Dienstag, 5. September 1916 – Auch die Polizei soll nach fremden Fliegern Ausschau halten

An sämtliche Angehörige des st.gallischen Polizeikorps.

Hiemit bringen wir Ihnen Folgendes zur Kenntnisnahme & Nachachtung:

1. Das Armeekommando hat zur Verhinderung von Grenzverletzungen durch Flieger kriegführender Staaten einen militärischen Meldedienst eingerichtet.

2. Schweizerischen Flugzeugen ist im 7. Territorial-Kreise das Ueberfliegen der Linien Winterthur-Wil-St.Gallen-Altstätten untersagt. Flieger die nördlich dieser Linie beobachtet werden, sind daher mutmasslich Angehörige der kriegführenden Staaten & unverzüglich zu melden.

3. Die Meldung soll telefonisch oder telegraphisch direkt an die Nachrichtensektion des Armeestabes, Bern Telephon Nr. 4601, sowie auch an das Territorial-Kommando VII in St.Gallen oder an das nächste Platzkommando (Frauenfeld, St.Gallen, Herisau) gerichtet werden.

An den Anfang der Meldung ist das Stichwort: Fliegermeldung zu setzen.

St.Gallen, den 5. September 1916.

Das kant. Polizeikommando.

Vergleiche auch den Beitrag vom Freitag, den 31. März 1916.

Die Zeit um den Ersten Weltkrieg war geprägt von technischer Euphorie. Gerade im Flugzeugbau wurde vieles entworfen und ausprobiert. In der Patentsammlung des Staatsarchivs St.Gallen zeugt eine ganze Reihe von Schriften von diesem Erfindungsreichtum.

So liess beispielsweis Gallus Baumann von Bütschwil 1919 ein Fahrendes, schwimmendes und fliegendes Fahrzeug patentieren:

Fahrendes, schwimmendes und fliegendes Fahrzeug

Und für alle, denen das richtige Abheben dann doch etwas riskant erschien, erfand M. Lange in Weesen im gleichen Jahr eine Flugeisenbahn:

Flugeisenbahn

In der Patentschrift heisst es dazu: Der Erfindungsgegenstand ist dazu bestimmt, zwischen bestimmten Orten grössere Lasten mit grösster Geschwindigkeit zu fördern, eventuell ohne Verwendung eines Piloten. Zu den Risiken der Fliegerei steht zu lesen: Durch vorliegende Erfindung soll eine Flugeisenbahn geschaffen werden, welche, die Tragfähigkeit der Luft ausnützend, annähernd die gleiche Schnelligkeit wie das freifliegende Flugzeug besitzt, wobei jedoch die nicht zu beseitigenden gefährlichen Eigenschaften des Flugzeuges, als: Absturz, Überschlagen, Verfliegen, Desorientierung in Wolken und Nebel, Zertrümmerung bei der Landung, Notlandung, starke Beeinflussung des Herzens durch rapid wechselnde Höhe etc., ausgeschaltet werden.

Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, KA R.102-1a-4 (Kreisschreiben des Polizeikommandos des Kantons St.Gallen) und ZW 2 L/59-064734 (Abbildung eines Patentanspruchs von Joseph Fleisch, Rorschach, für einen Orientierungsapparat für Flugzeuge von 1913) sowie ZW 2 S/129b-083065 (Patient für ein fahrendes, schwimmendes und fliegendes Fahrzeug) und ZW 2 S/127a-084181 (Patent für eine Flugeisenbahn)

Zeppelin über St.Gallen, vor 1911

Sonntag, 3. September 1916 – Kriegsnachrichten: Keine Feier-tagsruhe für Soldaten

Nicht bloss ein Zeppelin wie auf dem Beitragsbild, sondern mehrere Flugschiffe (oder je nach Meldung ganze Geschwader) hatten in der Nacht vom 3. auf den 4. September 1916 die Südküste von England angegriffen. Die Zeitungen in der Ostschweiz berichteten über das Kriegsgeschehen. Im Morgenblatt des St.Galler Tagblatts stand auf der Frontseite als erster Artikel:

Deutscher Luftangriff auf England.

Berlin, 4. Sept. (Amtlich.) In der Nacht vom 3. Sept. haben mehrere deutsche Marineluftschiff-Geschwader die Festung London, die befestigten Plätze Yarmouth und Harwich, sowie Fabrikanlagen von militärischer Bedeutung in den südöstlichen Grafschaften und am Humber ausgiebig mit Bomben belegt. Die gute Wirkung der Angriffe konnte überall beobachtet werden. Stellenweise Brände und Explosionen.

Sämtliche Marineluftschiffe sind trotz starker Beschiessung unbeschädigt zurückgekehrt.

Gleichzeitig erfolgte ein Angriff durch Luftschiffe unseres Heeres auf Nordengland.

London, 3. Sept. (Amtlich.) Mehrere feindliche Luftschiffe griffen die Ostküste Englands um 11 Uhr abends an. Sie warfen an einzelnen Punkten Bomben ab. Der Angriff dauert fort.

London, 3. Sept. (Amtlich.) Der Angriff von dieser Nacht wurde von der grössten Anzahl Zeppelinen ausgeführt, die bis jetzt England angriffen. Es scheint, dass die östlichen Grafschaften von London Angriffsziel waren. Der Angriff auf London wurde abgeschlagen und ein Zeppelin heruntergeschossen. Er stürzte brennend ab. Zahlreiche Bomben wurden auf sehr weit voneinander entfernte Ortschaften abgeworfen. Bis jetzt sind jedoch noch keine Meldungen eingelaufen, weder über die Opfer noch über den Sachschaden.

Auch Die Ostschweiz schrieb prominent auf der Titelseite eine Zusammenfassung über die Geschehnisse auf den verschiedenen Kriegsschauplätzen. Der Luftangriff ist darin ebenfalls erwähnt:

Der europäische Krieg

Auf dem westlichen Kriegsschauplatz wurde speziell im Sommegebiet in den letzten zwei Tagen mit grosser Erbitterung gekämpft. Die Meldungen über die Ergebnisse sind wieder sehr widersprechend. Während das deutsche Bulletin sagt, dass starke französische Angriffe zusammengebrochen seien, meldet eine Havas-Depesche von gestern abend 11 Uhr ganz bedeutende französische Erfolge. 2000 Deutsche seien gefangen genommen und 6 Kanonen erbeutet worden.

Auf die Ostküste Englands ist wieder ein sehr starker Zeppelinangriff ausgeführt worden. Nach englischen Berichten geschah dies von der grössten Anzahl Zeppelinen, die bis jetzt England angriffen. Das Wolff-Bureau meldet sehr bedeutende Wirkungen.

Vom östlichen Kriegsschauplatz meldet das deutsch Grosse Hauptquartier schwere russische Verluste vom letzten Freitag. Eine Havas-Depesche aus Bukarest meldet erhebliche rumänische Fortschritte und die Gefangennahme von 1800 Oesterreichern. Das österreichische Bulletin gibt zu, dass die Oesterreicher nach fünftägigem Kampfe ihre Truppen auf das rechte Ufer der Cserna zurückgezogen haben. Das deutsche Bulletin sagt, dass die Dobrudscha-Grenze zwischen der Donau und dem Schwarzen Meere von den deutschen und bulgarischen Truppen überschritten worden sei. Der rumänische Grenzschutz sei unter schweren Verlusten für ihn zurückgeworfen.

Vom italienisch-österreichischen Kriegsschauplatz sind besondere Ereignisse nicht gemeldet.

Ueber die revolutionäre Bewegung in Griechenland resp. deren weitere Wirkung ist im Moment Sicheres noch nicht zu sagen.

Zum Luftangriff auf England heisst es in der Ostschweiz in einer Kurzmeldung fast identisch zum Tagblatt:

London, 3. Sept. (Havas.) Amtlich. Mehrere feindliche Luftschif[f]e griffen die Ostküste Englands um 11 Uhr abends an. Sie warfen an einzelne Punkten Bomben ab. Der Angriff dauert fort.

Die Abendausgabe des St.Galler Tagblatts informierte erneut über die Angriffe auf England:

Deutsche Luftangriffe auf England.

London, 4. Sept. (Amtlich.) Der von 13 Zeppelinen ausgeführte Streifflug ist der furchtbarste Angriff, der bis jetzt gegen Grossbritannien gerichtet worden ist. Den hauptsächlichsten Schauplatz der Operationen bildeten die östlichsten Grafschaften, und es scheint, dass jene es auf London und gewisse Industriestädte Mittelenglands abgesehen hatten.

Die neu eingeführte Vorschrift betreffend verminderte Lichtfülle in Häusern und Strassen erwies sich als sehr wirksam, denn die Luftschiffe mussten, statt wie bei dem Streifflug im Frühling des letzten Jahres einer bestimmten Route folgen zu können, während der Nacht in allen Richtungen hin und her fliegen, ehe sie die Route fanden, auf der sie sich den Zielpunkten mit Bestimmtheit nähern konnten. Es gelang 3 Luftschiffen, sich der Gegend, von London zu nähern. Das eine erschien über den nördlichen Quartieren um 2 Uhr früh. Es wurde von den Scheinwerfern alsbald ausfindig gemacht und von Fliegerabwehrkanonen und Flugzeugen heftig angegriffen. Nach einigen Minuten sah man es brennen und rasch in Flammen abstürzen. Das Luftschiffe [sic] war zerstört. Seine Ueberreste mit den Maschinen und den fast gänzlich verkohlten Leichen der Besatzung wurden in Uffley bei Enfield aufgefunden.

Zwei andere Zeppeline, die sich London näherten, wurden zurückgeschlagen, ehe sie sich dem Zentrum der Stadt zu nähern vermochten. Eine grosse Anzahl Bomben wurde auf gut Glück auf die östlichen und westlichen Grafschaften abgeworfen. Vollständige Berichte über Verluste und Schaden sind indessen noch nicht eingelangt. Aus den bis jetzt eingetroffenen ergibt sich, dass die Verluste nicht hoch sind in Berücksichtigung der an dem Flug beteiligten Zahl von Luftschiffen. Eine grosse Anzahl Bomben fiel teils ins Meer, teils in entlegene Felder.

Soviel stand auf der Frontseite des Abendblattes. Auf Seite 3 im Innern der gleichen Ausgabe hiess es in einer Kurzmeldung:

Zu den letzten Luftangriffen auf England.

London, 4. Sept. (Amtlich.) Eine Untersuchung hat ergeben, dass die durch den Streifflug angerichteten Verluste und der Sachschaden in keinem Verhältnis stehen zu der Zahl der beteiligten Luftschiffe. Die bis jetzt festgestellten Verluste belaufen sich auf einen Mann und eine Frau an Toten und auf 11 Männer und Frauen oder Kinder an Verwundeten. Die letzten Informationen besagen, dass 25 Häuser und einige Nebengebäude leicht beschädigt wurden. In der Nähe des Distrikts wurden zwei Wasserleitungen zerstört und drei Pferde getötet. Der Schaden in anderen Ortschaften ist sehr gering. Es wurden eine Anzahl Landhäuser und eine Kirche beschädigt. In der Gasfabrik brach ein Brand aus. Keinerlei militärischer Schaden wurde angerichtet.

Nebenbei bemerkt: Havas war eine Nachrichtenagentur (heute eine Werbeagentur). Der Ausdruck «So ein Havas!» bezeichnete im Volksmund eine nicht glaubwürdige Mitteilung.

Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, P 909 (St.Galler Tagblatt, Nr. 207, 04.09.1916, Morgenblatt und Abendblatt), P 907 (Die Ostschweiz, Nr. 205, 04.09.1916, Morgenblatt) und ZMA 18/01.01-23 (Bild von G. Metz, Basel, vor 1911)