Textilfachschule Klasse 1916

Donnerstag, 19. Dezember 1918 – Exkursion nach Bütschwil in die grösste Weberei der Schweiz

Unter den Fachschul-Nachrichten der Mitteilungen über Textil-Industrie, Ausgabe Dezember 1918, findet sich folgende Notiz:

Die Webschule Wattwil  unternahm am Donnerstag vor Weihnachten noch eine Exkursion nach Bütschwil, um die Weberei der Firma Wirth & Co. zu besichtigen. Im Verlaufe der letzten zwei Jahre wurde die dort bestehende Webereianlage, welche vorher bekanntlich der Firma Birnstiel, Lanz & Co. A.-G. gehörte, durch einen modernen Neubau erweitert. In demselben kamen nur Steinen-Rüti-Automaten zur Aufstellung. Inzwischen sind auch die früher mit Buntwebstühlen und Mousselinewebstühlen bestellten Websäle geräumt worden, um ebenfalls Automaten Platz zu machen. Bis jetzt sind bereits 560 Automaten in Betrieb und 200 solcher werden im nächsten Jahre noch dazu kommen, sodass Bürschwil die grösste Weberei ihrer Art in der Schweiz sein wird. Wenn alles wie vorgedacht fertig ist, dürfte diese Weberei aber auch eine der schönsten im Lande sein.

Es wird mit Gruppenantrieb gearbeitet, soweit nicht Einzelantrieb für gewisse Maschinen notwendig war. Die nötige Elektrizität für die Motoren erzeugt die eigene Wasserkraft, denn auch die Turbinenanlage hat eine Umgestaltung erfahren. Letztere ist dadurch besonders interessant, dass eine Turbine mit einer Bergtransmission in Verbindung steht, welche die Kraft nach der etwa 40 Meter höher liegenden Weberei überträgt. Man nimmt unwillkürlich an, dass dadurch viel Energie verloren geht; aber die Anlage ist ganz vorzüglich ausgeführt, sodass sie mit einem Nutzeffekt von 98 Prozent arbeitet.

Sowohl für die Lehrer, wie für die Schüler war der Besuch dieses Etablissements sehr instruktiv und führte zur Ueberzeugung, dass hier ein Industrieller seinen Reichtum wieder in eine Quelle des Verdienstes für Hunderte von Leuten verwandelt hat. Auch durch den nachfolgenden Rundgang durch die Zwirnerei Dietfurt, und durch den Blick in die neugeschaffenen Betriebsmaschinen-Räume wurde eine Grusszügigkeit offenbart, die sich nur mit reichen Mitteln vereinbaren lässt. Jedenfalls wird auch die Spinnerei noch diesem Zuge folgen in den nächsten Jahren, obgleich eigentlich schon längst viele innere Erneuerungen durchgeführt wurden. Es ist ungemein erfreulich, ein solches Werk der Textilindustrie der Neuzeit entsprechend umgestalten und entwickeln zu sehen. Darum möchten wir Herrn Wirth auch durch diese Zeilen unseren Dank zum Ausdruck bringen.

A. Fr.

Auf dem Beitragsbild ist die Klasse von 1916 der Webschule Wattwil zu sehen, zusammen mit dem langjährigen Direktor Andreas Frohmader (1870-1973, Direktor von 1902-1943).

Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, W 310/15-13 (Mitteilungen über Textil-Industrie, 25. Jg., Nr. 23/24, Dezember 1918; Einfügung zusätzlicher Absätze der besseren Lesbarkeit wegen) und W 310/19-6.2 (Beitragsbild)

 

Protokoll Lehrerverein

Donnerstag, 22. August 1918 – Lehrerbesoldungsfragen

Was im Protokoll zur Vorstandssitzung des Kantonalen Lehrervereins vom 10. August 1918 unter dem Titel «Situation betreffend Gehaltsgesetz» zu seitenweisen Einträgen geführt hatte (vgl. Beitragsbild), wurde im Tagblatt vom 22. August nur knapp berichtet:

Neuregelung der Lehrerbesoldungen.

Die grossrätliche Kommission beantragt dem Grossen Rate, die gesetzlichen Mindestgehalte der Lehrer folgendermassen festzusetzen: Für Primarlehrer mit endgültiger Anstellung an Halbjahrschulen 1600 Fr., an Jahrschulen 2200 Fr. bis 2600 Fr. Für Sekundarlehrer 3000 Fr. in den ersten zwei Dienstjahren, bis 3500 Fr. nach dem vierten Dienstjahr; dazu staatliche Dienstalterszulagen von 100 Fr. im 7. und 8. Dienstjahr, bis 600 Fr. im 17. Dienstjahr für Primar- und Sekundarlehrer. Die Beiträge des Staates an die Schulgemeinden sollen betragen für eine Primarlehrerkraft von 1 bis 4 Dienstjahren 250 Fr., von über 4 Dienstjahren 500 Fr., für jede vollbeschäftigte Sekundarlehrerkraft 500 Fr.

Der 15-zeilige Kurzartikel nahm in der Ausgabe des Tagblatts nur halb so viel Platz ein wie die Anzeige zum Konservenschrank aus asbesthaltigem Faserzement:

Konservenschrank aus Eternit

Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, Wy 018 (Archiv Kantonaler Lehrerverein, Protokoll Vorstand vom 10.08.1918) und  P 909 (St.Galler Tagblatt, 78. Jg., Nr. 196, 22.08.1918, Morgenblatt, S. 3 und S. 4)

Schälkur Bild

Mittwoch, 21. August 1918 – Sorgen einer Hausfrau

Das St.Galler Tagblatt publizierte an diesem Tag eine Zuschrift:

Stimmen aus dem Publikum.

(Ohne Verantwortung der Redaktion.)

Bessere Gaszuteilung.

Da gegenwärtig im Gemeinderat der Gaspreis verhandelt wird, wäre es meines Erachtens endlich einmal am Platze, ein anderes und gerechteres Zuteilungssystem einzuführen, z.B. per Kopf, wie bei den Lebensmitteln, dann würde es nicht vorkommen, dass Familien pro Monat nur 14-18 Kubikmeter zugeteilt erhalten, während sogenannte «bessere» Familien mit gleicher und noch kleinerer Kopfzahl 35-45 Kubikmeter bekommen. Eine dreiköpfige Familie braucht bei äusserster Sparsamkeit 25 Kubikmeter. Einsenderin dieser Zeilen möchte deshalb die zuständigen Behörden dringend bitten, dieser Angelegenheit, die eine ungleiche Verteilung und Härte in sich birgt, in angedeutetem Sinne näher zu treten.

Frau R.

Auf derselben Seite der Zeitung findet sich auch ein Kurzbericht aus dem Protokoll der Regierung, die sich ebenfalls mit Verteilungsfragen befasst hatte:

Kriegswirtschaftliche Massnahmen. In Ausführung eines Bundesratsbeschlusses vom 9. August betreffend den An- und Verkauf und die Abgabe von getragenen alten Schuhen, Kleidern und Wäschestücken und auf Grund einer Vorlage des Polizei- und Militärdepartements erlässt der Regierungsrat ein Kreisschreiben an die Gemeinderäte mit den erforderlichen weitern Anweisungen.

Salzpreis. Dem Grossen Rat wird im Hinblick auf die neuerdings eingetretene ganz erhebliche Steigerung der Gestehungskosten des Staates für die Erwerbung des nötigen Salzes die Revision und Aufhebung des Gesetzes vom 7. Januar 1918 betreffend den Salzpreis in dem Sinne beantragt, dass dem Regierungsrat die Ermächtigung, die Festsetzung des Preises sowohl für das Kochsalz wie für die andern Salzsorten unter Berücksichtigung der jeweiligen sachlichen, volkswirtschaftlichen und sozialen Gesichtspunkte vorzunehmen, übertragen werden soll.

Ob Frau R. angesichts ihrer hausfraulichen Sorgen für folgende Anzeige in der gleichen Ausgabe des Tagblatts empfänglich war, ist nicht zu erfahren:

Schälkur Anzeige

Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, P 909 (St.Galler Tagblatt, 78. Jg., Nr. 195, 21.08.1918, S. 4 und S. 6, Anzeige)

Johann Coaz

Sonntag, 18. August 1918 – Promi-nentes Grippeopfer

Am 18. August verstarb hochbetagt der Forstingenieur und Alpinist Johann Wilhelm Fortunat Coaz-Lütscher (31.05.1822-18.08.1918). Coaz hatte als kantonaler Oberforstinspektor eine Zeit lang in St.Gallen gelebt und sich u.a. im Stadtturnverein engagiert. Im Archiv des SAC St.Gallen findet sich in der sog. «Ahnengalerie» eine Porträtfoto von ihm (vgl. Beitragsbild).

Todesanzeige Coaz

Am 21. August veröffentlichte das Tagblatt einen ausführlichen Nachruf auf Coaz:

Zum Andenken an Dr. h.c. Johann Coaz.

Im Patriarchenalter von über 96 Jahren ist Dr. h.c. Joh. Coaz, der hochverdiente Förderer der schweizerischen, der Forstwirtschaft überhaupt, von dieser Erde geschieden.

Johann Coaz war Bürger von Scanfs [S-chanf] im Engadin. 1843 schloss er al 21jähriger sesine forstlich-akademischen Studien in Deutschland ab und kehrte dann in seine Heimat zurück. Dazumal arbeiteten Ingieure des eidgenössischen topographischen Bureaus auch in den Bündnerberger an der Triangulation und topographischen Aufnahme des Kantons Graubünden. An der Spitze des Bureaus, das sich heute zur Abteilung Landestopopgraphie des schweizerischen Militärdepartements entwickelt hat und 100 Beamte zählt, stand Generalquartiermeister Oberst Dufour, der spätere General unserer Armee. Coaz wurde mit den Ingenieuren bekannt, und 1844 trat er in das topographische Bureau ein und erwarb sich schon in jungen ahren nicht geringe Verdienste am Zustandekommen des grossen topographischen Atlasses der Schweiz. Vo nihm stammen die Blätter Bernina, Davos, Tarasp, St.Moritz, Scaletta, Bevers [Bever], Chamuera und Scanfs [S-chanf] der Dufourkarte. Seine Tätigkeit brachte ihn mit dem Alpinismus aufs engste zusammen, und seit jener Zeit stand Coaz bis zu seinem Tode als einer der ersten Führer an der Spitze des schweizerischen Alpinismus, er, der Bezwinger der Bernina und damit der Mann, der sein Engadin in Konkurrenz mit dem Wallis und Berner Oberland treten liess. Sein Name wird in der Geschichte der Erschliessung unserer alpen einen bleibenden ehrenvollen Platz behalten.

Nach der Beendigung der topographischen Arbeiten wurde Coaz Forstinspektor des Kantons Graubünden; dieses Amt versah er von 1851-1874. Dann trag er in den Dienst des Kantons St.Gallen und bekleidete hier den Posten des Oberförsters; er lebte sich in St.Gallen gut ein, und immer wieder ist er gerne in unsere Stadt zurückgekehrt, wo er einen grossen Bekanntenkreis hatte.

Der Bundesrat berief den vortrefflichen Forstmann bald nach Bern und übertrug diesem das eidgenössische Oberforstinspektorat; diese Stelle versah er bis zum Jahre 1914, in welchem Jahre er nach ausserordentlichen Arbeitsleistungen im Dienste des Vaterlandes in den Ruhestand trat. Er zog sich nach Chur zurück und hat dort seinen Lebensabend verbracht. Welche Wegstrecke liegt zwischen seinem ersten Wirken in Amt und Würde und der Heimkehr aus der Bundesstadt in die rätische Hauptstadt! Welche Summe von Arbeit und wieviele glänzende Erfolge aus der Tatkraft des willensstarken Mannes, der nicht nachgibt, wenn er etwas als gut erkannt hat!

Coaz ordnete das schweizerische Forstwesen, schuf dem Bund die Oberaufsicht über die Forstpolizei; aus dieser heraus wurden besonders dem Alpengebiet die segensreichen Hilfeleistungen des Staates an Lawinen- und Wildbachverbauungen, Korrektionen, Bannwalderrichtungen, Alpverbesserungen usw. In all diesen Werken leben sein Geist und sein Weitblick, lebt der Name Coaz weiter. Neben der amtlichen Tätigkeit fand er immer noch Zeit, sich der Fach- und der alpinen Literatur zu widmen. Er war der Herausgeber des Schweizerischen Baumalbums, von dem bisheute bereits vier Bände erschienen sind; in den Jahrbüchern des S.A.C. finden wir zahlreiche Abhandlungen aus seiner Feder. Der lebhaft geschriebene und empfindende Rückblick «Aus dem Leben eines schweizerischen Topographen von 1844-1851» dürfe wohl die letzte grössere Arbeit des nunmehr Verstorbenen sein. Sie ist enthalten im 52. Jahrgang des S.A.C.-Jahrbuches. Aus ihr werden wir unseren Lesern demnächst einige Reminiszenzen zur Kenntnis bringen.

Hier mag auch noch erwähnt werden,, dass Coaz, ein grosser Freund unseres Wildparkes, die Initiative für die Wiedereinbürgerung des Steinwildes in unseren Alpen ergriffen hat. Er beförderte durch Beibringung von Bundessubventionen die Aussetzung von Tieren aus dem Wildpark St.Gallen ins Gebiet der Grauen Hörner und in das des Piz d’Aela ob Bergün. Hundert Jahre alt wollte Coaz werden: bis in die letzten Tage seines Lebens war er aussergewöhnlich rüstig; seine 96. Jahre waren ihm noch nicht zur Last geworden. Berg und Wald hatten ihm eine eiserne Gesundheit geschenkt und seinen Geist hell und klar gemacht, gleich dem Hohlicht über den Gräten der Bündnerberge. Plötzlich aber hat ihn der Tod leise berührt und hinübergenommen in das stille Land der Abgeschiedenen. St.

Vgl. auch den Beitrag im Historischen Lexikon der Schweiz: http://www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D28802.php

Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, P 909 (St.Galler Tagblatt, 78. Jg., N.r 195, Morgenblatt, 21.08.1918, S. 4, Todesanzeige und Abendblatt, 21.08.1918, S. 1, Nachruf) sowie W 312/11.1-01.93 (SAC St.Gallen, Ahnen-Galerie, Auszug aus Porträt von Johann Coaz)

Freitag, 1. März 1918 – Erziehung von Galgenstricken

Emil Nüesch (1877-1959), Lehrer in St.Gallen, berichtete Im Rorschacher Neujahrsblatt 1918 unter dem Titel Galgenstricke über die Erziehung heranwachsender Knaben:

Der Vater meines Schülers Walter Baldauf spricht vor meiner Schultüre vor, um sich, wie er sich selber ausdrückt, nach seinem «Galgenstricke» zu erkundigen. Ja, es ist ein eigenes, nicht uninteressantes Kapitel, das Kapitel der Galgenstricke. –

Wo es sich um Spitzbubenstücklein, ums Lärmen auf den Gassen, ums Radaus[s]chlagen und Raufen handelt, da ist der allzeit unternehmende Bursche aktiv beteiligt. Kriegsspiele anordnen, polternd und lärmend durch die Gassen toben und dabei behäbigen Passanten fast den Bauch einrennen, allerlei verwegene Bubenstreiche inszenieren, Kehrichtgefässe übers Trottoir werfen, warnende und schimpfende Frauen mit Grimassen und foppenden Gelächtern ärgern, – das ist so ganz seine Sache.

Das Stillsitzen in der Schule fällt ihm schwer. Für die meisten Schulfächer bekundet er wenig Interesse und auch wenig Verständnis. Während der Sprachlehre gähnt er, und das Bruchrechnen scheint auch gar nicht nach seinem Geschmacke zu sein. –

Wer ihn nicht besser kennt, wird ihn nach dem Massstabe der positiven Leistungen in den obligatorischen Schulfächern zu den Dummen zählen. Aber der Kerl ist durchaus nicht dumm! Er lässt sich für die vaterländische Geschichte begeistern wie kein zweiter. Wenn von den Heldentaten der Eidgenossen die Rede ist, dann sieht er mich mit gorssen Augen an, stützt die Ellbogen auf den Tisch, hält die Fäuste an die Schläfen und hört mit gespanntester Aufmerksamkeit zu. Dass sich die Schweiz im gegenwärtigen Kriege nicht auch zum Dreinhauen entschliessen kann, will er nicht begreifen.

Kein Schüler bringt mir so viele Pflanzen, Käfer und Schmetterlinge in die Schule wie er. Für die Natur interessiert sich der junge Baldauf lebhaft. Jüngst sagte er mir, er wisse alle Krähennester im Kapfwalde. Wenn ich mit den Schülern spazieren gehe, muss ich ihm besondere Aufmerksamkeit schenken, denn er hat immer etwas zu fragen und will jeden Felsen erklettern.

Trotz seines rohen Benehmens entbehrt er keineswegs der Zärtlichkeit. Die harte Schale birgt einen weichen Kern. Gefühlswarme Erzählungen machen sichtlichen Eindruck auf ihn. als er vor einigen Wochen wegen eines Spitzbubenstreiches in der Patsche sass, liess er eine empfindliche Strafe ruhig über sich ergehen. Ich erfuhr erst nachträglich durch Unbeteiligte, dass bei jenem Streiche drei Klassengenossen mitschuldig waren. Seine Freundestreue gebot ihm, dies zu verschweigen und die Strafe mit heroischem Mute allein zu ertragen. In der Pause teilt er nicht selten sein Stück Brot mit den Kameraden. Im letzten Jahrmarktsbericht schrieb er, er habe 25 Rappen Taschengeld zur Verfügung gehabt. Für 20 Rp. habe er ein rotes Teufelchen an einer langen Stecknadel gekauft, um es beim Räuberlis machen als Abzeichen des Räuberhauptmanns auf dem Hute zu tragen, und 5 Rappen habe er einem invaliden Bettler gegeben. Ein Mitschüler bestätigte die Tatsache.

Im Schulrechnen ist er unbeholfen. Aber draussen auf dem Spielplatze beherrscht er alle und weiss als schlau berechnender Kopf seine Vorteile zu wahren und seine Spielgefährten zu übertölpeln. Dort ist er erfinderisch und ein geriebener Gauner. Es ist auch bezeichnend, das seine Spielgenossen ihn beim Räuber- und Poli-Spiel regelmässig zum Räuberhauptmann wählen. Da kennt er die Schliche und leistet Hervorragendes. Ein Dummer taugt nicht zum Räuberhauptmann!

Galgenstrick hat ihn sein Vater genannt. – Was soll das heissen? – Walter Balddauf ist ein temperamentvolles, lebenssprühendes, urwüchsig gesundes Naturkind von feuriger, lebhafter Phantasie und triebsgesunder Impulsivität, ein unbändiger Springinsfeld, ein munteres Füllen, das freudig wiehernd über die grüne Weide rennt und gelegentlich im Uebermute ausschlägt, ein Widerspenstiger, dem Ordnung und Sitte oft lästig erscheinen, der Schulweisheit und Schulordnung als unnötigen Ballast empfindet, dagegen mit schöpferischer Vorstellungskraft und viel willensstarker Initiative sich in die Romantik ungezügelten Gaunerlebens hineinphantasiert und dabei glücklich ist.

Selbstverständlich kann man ihn nicht frei schalten und walten lassen. Aber man muss den Galgenstrick zu verstehen suchen, sonst tut man ihm unrecht, schwer unrecht! Das feurige, junge Triebleben, die plastisch darstellende Phantasie, der impulsive Entfaltungsdrang, die Unsumme jugendfrischer Gestaltungskraft, die machen in ihrer Unbändigkeit und inneren, sittenpolizeilichen Zensurfreiheit das Wesen des Galgenstrickes aus. Galgenstricke zu erziehen ist eine Kunst, die ferne von jeglicher Schablone in verständnisvoller Individualisierung sich des Zöglings liebevoll annimmt und in zielbewusster, feiner Führung der Libido den jungen, werdenden Menschen seinen persönlichen Anlagen gemäss erzieht und veredelt. –

Wer da jeden Streich jugendlichen Mutwillens als den Ausfluss böswilliger Ueberlegung oder verdorbenenen Gemütes betrachten wollte und weiter nichts zu tun weiss, als mit Jammern und Schimpfen und Drohen und Schlagen zu «bändigen» und zu «züchtigen», der ist psychologisch falsch orientiert und versteht sich auf den erzieherischen Kompass schlecht. Besinnen wir uns darauf, der flammenden Lebenskraft und dem starken Entfaltungsdrange zweckmässige Betätigungs- und Entfaltungsgelegenheiten zu bieten! Nicht im «Bändigen» und «Züchtigen», Hemmen und Lähmen, sondern im Führen und Richtung geben liegt positiver Erziehungswert.

Ich jammere nicht über einen Galgenstrick,, so gerne ihn mancher verärgerte, ungeschickte Erzieher in der Perspektive des Rütliliedes – «Von Ferne sei herzlich gegrüsset» – betrachten möchte, denn ich weiss, dass Galgenstricke meistens tüchtiges, geeignetes Holz zu guten Pfeifen liefern. Der Fehler liegt nicht immer am Holz, er kann auch am Schnitzler liegen. Aber klagen möchte ich über jene Eltern und Erzieher, deren Erziehungskunst sich in langweiliger, gefährlich einschüchternder, moralingesättigter Prügeltaktik erschöpft. Es tut einem in der Seele weh, beobachten zu müssen, wie so viele Eltern in ausgesprochenem Missverständnis der kindlichen Seele und jugendfröhlichen Gebahrens Disziplinarvergehen als persönliche Beleidigungen auffassen, sich ärgern und rächen. Sie bekunden damit ihr erzieherisches Unvermögen und ihre Unfähigkeit, in aller Ruhe und Gelassenheit von der hohen Warte eines überlegenen geistigen Führers aus zielbewusst die jugendliche Libido zu lenken und zu veredeln.

Quelle: Staatsarchiv St.Gallen, P 744 (Rorschacher Neujahrsblatt 1918, S. 21f.; zusätzliche Absätze in den Text eingefügt durch Regula Zürcher)

Berchtoldstag

Sonntag, 30. Dezember 1917 – Volkskundliches

Die Rorschacher Blätter berichteten in ihrer letzten Ausgabe zum Jahr 1917 in der Rubrik Aus aller Welt:

Bechtelistag. Seit alter Zeit wurden in der Bodenseegegend am Schlusse oder bei Beginn des Jahres von jungen Leuten und Handwerksburschen Umzüge gehalten und von Haus zu Haus Gaben geheischt, was man bechteln oder berchteln nannte. «Bechten» wurde in der Folge gleichbedeutend mit betteln. Der Tag, wo diese Umzüge gehalten wurden, war im Mittelalter der 6. Januar (Dreikönigstag), im Elsass der 30. Dezember, in andern Gegenden der 2. Januar und hiess Berchtentag und die vorangehende Nacht Berchtennacht. Im Kanton Thurgau erhielt sich noch lange der Brauch, am Bechtelistag Kinder, Verwandte und gute Bekannte in gleicher Weise zu beschenken wir anderwärts am St.Nikolaustag oder an Weihnachten.

Vgl. dazu auch den Beitrag im Schweizerischen Idiotikon: https://www.idiotikon.ch/index.php?option=com_content&view=article&id=133&Itemid=223

Dieselbe Ausgabe der Rorschacher Blätter enthielt auch eine Lustige Ecke, in der neben Scherzen über Appenzeller dieser, möglicherweise zeitbedingt sehr aktuelle Witz zu lesen war:

Kritik. Gast: «Tragen Sie beides zurück, Käthe; im Kaffee ist zu viel Gerste und im Bier zu wenig!»

Nächster Beitrag: 31. Dezember 1917 (erscheint am: 31. Dezember 2017)

Quelle: Staatsarchiv St.Gallen, P 913A (Rorschacher Blätter, Nr. 12, 1917)

Weihnachtsgedicht

Samstag, 29. Dezember 1917 – Weihnachten im männer-mordenden Krieg

Die monatlich erscheinende Gratisbeilage zur Rorschacher Zeitung war ab Mitte 1917 nicht mehr genau datiert. Da sie Anfang des Jahres jeweils am letzten Wochenende des Monats erschienen ist, ist möglich, dass das auch im Dezember so war. Diese Datierung vorausgesetzt, kam der Beitrag ohne Autorenangabe auf der Titelseite der Ausgabe ein paar Tage zu spät in die Haushalte:

Weihnacht – Weltkrieg.

Wieder ist es Weihnacht geworden. Während draussen die Waffen klirren, die Kanonen donnern, tönt drinnen im Heiligtum die alte, ewig wunderbare Botschaft an die Seele: «Apparuit benignitas et humanitas Salvatoris nostri – Erschienen ist die Güte und Menschenfreundlichkeit unseres Erlösers.»

Die «grosse Freude», welche der Engel Gottes in der Christnacht den Hirten verkündet hat, durchzieht auch heute die ganze Christenheit und alle treuen Christenherzen – trotz des Weltkrieges mit seinem Jammer und Elend. Ja, gerade das Verderben des männermordenden Krieges zeigt das Ereignis der Christnacht in seiner alles Irdische überragenden göttlichen Grösse und himmlischen Freudenfülle. Auf der Erde Nacht, Tod und Zerstörung – im Hirtentale himmlisches Licht, die Herrlichkeit Gottes umleuchtet die armen Schafhirten – Freudenbotschaft aus Engelsmund – Jubellieder, gesungen von den Chören unzähliger Geister des Himmels. Auf Erden bricht der menschliche Stolz, brechen Weltreiche nach jahrhundertelangem Glanze im Qualm der Geschütze, im Strom des Blutes von Hunderttausenden ohnmächtig zusammen – in der Christnacht tönt das Gesetz der Ewigkeit, die einzig wahre Lösung des Menschenglückes, über die schweigenden Fluren: Soli Deo gloria! «Ehre sei Gott in der Höhe und Friede den Menschen auf Erden, die eines guten Willens sind.» – Nur wer Gott allein die Ehre gibt, erringt den wahren Frieden – jenen innern Herzensfrieden, dessen Fundament der «gute Wille» und dessen Krönung der äussere Friede in der Familie, im Staate, unter den Völkern ist.

«In jener Zeit ging ein Befehl aus vom Kaiser Augustus, den ganzen Erdkreis aufzuschreiben.» So berichtet das Evangelium der ersten Weihnachtsmesse. «In jener Zeit» – welche Zeit ist es an der ehernen Uhr der Weltgeschichte? Wir stehen im eisernen Zeitalter nach dem Propheten Daniel. Mit Blut und Eisen haben die römischen Eroberer ihre Weltmacht aufgerichtet, den grössten Teil der Völker Europas, Asiens und Nordafrikas ihrer Herrschaft unterworfen. Die Sprache der Römer regiert und richtet vom fernen Westen  bis tief ins Morgenland. Auch das auserwählte Volk Gottes ist dienstbar und zinsbar geworden. Einer ist Herrscher – Cäsar Augustus – beide, Heidenvölker und Judenvolk, sind auf ihren Lebenswegen zu einem Punkte gekommen, wo die Sehnsucht nach dem Welterlöser in den Herzen aller mächtig geworden ist. «Die Fülle der Zeit» ist gekommen, das Zepter von Juda gewichen. Jetzt gedenkt Gott der Verheissung, die er einst – vor zweitausend Jahren – dem Patriarchen Jakob gegeben hat: «In deinem SAmen sollen gesegnet werden alle Völker der Erde.»

«Es ging ein Befehl aus vom Kaiser Augustus» – wunderbare Fügung! Augustus, der Mensch, gebietet, und Christus, Gott, gehorcht. Und doch bewährt sich hier in unbeschreiblicher Grösse das Wort: «Der Mensch denkt und Gott lenkt». Denn in Wahrheit ist der mächtigste Mann jenes Zeitalters, Kaiser Augustus, ohne es zu wissen, der Diener dessen, der ihm gehorcht. Er meint, den Entschluss seines Herrscherstolzes zu vollziehen – in Wahrheit aber ist er das Werkzeug der göttlichen Vorsehung zur Verwirklichung des ewigen Ratschlusses der Menschwerdung des Sohnes Gottes. Jesus muss geboren werden zu Bethlehem in der Stadt Davids, damit die Prophezeiung des Michäas erfüllt werde, damit das Volk Gottes den Messias finden könne in der Stadt seines königlichen Stammvaters. Augustus befiehlt, und die gnadenvolle Jungfrau wandert aus Nazareth nach Bethlehem, damit aus ihr geboren werde Jesus, der genannt wird Christus.

Wir leben in einer Zeit des Werdens und Vergehens aller Völker und grosser Reiche. Gar viele schauen mit bangem Blicke in die Zukunft. WAs soll aus der Kirche werden, wenn aus den Stürmen des Weltkrieges ein Imperium emportaucht, gegen das der Staat der römischen Cäsaren ein Kinderspiel war? Nolite timere! «Fürchtet euch nicht, kleine Herde», sagt der Welterlöser Jesus Christus. In der Hand Gottes sind wir heute, wie im Zeitalter des Augustus, die grössten Weltherrscher lediglich kleine Knechte, welche die Ratschlüsse der göttlichen Vorsehung vollziehen müssen. Das Kind in der Krippe zu Bettlehem führt noch heute, wie vor 1900 Jahren, die Zügel der Weltregierung. Seinem REgimente unterstehen alle Völker. Ein Wink seiner Hand und der stolzeste Herrscherthron sind in den Staub. Das Reich des Kindes zu Bethlehem aber besteht und dauert fort in Ewigkeit. Sein Regierungsprogramm hat schon der Prophet Isaias ausgesprochen: «Ein Kind ist uns geboren, ein Sohn ist uns geschenkt, auf dessen Schultern die Herrschaft ruht, und sein Name wird heissen: Wunderbarer, Ratgeber, Gott, starker Held, Vater der Zukunft, Friedensfürst».

Auf derselben Seite der Rorschacher Blätter erschien auch ein Gedicht von Jean Bättig:

Heilige Weihnachten 1917.

Weihnacht feiern wir heute wieder / In des Krieges schwerer Zeit; / Es erschallen Freudenlieder / Durch die Welt voll Kampf und Streit.

Schaurig die Kanonen singen / Vor der Stadt Jerusalem, / Engelchöre heut erklingen / Aus dem kleinen Bethlehem.

Jesus Christus ist geboren, / Freud und Friede dieser Welt, / Ach, wir haben ihn verloren, / Dem man Ehrenfeste hält!

Möcht ein heilig Feuer brennen / Hier auf Erden, fern und nah, / Und bald alle Welt erkennen, / Was zu Bethlehem geschah!

Möchte leuchten dieser Erde / Bald des Friedens schönstes Bild, / Dass zum Paradiese werde / Dieses Lebens Kampfgefild.

Schönster Stern erscheine wieder / In dem schönsten Gnadenschein, / Von dem Euphrat schallts hernieder, / Leucht in jedes Herz hinein!

Friede muss ës wieder werden / Bei den Völkern nah und fern, / Und dann leuchtet hier auf Erden / Christus als der Morgenstern.

Nächster Beitrag:  30. Dezember 1917 (erscheint am 30. Dezember 2017)

Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, P 913A (Text: Rorschacher Blätter zur Unterhaltung und Belehrung, Gratisbeilage zur Rorschacher Zeitung, Nr. 12, 1917, 29.12.1917) und

Walter Grossmann

Montag, 29. Oktober 1917 – Bericht aus Ungarn

Walter Grossmann war vor dem Krieg im Landerziehungsheim Hof Oberkirch, einer reformpädagogisch geführten Schule, Schüler gewesen (vgl. auch den Beitrag zum 1. März 1916).

29.X.1917.

Aus der Karte vom A.-H.-Tag sehe ich, dass sie mich noch nicht vergessen haben; ich danke dafür allen, die dort waren und mich kannten und kann sie gleichzeitig versichern, dass, wenn ich auch nie geschrieben, so doch oft an die schöne Zeit im Hof gedacht habe. Von meinem Freunde Max hörte ich ab und zu, doch im letzten Jahr sehr selten, vielleicht ist auch die Zensur und die mangelhafte Postverbindung Schuld daran.

Von mir kann ich nicht viel erzählen; ich bin seit 1½ Jahren ununterbrochen im Felde, nachdem ich 1 Jahr lang in Budapest bei einer reitenden Art.-Division Dienst geleistet hatte. Damit wäre im Grossen und Ganzen alles gesagt; da kann sich jeder dazu das Seinige denken. Die Details sind dann manche schön, lustig und interessant, viele auch das Gegenteil. Aber das ist brieflich schwer wiederzugeben.

Das wäre mein äusseres Leben. Wie ich sonst geworden bin? Nun, ich glaube, ich bin ziemlich der Alte, der ich war, etwas weniger naiv, etwas leichtsinniger und ein ganz klein wenig älter. Ein unschuldiger Engel war ich ja nie. Manches vom Geiste des Hofes, das ich in mir aufgenommen habe, begleitet mich, wenn ich auch in Vielem nicht das geworden bin, was der Hof im Allgemeinen von uns wollte. Ich muss mich, wenn ich aus der ganzen Chose heil herauskomme, wieder in die Schulbank setzen und regelrecht die ganze landwirtschaftliche Hochschule absolvieren.

Wie siehts denn jetzt auf dem Hofe aus? Der liebe, alte Hof, ich habe ihn, meine kleine Bude oben im Himmel, alles, alles in guter Erinnerung. Sowie ich mal in die Schweiz kann, werde ich ihn unbedingt besuchen. Und dann will ich wieder ein paar Tage Höfler sein, vergessen all das Viele, das in den letzten Jahren mit mir und um mich geschah.

Allen Höflern, auch den Mädels, wenn welche sind, allen Lehrern, Allen meinen besten Gruss. Walter Grossmann, öster.-ung. Leutnant.

Der Krieg beschäftigte die Schüler im Hof Oberkirch. Erich Tobler stellte sich 1915 einen «Sturmangriff» folgendermassen vor:

Sturmangriff

Nächster Beitrag: 6. November 1917 (erscheint am 6. November 2017)

Quelle: Staatsarchiv St.Gallen, W 127 (Hof-Zeitung, herausgegeben im Land-Erziehungsheim Hof Oberkirch unter der Leitung von Anton Blöchlinger, Nr. 12, April 1918; Beitragsbild: Foto von Max Grossmann aus dem Album «Schüler und Lehrer» im gleichen Bestand; das Bild «Sturmangriff» findet sich in: Hof-Zeitung, Nr. 5, Weihnachten 1915)

Hof Zeitung Titelbild

Donnerstag, 18. Oktober 1917 – Bericht aus Frankreich

Georges Stouvenot (1885-1955) hatte von 1909 bis 1912 als Lehrer im Landerziehungsheim Hof Oberkirch gewirkt. Im Krieg war er als Soldat in die französische Armee eingezogen worden und dort als «Caporal» Rekruten ausgebildet. Mit einem auf den 18. Oktober 1917 datierten Brief berichtete über sein Leben in der Heimat. Arnas liegt im Rhonetal zwischen Dijon und Lyon:

Arnas, 18. Oktober 1917.

Ich bin sehr verlegen, Ihnen triftige Gründe über mein langes Stillschweigen anzugeben. Wie oft habe ich mir vorgenommen, Ihnen endlich einmal zu schreiben und Ihre verschiedenen Grüsse zu erwidern; aber ich war selten in der Lage, meine Gedanken geordnet vorzubringen. Ende Juli war ich einige Tage zu Hause; im August beschäftigten mich die ökonomischen Probleme so sehr, das ich keine Lust hatte, Korrespondenzen zu schreiben; dann im September hatten wir Weinernte und ich musste mich intensiver mit den Gefangenen beschäftigen.

Unterdessen habe ich Ihren lieben Brief vom 26.VI.17 wohl erhalten; ebenso die Hofzeitung, die mich daheim traf; ferner die Grusskarte der Alt-Oberkirchler vom 10. Sept. Besten Dank für alle die Mitteilungen und Grüsse, die mich äusserst freuten. – Am meisten interessierte mich Ihr Vortrag in der Neuen Helvetischen Gesellschaft über die Schulerziehung nach dem Kriege. – Freilich, die Umstände nötigen uns, unsere Aufmerksamkeit Problemen zuzuwenden, die vor dem Kriege nicht existierten. Es gibt Arbeit in Hülle und Fülle; ich glaube gar, ich habe meine Ziele zu weit und zu hoch gegriffen; und den Segen unserer Bemühungen werden wir wohl nicht mehr voll erleben können.

Seit vielen Wochen bin ich daran, meine Kenntnisse in Geschichte und namentlich in der Geographie zu revidieren und zu erweitern. Ich brauche sie notwendig zum Studium der ökonomischen Probleme. Ferner erprobte ich fleissig seit Anfang August meine Geduld im Aufbeissen harter Nüsse, wie die Lektüre von Cornelius Nepos; es ist eine tadellose Willensübung.

Mir geht’s in jeder Beziehung recht gut; ich habe keinen Grund, mich zu beklagen, im Gegenteil.

Herzliche Grüsse an alle!

Georges Stouvenot, chef de détachement de P.G. d’Arnas.

Hinweis: Cornelius Nepos war ein römischer Geschichtsschreiber.

Zu Stouvenot: vgl. auch Beitrag vom 1. März 1916. In einer Zuschrift an die Höfler-Zeitung vom 31. Januar 1915 hatte er sich u.a. Gedanken über die Parteilichkeit der Kriegsgegner und die jeweilige Propaganda gemacht:

Eine Zeitlang habe ich felsenfest Alles geglaubt, was unserseits geschrieben wurde, bis es mir zum Bewusstsein kam, dass ich als Gast Eures lieben Landes einst selbst anders gedacht hatte. Nun weiss ich, dass das Herz selten irrt, wohl aber der Verstand. Wie schwer ist es ja Euch, jedem der Kriegsführenden unparteiisch sein Recht zuzusprechen! Darüber habe ich mich lange verwundert.

Ich habe ferner versucht, einen klaren Einblick über die politische Lage bei uns und in der übrigen Welt zu gewinnen. Zeitungen jeder Färbung, klerikale wie antiklerikale Blätter studiere ich fleissig; doch umsonst! Wem soll ich glauben? Ich kann mich keiner Partei voll und ganz verpflichten.

Also trotz eines glühenden Optimismus bin ich ein Skeptiker geworden. Ich traue Niemandem mehr ohne weiteres. Ich will abwägen und zuletzt ein Urteil erarbeiten, das für mich gültig ist, das ich aber keineswegs Andern aufzudrängen beabsichtige.

Jetzt endlich bin ich auf jede Eventualität gefasst und bleibe meinem Vorsatze treu, die Erfahrungen eines jeden Tages fleissig zu beherzigen.

Mit herzlichem Gruss, Euer

G. Stouvenot, Caporal, 176e de Ligne, 26e Cie de Dépot, Epinal. 

Nächster Beitrag: 29. Oktober 1917 (erscheint am 29. Oktober 2017)

Quelle: Staatsarchiv St.Gallen, W 127 (Hof-Zeitung, herausgegeben im Land-Erziehungsheim Hof Oberkirch unter der Leitung von Anton Blöchlinger, Nr. 12, April 1918, resp. Nr. 3, März 1915; Beitragsbild: Linolschnitt von Max Hegetschweiler auf dem Titelblatt dieser Ausgabe der Hofzeitung)

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Donnerstag, 20. September 1917 – Sorgen der Textilindustrie

An diesem Tag hätte die nächste Nummer des Fachblatts Mitteilungen über Textil-Industrie erscheinen sollen. Ausgeliefert wurde die Ausgabe jedoch erst am 9. Oktober. Die Gründe dafür waren auf der vorletzten Seite zu lesen: Mitteilung an die Leser. Da trotz frühzeitig begonnenen Umzuges der Druckerei Frank die Druckmaschinen erst am 8. Oktober wieder in Gang gesetzt werden konntnen, erfolgte die Spedition dieser Nummer am 9. November. In der Regel wird die Zeitung Ende Monats gedruckt und prompt mit Beginn des nächsten versandt. Wo die Zusendung verspätet erfolgt, beliebe man bei der Post zu reklamieren oder der Expedition umgehend Mitteilung zu machen, damit für Abhülfe gesorgt werden kann.

Was aber wurde so verspätet berichtet? Herausgepickt seien ein paar Mitteilungen:

Minimalsticklöhne für Stickereiindustrie. Unter dem Vorsitz des Herrn Dr. Kaufmann vom Schweiz. Volkswirtschaftsdepartement hat in St.Gallen eine Besprechung der interessierten Kreise zur Neunormierung der Stichpreise stattgefunden. Von Seiten der Schifflilohnstickereibesitzer war ein Minimalstichlohn von 57 Rappern normiert worden, während die Exporteure nur auf 48, höchstens auf 50 Rappen gehen wollten. Man einigte sich schlieslich auf 54 Rappen für 4/4 Normalware; für sog. Einteilware wird ein Zuschlag von drei Rappen per 100 Stich akzeptiert. Die Erhöung der Minimalstichlöhne wurde notwendig wegen der grossen Steigerungen der Garnpreise und der Verteuerung der verschiedenen andern Bedarfsartikel. (S. 170)

Ausfuhr von Stickereien nach den Vereinigten Staaten. Der Gesamtexport aus dem Konsularbezirk St.Galle nach den Vereinigten Staaten beziffert sich im vergangenen August auf 1,690,942 Fr. gegen 2,7 Milllionen im gleichen Monat des Vorjahres. Der Ausfall beträgt somit 1,009,154 Fr. Der Stickereiexport im besondern stellt sich für August 1917 auf 1,470,670 Fr., was gegenüber August 1916 einen Rückschlag von 960,014 Fr. bedeutet. (S. 170)

Der Siegeszug der Papiergarne. Auch auf das neutrale Ausland scheint sich der Siegeszug der Papiergarne zu erstrecken. Die sächsische Textilindustrie Wilhelm Kaufmann, Pirna, die in Glauchau eine Papiergarnspinnerei besitzt, hat auch bereits in Ronneby in Schweden eine Papiergarnspinnerei  und -weberei errichtet. Diese Gründung darf man wohl darauf zurückführen, dass in Schweden ausgezeichnete Vorbedingungen für diesen Fabrikationszweig gegeben sind, insbesondere die Beschaffung des Rohmaterials nur geringe Schwierigkeiten bietet. (S. 171)

Stillegung der Moskauer Textilfabriken. Die Seidenstoff- und Damenkleiderstoff-Fabriken Moskaus sind jetzt sämtlich stillgelegt worden, da es an Rohstoff- und Brennmaterial mangelt. Die Baumwollfabriken sollen zusammengelegt werden. Nur die Tuchfabriken, welche für den Heeresbedarf arbeiten, werden den Betrieb aufrecht erhalten. Die sämtlichen Baumwollfabriken des Gouvernements Kastroma haben den Betrieb eingestellt. Man zählt über 40,000 Arbeitslose. Die meisten Maschinen sollen, wie berichtet wird, von den Arbeitern zerstört worden sein. (S. 171)

Mitteilungen des Kaufmännischen Direktoriums in St.Gallen. Transit durch Deutschland. Die Exporteure werden darauf aufmerksam gemacht, dass Stickereien, welche den schweizerischen Ausfuhrbestimmungen für Deutschland entsprechen, nicht an die nordischen Einfuhrtrusts adressiert werden müssen, sondern dem nordischen Käufer direkt zuzsenden sind. Bei diesen Stickereien kommen somit die Formalitäten des gelben Ausfuhrgesuches nicht in Anwendung. Ebensowenig haben diese Vorschriften Gültigkeit für irgendwelche Waren, welche durch Ententeländer nach den nordischen Staaten exportiert werden. (S. 175)

Ebenfalls auf S. 175 findet sich nachstehende Anzeige. Die Seitenanzahl bezieht sich nicht auf die Anzahl Seiten in dieser Ausgabe der Zeitschrift, sondern auf den gesamten Jahrgang. Die Anzeige im Beitragsbild steht auf Seite 176.

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Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, Wy 124 (Mitteilungen über Textil-Industrie, 24. Jg., Nr. 17/18, September 1917; Text und Bilder)