Hertig Erfindung

Freitag, 20. Dezember 1918 – Schicksal eines Erfinders

Weder Rakete noch Lippenstift, sondern ein Taschenfeuerzeug:

Dasselbe besitzt gemäss der Erfindung einen zur Aufnahme von Brennstoff dienenden Behälter, mit dessen Oberseite ein mit einer haarfeinen axialen Längsöffnung versehener Pfropfen verschraubt, und über welchen Behälter eine Hülse gestülpt ist, die sich an der Oberseite stufenförmig verjüngt, auf welchen Stufen ein mit Feuerstein versehener Deckel, sowie eine Hülse ruht, welch letzere eine Kante aufweist, um beim Bestreichen derselben mit Feuerstein Funken zu erzeugen, so dass ein vorstehender Docht entflammt wird.

So lautete die von Ernst Hertig aus Altstätten im Kanton St.Gallen am 20. Dezember 1918 beim Schweizerischen Amt für Geistiges Eigentum eingereichte Beschreibung seiner Erfindung. Ergänzend hiess es weiter unten in der Schrift noch: Durch vorstehend beschriebenes Taschenfeuerzeug wird eine geruchlose Flamme erzeugt, und da dieses Feuerzug rund gestaltet ist, kann es zum Stopfen von Pfeifen verwendet werden.

Innenansicht Feuerzeug

Unter der Voraussetzung, dass zur selben Zeit in Altstätten nur eine Person unter diesem Namen wohnte, kann man im Staatsarchiv St.Gallen zur Person des Erfinders ein paar Informationen herausfinden, die ihn als etwas schillernde Figur kennzeichnen: Ernst Hertig, 1887 geboren und im Haus zum Sonnenhof wohnend, taucht kurz nach Einreichung seines Patentanspruchs mehrfach in Gerichtsdossiers auf, zunächst 1919 als Beklagter in einem Streit um den Verkauf von Torf, ein Jahr später als Kläger auf Ehescheidung und schliesslich 1921 in einem Konkursprotokoll. Die von ihm geführte Autogarage in Altstätten war offenbar nicht rentabel gewesen.

Hertig Autogarage

Aus den Akten geht ausserdem hervor, dass er bereits während des Ersten Weltkriegs vom Landgericht Kempten im Allgäu mehrfach in Strafuntersuchungen verwickelt gewesen war. Man hatte damals im Zusammenhang mit Sachhehlerei, Verkehrs-, Lebens- und Futtermittelvergehen sowie mit Vergehen gegen das Süssstoffgesetz gegen ihn ermittelt.

Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, ZW 2 O/95-081661 (Patentschrift, eingereicht von Ernst Hertig, Altstätten) und ZMH 02/038 (Briefkopf, Autogarage Hertig in Altstätten); GA 008/1919.05, GA 008/1920.04a und GA 022/351 (Gerichtsdossiers zu Ernst Hertig)

Portierhaus Kantonsspital

Freitag, 6. Dezember 1918 – Der Portier muss frieren

Was wie ein «Samichlaushäuschen» (Häuschen von St.Nikolaus) aussieht, ist der Plan zu einem provisorischen Portiershaus für das Kantonsspital. Am 6. Dezember 1918 publizierte die Baupolizeisektion der Stadt St.Gallen die entsprechende Visier-Anzeige. Das Häuschen sollte den Eingang zum Kantonsspitalgelände an der Rorschacherstrasse in St.Gallen markieren. Das Baugesuch erfüllte verschiedene Vorgaben der Bauordnung nicht: Der Bauabstand von der Strasse, die Konstruktion von Wänden, sowie die Höhenlage des Fussbodens über Terrain entsprachen den geltenden Vorschriften nicht. Die Baubewilligung wurde deshalb nur für ein Provisorium erteilt, und der Staat musste das Häuschen jährlich für eine Rekognitionsgebühr im Betrage von Fr. 10.- an die Stadtkasse kontrollieren lassen. Im fernern, heisst es in der Anzeige, wird verlangt, dass der Fussboden in genügender Weise von Erdfeuchtigkeit isoliert und eine Bedachung in hartem Material erstellt wird.

Der geplante Bau sollte laut Grundriss einen Schlafraum mit zwei Betten, eine Toilette und einen Schüttstein erhalten. Eine Heizung war nicht vorgesehen. Die Abwasserkanalisation hingegen ist auf den bewilligten Plänen im Detail koloriert nachgewiesen.

Kanalisationsplan

Wie aus den Plänen und den zugehörigen Akten hervorgeht, löste der Bau dieses einfachen Häuschens bei Stadt und Kanton einiges an administrativem Aufwand aus. So wurde die Visier-Anzeige vom 6. Dezember 1918 in Protokoll-Ausfertigung an das Kantonsbauamt für sich & zu Handen der Kantonsspitalverwaltung (samt Plandoppel & Revers) und an das Baudepartement des Kantons St.Gallen, sowie [als] Protokollauszug an die Baupolizei-Beamtung (samt Plönen), an das Kataster- und an das Kanalisationsbureau verschickt. Das Kanalisationsbüro der Stadt genehmigte den Kanalisationsplan mit Verfügung vom 17. Dezember (s. Stempel), und zwei Tage später hielt der Regierungsrat in einem Zirkulationsbeschluss fest:

Das Baudepartement unterbreitet dem Regierungsrat ein Baugesuch der Kantonsspitalverwaltung für ein provisorisches Portierhaus. Die projektierte Baute soll mit einer Entfernung von 2.88 m an die Rorschacherstrasse gestellt werden.

Da die ohnehin nicht hohe Baute auf die Nordseite der Strasse zu stehen kommt und eine Beschattung der Strassenfläche daher nicht eintreten wird, und weil ferner eine spätere Verbreiterung der Rorschacherstrasse nach Norden kaum jemals in Frage kommen wird, wird von der kantonalen Strassenverwaltung eine Einsprache gegen das den gesetzlichen Abstand von der Staatsstrasse [von 4.50 m] nicht einhaltende Bauprojekt eine Einwendung nicht erhoben.

Auf Bericht und Antrag des referierenden Departements hat daher der Regierungsrat am 19. dieses Monats auf dem Zirkulationswege

beschlossen:

Vorstehendem Baubewilligungsgesuch sei entsprochen.

Auch dieser Beschluss wurde als Protokollauszug verschiedenen Stellen zur Kenntnis gebracht: dem Bezirksamt St.Gallen zuhanden des Stadtrates St.Gallen, dem Kantonsingenieur und dem Kantonsbauamt zuhanden der Kantonsspitalkommission, letzteres mit Planbeilage, sowie samt Akten an das Baudepartement.

Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, A 515/1.15-1.44 (Kantonsspital St.Gallen, Portierhaus, später abgebrochen: Text und Pläne)

 

 

Degersheim um 1911

Freitag, 27. September 1918 – Doppelter Gebrauch von Elektri-zität: Bügeleisen als Kochplatte?

An diesem Tag reichte Hans Früh aus Degersheim beim Schweizerischen Amt für Geistiges Eigentum ein Hauptpatent für einen Ständer für elektrisch geheizte Bügeleisen ein:

Gegenstand vorliegender Erfindung bildet ein Ständer für elektrisch geheizte Bügeleisen, welcher gestattet, die Wärme des geheizten Bügeleisens während dessen Nichtgebrauch nutzbringend zu verwerten. […] Der gezeichnete Ständer besteht aus dem Unterteil a und dem Oberteil d. Der Unterteil a, welcher aus Metall oder anderem feuerfestem Material hergestellt ist, dient zur Aufnahme des elektrisch geheizten Bügeleisens, und zwar so, dass die Bodenfläche des Bügeleisens gegen oben gerichtet ist, während die Handgriffseite nach unten gekehrt ist. Zu diesem Zwecke sind die beiden Seitenwände des Unterteils etwas unterhalb des obern [sic] Randes auf der Innenseite je mit einer nach innen gerichteten Tragrippe versehen, auf welche die Bügeleisenplatte d aufgeschoben werden kann. Etwas unterhalb der Höhenmitte des Unterteils a ist dieser durch einen Boden f abgeschlossen, so dass eine nach unten geschlossene Kammer b gebildet ist, welche die vom von den Rippen e getragenen, geheizten Bügeleisen abgegebene Wärme nicht nach unten strahlen lässt. Über den Tragrippen e, im Abstande, der der Bügeleisenstärke entspricht, befinden sich Tragrippen g, welche den als Wassergefäss ausgebildeten Ständeroberteil d tragen, der während der Benutzung des Bügeleisens mit Wasser gefüllt sein kann. Sobald das in den Ständer eingesetzte Bügeleisen durch den elektrischen Strom geheizt wird, wird die erzeugte Wärme den Boden des Wassergefässes bestreichen und den Gefässinhalt erhitzen. Auf diese Weise kann bei der Heizung des Bügeleisens die Wärme nicht nur zum Plätten, sondern zwischen dem Plätten oder auch sonst zur Erwärmung von Wasser oder andern Flüssigkeiten verwendet werden.

Patent Buegeleisen

Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, ZW 2 E/24d-080951 (Patentschrift) und W 238/09.05-21 (Beitragsbild, Ansichtskarte aus dem Verlag H. Biel, ca. 1911)

 

Henne mit Küken, 1916

Ostersamstag, 30. März 1918 – Amtliches zu Hunden, Hühnern, Löwenzahn und Gitterrost

Der Gemeinderat von Wattwil liess folgende Massnahmen gegen Schäden, welche die landwirtschaftliche Produktion bedrohen, publizieren:

a) Hagelversicherung:

Der Regierungsrat hat dieses Jahr wiederum beschlossen, zur Fördreung der Hagelversicherung die sogenannten Nebenkosten (Police und Stempelgebühren) sowie 30% der Versicherungsprämien für Reben und 20% derjenigen für die übrigen Kulturen aus der Staatskasse zu decken. Wir empfehlen daher der Bauernsame, sowie der weitern Ackerbau treibenden Bevölkerung angelegentlichst, sich die vorteilhafte und segensreiche Institution der Schweiz. Hagelversicherung, sowie das Anerbieten des Staates zu Nutzen zu machen, indem sie ihre Kulturen gegen event. Hagelschäden versichern lassen.

b) Schutz gegen gemeinschädliche Pflanzen:

Die Grundbesitzer sind verpflichtet, die Misteln auf den Obstbäumen, den einheimischen Sephibaum (Juniperus sabina [Giftwacholder]) in der Nähe von Birnbäumen, sowie zur wirksamen Bekämfpung des schädlichen Gitterrostes der Birnbäume, die kultivierten Sephibäume und -Sträucher, sobald sie mit dem Rostpilz behaftet sind, als gemeinschädliche Pflanzen zu beseitigen. Nichtbeachtung dieser Vorschriften wird mit Busse bis auf Fr. 20.- bestraft. Das Forstpersonal ist pflichtig, die Entfernung der Misteln von den Waldbäumen anzuordnen.

c) Bekämpfung tierischer Schädlinge:

Als tierische Schädlinge sind zu bezeichnen, Mäuse, Blutläuse, Wespen, Kohlweisslinge e[t]c. Von den Grundbesitzern muss in ihrem eigenen Interesse verlangt werden, dass der Mäusevertilgung mehr als bisher Aufmerksamkeit geschenkt wird. Im ferneren ist dringend zu empfehlen, dass die Bekämpfung der Wespen und Kohlweisslinge durch frühzeitiges Abfangen an die Hand genommen wird. Wir denken hiebei [sic] namentlich an die Mitwirkung der Schuljugend.

Die Lebensmittelfürsorgekommission der Gemeinde Wattwil erliess ein Verbot betr. das Halten von Hunden:

Die Fürsorgekommission hat in ihrer letzten Sitzung beschlossen: Es sei denjenigen Personen, welche die billigeren Lebensmittel beziehen, das Halten von Hunden verboten, bezw. es sei die Abgabe billigerer Lebensmittel zu verweigern, event. zu entziehen. Zuwiderhandlungen gegen vorstehenden Beschluss ersucht die Fürsorgekommission ihr schriftlich mitzuteilen.

Gleichzeitig liessen die Gemeinderäte des Bezirks Neutoggenburg zweisprachig folgendes Verbot veröffentlichen:

Es wird neuerdings zur Kenntnis gebracht, dass es unberechtigte Betreten von Gärten, Wiesen und Fluren, um Blumen zu pflücken, Futter für Kaninchen zu sammeln oder Löwenzahn auszustechen, wie auch das Laufenlassen von Ferdervieh auf fremdem Grund und Boden verboten ist. Zuwiderhandlungen werden nach den bestehenden Strafgesetzen unnachsichtlich geahndet. Für Minderjährige sind deren Eltern resp. Vormünder verantwortlich. Lichtensteig, den 20. März 1918. Die Gemeinderäte des Bezirks Neutoggenburg.

Si avverte di nuovo il publico che senza autorizzazione è vietato l’entrata in giardini, prati e campi alle scopo di cogliere fiori, raccogliere pascole per i conigli e cavare dente di leone. In pari mode è severamente proibito il lasciar correre il pollame sopra terreni alieni. Le contravvenzioni verrano ineserabilmente punite secondo le leggi penali in vigore. Per i minori sono responsabili i lore genitori e tutori. Lichtensteig, il 20. Marzo 1918. Le minicipalite del distretto.

Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, P 970 (Bezirks-Anzeiger für Neutoggenburg, Amtliches obligatorisches Publikationsmittel für die Gemeinden Wattwil, Lichtensteig, Krinau, Oberhelfenschwil[,] Brunnadern, St.Peterzell und Hemberg, Nr. 13, 30.03.1918) und W 054/69B.19.15 (Fotoalbum von Theresa Schläpfer: Hühnerhof in Salerno, ca. 1916)

Confiseriefabrik St.Margrethen

Donnerstag, 24. Januar 1918 – Schwefel und andere Chemikalien gegen Hundedreck

Auch 1918 tüftelten St.Galler Erfinder und Erfinderinnen eifrig an Neuerungen. 129 Patente reichten sie in diesem Jahr beim Eidgenössischen Patentamt ein. Von der Heuerntemaschine über ein Stufenräderwechselgetriebe an Drehbänken für das Schneiden von Gewinde bis hin zu einer mechanischen Fadenführung für eine Bandkettenmaschine findet sich in der Liste allerlei offenbar Nützliches. Am 24. Januar 1918 reichte die Chemische Industrie & Confiseriefabrik AG in St.Margrethen reichte am 24. Januar 1918 eine Patentschrift mit dem Titel Mittel zum Schutze von Flächen gegen Verunreinigung durch Hunde ein. In der Begründung des Patentanspruchs steht:

Es ist ein altbekannter Übelstand, dass Hunde besonders Flächen, wie Hauswände, Türpfosten, Sockel von Fassaden, Möbel, etc., verunreinigen. Man hat allerdings versucht, die Hunde dadurch von den genannten Flächen wegzuhalten, dass man dieselben mit Schwefel bestreute. Die Bestäubung mit Schwefel verunziert aber die gefährdeten Flächen mit gelben Flecken. Abgesehen davon ist dieses Mittel kein radikales und führt das Bestreuen mit Schwefelpulver insofern zu Verlusten, als man nicht allein die Flächen, woran das Schwefelpulver schwer hängen bleibt, sondern auch den Boden vor diesen zu schützenden Flächen mit dieser gelben Substanz belegt.

Gegenstand vorliegender Erfindung ist nun ein Mittel zum Schutze von Flächen gegen Verunreinigung durch Hunde, welche alle vorerwähnten Übelstände nicht aufweist. Das Mittel besteht in einer Lösung von Trichlorphenol.

ieses neue Mittel hat den Vorteil, ganz farblos zu sein, und die mit demselben bestrichenen Flächen in keiner Weise anzugreifen. Es erzeugt keine Flecken auf den mit dieser Lösung behandelten Flächen, seien sie aus Stein oder Holz, bemalt oder nicht. Am zweckmässigsten bepinselt man die gefährdeten Stellen alle paar Wochen, eventuell alle paar Monate mit der Lösung, indem man zwei Striche im Kreuz aufträgt. Die angebrachte Lösung verleidet jedem Hunde die betreffende Stelle, wenn nicht für immer, so doch für lange Zeit, da ein Hund nicht nur eine feine Nase, sondern auch ein gutes Gedächtnis hat. Das Trichlorphenol, welches durch Einwirkung von Chlor auf Phenol dargestellt wird und die chemische Formel C6 H2 (OH) Cl)3 1 : 2 : 4: 6) besitzt, hat einen starken, den Hunden widerwärtigen Geruch. 

Trichlorphenol ist nicht harmlos: «Der Stoff reizt Augen, Atemwege, Haut und Schleimhäute und kann zu Störungen des Zentralnervensystems führen. Viele Chlorphenole werden gut über die Haut resorbiert, was speziell bei 2,4,6-Trichlorphenol in Versuchen mit Tieren und in vitro-Studien mit menschlicher Haut verifiziert wurde. Beim Erhitzen kann sich die Substanz explosiv zersetzen oder in hochgiftige Chlorverbindungen wie polychlorierte Dibenzodioxine und Dibenzofurane umwandeln.» (Zitat aus: https://de.wikipedia.org/wiki/2,4,6-Trichlorphenol; konsultiert am 08.01.2018)

Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, ZW 2 B/6b-079045 (Patentschrift) und ZMH 66/015b (Auszug aus Briefkopf der Chemischen Industrie & Confiseriefabrik AG in St.Margrethen)

Brotkarten

Samstag, 1. Dezember 1917 – Lebensmittel-rationierung: Brotkarte für Kinder unter 2 Jahren

Ab Dezember 1917 wurden für Kinder unter zwei Jahren spezifische Brotkarten ausgegeben. Die Ration betrug pro Tag nur 150g Brot und pro Monat 500g Mehl.

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Es gab noch weitere spezifische Brotkarten, so eine Brotkarte für Truppen, die Geldverpflegung erhalten mit Tagesrationen von 400g und 500g. Ausserdem wurde eine Militär-Brotkarte für Urlaubgänger (resp. eine Brotkarte für beurlaubte Militärs, die bis zu fünf Tage gültig war) ausgegeben: Für die länger als 3 Tage dauernden Urlaube hat der Urlaubgänger, der sich nach Hause begibt, diese Karte gegen die gewöhnliche Monatskarte umzutauschen. Kehrt ein Urlaubgänger vor Ablauf des Urlaubs zur Truppe zurück, so hat er die nicht benützten Urlaubs-Brotkarten zurückzugeben. Abschnitte dürfen nur vom Verkäufer entfernt werden.

Ausserdem gab es zwei Tage gültige, kurzfristige Brotkarten, die zum Bezug von 450g, 500g oder 600g berechtigten. Sie wurden an Reisende ausgegeben:

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Zum Thema Rationierung: vgl. den Beitrag vom 1. Oktober 1917

Nächster Beitrag: 13. Dezember 1917 (erscheint am: 13. Dezember 2017)

Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, W 200/61

Anzeige Pockenschutz-Impfung

Mittwoch, 14. November 1917 – Gesundheitszustand der Bevöl-kerung

Der Jahresbericht 1917 über das Medizinalwesen im Kanton St.Gallen gibt Auskunft über den Gesundheitszustand der Bevölkerung.

So meldete Dr. Theodor Wartmann über den Physikatsbezirk St.Gallen: Die durch die lange Kriegsdauer bedingte Erschwerung der Lebensbedingungen machte sich, was die Volksgesundheit anbelangt, in doppelter Richtung fühlbar: erstens in somatischer Beziehung durch eine deutlich zutage tretende Unterernährung breiter Volksschichten mit der Gefahr der Zunahme der Tuberkulose; zweitens in psychischer Richtung durch eine merkliche Zunahme der Geistesstörungen, bei denen als auslösendes Moment in zahlreichen Fällen pekuniäre [finanzielle] Sorgen, Todesfälle und sonstiger Kummer angegeben wurde. Dagegen sind die Alkoholexzesse mit ihren Folgeerscheinungen: Misshandlung und Körperverletzungen weniger zahlreich geworden. […] Die Zahl der Anzeigen ansteckender Krankheiten war keine grosse. Eigentliche Epidemien kamen keine vor. Diphtherie und Scharlach sind nie ganz verschwunden; der letztere trat wiederum in einzelnen Hausepidemien auf. Die Zahl der öffentlichen wie der privaten Schutzpocken-Impfungen war eine geringe. […]

Anderes vermeldete Dr. Jakob Ritter aus Altstätten für den Physikatsbezirk Ober- und Unterrheintal: […] Die öffentlichen Schutzpockenimpfungen fanden wieder ordentlichen Zuspruch. […]

Dr. Hans Weiss aus Grabs hielt bezüglich des Physikatsbezirks Werdenberg und Sargans fest: […] Diphtherie trat in grösserer Zahl in Sevelen und Grabs auf. Die Masern zeigten sich in Buchs und Grabs ziemlich bösartig. Der ärztlichen Anzeigepflicht wird besonders im Bezirk Sargans schlecht nachgekommen. Im Bezirk Werdenberg starben 41 Personen = 13% sämtlicher Verstorbener an Tuberkulose, im Bezirk Sargans 78 = 22,3%. (Diese hohe Anzahl Verstorbener an Tuberkulose im Bezirk Sargans dürfte damit zusammenhängen, dass seit 1909 in Walenstadtberg das St.Gallische Sanatorium für Lungenkrankheiten beheimatet war.) Starker Geburtenrückgang speziell im Bezirks Sargans. Die Schutzpocken-Impfung wurde ganz schlecht besucht. In mehreren sarganserländischen Gemeinden erschien überhaupt niemand zu derselben. […]

Aus dem Physikatsbezirk Gaster und See berichtete Dr. Hermann Lerch aus Schänis: […] Die Kommunaluntersuche wurden von den drei Amtsärzten vorgenommen. Amden entbehrt trotz grössten Wasserreichtums einer Quellwasserversorgung, ebenso Rieden, das auf zwei bei Regen trübe fliessende Brunnen angewiesen ist. Das Armenhaus Goldingen, das ganz aus Holz erstellt ist, entbehrt jeder Löscheinrichtung. Im Primarschulhaus Schänis sind die Abtritteinrichtungen ganz schlechte, ohne dass es bisher gelungen wäre, hierin Wandel zu schaffen. In der Bekämpfung ansteckender Krankheiten ist noch manches zu verbessern. Gesundheitskommissionen und Desinfektoren arbeiten oft nicht richtig zusammen. Die Gesundheitskommissionen scheinen im ganzen bedeutend weniger gearbeitet zu haben als frühere Jahre, obwohl gerade jetzt Milch und Brot in vermehrtem Masse kontrolliert werden sollten, wie die Erfahrung zeigt. […] Epidemisch trat Diphtherie in Rapperswil auf und führte zur zeitweiligen Dislokation zweier Klassen der katholischen Primarschule und zur Desinfektion der Unterrichtslokale, Vernichtung der Schulbücher und Untersuchung der Schulkinder auf Bazillenträger. Die Ansteckungsquelle scheint aber eher ausserhalb der Schule zu liegen. In Schänis trat Krätze [Milbeninfektion, die zu starkem Juckreiz führt] epidemisch auf, so dass die Schulkinder auf sie hin untersucht werden mussten. Zahlreiche Fälle wurden zur Vornahme der Krätzekur ins Krankenhaus Uznach verwiesen. Unter den nicht epidemischen Krankheiten ist der in letzter Zeit zahlreich auftretenden Entzündung des Dünndarms, kombiniert mit Icterus [Gelbsucht], zu gedenken. Die Impffrequenz war keine grosse, etwas besser im Seebezirk als im Gaster. Rapperswil, Rieden und Weesen lieferten keine Impflinge. […]

Über den Physikatsbezirk Ober- und Neutoggenburg schrieb Dr. Walter Scherrer aus Ebnat: […] Die sanitarischen Kommunaluntersuche wurden in allen Gemeinden gemacht. Kinder im Alter von 3-16 Jahren waren in den Armenanstalten von Alt St.Johann, Krummenau und Kappel. Keine der Anstalten war überfüllt. Die meisten derselben verfügte über erfreuliche Lebensmittelreserven. Die Hebammen sind mit wenigen Ausnahmen auf der Höhe ihrer Aufgaben. […] Unter den ansteckenden Krankheiten, deren Zahl keine hohe war, steht die Diphtherie an erster Stelle, ohne dass es irgendwo zu einer Epidemie gekommen wäre. Obwohl je ein Scharlachfall sich in den Ferienkolonien im Bendel, Kappel, und im Sternen, Hemberg, ereignete, kam es doch nicht zu weiterer Ausbreitung. Wattwil, Ebnat und Kappel hatten im Frühjahr Keuchhusten-Epidemien. Eine Hausepidemie von 4 Typhusfällen schloss sich an einen Todesfall bei einer nicht ärztlich behandelten Person an, bei der die Todesursache nur vermutungsweise hatte festgestellt werden können. Das bereits im Vorjahre konstatierte gehäufte Auftreten von Icterus catarrhalis in verschiedenen Gemeinden wiederholte sich in verstärktem Masse, sobald wärmeres Wetter eintrat. Die Schutzpockenimpfung ergab punkto Beteiligung ein klägliches Resultat. […]

Über die Zustände im Physikatsbezirk Alttogenburg hielt Dr. Johann Meyenberger aus Wil unter anderem folgendes fest: Da Fälle von Unterernährung namentlich bei Schulkindern häufig wahrgenommen werden, erscheinen die Schulsuppenanstalten als ein dringendes Erfordernis. […] Die Impfgelegenheit wurde nur schwach benützt. Punkto Mortalität ist zu bemerken, dass in einer Landgemeinde 8 Kinder an Lebensschwäche und Folgen des Geburtsvorgangs starben. […]

Dr. Karl Jud aus Lachen-Vonwil berichtete über den Physikatsbezirk Untertoggenburg und Gossau: Der Mangel an Kartoffeln und die Beschränkung an Brot und Fett machte sich in vielen Familien bemerkbar, doch gelang es der öffentlichen Fürsorgetätigkeit in Gemeinden und Schulen die Ernährungsmöglichkeiten erträglich, wenn auch nicht überall befriedigend zu gestalten. […] Die sanitarischen Kommunalbesuche wurden von allen 3 Amtsärzten durchgeführt. Im Armenhaus Degersheim ist nun eine neue zementierte Hausgrube erstellt worden. Das Armen- und Krankhaus Uzwil hat neue Fussböden erhalten. Die Inspektion der Hebammengeräte gab nur zu einigen kleineren Aussetzungen Anlass. Die Entbindungshefte warn zumeist richtig geführt. Eine kleine Scharlach-Epidemie hatte Gossau im I. Quartal zu verzeichnen. im übrigen kamen Infektionskrankheiten vereinzelt, zeitweise gehäuft, das ganze Jahr hindurch zur Anzeige. Keuchhusten herrschte ziemlich verbreitet während des ganzen Jahres in Straubenzell. Die Pockenschutzimpfungen wurden wenig benützt. […] Amtsärztliche Gutachten und Berichte wurden 33 abgegeben. Davon betrafen Misshandlung und Körperverletzung 4, Mord und Totschlag 1, Selbstmord 5, zweifelhafte Todesursache 1, Abortus 2, Vergehen gegen die Sittlichkeit 4, krankhaften Geisteszustand 4, gewöhnliche Polizeifälle 2, Sanitätspolizeiliches 9, Lehrerpensionszeugnisse 1. […]

Dem Jahresbericht liegt auch eine tabellarische Übersicht über die Pockenschutzimpfungen bei. Insgesamt wurden im Kanton St.Gallen im Jahr 1917 1208 Personen gegen Pocken geimpft, die meisten im Unterrheintal (259 Personen), in Gossau (163 Personen), in Oberrheintal (152 Personen) und im Untertoggenburg (151 Personen). Am wenigsten geimpfte Personen verzeichneten Ober- und Neutoggenburg mit je 17 Personen. Unten an der Tabelle heisst es: Bleibende Impfschädigungen sind keine beobachtet worden. Zur Verwendung kam ausschliesslich Lymphe aus dem schweizerischen Serum- und Impfinstitut in Bern. Die Kosten für die öffentlichen Impfungen beliefen sich auf Fr. 2230.72.

Zum Thema Epidemien vgl. den Beitrag im Historischen Lexikon der Schweiz: http://www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D13726.php

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Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, ZA 039 (Jahresbericht über das st.gallische Medizinalwesen 1917) und P 907 (Die Ostschweiz, Nr. 202, 12.11.1917, Morgenblatt: Beitragsbild)

Mittwoch, 7. November 1917 – Patent zur Speicherung von Telefongesprächen

Am 7. November 1917 reichte Hugo Ullmann aus St.Gallen ein Patent zur Einrichtung an Telephonen zur phonographischen Aufzeichnung des Gespräches des Anrufenden und des Angerufenen ein. Den Patentanspruch formulierte er folgendermassen:

Einrichtung an Telephonen zur phonographischen Aufzeichnung des Gespräches des Anrufenden und des Angerufenen, dadurch gekennzeichnet, dass sowohl von den nach dem Sprechtrichter des Telephonapparates, als auch von den nach dem Hörer desselben führenden Leitungen Zweigleitungen nach einer Schreibdose geführt sind, zum Zweck, sowohl das Gespräch der einen wie der andern durch das Telephon miteinander verbundenen Person mittelst genannter Schreibdose phonographisch aufzuzeichnen; ferner gekennzeichnet durch ein Schaltorgan, mittelst welchem einerseits die von den genannten Leitungen abgezweigten Stromkreise geschlossen und unterbrochen, anderseits gleichzeitig das Schreiborgan in und ausser Betriebstellung gebracht wird, und im weitern gekennzeichnet durch ein durch die abgezweigten Stromkreise steuerbares Hemmorgan, mittelst welchem eine Kraftquelle in und ausser Betrieb gesetzt wird, letztere zum Zweck, die Schreibdose und das zur Aufnahme des Gespräches dienende Organ relativ zueinander zu bewegen.

Quelle: Staatsarchiv St.Gallen, ZW 2 S/120b-077170 (Text und Illustrationen) und P 770.1917 (Beitragsbild, Werbung aus dem Offiziellen Adressbuch von Gross-St.Gallen von 1917)

Rationierungsmarken

Donnerstag, 1. November 1917 – Rationierung

In Nachlässen findet man zuweilen Rationierungsmarken aus den Weltkriegen. So sind auch im Album «Aus den Kriegszeiten», das Joseph Fischer zusammengestellt hatte, einige solcher Dokumente aufgeklebt. Diese Marken sind nur erhalten geblieben, weil sie nicht eingelöst wurden: entweder, weil man die entsprechende Speise benötigte und sie anderweitig ersetzen konnte, oder – sehr viel häufiger – weil man sich das betreffende Nahrungsmittel gar nicht leisten konnte. Vielen Arbeiterfamilien nützten alle Coupons nichts, weil sie gar kein Geld hatten, sie einzulösen. Aus welchen Gründen sich die vier Reiscoupons für November 1917 erhalten haben, lässt sich nicht mehr nachvollziehen:

Rationierung

Nächster Beitrag: 6. November 1917 (erscheint am 6. November 2017)

Quelle: Staatsarchiv St.Gallen, W 207, Album „Aus den Kriegszeiten» von Joseph Otto Ferdinand Fischer (1892-1967), St.Gallen

Coupon für Brot

Montag, 1. Oktober 1917 – Lebens-mittelrationierung: Brot und Mehl sind nicht mehr frei erhältlich

Mit dem 1. Oktober 1917 waren in der Schweiz Brot und Mehl rationiert. Bereits früher schon waren Reis, Zucker, Mais, Teigwaren, Hafer und Gerste der Rationierung unterstellt worden. Ab März 1918 wurden die Massnahmen noch verschärft, indem man auch Butter, Fett und Öl, später zusätzlich Käse und Milch rationierte.

Für Personen mit speziellen Bedürfnissen wurden bereits im Oktober 1917 Zusatz-Brotkarten ausgegeben. Sie berechtigten zum Bezug von weiteren 100g Brot pro Tag.

Mit diesen Massnahmen versuchte man, die Lebensmittelversorgung der Bevölkerung zu gewährleisten. Erst ab April 1920 waren wieder alle Lebensmittel ohne Einschränkung verfügbar.

 

Die Rationierungskarten wurden je nach Landesgegend in deutscher, französischer oder italienischer Sprache gedruckt. Sie bestanden neben dieser Titelseite aus drei weiteren Seiten mit Coupons, einer Doppelseite mit Abschnitten zu 25g und 50g sowie einer Einzelseite mit Abschnitten zu 250g:

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Die St.Galler Telefonistin Hedwig Haller schrieb an diesem Tag in ihr Tagebuch:

1. Oktober 1917. Nun haben wir auch noch Brot- & Butter-Marken, so dass jede Person pro Tag ½ Pfund Brot und im Monat 100 gr. Butter bekommt. – Ich habe vorher noch eine Schachtel gefüllt mit Zwieback, Biber, Birnweggen etc., um im Notfalle nicht hungern zu müssen ! –

(122) Im Bureau erlebten wir die grosse Freude, dass nun endlich einmal der 8-Stunden-Tag fürs ganze Jahr bewilligt wurde & jedes die Teuerungszulage von 225 frs. für das Jahr 1917 erhielt. – Fein ! Wunderbar ! – wir haben immer enorm viel Arbeit, da die Brieftaxen erhöht wurden, so greift Alles zum Telephon. Wir haben z.B. über eine Million mehr Gespräche wie vor dem Krieg (pro Jahr). –

Zum Thema Rationierung vgl. den Eintrag im Historischen Lexikon der Schweiz: http://www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D13782.php

Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, W 200/61 und Privatbesitz (Tagebuch Haller, Transkription: Markus Kaiser)