Maiskolben

Mittwoch, 16. Januar 1918 – Ehemaligenbrief: Friedenshoffnungen

Brief eines Ehemaligen des Landerziehungsheims Hof Oberkirch in Kaltbrunn an seine frühere Ausbildungsstätte:

Neuenburg, den 16.I.1918.

An den Hof denke ich hin und wieder, und jedesmal, wenn auf irgend eine Art und Weise auf ihn die Rede kommt und sogar ein Zeichen, wie die Hofzeitung mir zukommt, so treten all die Erinnerungen frisch auf, eine nach der andern, und dann verliert man sich wieder einmal für einige Augenblicke ins Land der Träume. Ich bedaure auch sehr, nicht an den Alt-Höflertag haben kommen zu können, aber mit den heutigen Verbindungen und Kosten ist’s so eine Sache, von einem Samstag abend auf einen Sonntag abend von Neuenburg nach Kaltbrunn zu reisen.

Bei mir wird wahrscheinlich dieses Jahr der Militärdienst kommen, wenn nicht mit dem Frieden das Militär vollständig abgeschafft wird, was nicht unmöglich wäre. Viele reden hier von einem Frieden im Februar oder im März, aber ich kann für den Augenblick noch nicht dran glauben, obwohl niemand nichts sehnlicher sich wünschen mag, al eine Freiden, dass man wieder warm haben und sich quasi satt essen kann. Von diesen Sachen klingen uns die Ohren immer hier. Es ist ein Wimmern und Seufzen in Pensionsmütterchens Gesicht. Manchmal ist’s schwierig, richtig mit den Leuten auszukommen jetzt. Manchmal rumoren die jugendlichen Mägen bedenklich, die Platten sind manchmal gar mager belegt; das Fleisch ist oft stärker als der Geist. Dann gibt’s nachher eine kleine Diskussion auf französisch und man schickt sich wieder drein, l’estomac tranquillisé. – Auf dem Bureau habe ich’s sehr streng, von 8-12 und 1½-6. Dann noch 8 Stunden besondere Fächer in der Woche! Dann bin ich müde am Abend um 10 Uhr und freue mich auf meine Kiste.

Felix Stockar.

Felix Stockar, Jahrgang 1899, war von 1912 bis 1915 Schüler im Hof Oberkirch. Nach Schulaustritt machte er eine Fachausbildung für Seidenfabrikation in Frankreich, Italien und Zürich. Ab ca. 1924 war er im Rohseideneinkauf tätig und wohnte in Schanghai in China.

Quelle: Staatsarchiv St.Gallen, W 127 (Landerziehungsheim Hof Oberkirch, Kaltbrunn, Hof-Zeitung, Nr. 12, April 1918, Text; Hof-Zeitung, Nr. 13, Juli 1918, Linoleumschnitt von Paul Tobler, Beitragsbild; Hof-Zeitung, Nr. 40, Juni 1927, Hinweis auf Felix Stockar)

Friedensengel

Dienstag, 1. Januar 1918 – Friedenssehnsucht

Friedensengel entwaffnen die Kriegsparteien, undatierte Ansichtskarte von K. Bieder

Im History Blog «Zeitfenster 1916» sind in den letzten zwei Jahren mehr als 550 Beiträge erschienen. Die Blogseite verzeichnet bis dato über 112’000 Aufrufe. Wir lassen die Seite über das Jahr 2018 zwar weiter «laufen», allerdings werden wir nur noch sporadisch Artikel publizieren. Wir bedanken uns herzlich bei allen treuen Leserinnen und Lesern, aber auch bei allen, die zufällig auf den Blog gestossen sind, und bei allen, die nur den einen oder anderen Beitrag gelesen haben, für das Interesse.

Für uns war es ein spannendes Experiment, in «unserem» Archiv Quellen zu bestimmten Daten zu suchen und zu veröffentlichen. Entstanden ist ein Potpourri an Themen, das auch uns die Augen für die Alltagswirklichkeit in Kriegszeiten ein Stück weit geöffnet hat. Wer neugierig ist, welche Quellen man zu 1918 findet, ist herzlich eingeladen, die Recherchen im Staatsarchiv St.Gallen selber weiterzuführen!

Helvetia als Friedensstifterin

Quelle: Staatsarchiv St.Gallen, W 207 (Joseph Fischer, Album «Aus Kriegszeiten», Ansichtskarten Nr. 1 und 5 mit Motiven von K. [Kurt?] Bieder aus dem Verlag K. Essig, Basel)

Mitteilungen

31. Mai 1917 – Die „Sehnsucht nach dem baldigen Weltfrieden“

Zur Lage.

F.K. Hegte man bei Jahresbeginn noch Hoffnung auf die Möglichkeit der Anbahnung eines Friedensschlusses, so waltet heute eher das Gefühl vor, es könnte uns noch ein vierter Kriegswinter beschieden sein.

Seit Kriegsbeginn erzeugt der gewalttätige Druck des einen Gegners entsprechenden Gegendruck beim andern, wodurch die neutralen Völker immer stärker in Mitleidenschaft gezogen worden sind. Der verschärfte deutsche Unterseebootkrieg, der dadurch veranlasste Eintritt der Vereinigten Staaten in den Krieg auf Seite der Entente und die russische Revolution, sind die folgenschwersten Ereignisse dieser ersten Jahreshälfte.

Lebensmittelnot, Mangel an Rohmaterialien, ungenügende Kohlenzufuhr, Teuerung, mehr und mehr bedrückende Ausfuhrverbote, Transportschwierigkeiten, Verunmöglichung des Absatzes der industriellen Produkte kennzeichnen unsere heutige Lage. So frägt man sich, wie bei der zunehmenden wirtschaftlichen Einengung das noch werden soll?

Man hat seitens der kriegführenden Mächte des öftern Worte der Anerkennung und des Lobes gefunden für die korrekte neutrale Haltung der Schweiz und ihre oft bewiesene Liebestätigkeit für die Opfer des Weltkrieges. Auch die überwiegende Einigkeit und das Zusammenarbeiten unseres Volkes torzt verschiedener Wesensart der Landesteile sind als Vorbild für eine künftige Annäherung der verschiedenen Staaten Europas auf demokratischer Grundlage angeführt worden. Man ist noch weiter gegangen: unter Hinweis auf Arnold von Winkelried, der bei Sempach für die Freiheit der Schweiz ein[e] Gasse gemacht habe, hat man sich ausländischerseits auch ausgedrückt, wes werde unserm Land infolge seiner bisherigen philantropischen [sic] Wirksamkeit die Mission vorbehalten sein, in diesem völkermordenden Krieg dem Frieden eine Gasse zu machen.

Die Ereignisse der letzten Wochen haben leider manches an diesen Annahmen und guten Voraussetzungen erschüttert. Es hat sich gezeigt, dass Bemühungen um die Anbahnung eines Weltfriedens auch in einer Sackgasse enden könnten und ein Teil unserer Tagespresse, in schellfertigem Urteil, weiss nichts besseres [sic] zu tun, als ganze Volksteile aufzuhetzen und durch übertriebene Alarmberichte unser Ansehen in den Nachbarstaaten zu schädigen. Gegen solche Vorkommnisse sollte man bessere Vorbeugungs- und Abwehrmittel zur Hand haben. Wie kann man sonst verhüten, dass die gleichartige Stufe der ausländischen Alarmpresse die übertriebenen Anschuldigen als bestehende Tatsachen ihren Lesern vorsetzt und dazu schürt, dass die uns bedrückenden wirtschaftlichen Massnahmen immer noch enger gezogen werden[.] In erster Linie bekommen unsere Handels- und Industriekreise, dann der Gewerbestand die Folgen dieses, die Interessen unseres Landes schädigenden Gebaren zu spüren.

Mehr als je ist es nötig, unserseits durch Einheitlichkeit und Geschlossenheit der Reihen diesem Druck von aussen entgegenzuwirken. Der obersten Landesbehörde, die bis anhin in umsichtiger Weise ihr bestes im Interesse des Landes getan hat, darf man fernerhin volles Vertrauen entgegenbringen. Das politische Departement ist ja in guten Händen und die nunmehrige Angliederung der Handelsabteilung an das Volkswirtschaftsdepartement dürfte der Wichtigkeit der Sache eher noch förderlich sein.

Wollte man anschliessend die Lage der verschiedenen Zweige unsere einheimischen Textilindustrie unter den jetzigen Verhältnissen einer eingehenden Betrachtung unterziehen, so könnte man mit der Aufzählung aller der entgegenstehenden Schwierigkeiten ganze Spalten füllen, das Gute wäre dagegen mit wenigen Sätzen abgetan. Darum wenden wir uns zum Schluss lieber einer andern, doch erfreulicheren Seite unseres sonst gedrückten Daseins zu, den wunderbaren Offenbarungen der Natur, die uns seit Beginn des Monats Mai, nach dem langen harten Winter geradezu überschüttet mit der Fülle ihre schöpferischen Gestaltungskraft, die sich in der Fruchtbarkeit und Schönheit der Kulturen zeigt. Es ist, als ob Lehrmeisterin Natur uns absichtlich den harten, langen Winter als das Sinnbild des vernichtenden Krieges und im Gegensatz dazu die schöpferischen Jahreszeiten als Symbol der Segnungen des Friedens vor Augen führen wollte. Wenn die gewalttätigen Machthaber der Menschheit ihre Eingebungen nur etwas mehr aus dieser Schule schöpfen wollten!

Die Sehnsucht nach einem baldigen Weltfrieden ist allgemein, und dieser wird wie eine Erlösung wirken. Sollte aber nicht bald eine Einlenkung in den starren Prinzipien, Anschauungen und Zielen der sich bekämpfenden Gegner zum Durchbruch kommen, so steht uns noch der allerhärteste Kriegswinter bevor.

Die Initialen F. K. am Anfang des Artikels stehen vermutlich für Fritz Kaeser, Metropol, Zürich. Er war Chefredaktor und als solcher in Personalunion zuständig für redaktionelle Beiträge, Inserate und Expedition der Zeitschrift Mitteilungen über Textilindustrie.

Nächster Beitrag: 3. Juni 1917 (erscheint am: 3. Juni 2017)

Quelle: Staatsarchiv St.Gallen, Wy 124 (Mitteilungen über Textil-Industrie, 24. Jg., Nr. 11/12, Juni 1917; Text und Beitragsbild)

Sonntag, 31. Dezember 1916 – Ausblick auf 1917: Endlich Frieden?

Oben: Neujahrspostkarte mit einer Auflistung der Daten sämtlicher Kriegserklärungen von 1914 bis 1916 und einem Friedensengel (Pax = Friede), herausgegeben von K. Essig, Kunstverlag, Basel.

Neujahrsbild II

Neujahrspostkarte zur Erinnerung an die Grenzbesetzung 1914-1916, herausgegeben von Perrochet-Matile, Lausanne, gedruckt bei Klausleider (?) in Vevey.

Laut ursprünglicher Konzeption sollte das Projekt «History Blog» mit diesem Beitrag zum 31. Dezember abgeschlossen sein. Die vielen positiven Reaktionen bestärken uns aber darin, den Blog für das Jahr 1917 noch weiterzuführen, allerdings in deutlich reduzierter Form. So werden wir also nicht mehr jeden Tag eine Quelle publizieren. Auch beschränken wir den Quellenfundus und werden nur noch auszugsweise Regierungsratsprotokolle veröffentlichen.

Näheres zum Inhalt im Beitrag zum  Montag, 1. Januar 1917!

Quelle: Staatsarchiv St.Gallen, W 207 (Postkarten aus dem Album „Aus den Kriegszeiten“, zusammengestellt von Joseph Otto Ferdinand Fischer (1892-1967))

Samstag, 16. Dezember 1916 – Doch kein Frieden …

Tagebucheintrag von Josef Scherrer-Brisig (1891-1965), Sekretär des Schweizerischen Christlichen Textilarbeiterverbands (1910-1916), später Kantonsrat und Nationalrat sowie Mitbegründer der Christlichsozialen Bewegung:

[…]

Die Friedensofferte der Zentralmächte erfährt leider bei der Entente eine schroffe Abweisung. Und ach Gott, das Morden soll weitergehen und weiter das grosse Elend noch umfassender und noch verheerender machen. Möchte doch Gott ein Einsehen haben und der bedrängten Menschheit den Frieden wieder schenken.

[…]

Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, W 108/1 (Text) und W 238/03.06-08 (Bild, Auszug aus einer Glückwunschkarte zum Jahreswechsel, gezeichnet von Adolf Sprenger, Dessinateur)

Dienstag, 12. Dezember 1916 – Deutschland möchte Friedensverhandlungen

Tagebucheintrag von Josef Scherrer-Brisig (1891-1965), Sekretär des Schweizerischen Christlichen Textilarbeiterverbands (1910-1916), später Kantonsrat und Nationalrat sowie Mitbegründer der Christlichsozialen Bewegung.

Während der Versammlung der konservativen Grossratsfraktion von Solothurn, zu der Josef Scherrer eingeladen worden war, ging folgende Nachricht ein:

[…]

Berlin, 12. Dezember. (Wolff) Der Reichskanzler teilte heute im Reichstag mit, die Regierungen der Zentralmächte haben heute an die diplomatischen Vertreter der mit dem Schutze ihrer Staatsangehörigen betrauten Staaten eine identische Note gerichtet, die den feindlichen Mächten mitgeteilt werden soll. Die Nota enthält den Vorschlag, von heute an in Friedensunterhandlungen einzutreten. In dieser Nota heisst es unter anderem, die Vorschläge, welche die Verbündeten zur Verhandlung stellen, sind nach ihrer Überzeugung geeignet, als Grundlage für die Wiederherstellung eines dauernden Friedens zu dienen. Wenn trotz dieses Angebotes der Kampf fortdauern sollte, sind die vier verbündeten Mächte entschlossen, ihn bis zu einem siegreichen Ende zu führen, wobei sie jede Verantwortlichkeit ablehnen.“

Es wird eine hochbedeutsame Stunde weltgeschichtlichen Geschehens angebrochen und man zittert, ist es vielleicht möglich, dass doch Frieden werden könnte. Oh wie würde der Druck, der seit zwei und einem halben Jahre auf uns lastet, von uns und von Millionen hinweggenommen. Deutschland macht ein Friedensangebot! Ob es ohne F ü h l u n g geschehen ist in den kriegführenden oder einzelnen gegnerischen Staaten? Man muss es leider fast annehmen. Deutschland kann nachher die schwere Verantwortung für den Krieg ablehnen. Es erhält ein moralisches Übergewicht, das dem Volke für die Weiterführung des Kampfes neuen Elan gibt. Möchte doch endlich das Ringen aufhören, oh wie würde die ganze Welt aufatmen, wenn wirklich auf Weihnachten ein Waffenstillstand eintreten würde. Man kann es noch nicht glauben, man wagt es noch nicht zu hoffen. Möge das Christkind, der grösste Friedensfürst doch bald den Frieden geben.

[…]

Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, W 108/1 (Tagebuch) und W 238/03.06-10 (Ausschnitt aus einer Glückwunschkarte zum Jahreswechsel, gezeichnet von Adolf Sprenger, Dessinateur)

Dienstag, 21. November 1916 – Parlamentarier für den Frieden

Auszug aus dem Protokoll des Regierungsrates des Kantons St.Gallen:

Eingabe betreffend Vermittlung des Bundesrates für Erreichung des Friedens.

Zur Sprache gelangt die von Herrn Kantonsrat Bühler und 10 weitern Ratsmitgliedern beim Grossen Rat eingereichte Anregung, womit dem letzteren folgende Schlussnahme beantragt wird:

„Der Grosse Rat des Kantons St.Gallen, erschüttert von den unfassbaren Blutopfern des Krieges, ersucht im Namen der Menschlichkeit den hohen Bundesrat, im Verein mit den übrigen Neutralen den kriegführenden Mächten seine Vermittlung anzubieten“.

Nach gepflogener Diskussion über die Stellung, welche der Regierungsrat zu dieser Anregung einzunehmen gedenke, wird beschlossen:

Es sei dem Grossen Rat in Erledigung dieser Eingabe folgende Schlussnahme vorzuschlagen:

„Der Grosse Rat des Kantons St.Gallen teilt die vom Gefühl der Menschlichkeit geleiteten Empfindungen, die in dem von den Antragstellern kundgegebenen Wunsche nach baldiger Beendigung des blutigen Völkerkrieges zum Ausdruck gebracht worden sind.

Er nimmt mit dankbarer Befriedigung von den seitens des Bundesrates über seine Stellungnahme zu dieser Frage wiederholt erteilten Aufschlüssen Kenntnis und lebt der vollen Überzeugung, dass der Bundesrat, getragen von der vertrauensvollen Zustimmung des Schweizervolkes, auch fürderhin in dem ihm als geeignet erscheinenden Zeitpunkte alle zweckdienlichen Schritte einleiten wird, um den kriegführenden Mächten seine Vermittlung zum Zweck der Herbeiführung des ersehnten Friedens anzubieten.

Der Grosse Rat weiss sich mit dem gesamten st.gallischen Volke und seinen Behörden einig in der ungeteilten Sympathie für die Friedensbestrebungen der obersten Landesregierung und in der lebhaften Hoffnung, dass es den Bemühungen des Bundesrates bald gelingen werde, in Verbindung mit den übrigen Neutralen durch Anbietung seiner Dienste die Wiederherstellung des Friedens anbahnen zu helfen.

In diesem Sinne geht der Grosse Rat zur Tagesordnung über.“

Protokollauszug an Herrn Landammann Dr. Baumgartner zur Notiznahme und zur Beantwortung der Eingabe in diesem Sinne.

Quellen: Staatsarchiv St.Gallen, ARR B 2, 1916/2670 (Protokoll) und P 127 (St.Galler Schreibmappe für das Jahr 1917, St.Gallen 1916, S. 7)