Auszug aus dem Bürgerrechtsdossier von Gertrud Honegger

Freitag, 22. Dezember 1916 – Heimatloses Mädchen erhält Bürgerrecht

Der Grosse Rat verhandelte auf Antrag des Regierungsrates am 22., 23.und 30. November 1916 über insgesamt 153 Kantonsbürgerrechtsgesuche. Das Dossier von Angelina Honegger wurde am 30. November unter Nummer 142 behandelt. Sie erhielt das Bürgerrecht von St.Gallen gegen eine Taxe von 100 Franken.

Angelina Honegger war gemäss Mitteilung der Hebamme Isabella Sacchi am 31. Mai 1901 um 1 Uhr 55 als Kind unbekannter Eltern in Rom geboren worden. Die Hebamme gab ihr den Namen Angelina Vrasini. Das Mädchen war 1902 in die Schweiz gekommen, vom Ehepaar Bertha und Rudolf Honegger-Dieth angenommen und 1912 adoptiert worden. Rudolf Honegger, Bürger von St.Gallen, war seit 1909 als praktischer Arzt in Egg im Kanton Zürich tätig. Da die leiblichen Eltern des Mädchens unbekannt waren, galt Angelina Honegger als heimatlos. Die Adoptiveltern stellten deshalb ein Einbürgerungsgesuch und später noch ein Namensänderungsgesuch, das am 22. Dezember 1916 vom Departement des Innern des Kantons St.Gallen wie folgt beantwortet wurde:

Mit Zuschrift vom 8. ds. Mts. stellen Sie das Gesuch, es möchte Ihrer Adoptivtochter Angelina die Bewilligung erteilt werden, inskünftig den Vornamen „Gertrud“ führen zu dürfen. Nachdem dieser Tochter mit Schlussnahme des Grossen Rates vom 30. November lf. J. das Bürgerrecht des Kantons St.Gallen zuerkannt wurde, ist der herwärtige Regierungsrat zur Bewilligung der Namensänderung gemäss Art. 30 ZGB kompetent; die zuständigen Behörden der Stadt St.Gallen haben gegen diese Namensänderung nichts einzuwenden, so dass der Vorlage Ihres Gesuches an den Regierungsrat von dieser Seite aus nichts mehr im Wege steht.

Dagegen ist laut Mitteilung der Staatskanzlei die Kantonsbürgerrechtstaxe für die genannte Tochter im Betrage von Fr. 100.- noch ausstehend und es kann Ihr gestelltes Namensänderungsgesuch für so lange vom Regierungsrate nicht behandelt werden, bis dieser Betrag einbezahlt ist. Bis zur erfolgten Einzahlung dieser Taxe muss daher auch das Namensänderungsgesuch zurückgelegt werden, wovon wir Ihnen Mitteilung machen.

Hochachtungsvoll

Für das Departement des Innern,

Der Regierungsrat:

sig. Rukstuhl.

Geht – in Abschrift – an die Staatskanzlei zur Kenntnisnahme und zur sofortigen Berichtgabe an das Departement, so bald die Kantonsbürgerrechtstaxe für die Tochter Angelina Honegger einbezahlt worden ist. Das oberwähnte Namensänderungsgesuch soll dann dem Regierungsrate gleichzeitig mit der Erteilung des Kantonsbürgerrechtes vorgelegt werden. Bis zur Behandlung des erstern soll auch mit der Ausfertigung des Bürgerrechtsbriefes zugewartet werden.

St.Gallen, den 22. Dezember 1916.

Rukstuhl.

Nachbemerkung: Um 1930 war Gertrud Honegger als Büroangestellte in Arosa tätig. Später lebte sie in Ringgenberg BE. (Quelle: Bürgerbuch St.Gallen)

Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, KA R.88-5-a (Text und Abbildung)

Sonntag, 10. Dezember 1916 – Eine Frau ist die beste Bienenzüchterin im Kanton St.Gallen

Bruggen, den 10. Dez. 1916.

Bericht über die Förderung der Bienenzucht im Kanton St.Gallen pro 1916.

Hochverehrter Herr Landammann!

Verehrte Herren Regierungsräte!

Gestatten Sie mir gütigst, dass wir Ihnen über die Förderung der Bienenzucht im Kanton St.Gallen, während des Jahres 1916 Bericht erstatten.

Allgemeines. Einem wunderschönen Vorfrühling, der sich die Völker prächtig entwickeln liess, folgte eine schlimme Zeit. Wenige Trachttage – doch reichen sie in tiefer gelegenen Gebieten so weit, dass kräftige Kolonieen [sic] eine schöne Frühjahrsernte einheimsten und davon etwas für den Imker erübrigten. Mittlere und geringe Völker aber kamen in dieser Zeit erst so recht ins Brutgeschäft und erstarkten dann, als die dauernd schlimme Witterung eintrat. Auch in diesem schlimmen Jahr ist der Unterschied zwischen Rassenvölkern und nicht rassigen durchgehends klar zum Vorschein gekommen.

Unsere Nachforschung bei 125 Imkern der ganzen deutschen Schweiz[,] welche zusammen an die 5000 Völker besitzen, ergaben, dass die Durchschnittsernte pro Rassenvolk beinahe das Doppelte der nicht veredelten Völker betrug. Dasselbe ist auch bezüglich der Maximalleistungen der Völker zu sagen.

Wenn, wie in diesem Jahr, der Sommer geringe Tracht bietet, vermögen sich eben nur die besten Völker selbst zu erhalten. Viele Kolonieen [sic] mussten mit der Futterflasche durch den Sommer und in den Winter gebracht werden, was bei den hohen Zuckerpreisen mit grossen Opfern verbunden war. So ist es nicht zu verwundern, wenn die Freude an der Bienenzucht da und dort schwindet. Und es darf konstatiert werden, dass die Grosszahl der in den Winter genommenen Völker ihre Existenz der idealen Einwirkung der Bienenzucht auf den Menschen zu verdanken hat. Man hofft – und hofft – auf’s nächste Jahr!

Die Prämiierung. Dieser Tiefstand konnte nicht ohne Rückwirkung auf die Beteiligung an der Prämiierung sein. Im Gebiete von Rorschach bis Wil meldeten sich 14 Imker zu derselben, von denen aber im Laufe der Zeit dann zwei sich zurückzogen.

Die zwölf prämierten Betriebe erstrecken sich auf 327 Völker. Die Bienenhäuser sind schlicht und recht bis an eines, dem man die „Axt im Haus“ in seiner Unzweckmässigkeit doch etwas gar zu sehr ansieht. Das Kastenmaterial ist fast durchweg von guter Qualität. Die Einsicht, dass ein richtiger Kasten zu einem geordneten Betriebe absolutes Bedürfnis ist, gewinnt allgemein Boden, doch verlängern die schlimmen Honigjahre manchem „Rumpelkasten“, den Bienen und dem Imker zum Aerger, das Dasein.

Die Betriebsweise ist mancherorts durch die schlimmen Ernteaussichten nachteilig beeinflusst und wirkt direkt auf die „Leistungsfähigkeit der Völker“ und die „Anzahl der guten Völker“. Ohne eigene Nachzucht des nötigen Königinnenmaterials in Rücksicht auf die gewünschten Vererbungsfaktoren, ist ein rationeller Betrieb heute nicht mehr denkbar. Die Existenzmittel der Bienen schwinden infolge intensiver Wiesen- und Milchwirtschaft und durch die sorgsame Ausforstung der Wälder in bedenklicher Weise.

Dass bei jedem strebsamen Imker die Qualität der Völker über allem steht, bezeugt der verhältnismässig geringe Unterschied im Völkerdurchschnitt in den drei Kategorieen. Die erste Kategorie weist bei einem Maximum von 40 Punkten ein solchen von 33,7, die zweite einen solchen von 32,6 und die dritte einen solchen von 31 Punkten auf.

Das beste Volk mit einer Punktzahl von 39,5 entstammt einem bekannten Zuchtstamme, hat aber bereits auf dem Stande Königinwechsel vorgenommen. Es weist also mit aller Deutlichkeit darauf hin, wie durch sorgsame Auswahl der Betrieb erleichtert und gesichert werden kann.

Die Brutanlage ist infolge des allgemein trostlosen Sommers sehr gleichartig und schwankt zwischen 3,5 – 3,3 – 3,1 Punkten im Durchschnitt der drei Kategorieen. Erfreulich war der Gesundheitszustand. [Wirken] In der Umrahmung des Brutnestes mit Pollen und Honigspielen zeitliche und örtliche Verhältnisse bestimmend mit, doch sind auch hierin die rassigen Völker durch ihre ausgesprochene Anlage zur Selbstverproviantierung obenan.

Der Wabenbau ist mit einem Durchschnitt von 4 in den drei Kategorieen gleich eingeschätzt, was der Sorgfalt der Imker ein gutes Zeugnis ausstellt. Freilich sind noch da und dort eindringliche Belehrungen in dieser Beziehung am Platze. Bei Standbesuchen und Kursen darf man nicht müde werden, immer wieder auf die Sammlung und Verwertung des eigenen Wachses zu dringen.

Züchterisch betätigen sich die Imker der ersten zwei Kategorieen mit mehr oder weniger Erfolg.

Das Mittel der punktierten Völker schwankt zwischen 38,17 und 28,25. Das Gesamtergebnis der diesjährigen Prämiierung steht also entschieden hinter demjenigen normaler Jahre. Die Bienen sehnen sich also, wie die Imker, nach bessern Tagen. – Möchten sie doch endlich kommen!

Auf den Belegstationen Simmitobel, Bruggen, Gamplüt, Rohr, Kirchberg, Flums und Gärtensberg wurden 222 Königinnen aufgeführt, von denen 181 oder 81% befruchtet wurden. Im Bewusstsein, dass einer tut [gut] geführten Belegstation ein sehr hoher Wert an der Hebung der Bienenzucht zukommt, haben wir den Bedürftigsten derselben kleinere Subventionen zukommen lassen.

Am Schlusse unserer Berichterstattung angelangt, danken wir Ihnen bestens für Ihr[e] Hilfe und bitten Sie, uns auch fernerhin in bisheriger Weise Ihre Subventionen gütigst zukommen zu lassen[.]

Mit vorzüglicher Hochachtung

Der Präsident: M. Jüstrich                                                                         Der Vice-Präsident: [ohne Unterschrift]

Quelle: Staatsarchiv St.Gallen, KA R.176-11 (Bericht des Bienen-Inspektorats des Kantons St.Gallen)

Freitag, 8. Dezember 1916 – Beileidschreiben an eine verwitwete Lehrersfrau

Kanzlei [des Erziehungsdepartements]

8. Dez. 1916

An Frau Anna Giger, geb. Kästli, in Weite-Wartau.

Sehr geehrte Frau Lehrer!

Wir bezeugen Ihnen unser herzliches Beileid zum Hinschied Ihres geliebten Ehemannes, des Herrn Lehrer Jakob Giger sel.

Beigelegt erhalten Sie die Pensionsurkunde der kantonalen Lehrer-Pensionskasse. Sie beziehen vom 20. Nov. 1916 an die statutarische Jahrespension von 250 Fr. Diese wird halbjährlich mit 125 Fr. im Jänner und Heumonat [Juli] bezahlt. Im nächsten Monat gibt es für die Zeit vom 30. Nov. bis 31. Dez. 22 Fr. – Hiefür ist es nötig, dass Sie den hier beiliegenden Lebensschein in Azmoos bald dem Zivilstandsbeamten Jahn oder Stellvertreter Frey abgeben, der das weitere besorgen wird.

Erst im Januar, wenn der Schein mit den 22 Fr. kommt, müssen Sie unterzeichnen, nicht vorher.

Hochachtend,

D. Dütschler, Sekretär.

Beilagen,

erwähnt.

Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, KA R.130 B 2 (Copie des lettres, Beileidsschreiben an die Witwe eines Lehrers) und W 238/04.09-08 (Ansichtskarte von Wartau um 1900, Verlag Geser & Co., St.Gallen)

Donnerstag, 23. November 1916 – Einbürgerung der Ärztin Rosalia Epstein

Der Grosse Rat verhandelte auf Antrag des Regierungsrates am 22., 23. und 30. November 1916 über insgesamt 153 Kantonsbürgerrechtsgesuche. Das Dossier von Rosalia Epstein wurde unter Nummer 53 behandelt.

Rosalie Epstein war am 1. Juni 1886 in der Stadt Tula (Schitomir) in Russland als Kind jüdischer Eltern geboren worden. Sie hatte von 1905 bis 1915 an den Universitäten Zürich, Strassburg und Heidelberg Medizin studiert. Zur Zeit ihrer Einbürgerung war die ledige Frau in St.Gallen wohnhaft und als Assistenzärztin am Kantonsspital tätig. Ihrem Einbürgerungsdossier liegen vier Steuer-, Domizil- und Leumundsbescheinigungen bei. Sie war an der Bürgerversammlung der politischen Gemeinde vom 5. November 1916 gegen eine Taxe von 600 Franken in das Bürgerrecht von Wittenbach aufgenommen worden. Die Kantonsbürgerrechtstaxe betrug weitere 50 Franken.

Leumundszeugnis

Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, KA R.88-5-a (Einbürgerungsdossier Rosa/Rosalia/Rosalie Epstein (geboren am 1. Juni 1886)) und ZMA 18/01.07-25 (Ansichtskarte: Kantonsspital, Haus 3 (Chirurgische Abteilung) und Haus 4, um 1915)

 

Mittwoch, 15. November 1916 – Offene Worte der Gewerkschaft: Neue Arbeitsverträge und mehr Lohn oder Streik

Jakob Jäger wurde am 25.01.1874 in Stein am Rhein (SH) geboren. Er machte eine Lehre als Zimmermann und zog 1900 nach St.Gallen, wo er gewerkschaftlich aktiv wurde. Von 1903 bis 1910 war er Präsident des Zentralverbandes der Zimmerleute der Schweiz. Sein Nachlass kam als Teil des Unia-Gewerkschaftsarchivs ins Staatsarchiv St.Gallen.

Sämtliche Anstrengungen zur Mitgliederwerbung und Mobilisierung der Arbeiterschaft hatten offenbar nicht gefruchtet. Im folgenden Schreiben des Verbandes der Zimmerleute der Schweiz versucht der Vorstand, den Sektionen eine neue Taktik aufzuzeigen:

Zentralverband der Zimmerleute der Schweiz.

An die Mitglieder und Sektionsvorstände.

Werte Kameraden! In den letzten Vorstandssitzungen haben wir uns eingehend mit der Lage unserer Mitglieder beschäftigt und sind dahin einig geworden, dass es auf diesem Wege nicht mehr vorwärts gehen kann, sondern dass mehr seitens unseres Verbandes getan werden muss[,] um gegen die Verschlechterung der Lebenshaltung Front zu machen. Die Lohnerhöhungen unserer Kameraden bleiben in Wirklichkeit noch weit mehr als es den Anschein hat, hinter der Verteuerung der Lebenshaltung zurück. Die Arbeitgeber verbreiten systematisch falsche Nachrichten über die Lohnerhöhungen, um ihre Arbeiterfreundlichkeit zu zeigen und wir unterstützen sie indireckt [sic] dabei, indem auch wir unsere Errungenschaften im besten Lichte zeigen, um so die Unoragnisierten [sic] besser mit vorwärts zu bringen. In Wirklichkeit bleiben die Erfolge oft weit hinter den Angaben zurück. Die von den Arbeitgebern zugebilligten Lohnerhöhungen und Teuerungszulagen werden oft garnicht [sic] bezahlt oder durch den steten Wechsel der Arbeitskräfte illusorisch gemacht. Könnten wir eine umfassende und genaue Statistik beschaffen über die Löhne, wie sie jetzt bezahlt werden und wie sie unmittelbar vor dem Kriege bezahlt worden sind, die Zugeständnisse der Arbeitgeber würden in einem ganz anderen Lichte erscheinen.

Schuld an diesen traurigen Zuständen sind nicht allein die wirtschaftlichen Verhältnisse sondern auch unsere Kameraden, die zu wenig Energie auf die Verbesserung ihrer Lage verwenden. Wir haben uns deshalb auch eingehend mit den Fragen befasst[,] wie wir diesem Energiemangel abhelfen, wie wir unseren Bewegungen mehr Schwung geben und wie wir sie auch erfolgreicher machen können. Und da sind wir zu der Ansicht gekommen, dass es an der Zeit ist, unseren Lohnbewegungen mehr Einheitlichkeit zu geben, wie es schon an der letzten Delegiertenversammlung so dringend verlangt worden ist.

Dies könnte erreicht werden, wenn wir im nächsten Frühling etwa in folgender Weise vorgehen würden:

Wo die Kameraden einigermassen Aussicht auf Beschäftigung für den nächsten Frühling haben, sollte die Sektion eine Lohnbewegung organisieren, und dies so rechtzeitig, dass die Forderungen den Arbeitgebern spätestenst [sic] Anfang März zugestellt werden können. Das Ziel der Bewegung sollte die Schaffung eines Arbeitsvertrages sein, der eine geregelte Arbeitszeit bringt und wenigstenst [sic] als Nettoergebnis einen blanken Zehner [= 10 Rp.] als Erhöhung des Stundenlohnes. Die Forderungen, über die sich noch näher zu verständigen wäre, müssten möglichst einheitlich auf der ganzen Linie sein, zum wenigsten aber so gehalten sein, dass die Sektionen sich nicht gegenseitig damit schaden. Das Einbringen und Verhandeln über die Forderungen wäre, wie bisher, Sache der Sektionen selb[s]t, ebenso der endgültige Entscheid über das Abkommen mit den Unternehmern. Aber jede Sektion müsste sich zur dringendsten Pflicht machen, auch keinen Vergleich abzuschliessen, der die anderen schädigen könnte. Wo die Kraft der Organisation nicht ausreicht, nennenswerte Zugeständnisse zu erreichen, sollte mit dem Abschluss der Bewegung gewartet werden, bis die stärkeren Sektionen ihre Sache geregelt haben.

In dieser Weise würden unsere Bewegungen im ganzen mehr Bedeutung erhalten und die kleinen Sektionen würden auch besser mit fortgerissen werden. Wenn wir dann überall den kommenden Winter zur energischen Rüstung benutzen, die Unorganisierten in den Verband bringen, gutes statistisches Material über die Löhne beschaffen und uns einrichten, dass wir auch den Streik als Pressionsmittel mit in Erwägung ziehen können, so werden unsere Bemühungen sicher erfolgreicher werden, als bisher.

Wir ersuchen nun die Sektionen, die Angelegenheit in den nächsten Versammlungen zu behandeln. Der beiliegende Fragebogen kann wegleitend für die Diskussion sein. Nach gründlicher Klarstellung der Meinungen der Mitglieder sollten die Fragen gemäs[s] der Mehrheit beantwortet und der Bogen uns bis zum 18. Dezember wieder zugeschickt werden.

Von den Antworten der Sektionen wird es abhängig sein, in wieweit der Zentralvorstand in die Bewegungen eingreifen kann. Falls die Sektionen es wünschen, sind wir gerne bereit, an einer Versammlung teilzunehmen und weitere Auskunft zu geben.

In der Hoffnung, alle Sektionen werden uns ihre Antworten zu dem erwähnten Termine zukommen lassen, grüsst kameradschaftlich

Der Zentralvorstand.

Basel, den 15. Nov. 1916.

Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, W 240/1.3-10 (Korrespondenz im Nachlass von Jakob Jäger (1874-1959)) und ZMA 18/06.00-04 (Streik der Rickentunnel-Arbeiter, Auszug aus einer Ansichtskarte von 1904)

Montag, 13. November 1916 – Geschäftskorrespondenz

Briefkopf des Kolonialwarengeschäfts Angehrn-Hauser an der Langgasse in St.Gallen mit Werbung für Lenzburger Konserven.

St.Gallen, den 13. November 1916

Tit Bezirksgerichts-Kanzlei Lichtensteig

Nachdem Eduard Kuenzler Wattwil meine Forderung anerkannt hat, ersuche Sie höfl um Annullierung meiner gerichtlichen Einschreibung vom 21 October.

Ihnen Ihre Mühe verdankend zeichnet mit aller Hochachtung

Angehrn-Hauser

Briefkopf

Briefkopf zu einem Rechnungsformular der Firma Jos. Dudler, Dampfsäge- und Hobelwerk in Staad bei Rorschach. Die Firma sandte eine Rechnung über Fr. 42.80 für Bodenbretter im Lohn gehobelt 36 mm fertig […] Inkl. Ofentrocknen, aufbewahren an das Baugeschäft J. Lutz-Ley in Thal.

Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, ZMH 64/271 (Brief Angehrn-Hauser) und ZMH 75/008b (Brief Dudler)

Samstag, 11. November 1916 – Beschäftigungsmöglichkeiten für Kriegsinternierte: „durch den Krieg die nötige Abhärtung mehr als genug erfahren“

Am 15. Mai 1916 waren der Oberen Waid bei St.Gallen Internierte eingetroffen. Für diese Männer suchte man nun Beschäftigungsmöglichkeiten.

St.Gallen, den 11. November 1916.

An das Baudepartement des Kantons St.Gallen, St.Gallen.

Ihrer Einladung vom 10. dies. Folge leistend, berichten wir Ihnen über die Möglichkeit der Beschaffung von Arbeitsgelegenheiten für Internierte folgendermassen:

Mit Bericht vom 4. Oktober haben wir Ihnen bereits einige Bauarbeiten genannt, die eventuell für die Beschäftigung von Arbeitslosen im Winter 1916/17 in Frage kommen könnten. Da bei der Arbeitslosenbeschäftigung im Allgemeinen mit für Bauarbeiten ungelernten Arbeitern zu rechnen ist, die auszurichtenden Löhne aber die Existenzsicherung ermöglichen sollen, so kommen die von Arbeitslosen ausgeführten Arbeiten fast durchwegs teurer zu stehen, als dies mit Facharbeitern bei höhern Löhnen der Fall ist. Die Leistungen von Arbeitslosen können für den Arbeitgeber nur dann in ein richtiges Verhältnis mit den Ausgaben gebracht werden, wenn die Mehrkosten gegenüber der Ausührung durch Facharbeiter von anderer Seite (zu Lasten eines Arbeitslosen-Unterstützungskontos) an den Auftraggeber rückentschädigt werden. Bei einer Anzahl der Ihnen mit Bericht vom 4. Oktober genannten Arbeitsgelegenheiten müsste, um die Wirtschaftlichkeit der Arbeitsleistungen zu wahren, mit einer in diesem Sinne stattfindenden Rückentschädigung gerechnet werden können. Nach unserer Ansicht würde dies speziell zutreffen für die Arbeiten kleinern Umfangs, die Strassenkorrektionen, Trottoirbauten und die Entwässerungen an Staatsstrassen.

Anders ist die Sachlage bei der Heranziehung von Arbeitern aus den Interniertenkreisen. Ohne Zweifel befinden sich darunter viele sehr tüchtige Leute, die schon von Haus aus mit Arbeiten auf dem Felde vertraut sind und auch durch den Krieg die nötige Abhärtung mehr als genug erfahren haben. Wir glauben daher, dass mit der Beschäftigung von Internierten bei der Ausführung von Bauarbeiten mindestens gleich gute oder bessere Resultate erzielt werden könnten, als mit der Beschäftigung von Arbeitslosen aus unseren Industrien.

Da für die Beschäftigung von Internierten nur Arbeitsstellen in Frage kommen können, die in erreichbarer Nähe der ihnen zugewiesenen Wohnstätten liegen, so denken wir in erster Linie an die Staatsstrasse St.Gallen[-]Rorschach in der Nähe der Kuranstalt Waid, ferner an Gossau und Umgebung, das vom Interniertenort Waldstatt mit Morgen- und Abendzügen der Appenzellerbahn gut erreichbar ist. Soviel uns bekannt ist, sind Internierte von Waldstatt auch bei den Arbeiten der Gossauer Dorfbach-Regulierung beschäftigt.

Die Auswahl der Arbeiten, für welche in erster Linie Internierte verwendet werden könnten, dürfte sich jedenfalls nach speziellen Gesichtspunkten richten müssen. Wir selbst sind der Auffassung, dass nur solche Arbeiten hiefür in Frage kommen, welche einerseits nach den bestehenden Lohnverhältnissen kaum Aussicht auf baldige Verwirklichung haben könnten, deren Durchführung aber anderseits sehr wünschbar wäre.

Als solche Arbeiten bezeichnen wir speziell die Korrektion der Staatsstrasse beim alten Niveauübergang der Sulgenerlinie in Gossau und die Tieferlegung der Staatsstrasse beim Hirschberg, östlich von Gossau. Für erstere besteht ein Bauprojekt, für letztere erst ein Vorprojekt. Wir denken, dass diese Arbeiten zeitlich nach einander [sic] aufgeführt werden müssten, um die gleichen Arbeiter längere Zeit beschäftigen zu können. Die Voranschläge beziffern sich auf rund Frs. 50‘000.00, ohne die Bodenerwerbungskosten. Von dieser Summe schätzen wir die Arbeitslöhne allein, und zwar nur für die Erd- und Chaussierungsarbeiten, auf Frs: [sic] 10‘000.00 bis 12‘000.00 ein, was einer Arbeitsleistung von zirka 2000 oder 20×100 Arbeitstagen entspricht. Es könnten also 20 Arbeiter 100 Tage lang Beschäftigung finden. Die Kosten der Interniertenverwendung würden bei Frs: 1.50 Taglohn Frs: 3‘000 betragen, womit sich eine Ersparnis von Frs: 7000.00 bis 9‘000.00 ergeben würde.

Die Arbeiten für Trottoirbauten sind mehr Spezialarbeiten, die grössere Kenntnis und Sorgfalt in der Ausführung verlangen. Erst wenn die Leistungsfähigkeit der Arbeiter bekannt wäre, könnte die Frage der Verwendung von Internierten für diese Arbeiten näher geprüft werden. Wir nehmen daher vorderhand davon Umgang, auch diese Arbeiten miteinzubeziehen.

Die von uns für die Arbeitslosenbeschäftigung vorgeschlagenen Sickerungsarbeiten [sic] an der Rorschacherstrasse sind abschnittsweise zur Zeit in Ausführung begriffen. Der grössere Teil soll jedoch erst nächstens in Angriff genommen werden. Darin sind die zu Frs: 10‘000.00 veranschlagten Arbeiten, die wir in unserem Bericht vom 4. Oktober 1916 aufführten, noch nicht inbegriffen. Die Arbeitslöhne partizipieren in diesen Summen etwa zu ¼ bis 1/3, für alles zusammen mit zirka Frs: 4‘000.00 oder zirka 650 gleich 10×65 Arbeitstagen. Ausser diesen Arbeiten sind auf der Rorschacherstrasse kleinere Verbesserungen der Nivellette, der Fahrbahn (stellenweise Legung eines Steinbetts) dringend durchzuführen, welche mindestens 500 Arbeitstage beanspruchen dürften. Auch könnten die Erdarbeiten für die Trottoirerstellung längs der neuen katholischen Kirche im Neudorf in die Reihe dieser Arbeiten einbezogen werden. Da von unserer Seite einen [sic] Bauaufseher zu stellen wäre, so sollte mit einer Arbeiterschaft von mindestens 15-20 Mann gerechnet werdern, um ihn angemessen beschäftigen zu können. Die Dauer dieser Beschäftigung könnte also für 15-20 Mann zirka 2 Monate betragen.

Bezüglich der Arbeiten an der Rorschacherstrasse speziell fügen wir zum Schlusse die Bemerkung bei, dass sich seit einiger Zeit schon mehrere hiesige Unternehmer dafür interessierten und von dieser Seite oft Anfragen an uns gerichtet werden, ob die fraglichen Arbeiten nicht bald zur Vergebung gelangen würden.

Hochachtungsvoll

Der Adjunkt des Kantonsingenieurs:

Vogt Ing. [Unterschrift]

1 Beilage retour.

Dem Brief liegt ein Schreiben der Zentralkommission für Beschäftigung der Internierten in Bern, datiert auf den 23. November 1916, an den Vorsteher des Baudepartements bei. Die Kommission unterstützt die Einschätzung des Kantonsingenieurbüros:

[…]

Die Arbeiten in der Nähe von Oberwaid und in Gossau würden wohl am ersten in Frage kommen, dagegen würde es kaum möglich sein[,] die nötige Zahl von Steinarbeitern für den Diepoldsauer Rheindurchstich zu finden, auch wenn die Frage nach Unterkunft und Verpflegung keine Schwierigkeiten machte.

Wir werden nun versuchen, Ihnen eine möglichst gute Arbeitergruppe von 20-40 Mann zusammen zu stellen, die dann für die erwähnten Arbeiten in Frage käme. Inzwischen könnten Sie vielleicht den nötigen Kredit einholen. Für die Qualität der Arbeiter können wir natürlich keine Sicherheit leisten, aber der ihnen auszuzahlende Lohn von ca. Frs. 1,50 für den Tag ist ja nicht so hoch, dass man allzu hohe Ansprüche stellen darf. Was die Disziplin anbelangt, so würde durch die Kommandierung von Unteroffizieren dafür gesorgt, dass Schwierigkeiten nicht entstehen können.

[…]

Laut handschriftlichem Kommentar von Regierungsrat Rüegg, dem Vorsteher des Baudepartements, vom 24. November 1916 wurde das Projekt schliesslich doch nicht umgesetzt, weil zu den vorgesehenen Löhnen keine Internierten erhältlich seien.

Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, KA R.62-1d (Beschäftigung von Arbeitslosen und Internierten mit Bauarbeiten) und A 481/02.02-49 (Kiesgewinnung mittels Greifbagger für den Diepoldsauer Durchstich. Die Arbeiten wurden 1923 abgeschlossen; Foto zwischen 1910 und 1914, Fotograf unbekannt)

Donnerstag, 9. November 1916 – Deutsche Militärbehörden stampfen Schallplatten ein

Das Archiv des Komitees für die Wiedergutmachung schweizerischer Kriegsschäden befindet sich im Staatsarchiv St.Gallen. Im folgenden geht es um eine Fallbeschreibung. Ein Musikhaus aus Lausanne hatte wegen der Kriegswirren zahlreiche Schäden erlitten, für die es nach dem Krieg Wiedergutmachung forderte.

Der im Text erwähnte Musikverlag Breitkopf und Härtel gilt als ältester Musikverlag der Welt. Er wurde am 27. Januar 1719 gegründet. Das Musikhaus Foetisch frères in Lausanne, um den es im folgenden geht, ist rund hundert Jahre jünger. Es wurde 1804 ins Leben gerufen. (Quelle: Wikipedia und homepage von Foetisch frères, konsultiert am 15.09.2015).

Foetisch frères

editeurs de Musique

Lausanne

Am 23. Juli sandte die Firma an die Ecole Normale in Van Turquie d’Asie Musikinstrumente für Frs. 433.95 durch dei [sic] Assoc. Armenienne Miatzahl Constantinople. Sie kamen richtig in C. an. In Trébizond verschwand infolge der Kriegswirren die Sendung, unsere Rechnung wurde nicht bezahlt Das Polit. Depart. weist die Klage der Firma ab, mit der Begründung die Ware sei nicht mehr Eigentum der Firma.

 

Am 9. Nov. 1916 sequestrierten die deutschen Militärbehörden in der Buchdruckerei Dogilbert, Bruxelles, alle Musikplatten, Platten in Zinn. Unter diesen Platten waren 350½ kg. unser Eigentum, wofür die Firma Dogilbert 17.- das Kg. [sic] verlangte (für das Metall) was für uns Frs. $ 5957,50 ausmachte, damit war aber nur das Metall berechnet, die Musik, die auf diesen Platten eingraviert war[,] konnte nicht mehr gedruckt werden.

Die deutsche Behörde übergab einen Gesamtschein.

Am 15. Febr. 1919 Mitteilung hierüber an das Pol. Departement.

Ohne jeden Erfolg.

 

Am 31. Januar sequestrierten die franz. Militärbehörden einen Scheck von Ptas. 156.50, den wir an unsere Lieferanten: Union Musical Espanola, Barcelona, sandten zur Begleichung ihrer Faktura. Am 17. Febr. 1919 Mitte[i]lung hierüber an das Pol. Departement

Ohne jeden Erfolg

Fortsetzung Blatt 2

Foetisch frères

editeurs de Musique

Lausanne

Am 2. August 1919 wurde die schweiz. Legation durch die belgische Regierung benachrichtigt, dass sie das Haus Breitkopf und Härtel in Brüssel, Musikhaus und Musikverlag unter der Begründung, dass das Haus deutsch, der Sitz der Firma in Leipzig sei, sequestrieren werde.

Diese Mitteilung wurde der Schweizerischen

1926 Mitteilung an das Polit. Departement.

Ohne Erfolg

Legation gemacht, weil unser Name als Lieferant der Firma Breitkopf und Härtel ersichtlich war. Die Firma schuldete uns in jenem Zeitpunkt für unsere Lieferungen in den Jahren 1915 bis 1919 die Summe von Frs. S. 8028.-

Wir verständigten sofort den Sequester, um die Bezahlung unserer Rechnungen zu erlangen, doch wurden wir abgewiesen.

Die belgischen Gerichte wiesen uns ebenfalls mit Urteil vom 18. Februar 1922 ab. 1926 schrieben wir dem Politischen Departement, unter Beifügung der nötigen Belege. Die Frage ist von uns aus noch bei den belgischen Gerichten anhängig.

Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, W 292/1.2.3 (Komitee für die Wiedergutmachung schweizerischer Kriegsschäden, Fallbeschreibung) und ZMH 64/877.014.2 (Grammophonapparate zum Abspielen von Schallplatten im Musikhaus Hug in St.Gallen, ca. 1909-1913; Foto: Otto Rietmann, St.Gallen)

Montag, 6. November 1916 – Die „vom Gallusklima ungünstig beeinflusste Gesundheit“ des Herrn Professor und die auch im Schweizerland verdiente Ehren-stellung der Frauentätigkeit

Brief von Joseph Polin (1862-1931), Professor für russische Sprache und Literatur, an den Schulrat der HSG:

Leysin, den 6. November 1916

Tit. Schulrat der Handelshochschule

St.Gallen

Im Besitze der w. [werten] Mitteilung des h. [hohen] Schulrates vom 3. [unlesbar] verdanke ich den Beschluss über Ausrichtung meines vollen Gehaltes bis Ende März 1917 aufs Beste und bitte für die daran geknüpften Wünsche voller Genesung meinen wärmsten Dank entgegenzunehmen.

Mit vorzüglicher Hochschätzung

Ihr sehr ergebener

Professor JPolin

Professor Polin war wegen einer chronischen Kniegelenkentzündung krankgeschrieben worden. Er befand sich in Leysin zur Kur, wie er in einem früheren Brief vom 7. Oktober 1916 ausführlich beschrieben hatte:

Herrn Dr. H. Wartmann, Erziehungsrat

St.Gallen

Sehr geehrter Herr Doktor!

Wie die Herren St.Galler Mediziner Dr. Hausmann und Dr. Feurer es übrigens vermutet hatten, bin ich mit meiner Kur in Leysin leider noch nicht an das ersehnte Ende gelangt. So erfreulich die ausgezeichneten Fortschritte und so sicher die Aussicht auf vollständige Heilung auch sind, – vor Weihnachten dürfte ich mein Krankenlager kaum verlassen können. In durch hier gesammelte Erfahrung gewitzigt, muss ich meine Erwartungen noch etwas mehr einschränken und wohl damit rechnen, dass, wenn anders die ganze Kur durch vorzeitiges Abbrechen nicht gefährdet werden solle, es wohl bis Ostern 1917 dauern könnte. Der Chefarzt, Dr. Rollier, ist von den Ferien noch nicht zurück, daher mein etwas verspäteter Bericht, dem ich die ärztliche Bescheinigung erst nächstens werde folgen lassen können.

Inzwischen erlaube ich mir anzunehmen und bitte ich auch höflichst darum, dass der h. Schulrat in wohlwollender Berücksichtigung meines ernsten, aber keinesfalls aussichtslosen Knieleidens auch über die Reglementsfrist von sechs Aktivmonaten, d.h. über den Monat Dezember hinaus bis zum Beginn des Sommersemesters 1917, mir den vollen Gehalt zubilligen möge.

Meine Frau u. elfjähriges Töchterchen – von meinem jüngsten Sohn, der nach der Rekrutenschule im Frühling Ende Oktober nun wieder zum Grenzdienst einrücken muss, sehe ich hier ab, – weilen noch immer in St.Gallen und wäre es mir bei eventuell geschmälertem Gehalt direkt unmöglich, meinen Kur- und Familiennotwendigkeiten zu genügen. Namentlich darf ich in diesem Zusammenhange nicht ausser Acht lassen, dass wegen eingetretener Krankheit sowie erheblich gestiegener Lebensteuerung, die den Realwert meiner Besoldung bedenklich nach unten gedrückt hat, ich sowieso schon genötigt war, pekuniäre Mehrverpflichtungen einzugehen. Ja es wäre mit Rücksicht auf letztern Umstand vielleicht neue Auffassung der Billigkeit, wenn die mir gütig geleisteten Vorschüsse zu Gunsten bisheriger Besoldung verrechnet werden würden.

Infolge materieller Gebundenheit war es mir in früheren Jahren eben nicht gut möglich, meiner vom Gallusklima ungünstig beeinflussten Gesundheit zeit- und zweckmässige Beachtung zu schenken. Nun hat mich die Folge unfreiwilligen Gehenlassens zwar nicht am Kragen, wohl aber am Knie gepackt, was vielleicht gnädiger ist, und nun muss ich mich in das seit dem 8. Juni ununterbrochene Bettliegen schicken. Glücklicherweise winkt mir nahe Erlösung und darf ich vielleicht hoffen, dass der h. Schulrat in Würdigung der Sachlage diese Aussicht nicht wird beeinträchtigen wollen.

Was meinen eventuell vorübergehenden Ersatz anbelangt, so liegt es mir sehr am Herzen, dass der russische Sprachunterricht in St.Gallen nicht unter ungeeigneter Führung leide. Da nun für das noch immer in die Kriegszeit fallende Wintersemester – vielleicht auch infolge meiner Abwesenheit – höchstens [nach] einem Anfängerkurs gerufen werden dürfte, so empfehle ich in Ermangelung jeder andern geeigneten Kraft auf dem Platze St.Gallen, Frau Dr. [med. Louba] Sennhauser-Aleinikoff [1879-1968] (St.Gallen, Tempelackerstr, 52), die diplomierte Medizinerin der Universität Lausanne und Absolventin eines Gymnasiums in Grossrussischer Provinz ist. Sie spricht tadellos russisch, verfügt über eine schöne Aussprache, was vor allem zu berücksichtigen ist, und wird in bezeichnetem Umfange mich ganz gut ersetzen können. Bei der verdienten Ehrenstellung, welche die Frauentätigkeit auch im Schweizerland sich erworben hat, nehme ich an, dass der h. Schulrat, dem ihn beseelenden Geiste getreu, meine Empfehlung in freundliche Erwägung ziehen würde.

Mit der ergebensten Bitte wohlwollenden Entscheides in Sachen meiner Besoldung sowie in Erwartung gefl. Berichtsgewährung zeichne ich mit vorzüglicher Hochschätzung

Ihr ganz ergebener

Professor JPolin

Leysin-Village, Bellevue

den 7. Oktober 1916

Die Russin Louba Sennhauser-Aleinikoff war mit dem St.Galler Juristen Adolf Sennhauser verheiratet. Sie hatte Medizin studiert, durfte in der Schweiz aber nicht praktizieren, weil ihr die schweizerische Matura fehlte. Während des Ersten Weltkriegs war sie Präsidentin der Sozialdemokratischen Frauengruppe St.Gallen. Im Zweiten Weltkrieg engagierte sie sich in der Flüchtlingshilfe (vgl. Alexa Lindner Margadant: Temperamentvoll für Frieden und Gerechtigkeit. In: blütenweiss bis rabenschwarz. St.Galler Frauen – 200 Porträts, Zürich 2003, S. 362).

Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, Universitätsarchiv, HSG 210/360 (Briefe) und HSGH 022/001595 (Professor Polin mit Studenten der Handelshochschule St.Gallen, ca. 1910)

Samstag, 4. November 1916 – Ein Verstorbener hat Schulden

Rorschach, den 4. November 1916.

An das Bezirksamt Altstätten.

Wie Ihnen* bereits bekannt sein dürfte, schuldet uns alt Bezirksrichter Städler selig noch Frs. 90.00 für einen Anzug. Wir wären Ihnen sehr dankbar, wenn Sie uns mitteilen würden, ob die Erbschaft schon verteilt etc. und wer die Erben sind. Ein Städler-Spöri in Olten gab uns auf zweimalige Anfrage keine Antwort, ev. an wen wir uns zu halten haben.

Hochachtend

[Unterschrift]

* durch Vorhandensein der Rechnungen.

Quelle: Staatsarchiv St.Gallen, ZMH 61/055 (Briefkopf zu einer Forderung des Herren- und Knaben-Konfektionsgeschäftes zum Kettenhaus in Rorschach an das Bezirksamt Altstätten)