überall gibt es herrliche Ausblicke. Am Hotel Rosenberg und prächtig gelegenen Friedhof vorbei sind wir bald auf dem Dorfplatz angelangt; nach einigem Zögern entschied sich die Gruppe dahin, bei der Strassenabzweigung nach Thal-Wolfhalden die Ankunft der zurückgebliebenen «Selbstversorger» abzuwarten. – Diese hatten beim Abkochen ein kleines Intermezzo. Freund Meyer offerierte von seiner Erbssuppe auch unserem jüngsten Mitglied Frl. Steinmann. Dabei ergoss sich das köstliche Eigenprodukt über ihr blaues Kleid. Dieses wurde kurz entschlossen an einem nahen Brunnen gewaschen[,] und bald waren alle Spuren des Missgeschickes verschwunden. Andere «Köche» befassten sich damit, die vom Baume fallenden Maikäfer vom Suppentopf fernzuhalten; sie wollten von dieser Würze, die eine Spassvogel ihnen zugedacht, absolut nichts wissen. Ueberhaupt ging es bei dieser Mahlzeit lustig und hoch her, von einer Einschränkung der Lebenshaltung war nichts zu bemerken!

In welchem Teil von Walzenhausen man sich auch aufhalten mag, überall überrascht das ausgedehnte Panorama. Der Bodensee aber wird – im Gegensatz zu früheren Zeiten – von keinem Schiffe belebt. Der einst rege Verkehr der Seeanwohner hat unter dem Einfluss des Krieges fast gänzlich aufgehört. –

Um 4 Uhr wurde der Weg nach Rorschach eingeschlagen. Bald ging es durch das windgeschützte, durch seinen Obstreichtum berühmte Dorf Thal. Am Buchberg rechts, mit seinem vielbesuchten Ausflugspunkt «Steinerner Tisch» am östlichen Ende, gedeiht der von Kennern gerühmte «Buchberger». Aber auch hier mussten die Rebberge zu einem schönen Teil dem heute so notwendigen und wohl nicht minder lohnenden Gemüsebau weichen. Beim Buchsteig, wo die Naturfreunde schon oft, das letzte Mal vor vier Wochen, bei ihrem altgewohnten Bluestbummel [sic] über den Fünfländerblick, Halt machten, gab[‹]s auch diesmal eine Rast. Der Rucksack wurde seines letzten Inhaltes beraubt und dann durch das idyllische Dörfchen Buchen und an der Kuranstalt Risegg vorbei dem See zu gepilgert. Der Weg ist heute von vielen Ausflüglern belebt, nicht minder die Hauptstrasse von Staad nach Rorschach, wo die zahlreichen Radler dem Spaziergänger den Staub um die Nase wirbeln. Zwei besonders Neugierige nahmen die im Entstehen begriffene moderne Seeparkanlage in Augenschein, welche wohl nicht wenige zur Hebung des Besuches unserer st.gallischen Hafenstadt beitragen wird. Schliesslich landeten die Naturfreunde alle wohlbehalten in der Volksküche zu Rorschach. Für das letzte Stück bis nach St.Gallen benützte ein Teil die Bahn, während die ganz Unentwegten auch diese Strecke noch unter die Füsse nahmen.

Wenn die zurückgelegte Tour auch ziemlich anstrengend war, hat sie dessenungeachtet durch ihre Abwechslung die Teilnehmer voll befriedigt. Ein schöner, genussreicher Tag liegt hinter uns, nach welchem man mit neuem Mute die Berufsarbeit wieder aufnimmt. Mögen den Naturfreunden noch viele ähnliche Sonnentage beschieden sein!

Berg frei!

Joh. Geuggis, Berichterstatter.

Quelle: Staatsarchiv St.Gallen, W 285/2.06.1-2 (Naturfreunde St.Gallen, Tourenberichte 02.07.1916-12.04.1920, Text und Beitragsbild; zusätzliche Absätze der leichteren Lesbarkeit wegen eingefügt)

Steinach, um 1907

Mittwoch, 3. April 1918 – Jugend-bande «Schwarzer Stern Steinach»

Im idyllisch am Bodenseeufer gelegenen Dorf planten drei Jugendliche, verführt durch Kino und Schundliteratur, dunkle Machenschaften:

3. April 1918.

Akten-Eingang in Sachen Jenzer, Hüssen [?] & Bayer.

3 Beklagte hatten unter sich eine Gesellschaft gebildet, der sie den Namen «Schwarzer Stern Steinach» gaben. Sie machten gegenseitig ab, andere Leute zu bestehlen & auf andere Arten zu schädigen. Sie führten eine Geheimschrift & entwarfen einen Vertrag. Gemäss demselben hatten die Bekl. eine Reihe von Diebstählen verabredet, an deren Ausführung sie dann in der Folge gingen. Auch haben sie sich untereinander der grobunsittlichen Handlungen schuldig gemacht. Äussere verderbliche Einflüsse durch häufigen Kino-Besuch, infolge Lesens von Romanen & Betrachten von unsittlichen Bilder[n], seien schuld, dass sie so schwer gestrauchelt seien. Die Jugend & ihre Unselbständigkeit erheischt eine scharfe und verständnisvolle Schutzaufsicht.

Quelle: Staatsarchiv St.Gallen, KA R. 87 B6 (Schutzaufsichtskommission, Tagebuch 1915-1918) und W 238/02.06-06 (Ansichtskarte zu Steinach, um 1907, erschienen im Verlag von Frau Dolder, Handlung, Nr. 6267. Buckdr. Leop. D. Guggenheim, Zürich)

Weihnachten Hof Oberkirch

Samstag, 22. Dezember 1917 – Weihnachtsvorfreude in Hof Oberkirch

Die Schulchronik des reformpädagogisch geführten Landerziehungsheims Hof Oberkirch bei Kaltbrunn vermerkt für den 21. und den 22. Dezember 1917:

21. Dez. 1917. Die Weihnachtsferien vor Augen wurden die Koffern von dem Dachboden heruntergschaf[f]t und ein eifrig freudiges Packen begann. Auch noch Vorbereitungen für die bevorstehende Weihnachtsfeiher [sic] mussten getroffen wergen [sic]. So war denn reger Betrieb.

Mit den 5 Uhr Zügen trafen wie erwartet die wenigen Gäste ein. Vielen Eltern war es involge [sic] schlechter Zugverbindungen verunmöglicht zu kommen. Dem entsprechend feiherten [sic] wir unsere Weihnachten.

Unser Programm enthielt einige Chorgesänge. Auch sangen Fräulein Irmgard Weber sowie Herr Mäder solo. Die Höflermusiker produzierten sich mit [(mit) gestrichen] ihren gut eingeübten Künsten, worunter sich besonders Paul Tobler auszeichnete. Als wohltuende Abwechslung des Programms rezitierte Ernst Schmidheinz eine Weihnachtsgeschichte und Herr Tobler las was passendes vor. Schlicht jedoch stimmungsvoll, wozu der mit Äpfeln und brennenden Kerzen geschmückte Christbaum beitrug, schloss der Abend mit dem Liede

O du fröhliche …

Doch für uns ging der Bummel erst recht los. Mit Höflerappetit macht man sich anden Weihnachtsfras[s], der trotz des Krieges nichts zu wünschen übrig liess. Nur der Rahm blieb aus, er wurde jedoch durch Früchte u. Torte ersetzt.

Wer erbarmte sich nicht der vollen Bäuche, die vor lachen [sic] fast zerplatzten, denn die Giftspritzer hatten ihr erbarmungsloses Handwerk begonnen. Blass, dann immer röter werdend, steht Einer nach dem Andern vorn, umringt von der, vor Schadenfreude jubelnden Menge. Nach dieser Beschehrung wurden noch verschiedene andere gediegene Sachen gebracht[,]  unter anderm [sic] hielt Welti einem [sic] Festrede.

Inzwischen 12 Uhr geworden, gings dann ins Bett.

22. Dez. 17. Trotz des langen aufbleibens [sic] begann schon früh reges Leben. Jeder machte sich reisefertig. Fieberhaft ass man zu Morgen, denn kaum fassbar erschienen die Ferien. Erst im dahienfahrenden [sic] Zuge kann man es richtig erfassen:

«Hurra Ferien»!

Nächster Beitrag: 29. Dezember 1917 (erscheint am 29. Dezember 2017)

Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, W 127 (Hofchronik 1915-1921; Beitragsbild: Linolschnitt von Paul Tobler in der Hof-Zeitung, Nr. 9, April 1917)

Kriegsbrot

Donnerstag, 25. Oktober 1917 – Ferienverlängerung wegen Kohlennot

Die Herbstferien in Hof Oberkirch waren um vier Tage verlängert worden – Kohleknappheit führte dazu, dass in diesem Winter die Schulzeit für viele Schülerinnen und Schüler kürzer, resp. die Ferienzeit länger ausfiel: Da, ein Schreiben vom Hof, Ferienverlängerung, 4 Tage, bis am 29. Oktober. Hurra!!! wer wol[l]te sich da nicht freuen?, heisst es in der Schulchronik.

Am 29. Oktober war die Gnadenfrist jedoch abgelaufen, die Schüler wurden in Kaltbrunn erwartet:

20. Oktober 17. Trotz des wiederholt reduzierten Fahrplans rücken die Meisten [sic] mit den 5 Uhrzügen ein. Nur Cathomas, [Carl] Bois de Chaisne [eigentlich Bois de Chesne], Brandenberger, Schoop und Grieder, der zugleich ausgetreten, waren wegen Krankheit verhindert. Auch Kaspar fehlte. Dagegen erschien Alfons Haase, der seinen Abschied vom Hof schon gefeiert mit 2 Brüdern Mario und Erwin Haase. Also mit 3 Haasen wurde der Hof beglückt. [Hinweis: Die Schüler hielten verschiedene Haustiere auf dem Hof, zeitweise sogar ein Reh.]

Niki ist der Abschied vom Mutti besonders schwer gefallen, denn er konnte sich der Tränen nicht enthalten. Viel freudiger rückte Hugo Raichle ein, den[n] er will mit siner Brille eindruckschinden [sic].

In der Versammlung berichtete Herr Tobler über die Einschränkung des Heizens. Denn es wurde dem Hof Kohle zugeteilt, mit welcher er den kommenden Winter durchschlagen muss. Die obersten 2 Stockwerke werden gar nicht geheizt. Ferner das Naturkunde-[,] Blaue- und Mathematikzimmer nicht. Schule wird im Zeichnungs-[,] Studien- und in den beiden Essälen gehalten. Nicht nur dies gab uns der noch immer tobende Krieg zu spüren, sondern 2 der Lehrer[,] Herr Schlegel [Lehrer für Mathematik, Feldmessen und Buchhaltung] und Herr Dr. Rebmann [Lehrer für Latein, Geschichte und Geografie] sind im Dienst.

Lehrer und Schüler des Landerziehungsheims gruben in dieser Zeit in der Umgebung des Hofs auch selber nach Kohle (Bericht dazu im Beitrag zum 4. März 1917). Die nachstehende Foto von Kurt Bäbler wurde in der Hof-Zeitung vom April 1919 mit der Legende Unsere Kohlengräber 1918/19 publiziert:

Kohlengraeber Oberkirch

Nächster Beitrag: 6. November 1917 (erscheint am 6. November 2017)

Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, W 127 (Schulchronik 1915-1921; Beitragsbild in: Hof-Zeitung, Nr. 11, Dezember 1917, Linolschnitt mit dem Titel «Kriegsbrot» von Primarschüler Ulrich Schoop; Foto von Kurt Bäbler aus Album «Lehrer und Schüler auf dem Hof Oberkirch»)

Samstag, 13. Oktober 1917 – Kampf um jedes Zeitungsabonnement

Die Betriebskommission der Zeitung Ostschweiz hielt in ihrem Protokoll fest:

Gegenstand der Verhandlung ist die Agitation für die Ostschweiz auf kommendes Neujahr. In organisatorischer Richtung wird als Grundsatz aufgestellt, und dass keine allzu grossen Kosten verursacht werden sollen, und daher eine Massenpropaganda ausgeschlossen bleibe. Vor allem ist Sorge zu tragen, dass keine bisherigen Abonnenten auf den Jahreswechsel abspringen und dass die Gewinnung neuer Abonnenten auf dem Wege des persönlichen Besuches statt lediglich durch Versandt [sic] von Probenummern Platz greift.

Im weitern gibt Herr Redaktor Buomberger als Präsident des Katholikenvereins St.Gallen Aufschluss über die bereits im Katholikenverein der Stadt gefassten Beschlüsse, dahin gehend, dass alle Neuvermählten und neu Eingezogene kathol. Gesinnung in der Dompfarrei zum Abonnement der Ostschweiz gewonnen werden sollen, dass ferner die Wirtschaften, welche die Ostschweiz noch nicht halten, durch Besuche und konstantes Verlangen nach dem Blatte zum Abonnement moralisch verpflichtet werden und dass in Apologetischen Vorträgen stetsfort für die Presse agitiert wird. Die Suche nach neuen Abonnenten wird dadurch vereinfacht, indem das vom Katholikenverein aufgestellte Verzeichnis mit demjenigen der Ostschweiz-Abonnenten verglichen wird, und wo möglich, man auch Einsicht in die Postabonnenten-Verzeichnisse bekömmt [sic]

Herr Bezirksammann Wirt[h] als Präsident des konservativen Volksvereins Tablat regt auch an, die Frauenorganisatioen zur Blattpropaganda zu begrüssen. Vom Betriebe der Ostschweiz wird verlangt:

a. Die Gewährung einer Provision von 50 Rpp [sic] für jede neue Halbjahr[-]Abonnement.

b. Die Erstellung von Abonnenten-Verzeichnissen über alle drei Gemeinden St.Gallen, Tablat und Straubenzell, und Ueberlassung derselben an die propagandatreibenden Vereine.

Diese 2 Bedingungen werden gerne erfüllt und deren Zusage gesichert. Als Begleiterscheinung zur Propaganda wird noch betont, dass auf das kommende Neujahr eine abermalige Erhöhung des Abonnementspreises unausweichlich sei und damit gerechnet werden müsse, dass mindestens fr. 1.- [sic] pro Semester eintrete. Die enormen Papierpreise, die Lohnerhöhungen und Ausrichtung von Teuerungszulagen an das Geschäftspersonal, sowie das rapide Steigen der übrigen Bedarfspreise, machen eine Erhöhung des Blattabonnements zur zwingenden Pflicht, will man die fast unerschwinglichen Mehrauslagen zur [sic] einigermassen mit den Einnahmen in Einklang bringen, udn das Buchdruckergewerbe vor dem Ruin bewahren.

In längern Ausführungen macht noch Herr Isenrich sehr beachtenswerte Mitteilungen über die Rendite des Blattes und deren Erstellungskosten im Vergleiche zu den Einnahmen am Abonnementspreise & begründet die Notwendigkeit einer Erhöhung der letztern aus innigster Ueberzeugung.

Ein Punkt, der die Betriebskommission und den Verwaltungsrat schon des öftern beschäftigte und der in den Organisationen des Schweiz. Verbandes von Buchdrucker[n] und Verleger[n] und in den Lokalkonferenzen der städt. Blätter schon wiederholt gerügt und als unstatthaft bezeichnet wurde und die Ostschweiz-Verwaltung in Verlegenheit gebracht hat, ist das bestehende Arbeiter-Abonnement zum reduzierten Preise. An eine Abschaffung dieser Vergünstigung muss über kurz oder lang ernstlich gedacht und gedrungen werden. Die Wohltat dieser den christl. sozialen Arbeitervereinen s.z. eingeräumten Vergünstigung wird mitunter missbraucht und unter dem Titel der Mitgliedschaft von Personen beansprucht, die gar kein begründetes Anrecht darauf haben können. Hier kann nur die gänzliche Abschaffung der Arbeiterabonnements Wandel schaffen. Wie dies möglich und ohne Einbusse an Abonnements erreichbar ist, muss die Suche nach einem beidseitigen acceptablen Uebereinkommen bringen. Als ein zulässiges Mittel wurde schon die Frage der Abschaffung in Form eines an die Vereine zu leistenden Finanzausgleiches diskutiert. In der benutzten Diskussion über diese Angelegenheit warnt Herr Redaktor Buomberger vor dem Argument, im gleichen Atemzuge eine Erhöhung der Abonnementspreise und die Abschaffung der Arbeiter-Abonnements vorzunehmen, weil die finanzielle Last für die Arbeiter zu gross würde und Massen-Refüse [sic] des Blattes zu befürchten wären. Im Prinzipe [sic] ist Herr Redaktor Buomberger mit der gelegentlichen Beseitigung des Misstandes [sic] einverstanden und wünscht nur das Abwarten eines günstigeren Momentes, womit auch die Betriebskommission gleicher Auffassung ist und nie daran gedacht hat, beides miteinander zu vereinigen.

Herr Bezirksammann Wirth steht der Frage einer erneuten Erhöhung der Abonnements im allgemeinen skeptisch gegenüber und möchte die unerlässliche Einsparung in der Texteinschränkung des Blattes suchen. Nachdem hierauf von Seite des Präsidenten aufmerksam gemacht wird, dass der Gewinn der Texteinschränkung sich nicht mit der Abonnements-Erhöhung messen könne und letzteres sich mit dem erstern wohl ver[e]inigen lasse, und eine Erhöhung des Abonnementspreises für alle Blätter durch einen Beschluss des schweizerisch. Buchdruckerverbandes zur Pflicht gemacht werde, wird die Angelegenheit für heute erledigt.

Herr Augustin Stähly gibt noch Aufschluss über die begonnene Statistik der Wirtschaftsabonnenten der 3 Kreise im vereinigten St.Gallen, wovon mit Interesse Notiz genommen wird.

Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, Wy 088 (Firmenarchiv «Ostschweiz» Medien AG, Protokolle Verwaltungsrat und Betriebskommission, 1915-1920; Text)

Frau und zwei Kinder im winterlichen Pfäfers

Freitag, 12. Oktober 1917 – Schwierige Steuerfragen: Schul-geld fuer Kinder eines Internierten

Die Erziehungskommission des Kantons St.Gallen, ein Spezialausschuss des Erziehungsrates, befasste sich mit der Frage, ob die Kinder eines Internierten Offiziers Schulgeld zu bezahlen hätten:

Der Schulrat Pfäfers frägt an, ob er einen auf St.Margreterberg internierten Offizier, der daselbst seine 2 Kinder beschulen lässt, und seine Frau bei sich hat, besteuern dürfe. Es wird geantwortet, der internierte Offizier sei nur zwangsweise in der Schweiz, er müsse also rechtlich als ausserhalb des Landes wohnend betrachtet werden. Darum sei er zu keiner Steuer und Abgabe verpflichtet. Dagegen haben Frau und Kinder freiwillig hier Wohnsitz genommen und sind rechtlich als im Kanton St.Gallen wohnhaft zu betrachten. Da aber schwer zu ermitteln wäre, inwie weit [sic] die Frau steuerrechtlich belangt werden könnte, sollte von einer Steuer abgesehen werden und auf gütlichem Wege ein Schulgeld erhoben werden. Weitere Abklärung wäre beim eidgenössischen politischen Departement einzuholen. 26. Oktober.

Das Beitragsbild ist undatiert, aber zwischen 1901 und 1919 entstanden. Es zeigt eine (unbekannte) Frau und zwei Kinder im winterlichen Pfäfers.

Nächster Beitrag: 13. Oktober 1917 (erscheint am 13. Oktober 2017)

Quelle: Staatsarchiv St.Gallen, KA R. 130 B1, Bd. 1917 (Protokoll 1917/Nr. 492, Text) und ZOF 002/01.62 (Beitragsbild)