Scherenschnitt Doris Schwarz

Mittwoch, 1. Januar 1919 – Neujahr: Katze im Geigenkasten

Fortsetzung der Tagebucheinträge von Alfred Schwarz (vgl. Beiträge vom 23.-25. und vom 31. Dezember 1918)

1.I.1919. (Neujahr. – Mittwoch.) – Mit T[h]eo im Bett geschwätzt. – Dann bald aufgestanden (9h). – Allerlei mit den Kindern gespielt. – Ankunft von Doris [Schwarz, Schwester von Alfred Schwarz]! – Mittagessen. – Gemeinsamer Spaziergang auf den Zürchberg (Fluntern, neue Kirche!), resp. seinen Anfang . – Jause. – – Dann mit Doris fort (ca. 5h) & zu Hugi in die Gemeindestrasse. – von Hugi & seiner Schwester Margrit sehr nett & gemütlich empfangen & in ihrer «Bude» ein vergnügtes Tee-Plauderstündchen verbracht! – Von dort direkt zu Hugs zum Nachtessen! x [Zeichen für Einschub resp. Nachtrag, s. unten] – Nach dem Nachtessen geplaudert (im Weih. Zimmer natürlich!) & nocheinmal den Christbaum angezündet! – Doris schildert das tägliche Wiener «Menu» (Rübensuppe & Sauerkraut oder umgekehrt!) – «Loos»-Theorie vom «Sitzen» wird von Hans, Evi & mir «ausprobiert»! – Während die anderen im Musikzimmer musizieren & zuhören, erzählt Evi bei Christbaumbeleuchtung von ihrem Genfer Leben! Dann geht auch Hans ins Musikzimmer & wir zwei warten noch das Abbrennen der letzten Kerze ab & gehen dann auch hinüber! – Hier wird noch gegeigt, & zw. von Onkel Ad. auf einer alten Meistergeige aus dem Geschäft (Wert Fr. 60000.-!) jedoch dann bald Schluss gemacht. Katze im Geigenkasten! – Noch ein wenig im Weih.Zimmer gelesen & geplaudert. Dann Aufbruch & Heimweg zu Baumanns! Theo wieder nicht aufgewacht! – Nachtrag: x Von Doris Wiener Geschenke & «Guetsli [Plätzchen] von Zuhause» erhalten!

Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, W 054/140.07-07 (Tagebuch Alfred Schwarz für die Weihnachts- und Neujahrstage 1917 und 1918) und W 054/144.03.06-18 (Scherenschnitt Doris Schwarz, 1920)

kompagniecoiffeur beim Raiseren, 1916

Dienstag, 31. Dezember 1918 – Silvesterabend im Freundeskreis

Fortsetzung der Tagebucheinträge von Alfred Schwarz (vgl. Beiträge vom 23.-25. Dezember 1918)

Alfred Schwarz reiste für Silvester und Neujahr erneut von Winterthur, wo er arbeitete, nach Zürich. Er übernachtete diesmal aber nicht bei seinen Verwandten, sondern bei Bekannten:

30. XII. (Montag.) – Dorises Brief aus – Zürich! – («Ausladung» für d. Neujahrstage bei Hugs, resp. «Umladung» zu Lily Baumann!) –

Doris Schwarz (1886-1976) war die ältere Schwester von Alfred Schwarz. Sie arbeitete als Sekretärin.

31. XII (Dienstag). – Mittags: Packen & Beförderung des Koffers zum Bahnhof. – In Hetz noch zum Coiffeur! – Abends: Von der Loki [Schweizerische Lokomotiv- und Maschinenfabrik Winterthur] zum 5 03 h Zug. – Nach Zürich gedampft. – Dort direkt zu Buamanns gefahren. – Kinder mit Frau Baumann («Grossmama») beim Quartett. Umziehen. – Nachtessen. – Um ¾ 9 h Weggang zu Hugs. – Doris begrüsst & dann die ganze Tischgesellschaft (ca. 26 Personen!). – Nette Tischkarten von Welti. – Mein Glück! (2seitige Bemalung!) – Die restlichen Gäste erscheinen. – («Bräutigam cherum!» – Sein Lenzgesicht bei der Vorstellerei!) – Aufführung im Rauchzimmer: «Beim Coiffeur Schwyzer»! (Hans! unter Mitwirkung von Adölfli (Tochter Erna), Rolf (Gast), Rudi Welti (2. Kunde Herr von Orelli!) & mir (Gehilfe). – Rolf wird «täuschend naturgetreu» geschnitten beim Rasieren! – – Dann: Auftreten von Rolf als «Tänzerin» unter Musikbegleitung von Hans! Interessante «Schminke, Kleidung & Bewegungen»! – Bald darauf beginnt das erste Glockenläuten! Doris, Ruth, Rolf, Rudi Welti, Hans, Adölfli & ich übersiedeln in den Erker! Fenster öffnen!  – Punsch! – Es schlägt! – Prosit Neujahr! – Hin- & Her! – Das Brautpaar erscheint nach längerem Ausbleiben – erneutes Anstossen! – Wieder Glockengeläute! – Bleigiessen! – Kerzenbeleuchtung! – Ruth sagt einiges (Gedichte & Prosa: Hoffmannstal [eigentlich: Hofmannsthal] etc.) auf! — Experimente beim Bleigiessen unter Rolfs «Führung»! – Dann allgemeiner Aufbruch! – Auch ich sage adieu! – Heimweg bis zum Steinwiesplatz mit Ruth Langnese. – Nach dem Casinoplatz noch «Wolfensbergers» eingeholt & mit diesen bis zur Sophienstrasse gewandert. – Hier, ohne Teo zu wecken, ca. um 2 Uhr ins Bett & ausgelöscht.! –

Ruth Langnese verheiratete sich 1930 mit dem Bildreporter und Drehbuchautor Richard Schweizer, vgl. http://www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D9240.php.

Quelle: Staatsarchiv St.Gallen, W 054/140.07-07 (Tagebuch Alfred Schwarz für die Weihnachts- und Neujahrstage 1917 und 1918) und W 132/2-269 (Gebirgsschützenbataillon 8, Aktivdienst im Münstertal, Kompagniecoiffeur beim Rasieren unter freiem Himmel, 1916)

Alfred Schwarz

Mittwoch, 25. Dezember 1918 – Feiertage

Fortsetzung der Tagebucheinträge von Alfred Schwarz (vgl. Beiträge vom 23. und 24. Dezember 1918)

Was macht man an Feiertagen bei Tante und Onkel – ohne Fernsehen und ohne Radio?

25. XII. (Mittwoch) Ausgeschlafen bis 11 ¼ h. – Als letzter des «faulen Kleeblattes» (Hans, Evi & ich) im Weihnachtszimmer erschienen (nach ½ 12 h!). – Welti kommt! – Gleich darauf, auf dem Weg ins Esszimmer, entdeckt T. Martha «en Passant» im Musikzimmer «die strahlende Beleuchtung», so, wie wir sie am Weihnachtsabend zurückliessen!! – Nach dem Essen wieder im Christkindzimmer. – Schach mit T. Martha! – Welti kibitzt; Das Brautpaar geht spazieren, da das sonnige Wetter (mit Schneeluft!) dazu einlädt! – Mein Schachsieg! – Nun machen O. Ad., Hans & ich uns auf die Beine & fliegen ebenfalls aus. – Spaziergang an die Sihl, Kurfirstenstrasse (neue Villen) etc. – Bald nach unserer Rückkehr kommt auch das Brautpaar zurück. – Musizieren im Musikzimmer. Welti singt (Schubert: «Wanderer» etc.) – Dann Tante Martha! – Nochmaliges Vorspielen des Weihnachtsstücks von Hans! – etc. – Nachtessen. – Wieder im Weihnachtszimmer. – Plaudern, lesen etc. Nach Weltis Weggang auch bald allgemeines «Gute Nacht!» –

Beim Brautpaar handelt es sich um Eva Hug und Albert Jakob Welti. Sie heirateten 1920.

26. XII. (Donnerstag.) Um 10 Uhr beim Frühstück! – Dann wieder im Weih. Zimmer. – «Onkel Hans » (Langnese) kommt auf Besuch. (Ansehen der «Widmann-Bilder»!) – Schach mit Hans! – Mittagessen. – Wieder Schach. – Um ½ 3h Abmarsch von O. Ad., Hans & mir zur «Besteigung des Ütliberges.» – – Interessanter, «weicher» Aufstieg unter O. Ad. Führung. Hansens Fluchen! – Oben herrliche Aussicht! – Soldaten. – Noch interessanterer Abstieg! Glatteis! – Nirgends ein Halt! – Geländer – letzte Rettung! – Vergnügte Heimkehr um 6h. – T. Martha, Adölfli & Welti im Musikzimmer. – Musiziert! – Evi kommt heim. – Nachtessen. – Wieder im Weih. Zimmer. – Christbaum angezündet. – Punsch! (Evi’s interessante Frage punkto Zubereitung!) – Witze-Erzählen! (Shoking!) Verschiedene Spiele gemacht, Pfänder auflösen, etc. – Brissago [Zigarre] von Welti! – – Nachdem er aufgebrochen & adieu gesagt, kurz darauf: «Tableau!» (Wirkung!) – Dann ins Bett! –

Der im Text genannte «Onkel Hans» (Langnese) war der Schwiegersohn von Arnold Hug (1866-1905). Er leitete seit dem Tod seines Schwiegervaters die Leipziger Filiale des Musikhauses Hug, vgl. https://www.musikhug.ch/ueber-uns/geschichte/

27. XII. (Freitag) – Wecker auf 6 ¼h; Aufstehen, Packen & Abfahrt nach Winterthur um 7h.

Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, W 054/140.07-07 (Tagebuch Alfred Schwarz für die Weihnachts- und Neujahrstage 1917 und 1918) und W 054/144.03.10-02 (Alfred Schwarz, 1916)

Musik Hug

Dienstag, 24. Dezember 1918 – Weihnachten im Familien- und Freundeskreis

Fortsetzung der Tagebucheinträge von Alfred Schwarz (vgl. Beitrag vom 23. Dezember 1918)

Alfred Schwarz durfte die Weihnachtsfeiertage in Zürich bei Tante und Onkel mütterlicherseits, Martha und Adolf Hug-Schläpfer, verbringen. Adolf Hug leitete die Zürcher Hauptniederlassung des Musikhauses Hug, Eva und Hans Hug waren seine Cousins:

24. XII. (Dienstag) Morgens Koffer zum Teil gepackt! Mittags fertig gepackt & Koffer zur Bahn Garderobe [sic] gebracht. – Dann noch in Eile zum Coiffeur & dort den Kopf waschen lassen (1/4 St. & dann in die Loki. – Abends gleich nach dem Pfeifen (¾ 5 Uhr!) zur Bahn gefahren Billet gelöst. Dann in Hetz noch «Weihnachts-Telegramm» nach Wien aufgegeben! – Mit dem ellenlangen, vollgepfropften Zug (5[.]03h) nach Zürich abgedampft, dort angelangt & in Eile in der Bahnhofstrasse noch ein «Kurt Wolff Buch» für T. Martha als Geschenk gekauft. Darauf in die Kirchgasse gefahren & hier ca. 7h bei Hugs gelandet. Von Hans begrüsst! – Im Spielzimmer umgezogen! – Von Evi «Pack-Material» für die Weih. Geschenke erhalten, «Päkli» [sic] gemacht mit Hilfe von Seline! – Hierauf ins Musikzimmer gegangen, wo Hans sein Weih. Stück vorspielte & schon alle (Albert Welti inbegriffen!) versammelt waren. – Pian [sic] (von Welti)! – Weihnachtslieder gesungen, während O. Adolf & Hans den Baum anzünden! – Läuten! – Langes Ansehen des Christbaumes! – Geschenke angesehen. – Evis Bild von Welti! – Adölflis Wetterkarte. – etc. –

Zum Nachtessen! (Halt!) – Schön geschmückter Tisch, von 7 Kerzen (3 grossen & 4 kleinen) beleuchtet! Kerzenbeleuchtung während des ganzen Essens! –  Wieder ins Weihnachts-Zimmer! – alte Kirchenbilder von Evi gemeinsam angesehen, dann Photos aus Spanien von Welti, & seinen Erklärungen zugehört, sowie ein wenig gelesen. Nach seinem (Weltis) Weggehen bald allgemeines «Insbettgehen»! –

Mit «Welti» ist der Maler und spätere Schriftsteller Albert Jakob Welti (1894-1965) gemeint, vgl. http://www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D12391.php

Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, W 054/140.07-07 (Tagebuch Alfred Schwarz für die Weihnachts- und Neujahrstage 1917 und 1918) und ZMH 64/934b (Beitragsbild: Rechnung Musik Hug, St.Gallen, 1910)

SCherenschnitt Alfred Schwarz

Montag, 23. Dezember 1918 – Junggeselle bei Weihnachtsvorbereitungen

Alfred Schwarz war am 24. August 1896 in Littai im ehemaligen Herzogtum Krain in Österreich (heute: Slowenien) geboren worden. Seine Eltern waren Julius und Stefanie (Fanny) Schwarz-Schlaepfer, Besitzer einer Baumwollspinnerei. Um 1909 zog die Familie nach Wien um, später nach Zürich. Alfred Schwarz arbeitete von Ende 1916 bis April 1920 in der Buchhaltungsabteilung und im Korrespondenzbüro der Schweizerischen Lokomotiv- und Maschinenfabrik in Winterthur. Später war er Journalist.

In seinen Tagebucheinträgen für die Jahre 1917/1918 und 1918/1919 für Weihnachten und Neujahr ist ersichtlich, wie man damals in familiärem Kreis die Feiertage verbrachte. Arnold Schwarz genoss offenbar ein paar Tage Ferien:

21. XII. (Samstag) Nachmittags gelesen (Zeitungen) & dann Büchergeschenke herausgesucht, währen die «Kollegen von der Materialverwaltung» (Loki [Schweizerische Lokomotiv- und Maschinenfabrik]) Überzeit schafften!

22. XII. (Sonntag) Nach einer stürmischen Nacht am Morgen bei Schneegestöber aufgewacht, & alles ist schon mit einer dicken, weissen Schneedecke bedeckt! Nach einem späten Frühstück nach 11h noch in Eile per Tram zum Reitweg gefahren & Herrn Dr. Wilh. Züblin & Familie besucht. Da gerade auch «Direktor Hardmeyers» bei ihnen auf Besuch waren, wurde ich zuerst nur kurz von Herrn Dr. Zübling empfanen & mit Lesestoff (N.Z.Z.) versehen & sodann von Frl. Züblin unterhalten, bis nach Fortgehen des anderen Besuches Herr Z. wieder erschien & mir seine Frau vorstellte. Nach Übersiedlung ins Wohnzimmer noch gemütlich zu Viert geplaudert, dann wieder verabschiedet! – Mittagessen. – Lesen – Wieder Studium & Nachdenken wegen der Weihnachtsgeschenke. – Kurz vor Ladenschluss (6h abends, Gold. Sonntag!) noch eine Ladung Bücher zur Ansicht geholt! – Nachtessen im Erlenhof. – Brief an Grete [seine Schwester, 1893-1967]. –

 23. XII. (Montag) Aller Schnee wieder fort! – Mittags & abends: Weihnachts-Besorgungen! – Nach dem Nachtessen (Erlenhof) nach Hause geschrieben & diverses [sic] vorbereitet etc. – Sehr spät ins Bett!

Quelle: Staatsarchiv St.Gallen, W 054/140.07-07 (Tagebuch Alfred Schwarz für die Weihnachts- und Neujahrstage 1917 und 1918) und W 054/144.03.06-18 (Scherenschnitt Alfred Schwarz, ca. 1920)

Maria Wenner 1913 und 1922

Dienstag, 17. Dezember 1918 – Erste Weihnachtswünsche

Maria Wenner-Andreae erhielt Weihnachtspost von ihrem Vater, Alexander Andreae (1846-1926). Sie war die zweitjüngste Tochter aus seiner zweiten Ehe mit Johanna Broecker, hatte vier Geschwister und fünf Halbgeschwister (aus der ersten Ehe ihres Vaters mit der 1883 verstorbenen Lily Stumpf). Das erste Porträt zeigt sie 1913 bei ihrer Verlobung, das zweite 1922 nach dem Krieg.

Der Brief enthielt auch diverse Mitteilungen zu anderen Familienmitgliedern.

Milano, li 17.12.1918

Geliebte Kinder & Kindeskinder.

Da noch allerlei dazwischen kommen könnte, will ich schon heute meine allerherzlichsten Weihnachtswünsche an Euch richten, in der stillen Hoffnung, dass Ihr Alle [sic] dies schwere Fest ohne irgendwelche Störung und recht friedvoll & freudenreich werdet vollbringen können! –

Gina wird es dem Christkinde abnehmen[,] Euch auch einige kleine Gaben in unserem Namen auf den Weihnachtstisch zu legen, da werden sicher unsere Gedanken auch dort sein und Antheil an Eurer Weihnachtsstimmung nehmen. –

Gott Lob fühlt auch die gute Mama sich wiedeer ein wenig kräftiger, die letz[t]e Zeit war ihr Puls ja wieder sehr schlecht & ihre Stimmung sehr gedrückt, das bleibt ja für uns leider eine grosse Sorge.

Heute empfing ich Alex’ens Brief vom 14 ct, worin er mir schreibt, dass er hoffe[,] den 23 o 24 ct bei uns zu sein[;] hoffentlich kommt er nicht zu spät.

Hans kam gestern recht erregt Abends [sic] nach hause [sic], weil man ihm f. Ende Januar gekündigt hat, H Stoppani erlaubt der neue Chef nicht einmal mehr[,] in die Fabrik zu kommen. Das ist nun auch wieder eine Sorge mehr für Hans & uns. Für Landwirthschaft hat er keine Lust, er hätte sich s. Zt. dazu bringen lassen[,] nur um den Eltern nicht zu widersprechen. Wolle Gott, dass bald was Richtiges für ihn finde: Lili schuftete sich gehoerig ab für Hans, für’s Asil, die Weihnachtsgaben für die Schwestern, übt auch mit diesen Choräle ein, & für das Home etc[.] dabei [sic] kommen nur zu oft Frau Conti, Fräulein [unlesbar, Pachou?], die Sängerin & Abends [sic] sitzt sie bis spät in ihrem Schlafzimmer, um noch «Stickereien» für Mama zu vollenden. Hoffentlich kappt sie uns nicht zusammen. – Von Pima kam heute ein Bericht, wonach es ihr besser geht, aber Erminio sei noch recht kopfmüde [sic] und habe viel verlernt. – Auch von August kam ein ½ englisch, ½ deutsch geschriebener Brief, den er im Mai angefangen, Mitte November fortgeschickt hat. Es sind 2 englische, socialistische Gedichte darin, die er einer Sozialistisch [?] Zeitung schickte. Povero Augusto, wenn er nur seine Weltverbesserung mit sich anfangen wollte. Er schreibt[,] dass er sich ein neues Haus baue, um es zu vermieten an Sommerfrischler, das Geld dazu nehme er aus dem Verkauf eines Theiles seines Terrains, das wird er am Ende nach und nach verbuttern? – Mit Minna ist er noch nicht versöhnt, faselt noch von Scheidung, es gaebe genug netter, junger Mädchen dort, die ihn gleich nähmen. – Zia Claudia hatte leider auch wieder eine Bronchitis, ihrer Teresa gab sie sechsfachen Monatsgehalt, die Entlassung & bin ich froh[,] diese unverschämte Person nicht mehr empfangen zu müssen.

Gina bitte ich auch[,] den verehrten Eltern Wenner, und der l. Silvia, Fatios, Schlaepfers meine besten Festwünsche auszusprechen. Mama & Lili wollen ja auch noch direct schreiben. So empfanget von mir Küsse & Grüsse in Hülle & Fülle.

Euer Euch sehr liebender

Papa.

Pima war die familieninterne Abkürzung und der Kosename von Pauline Maria Andreae-Andreae (1873-1953). Sie war die älteste Tochter von Alexander und Lily Andreae-Stumpf und ab 1891 mit einem Vetter ihres Vaters, Conrad Andreae (1863-1947) verheiratet. Conrad Andreae war Bankier in Frankfurt und deutscher Konsul in Genua. Die Villa des Ehepaars in Rapallo bildete einen Mittelpunkt des Gesellschaftslebens. Hier waren u.a. auch Cosima und Siegfried Wagner, Gerhart Hauptmann sowie Kurban Said (Essad Bey) zu Gast.

Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, W 054/128.1.1918 (Korrespondenz Fritz und Maria Wenner-Andreae) und W 054/129.1 (Beitragsbild aus Fotoalbum Fritz und Maria Wenner-Andreae)

Weihnachtsgedicht

Samstag, 29. Dezember 1917 – Weihnachten im männer-mordenden Krieg

Die monatlich erscheinende Gratisbeilage zur Rorschacher Zeitung war ab Mitte 1917 nicht mehr genau datiert. Da sie Anfang des Jahres jeweils am letzten Wochenende des Monats erschienen ist, ist möglich, dass das auch im Dezember so war. Diese Datierung vorausgesetzt, kam der Beitrag ohne Autorenangabe auf der Titelseite der Ausgabe ein paar Tage zu spät in die Haushalte:

Weihnacht – Weltkrieg.

Wieder ist es Weihnacht geworden. Während draussen die Waffen klirren, die Kanonen donnern, tönt drinnen im Heiligtum die alte, ewig wunderbare Botschaft an die Seele: «Apparuit benignitas et humanitas Salvatoris nostri – Erschienen ist die Güte und Menschenfreundlichkeit unseres Erlösers.»

Die «grosse Freude», welche der Engel Gottes in der Christnacht den Hirten verkündet hat, durchzieht auch heute die ganze Christenheit und alle treuen Christenherzen – trotz des Weltkrieges mit seinem Jammer und Elend. Ja, gerade das Verderben des männermordenden Krieges zeigt das Ereignis der Christnacht in seiner alles Irdische überragenden göttlichen Grösse und himmlischen Freudenfülle. Auf der Erde Nacht, Tod und Zerstörung – im Hirtentale himmlisches Licht, die Herrlichkeit Gottes umleuchtet die armen Schafhirten – Freudenbotschaft aus Engelsmund – Jubellieder, gesungen von den Chören unzähliger Geister des Himmels. Auf Erden bricht der menschliche Stolz, brechen Weltreiche nach jahrhundertelangem Glanze im Qualm der Geschütze, im Strom des Blutes von Hunderttausenden ohnmächtig zusammen – in der Christnacht tönt das Gesetz der Ewigkeit, die einzig wahre Lösung des Menschenglückes, über die schweigenden Fluren: Soli Deo gloria! «Ehre sei Gott in der Höhe und Friede den Menschen auf Erden, die eines guten Willens sind.» – Nur wer Gott allein die Ehre gibt, erringt den wahren Frieden – jenen innern Herzensfrieden, dessen Fundament der «gute Wille» und dessen Krönung der äussere Friede in der Familie, im Staate, unter den Völkern ist.

«In jener Zeit ging ein Befehl aus vom Kaiser Augustus, den ganzen Erdkreis aufzuschreiben.» So berichtet das Evangelium der ersten Weihnachtsmesse. «In jener Zeit» – welche Zeit ist es an der ehernen Uhr der Weltgeschichte? Wir stehen im eisernen Zeitalter nach dem Propheten Daniel. Mit Blut und Eisen haben die römischen Eroberer ihre Weltmacht aufgerichtet, den grössten Teil der Völker Europas, Asiens und Nordafrikas ihrer Herrschaft unterworfen. Die Sprache der Römer regiert und richtet vom fernen Westen  bis tief ins Morgenland. Auch das auserwählte Volk Gottes ist dienstbar und zinsbar geworden. Einer ist Herrscher – Cäsar Augustus – beide, Heidenvölker und Judenvolk, sind auf ihren Lebenswegen zu einem Punkte gekommen, wo die Sehnsucht nach dem Welterlöser in den Herzen aller mächtig geworden ist. «Die Fülle der Zeit» ist gekommen, das Zepter von Juda gewichen. Jetzt gedenkt Gott der Verheissung, die er einst – vor zweitausend Jahren – dem Patriarchen Jakob gegeben hat: «In deinem SAmen sollen gesegnet werden alle Völker der Erde.»

«Es ging ein Befehl aus vom Kaiser Augustus» – wunderbare Fügung! Augustus, der Mensch, gebietet, und Christus, Gott, gehorcht. Und doch bewährt sich hier in unbeschreiblicher Grösse das Wort: «Der Mensch denkt und Gott lenkt». Denn in Wahrheit ist der mächtigste Mann jenes Zeitalters, Kaiser Augustus, ohne es zu wissen, der Diener dessen, der ihm gehorcht. Er meint, den Entschluss seines Herrscherstolzes zu vollziehen – in Wahrheit aber ist er das Werkzeug der göttlichen Vorsehung zur Verwirklichung des ewigen Ratschlusses der Menschwerdung des Sohnes Gottes. Jesus muss geboren werden zu Bethlehem in der Stadt Davids, damit die Prophezeiung des Michäas erfüllt werde, damit das Volk Gottes den Messias finden könne in der Stadt seines königlichen Stammvaters. Augustus befiehlt, und die gnadenvolle Jungfrau wandert aus Nazareth nach Bethlehem, damit aus ihr geboren werde Jesus, der genannt wird Christus.

Wir leben in einer Zeit des Werdens und Vergehens aller Völker und grosser Reiche. Gar viele schauen mit bangem Blicke in die Zukunft. WAs soll aus der Kirche werden, wenn aus den Stürmen des Weltkrieges ein Imperium emportaucht, gegen das der Staat der römischen Cäsaren ein Kinderspiel war? Nolite timere! «Fürchtet euch nicht, kleine Herde», sagt der Welterlöser Jesus Christus. In der Hand Gottes sind wir heute, wie im Zeitalter des Augustus, die grössten Weltherrscher lediglich kleine Knechte, welche die Ratschlüsse der göttlichen Vorsehung vollziehen müssen. Das Kind in der Krippe zu Bettlehem führt noch heute, wie vor 1900 Jahren, die Zügel der Weltregierung. Seinem REgimente unterstehen alle Völker. Ein Wink seiner Hand und der stolzeste Herrscherthron sind in den Staub. Das Reich des Kindes zu Bethlehem aber besteht und dauert fort in Ewigkeit. Sein Regierungsprogramm hat schon der Prophet Isaias ausgesprochen: «Ein Kind ist uns geboren, ein Sohn ist uns geschenkt, auf dessen Schultern die Herrschaft ruht, und sein Name wird heissen: Wunderbarer, Ratgeber, Gott, starker Held, Vater der Zukunft, Friedensfürst».

Auf derselben Seite der Rorschacher Blätter erschien auch ein Gedicht von Jean Bättig:

Heilige Weihnachten 1917.

Weihnacht feiern wir heute wieder / In des Krieges schwerer Zeit; / Es erschallen Freudenlieder / Durch die Welt voll Kampf und Streit.

Schaurig die Kanonen singen / Vor der Stadt Jerusalem, / Engelchöre heut erklingen / Aus dem kleinen Bethlehem.

Jesus Christus ist geboren, / Freud und Friede dieser Welt, / Ach, wir haben ihn verloren, / Dem man Ehrenfeste hält!

Möcht ein heilig Feuer brennen / Hier auf Erden, fern und nah, / Und bald alle Welt erkennen, / Was zu Bethlehem geschah!

Möchte leuchten dieser Erde / Bald des Friedens schönstes Bild, / Dass zum Paradiese werde / Dieses Lebens Kampfgefild.

Schönster Stern erscheine wieder / In dem schönsten Gnadenschein, / Von dem Euphrat schallts hernieder, / Leucht in jedes Herz hinein!

Friede muss ës wieder werden / Bei den Völkern nah und fern, / Und dann leuchtet hier auf Erden / Christus als der Morgenstern.

Nächster Beitrag:  30. Dezember 1917 (erscheint am 30. Dezember 2017)

Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, P 913A (Text: Rorschacher Blätter zur Unterhaltung und Belehrung, Gratisbeilage zur Rorschacher Zeitung, Nr. 12, 1917, 29.12.1917) und

Fastnacht

Donnerstag, 15. Februar 1917 – Fasnachtstreiben

Polizeiliche Bekanntmachung

betreffend die

Fastnacht-Anlässe 1917.

Gestützt auf den Regierungsratsbeschluss vom 30. Dezember 1916 wird bekanntgegeben:

  1. Oeffentliche Tanzanlässe sind nur Samstag, den 17., Sonntag, den 18. und Dienstag, den 20. Februar gestattet. An diesen Tagen darf bis morgens um 3 1/2 Uhr getanzt werden. Um 4 1/2 Uhr müssen alle Wirtschaftsräumlichkeiten von den Gästen geräumt sein.
  2. Für Theateraufführungen, musikalische Unterhaltungen und Vereinsanlässe mit Tanz in geschlossener Gesellschaft wird bis morgens 3 Uhr Freinachtbewilligung erteilt, mit der Weisung, das Tanzen bis 2 1/2 Uhr zu beendigen.
  3. Kleine Wirtschaften ohne Saal erhalten während der Fastnachtszeit Freinachtbewilligung bis morgens 2 Uhr für einen Anlass.
  4. Maskengehen und Maskeraden jeder Art (Maskenbälle, öffentliche und in geschlossener Gesellschaft), Fastnachtumzüge, Konfettiwerfen, Abbrennen von Feuerwerk auf öffentlichen Strassen und Plätzen, Bockabende, Kappenfeste und ähnliche Veranstaltungen sind verboten.

Das Herumgehen kostümierter Kinder ist Fastnachtsonntag und -dienstag zur Tageszeit gestattet.

Den Serviertöchtern ist das Tragen von Kostümtrachten in ihren Wirtschaftslokalen bewilligt.

Zuwiderhandlungen gegen diese Vorschriften werden mit Polizeibusse von Fr. 5. bis auf Fr. 150.- bestraft.

St.Gallen, Bruggen, St.Fiden, den 14. Februar 1917.

Die städtische Polizeidirektion.

Das Polizeikommissariat Straubenzell.

Das Polizeikommissariat Tablat.

Nächster Beitrag: 17. Februar 1917 (erscheint am 17. Februar 2017)

Quelle: Staatsarchiv St.Gallen, P 909 (St.Galler Tagblatt, 15.02.1917, Abendblatt, Bekanntmachung und Anzeige Kinderfasnacht; Beitragsbild: 14.02.1917, Abendblatt)

Sonntag, 31. Dezember 1916 – Ausblick auf 1917: Endlich Frieden?

Oben: Neujahrspostkarte mit einer Auflistung der Daten sämtlicher Kriegserklärungen von 1914 bis 1916 und einem Friedensengel (Pax = Friede), herausgegeben von K. Essig, Kunstverlag, Basel.

Neujahrsbild II

Neujahrspostkarte zur Erinnerung an die Grenzbesetzung 1914-1916, herausgegeben von Perrochet-Matile, Lausanne, gedruckt bei Klausleider (?) in Vevey.

Laut ursprünglicher Konzeption sollte das Projekt «History Blog» mit diesem Beitrag zum 31. Dezember abgeschlossen sein. Die vielen positiven Reaktionen bestärken uns aber darin, den Blog für das Jahr 1917 noch weiterzuführen, allerdings in deutlich reduzierter Form. So werden wir also nicht mehr jeden Tag eine Quelle publizieren. Auch beschränken wir den Quellenfundus und werden nur noch auszugsweise Regierungsratsprotokolle veröffentlichen.

Näheres zum Inhalt im Beitrag zum  Montag, 1. Januar 1917!

Quelle: Staatsarchiv St.Gallen, W 207 (Postkarten aus dem Album „Aus den Kriegszeiten“, zusammengestellt von Joseph Otto Ferdinand Fischer (1892-1967))